Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 47: Unterschied zwischen den Versionen

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<center><big><big>'''''Der Orondinische Dreikampf</big></big><br><br>
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''Wie sich Domna Siona und Domna Yppolita auf die Suche nach dem verschollenen Dom Amaros machten. Wie sie stattdessen dessen kleingewachsenen Häschern in die Arme liefen. Wie sie durch verwinkelte Wortkunst die Zwerge passierten. Wie sie kurz darauf Dom Amaros und dessen Retter fanden und beschlossen, gemeinsam nach Santa Catalina umzukehren. Wie Dom Rondrigo de Braast die Zwerge der Aurixim-Sippe zum Orondinischen Dreikampf forderte. Wie Domna Yppolita sich im Wetttrinken maß. Wie Dom Rondrigo almadanische Reitkunst vorführte. Wie Dom Amaros unter Beweis stellte, dass Logik keiner Zahlen bedarf.</center><br>


==[[Baronie Taubental]], 4. Travia [[Annalen:1033|1033]] BF==
==[[Baronie Taubental]], 4. Travia [[Annalen:1033|1033]] BF==
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Der silberbärtige Argmoschix Sohn des Aurix hakte die Daumen in den Gürtel und zog höchst erstaunt die silbernen Brauen in die Höhe. „Bei Angroschs ehernen Zehennägeln! Ihr schon wieder!“, richtete er Stimme und Blick auf Domna Yppolita. „Wir sprachen gerade über Euch. Wer Ihr wirklich seid und ob Ihr wirklich in des jungen Remigius’ Auftrag nach Orondo fahren wolltet. Ist denn das der Verräter, den Ihr suchtet?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Dom Rondrigos.
Der silberbärtige Argmoschix Sohn des Aurix hakte die Daumen in den Gürtel und zog höchst erstaunt die silbernen Brauen in die Höhe. „Bei Angroschs ehernen Zehennägeln! Ihr schon wieder!“, richtete er Stimme und Blick auf Domna Yppolita. „Wir sprachen gerade über Euch. Wer Ihr wirklich seid und ob Ihr wirklich in des jungen Remigius’ Auftrag nach Orondo fahren wolltet. Ist denn das der Verräter, den Ihr suchtet?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Dom Rondrigos.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]]
Domna Yppolita di Dalias y las Dardas schüttelte ihr Haupt so energisch, dass ihre dunklen Locken durch die Luft wirbelten. Allen Stolz, den sie besaß und aufbieten konnte, legte sie in ihre Worte: „Fortombla hortomosch!<ref>Rog.: „Friede und Wohlstand!“</ref> Dies ist der ehrenfeste, strenge und wohlgeborene Dom Rondrigo de Braast auf Deokrath, ein aufrechter Freund des Volks der Angroschim. Er begehrt auf diesem Weg nach Santa Catalina im Taubentale zu ziehen. Und wir, die wohlgeborene Domna Siona von Lindholz und ich, genießen seinen Schutz und sein Geleit. Felsenfester und ehwürdiger Dom Argmoschix, Herr unter Aurom-Dûm, wir ersuchen Euch und die Eurigen, uns und den Unsrigen die Passage nach Santa Catalina nicht zu verlegen. Es ist Streit, Zwietracht und Verwirrung unter den Xomaschim im Taubentale. Meine Begleiter und ich, wir bedauern es im höchsten Maße, dass Ihr, stolze Angroschim von Aurom-Dûm, von den Wirrnissen unter den Menschen turbiert und molestiert wurdet; woran ich nicht geringe Schuld und Ursache trage. Doch all dies diente nur dem einen Zweck, das Leben von Xomaschim zu retten. Wer auch immer Herr im Taubentale und in den angrenzenden Tälern und Gemarkungen werden wird, wird Euch, felsenfester Dom Argmoschix, und die Eurigen im Besonderen zu bedenken haben. Wir bitten Euch, gebt den Weg frei!“
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Der Silberbart runzelte die Stirn in einer Weise, die Domna Yppolita angesichts seiner Falten nicht für möglich gehalten hätte. „Ihr redet viel und winkelhaft<ref>Verwinkelte Sprache gilt unter Erzzwergen des Eisenwalds als tugendhafte Kunst.</ref>, Domna, doch Eure Winkel sind keine rechten Winkel. Mit Euren Worten baut Ihr einen schiefen Turm, der unter Euch einstürzen wird. Vor wenigen Herzschlägen noch wart Ihr im Auftrage des jungen Remigius unterwegs, der den Baronsstuhl errungen haben soll, einen Verräter zu fangen, und nun wisst Ihr nicht mehr, wer Herr im Taubental werden wird!“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, wir werden Euch nicht passieren lassen, Domna, bis wir nicht ''genau'' verstehen, was Euer Begehr ist.“
Wie um zu unterstreichen, dass eine erzzwergische Genauigkeitsprüfung mit gerade zu heiligem Ernst vor sich zu gehen hatte, griffen seine Brüder wieder zu ihren Beilen und stellten sich quer über den Weg auf.
„Dafür, Dom Argmoschix, ist keine Zeit!“, mischte sich der Braaster ein.
„Für eine ordentliche Analyse sollte immer Zeit sein. Sonst werden die Dinge ''schlampig'' gemacht und das missfällt dem Weltenmechanikus.“
Dom Rondrigo drängte sein Ross an den Zwerg heran. „Und ich sage Euch, Dom Argmoschix, dass dafür keine Zeit ist und dass wir ''jetzt'' an Euch vorbei müssen.“
„Eure Hast könnte Euer Schaden sein. Wie wollt Ihr an uns vorbeikommen?“, brummte Väterchen Argmoschix mit beunruhigender Gelassenheit und wies auf die Beile seiner Brüder.
„Indem ich, Rondrigo de Braast, seit jeher Descendiente, Euch, Argmoschix Sohn des Aurix, aus der Sippe der Aurixim, Euch hier und heut zum ''Orondinischen Dreikampf'' herausfordere.“
Verwunderung breitete sich auf den Gesichtern der Angroschim aus. Aufgeregt wollten sie sich wieder zu einem brummelnden Beratungskreis formieren, doch der Braaster rief: „Was ist, Dom Argmoschix? Nehmt Ihr die Herausforderung an? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“
Der alte Zwerg kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Dann sprach er: „Für einen Großling habt Ihr eine hervorragende Kenntnis der Bräuche des Tosch Mur, Dom Rondrigo. Nicht mal die jüngeren meiner Brüder wissen vom Orondinischen Dreikampf, zu dem Descendientes die Aurixim herausfordern dürfen. Ob Ihr aber wirklich wisst, auf was Ihr Euch da einlasst, wird sich noch zeigen. Ich nehme Eure Herausforderung an.“
Er hob die Stimme und rezitierte ernst: „Den Dreikampf gewinnt, wer in zwei von drei Proben den Sieg davon trägt. Gewinnt der Forderer, so darf er seines Weges ziehen. Gewinnt der Geforderte, so muss der Forderer sein Pferd wenden und umkehren. Für zwei Proben darf der Forderer einen Stellvertreter benennen, eine aber muss er selbst bestreiten. Wie es Brauch ist, wird die erste Probe vom Geforderten bestimmt, die zweite vom Forderer und die dritte wieder vom Geforderten. Habt Ihr verstanden?“
Dom Rondrigo nickte. „Was ist die erste Probe?“
„Die erste Probe“, verkündete Argmoschix Sohn des Aurix nach kurzem Nachdenken, „soll der ''Baromdrasch'' sein.“
„Der... Bierschacht?“, übersetzte Dom Rondrigo zweifelnd.
„So ist es. Es gilt, innerhalb eines Viertel Stundenglases sechs ''Baroscht'' Gebrautes zu leeren und danach einen ''Drasch'' weit in gerader Linie zu laufen. Wer als erster den ''Drasch'' gelaufen ist, hat gewonnen.“
Während Argmoschix sich seinen Brüdern zuwandte, um zu bestimmen, wer von ihnen die Probe ausüben würde (und wessen Wegbierfässchen geopfert dafür werden würde), drehte sich der Braaster zu seinen Begleiterinnen um und sah fragend in die Runde. „Habt Ihr verstanden, Domnas? Es gilt, sechs Schank Zwergenbier hinunterzustürzen und danach einen Schacht, also etwa sieben Schritt weit zu laufen. Das sollte nicht allzu schwer sein. Ich könnte diese Aufgabe selbst übernehmen – doch da wir uns soeben erst begegnet sind, kenne ich Eure Trinkfestigkeit nicht, welche die meine übertreffen könnte.“
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'''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]]
„Sechs Schank Zwergenbier, Dom Rondrigo. Nun, wenn das alles ist! Das stillt meinen Durst zwar nicht ansatzweise, aber diesen Fingerhut voll Zwergenbier will ich mir doch nicht entgehen lassen.“ Mit diesen Worten schwang sich Yppolita di Dalias y las Dardas aus dem Sattel und schritt leicht hinkend zu Argmoschix Sohn des Aurix, der gerade Olgrux Sohn des Olgrak und seinen Bruder Olgram beaufsichtigte, die mit großer Sorgfalt vier mal sechs ''Dromim'' abmaßen.
„Felsenfester Dom Argmoschix, ich vertrete den Descendiente Dom Rondrigo in diesem Wettkampf. Und ich will einen der Eurigen zu einem Baromdrasch fordern“, kündigte Yppolita dem alten und ehrwürdigen Angroscho mit lauter Stimme an.
Geringschätzig blickte Argmoschix die Großlingsfrau schräg von der Seite an, brummte einige Worte auf Rogolan zu vieren seiner Brüder und vermeldete den Herausforderern daraufhin, wer die Aurixim in diesem Trinkduell vertreten werde: „[[Andrix Sohn des Amgatix]], guter Bruder, tritt hervor!“ Aus der Gruppe der Zwerge löste sich ein auch für Zwergenmaß recht kleingewachsener Angroscho, mit buschigen silbergrauen Augenbrauen und vollem dunklen Bart, der bis auf die beachtliche Leibesmitte des Zwerges herabhing.
Während Caballera Yppolita und Andrix der Zwerg ihre Gürtel und Wehrgehänge ablegten und sich vor der abgemessenen Strecke eines Drasch aufstellten, hielt je ein Angroscho einen Humpen, in welche andere Zwerge kostbaren Gerstensaft aus den Reisefässchen gossen. Nachdem diese Humpfen voll waren, griffen die Angroschim zu den nächsten Humpen, die jeder einzelne von ihnen mit sich führte. Die Angroschim schienen mit diesem Treiben nicht aufhören zu wollen. Als insgesamt schon sechs Krüge voll waren und die Zwerge immer noch keine Anstalten machten, mit dem Einschenken aufzuhören, blickte sich Yppolita hilfesuchend zu ihren Gefährten, zu Dom Rondrigo und Domna Siona um, die ebenfalls fassungslos mitverfolgten, wie die Zwerge Schank um Schank Bier in die Humpen füllten.
„Aber das sind doch nun gut und gerne sechs Schank, wenn nicht sogar schon zehn nach [[avwik:Rohal der Weise|Rohal Weisebart]]!“, empörte sich Yppolita an Argmoschix gewandt.
„Nein, nein“, erklärte ihr dieser mit erhobenem Zeigefinger und ernster Miene, „sechs ''Baroschtim'', nicht sechs Rohalsche Schank. Das sind recht genau vier mal und ein Zwanzigstel soviel wie ein Rohalscher Schank, Domna. Dies ist schließlich eine ernsthafte Prüfung Eurer Standhaftigkeit. Ihr einfältigen Xomaschim, Ihr handelt und redet so schnell – nie habt Ihr wirklich analysiert, ergründet und verstanden, worauf Ihr Euch einlasst, bevor Ihr es tut. Ihr seid allesamt so jung und unerfahren. Doch dabei seid Ihr doch nur ''rogelin rogela''.“<ref>Rog.: „Aufschneider“ oder „Prahl-Alrik“.</ref>
Mit jedem zusätzlichen Schank und jedem zusätzlichen Krug sank Yppolitas Mut, sich hier zu bewähren, ein Stück weiter. Kurz blickte sie gen Himmel und bat San Valpo um seine Fürsprache und Hilfe.
Endlich hatten die Angroschim ein Einsehen und beendeten das Einfüllen von Bier. Insgesamt zwölf Humpen waren nun zum Überlaufen voll. Mit entschlossenen Gesichtern reichten die Angroschim den beiden Combattanten jeweils den ersten Krug mit je vier rohalschen Schank oder einem ''Baroscht'', wie die Zwerge messen und zählen. Mit ihrer rechten Pranke packte Domna Yppolita ihren Humpen, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm und grüßte damit ihre Gefährten, Argmoschix und ihren Gegner Andrix Sohn des Agmatix. Mit großväterlichem Nicken und Zucken der silbergrauen Augenbrauen erwiderte Andrix ihren Gruß. Die beiden Humpen stießen aneinander, etwas Gerstenbräu schwappte über, floss die Humpen hinab.
Andrix und Yppolita setzten ihre Humpen an und warteten auf ein Zeichen von Argmoschix, neben den sich Dom Rondrigo mit verschränkten Armen gestellt hatte. Amaros von Lindholz war an das Ende des Drasch getreten. Mit gedrückten Daumen und zusammengekniffenen Augen bat er um göttlichen Beistand. Auch Domna Siona war – ganz entgegen alter Lindholzer Haustradition – vernehmbar auf Seiten der Daliaser Caballera.
Doch Caballera Yppolita hatte nur noch Augen für diesen Ocean an Bier, der in sechs vollen Krügen auf sie wartete. Mit müden Augen suchte sie im ersten Humpen vergeblich den Grund und Boden. Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit überkam sie.
„Baroschem!“<ref>Rog.: „Prost!“ oder „Ein Hoch auf das Gebraute!“</ref>, schmetterte Argmoschix in die Runde und gab damit das Zeichen, dass der Wettkampf zwischen der Yaquirtalerin und dem Angroscho beginnen sollte.
Mit gleichmäßig großen Zügen ließ Andrix Sohn des Amgatix das Bier in seinen Schlund stürzen. Sein Haupt verschwand ganz hinter dem Humpen. Kein Tropfen trat an den Mundwinkeln hervor. Nach kaum einem Schank mittelreichischen Maßes setzte Yppolita ab und blickte kurz zu ihrem Widersacher, in dessen Rachen – wie in einem Katarakt – das Nass hinabfloss. Die Anfeuerungsrufe der Braaster Mercenarios und das monotone Brummen der Zwerge nahm Yppolita nicht mehr wahr. Rasch kam das Gefühl auf im Hintertreffen zu sein. Kaum hatte Yppolita wieder angesetzt, griff Andrix schon zum zweiten Humpen.
Mit mechanischer Gleichmäßigkeit ließ Andrix das Bier in sich strömen. Der Zwerg war ganz in seinem Element. Yppolita dagegen kämpfte verbissen. Sie wollte nicht aufgeben. Beim dritten Krug hatte Yppolita das Gefühl, vorne zu liegen, zumindest zu Andrix aufgeschlossen zu haben. Yppolita setzte ab, der dritte Krug war zur Neige gegangen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er völlig ungerührt und ohne auf seine Gegnerin zu achten, den dritten Krug beiseite stellte und den vierten Krug gereicht bekam. Sie waren tatsächlich gleich auf.
Beherzt griff Yppolita zu ihrem vierten Krug. Sie fühlte, wie der Gerstensaft in sie schwappte. In großen und hastigen Zügen trank sie. Ihre Schlücke wurden größer und größer, gieriger. Prustend drehte sie unvermittelt ihren Kopf beiseite. Sie hatte sich verschluckt. Hustend spie die Yaquirtalerin etwas Bier auf den Waldweg und ihr verdrecktes Wams. Sie schnappte nach Luft. Ohne auf sie zu achten, griff Andrix zu seinem fünften Krug. Angewidert trank Yppolita den vierten Krug aus. Sie zwang das Bier in sich. Aufstoßend griff sie schließlich zum fünften Humpen. Der Gerstensaft widerte sie nur noch an. Die Lage war aussichtslos. Sie drehte sich leicht in Richtung ihres Widerparts und sah Andrix zu seinem letzten Krug greifen. Die Trinkfestigkeit und ungerührte, nichts verschüttende Gleichmäßigkeit dieses Angroscho war in der Tat ein großes Werk des Weltenmechanicus: Eine Maschine, die gefertigt war, um Gerstensaft mit großer Gleichmütigkeit und der Präzision eines Uhrwerks zu trinken.   
Yppolita gab sich geschlagen. Gerade als sie zu ihrem letzten Krug griff, hatte Andrix seinen letzten Humpen mit einem letzten großen Zug geleert. Mit seinen kurzen Zwergenbeinen trippelte Andrix in recht gerader Linie die Strecke des Drasch entlang zum Ziel. Als Andrix mit hochgereckten Armen die Ziellinie überquert hatte, warf Yppolita erst den letzten leeren Krug von sich und setzte ihren Fuß auf die Strecke des Drasch. Ihr rechtes Knie pulsierte vor Schmerz. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung. Ihr Kopf brummte. Die Niederlage schmeckte noch herber als das Zwergenbräu. Den Kopf zwischen ihren Schultern hängen lassend besann sie sich zumindest als gute Verliererin zu handeln: Anerkennend klopfte sie auf die Schulter des Siegers im Baromdrasch. Andrix nickte ihr kurz zu und brummte ein paar Silben in seiner Sprache. Sie konnte und wollte nichts verstehen. Nun lag die Hoffnung, die Reise nach Santa Catalina diesen Morgen noch fortsetzen zu können, auf anderen Schultern.
Erschöpft ließ sich Yppolita ins feuchte Gras sinken.
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Argmoschix Sohn des Aurix blickte auf sie herab. Mitleid und Verächtlichkeit hielten sich in seinem faltigen Gesicht die Waage. Dann blickte er zu Dom Rondrigo hinauf. „Die erste Probe habt Ihr nicht bestanden, Descendiente. Was soll die zweite sein?“ Nach einer kurzen Pause fügte er mit offensichtlicher Häme hinzu: „Lasst Euch Zeit. Davon haben wir genug.“
Dom Rondrigo ballte die Fäuste. Dann jedoch leuchtete sein Gesicht auf. Suchend blickte er sich um. Schließlich sprach er zu dem Angroscho: „Um Zeit soll es in der zweiten Probe gehen. Seht Ihr die umgefallene Zeder dort oben?“ Er deutete auf einen Baum, der wohl in einer halben Meile Entfernung einsam in den sanften Hügeln lag und an fröhlicheren Tagen den Hirten zum Verweilen diente. „Es wäre wohl ungerecht, Euch zum Wettlauf aufzufordern. Daher fordere ich Euch zum Pferderennen auf. Wer als erster mit dem Ross über die Zeder gesprungen ist, soll die Probe gewonnen haben.“
Argmoschix verzog das Gesicht. „Aber wir haben keine Pferde!“
„Oh, das macht nichts, Väterchen“, lächelte der Braaster gönnerhaft. „Wir hatten schließlich auch keine Humpen und kein Bier. Selbstverständlich leihe ich Euch eines meiner Pferde. Morena!“ Er winkte einer der Grenzerinnen, welche daraufhin von ihrer Stute absprang und sie heranführte. Mit einer Verneigung hielt sie dem Zwerg die Zügel hin.
Dieser zuckte unwillkürlich vor dem großen Tier zurück in den Schutz seiner Brüder. Unter Brummeln und Knirschen entschieden diese, wer die Reitprobe vollführen sollte. Schließlich fiel das Los auf Olgrux Sohn des Olgrak, welcher missmutig dreinblickte und mehr von hinten nach vorne geschoben wurde, als dass er freiwillig ging.
Reichlich umständlich und mit Hilfe seines Bruders, der ihn von hinten hochdrückte erklomm der Zwerg den Pferderücken. „Rahjaseidank ist die Stute zahm wie ein Lämmchen, nicht wahr, Morena?“, grinste Dom Rondrigo. Er saß längst wieder im Sattel und ließ sein Ross im [[Almadaner Schritt]] im Kreise gehen.
Dieses Mal war es Domna Siona, die mit einem „Vivat Almada!“ das Zeichen zum Beginn gab. Doch die Probe war für Olgruk verloren, noch ehe sie recht begonnen hatte. Während der Zwerg – zur Belustigung der Adligen – noch versuchte, die zahme Stute mit seinen kurzen Beinen und heftigem Zügelrucken in Bewegung zu setzen, war Dom Rondrigo bereits auf halbem Wege den Hügel hinauf geritten. Und als Olgruk schließlich holterdipolter lostrabte, sprang Dom Rondrigos Ross gerade leichtfüßig über das Hindernis. Auf seinem Rückweg ergriff der Braaster schließlich die Zügel von Olrgruks Pferd und führte es wieder zu den Wartenden zurück.
Grimmig sah Argmoschix zu, wie Olgruk vom Pferd geholfen wurde. „Niemand sollte sich so weit vom Boden entfernen. Das ist... ungesund. Nun aber zur dritten und letzten Probe in der ich selbst antreten werde. Der Geforderte wird dem Forderer eine Rechenaufgabe stellen, die dieser in der Zeit lösen muss, welche der kleinste Zeiger meiner Uhr braucht, um zwei mal seinen Kreis zu ziehen.“ Er kramte in seinen Rocktaschen und holte ein Ei aus lauterem Gold hervor. Als er es berührte, sprang es mit einem Klicken auf und gab den Blick auf ein goldenes Ziffernblatt frei, in dem sich drei Zeiger aus Silber bewegten. „Hat der Forderer die Aufgabe gelöst, so darf er dem Geforderten eine Aufgabe stellen und so fort. Wer als erster keine Lösung mehr findet, ehe die Zeit abgelaufen ist, der hat verloren. Wer tritt gegen mich an?“
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|lindholz]]
Ohne lange zu zögern trat Amaros von Lindholz vor den Braaster hin und sprach: „Dom Rondrigo, lasst mich diese Aufgabe in Eurem Namen bewältigen.“
„Mein Sohn, du hast in dieser Nacht kaum Schlaf gefunden…“, setzte seine Mutter, Domna Siona, besorgt an, doch der junge Adept der arkanen Künste wischte den Einwand mit einer Geste beiseite.
„Mein Körper mag der Ruhe nicht abgeneigt sein, doch mein Geist sehnt sich nach einer Herausforderung!“ Auch wenn die Worte an seine Mutter gerichtet waren, ruhten seine Augen fest und entschlossen auf den Zügen des Edlen von Deokrath. Dieser erwiderte den Blick des blondschöpfigen Yaquirtalers. Sollte er ihr Vorankommen wirklich in diese jungen Hände legen? Zweifelsohne beinhaltete die Ausbildung an einer magischen Institution auch das Vermitteln höherer Rechenkunst, doch war es wirklich gesunde Selbsteinschätzung, die aus dem Lindholzer sprach, oder nur übermütiger Ehrgeiz? Mit einem Nicken gab der erfahrene Kämpe schließlich seine Zustimmung kund.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, bildeten die Zuschauer einen mehrere Schritt durchmessenden Kreis um Amaros und Argmoschix Sohn des Aurix, dem Herrn von Aurom-Dûm. Ein älterer Zwerg namens Anderix Sohn des Argrix und Rondrigo de Braast blieben bei ihnen, um sicherzustellen, dass es zu keinerlei geflüsterter Hilfestellung kam, während das geistige Duell seinen Lauf nahm.
Die frühe Morgensonne warf lange Schatten auf den Boden und schnitt durch den klammen Nebel, der von den Ufern der Inoscha aufzuwallen trachtete. Amaros fröstelte. Während seiner Flucht durch das Unterholz des düsteren Bergwaldes war das vom Regen durchweichte Erdreich in das einfache Schuhwerk gequollen, welches er trug. Auch, wenn er bei Montevivar die gröbsten Spuren beseitigt hatte, so hatte das Leder doch die Feuchtigkeit begierig in sich aufgesogen und gab sie nun unbarmherzig wieder ab. Vermutlich würde seine Mutter wenig Mitleid mit ihm zeigen, so er die nächsten Tage elendig und fiebrig im Bett verbrächte. Sollte er in diesem Wettstreit unterliegen, so war es zudem gut möglich, dass jenes Bett in einer unterderischen und gut gesicherten Kammer in den Tiefen unter Orondo stand. Sich dessen gemahnend, schob der junge Illusionist den Gedanken an das Morgen weit von sich und konzentrierte sich ganz auf sein Gegenüber.
Argmoschix wirkte ruhig und gefasst. In seinem grauen Bart glimmten trotz seines Alters noch einige Strähnen eines warmen Kupfertons, der wohl einst sein Haar wie eine Flut geschmolzenen Metalls im Feuerschein erstrahlen ließ. Die Farbe erinnerte Amaros an das Fell eines alternden Fuchses und etwas in den turmalingrün schimmernden Augen, die ihn von unten her musterten, warnte ihn davor, seinen Gegner zu unterschätzen.
Die ersten Rechenaufgaben wurden ausgetauscht und ohne großes Zögern beantwortet. Beide Kontrahenten suchten offenbar, die Fähigkeiten der Gegenseite abzuschätzen. Schon sehr bald wurde dem jungen Adligen klar, dass er dem Angroscho mit einfachem Rechnen nicht würde beikommen können und so probierte er es stattdessen mit mathematischen Rätseln in Form kurzer Geschichten, wie man sie an der [[lfwiki:Akademie der Erscheinungen zu Grangor|Akademie zu Grangor]] zur Formung eines wachen Geistes auszutauschen pflegte.
Viele der Gedankenspiele schienen dem Anführer der Zwerge unbekannt und seine Stirn legte sich in Falten, zerfurcht und tief wie Gebirgsspalten. Dennoch fand sein wacher und findiger Geist stets zur rechten Zeit eine Lösung und beantwortete die Offensive des Yaquirtalers mit ähnlichen Denkaufgaben seines Volkes. Manche waren Amaros von Lindholz in ähnlicher Form bekannt und er nannte ohne Probleme die richtige Lösung, doch andere waren ihm neu und standen, geboren tief in den Knochen der Erde, an Raffinesse jenen in nichts nach, die man in den Elfenbeintürmen der hohen Schulen auf Pergament gebannt hatte.
Schon dauerte der Wettstreit länger, als die beiden vorigen zusammen. Die Praiosscheibe erhob sich als sichtbares Zeichen der verstreichenden Zeit von den Hängen der Berge, um ihren Weg über den Himmel anzutreten. Die Inoscha gluckste unbeschwert in ihrem steinigen Bett, während dem jungen Zauberer der Schweiß auf die Stirn trat. Viele mathematische Rätsel aus der Zeit seines Studiums blieben ihm nicht mehr und keines schien ihm geeignet, die Niederlage des Herrn von Aurom-Dûm einzuläuten. Das heitere Bächlein störte sich freilich wenig daran und verzweifelt irrte der Blick des Adligen über das glitzernde, schnell strömende Wasser. Da traf ihn ein Gedanke, als hätte die Göttin der Weisheit selbst ein Einsehen mit dem gemarterten Geist ihres unwürdigen sterblichen Verehrers. Dies war vielleicht seine letzte Chance!
„Als ich gestern Nacht vor dem Haus der Peraine in Orondo stand, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe,“, erzählte Amaros von Lindholz mit klarer Stimme, „da nahm ich einen Kiesel vom Wege auf. Weiß war er und schimmernd im Licht des Mondes, wie ein gefallener Stern. Ein Glückstalisman sollte er mir sein und so steckte ich ihn in meine Rocktasche, hier an meiner Seite.“ Der Adlige klopfte sich als untermalende Geste mit der flachen Hand auf die Seite seines Oberschenkels. Neugierig wartete der Herr von Aurom-Dûm mit hoch gezogenen Augenbrauen ab, worauf diese Geschichte hinauslaufen sollte, während Amaros fortfuhr: „Nun trennen mich nur noch wenige Meilen von meinem Ziel, Santa Catalina, doch frage ich mich, ob jener Talisman wirklich dafür sorgte, dass Phexens Wohlwollen auf mir liegt, oder ob mich das Glück mit den ersten Strahlen der Sonne verließ. Sagt mir, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe: So ich den direkten Weg zu Pferde nehme und der Kiesel meine Tasche nicht verlassen hat und dies auch nicht tun wird, bis ich die Häuser Santa Catalinas um mich sehe. Wie viele Stunden werden vergehen, bis er Santa Catalina erreicht?“
Verwirrt kräuselten sich die buschigen Augenbrauen des Errwerges, während er die Frage überdachte. Dann begann er zu schmunzeln: „Ihr wollt mich hinters Licht führen, Xomascho, denn selbst ich weiß nicht genau zu sagen, wie viele Stunden, Tage oder Wochen, wir Euch den Weg verwehren werden, solltet Ihr diesen Dreikampf verlieren. Würdet Ihr gewinnen, werdet Ihr wohl binnen einer Stunde in Santa Catalina sein, würde ich sagen, auch wenn ich mich mit diesen Geschöpfen kaum auskenne, an deren Rücken Ihr Menschen offenbar so gerne Eure Hintern reibt. Doch würde ich diese Antwort geben, würde ich mich selbst zur Niederlage zwingen, denn nur dann wäre meine Lösung richtig gewesen.“
„Also bleiben Eure Überlegungen ohne Resultat?“, fragte Amaros und begann zu lächeln.
„So schnell nicht, Jungchen!“, verkündete der Angroscho und er schmunzelte erneut, als das Grinsen im Gesicht seines Gegenübers in sich zusammenbrach. „In jedem Fall werdet Ihr innerhalb einer Stunde in Santa Catalina sein, sobald ich, der Herr von Aurom-Dûm, es erlaube. Dies soll also meine Antwort sein.“
Mit auf der Brust überkreuzten Armen stand der Erzzwerg, vor seinem jungen Kontrahenten, dessen Schultern und Kopf herabgesunken waren. Doch war er immer noch kleiner als der Mensch und so konnte er sehen, wie die Mundwinkel des Adligen nach oben zuckten, als die Worte verklungen waren und der Zeiger des goldenen Eis seine Runde zum zweiten Mal beendete.
Amaros hob den Kopf wieder und verkündete selbstbewusst: „Eure Antwort ist falsch, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix Sippe. Keine einzige Stunde wird vergehen. Denn wie Euch die Caballera an unserer Seite bestätigen können wird, hat der Kiesel Santa Catalina schon lange erreicht.“
Yppolita di Dalias y las Dardas, deren Augen nur noch von Willenskraft und Anspannung offen gehalten wurden, schreckte auf, als ihr Name fiel.
„Wie Ihr alle seht, trage ich die Gewänder des Meisters der Ernte, der schon seit Jahren seinen Dienst in Eurem Orondo tut. Der Kiesel in der Tasche ''meiner'' Gewänder hat mit [[Perinyo Salpena]] den Tempel der Rahja im Herzen der Ortschaft Santa Catalina bereits vor Sonnenaufgang erreicht.“
Die Caballera nickte zur Bestätigung und gleich einem gebrochenen Damm schwemmten die Widerworte der Zwerge auf die Auswärtigen ein. Von Betrug war die Rede. Von Wortklauberei. Mit Rechnen hätte so etwas doch nun nichts mehr zu tun! Schon wurden die Anschuldigungen hitziger und schwielige, kräftige Hände irrten zu Waffen.
„GENUG!“ Wie das Grollen eines Feuerberges hallte die Stimme des Herrn von Aurom-Dûm über den Ort des Geschehens und seine funkelnden Augen hefteten sich auf Amaros von Lindholz, dessen selbstgefälliges Lächeln erneut verblasste.
„Ihr liebt Lüge und List zu sehr, Xomascho, und eines Tages werdet Ihr feststellen, dass sie auch ein Messer für Euren Rücken hinter ihrem freundlichen Lächeln verbergen“, belehrte der Angroschim seinen Gegenspieler ernst, „doch heute haben sie Euch zum Sieg geführt und ich muss eingestehen, dass ich eine wichtige Tatsache in meiner Rechnung unbeachtet ließ. Dies soll auch mir eine Lehre sein.“
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Damit wandte sich der alte Silberbart seinen Brüdern zu und gab ihnen einen knirschend-brummeligen Befehl, der zur Folge hatte, dass die kleinen Leute, obschon ihre Mienen von großem Unmut über die Unverfrorenheit des Lindholzers kündeten, tatsächlich den Weg für die Reiter freigaben.
Triumphierend blickte Dom Rondrigo de Braast seine Begleiter an. „Wohlan, dies wäre vollbracht! Lasst uns nach Santa Catalina eilen! Mich brennt zu wissen, wie es um die Sache des guten León bestellt ist!“ Damit gab er seinem Ross die Sporen und führte die Gruppe an den Angroschim vorbei, die ihnen stumm hinterherstarrten.


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Version vom 30. Juni 2013, 17:52 Uhr

Der Orondinische Dreikampf

Wie sich Domna Siona und Domna Yppolita auf die Suche nach dem verschollenen Dom Amaros machten. Wie sie stattdessen dessen kleingewachsenen Häschern in die Arme liefen. Wie sie durch verwinkelte Wortkunst die Zwerge passierten. Wie sie kurz darauf Dom Amaros und dessen Retter fanden und beschlossen, gemeinsam nach Santa Catalina umzukehren. Wie Dom Rondrigo de Braast die Zwerge der Aurixim-Sippe zum Orondinischen Dreikampf forderte. Wie Domna Yppolita sich im Wetttrinken maß. Wie Dom Rondrigo almadanische Reitkunst vorführte. Wie Dom Amaros unter Beweis stellte, dass Logik keiner Zahlen bedarf.


Baronie Taubental, 4. Travia 1033 BF

In den Hügeln von Aralar (1. Tsastunde)

Autor: vivar

„Nun sind Seine Hochgeboren entweder unterwegs auf Golgaris Schwingen oder wieder unter den Lebenden“, stellte die Caballera Yppolita di Dalias y las Dardas mit Blick auf die Praiosscheibe besorgt fest, die zu ihrer Rechten über den bewaldeten Bergrücken des Tosch Mur stand und die Hügel von Aralar in ihr heiliges Licht tauchte.

Domna Siona von Lindholz, die neben ihr am Kopf der kleinen Kolonne ritt, schüttelte das Haupt. „Ob Seine Hochgeboren tot oder lebendig sind, können wir nicht wissen. Sein Schicksal ist für uns verborgen und einzig die gütigen Zwölfe könnten uns darüber erleuchten. Welches Schicksal sich ihm auch offenbart hat, es liegt außerhalb unserer Macht, etwas daran zu ändern.

Viel eher sorge ich mich um mein eigen Fleisch und Blut, das von den garstigen kleinen Leuten aus diesem Orondo verfolgt ward. Vielleicht haben sie meinen Amaros bereits gefangen genommen oder ihm – Peraine verhüte es! – in ihrer Blutgier gar etwas angetan!“ Die Edle erzitterte bei dem bloßen Gedanken daran.

„Peraine verhüte es!“, bekräftigte die Caballera. „Doch selbst wenn sich derart Abscheuliches zugetragen haben sollte, so bedenket, dass Euer Filius ein echter Held ist, ein neuer Caralus! Seine Tat und sein Opfermut waren es, die es mir erlaubten, Seine Gnaden Salpena nach Taubental zu bringen, damit dieser Seine Hochgeboren retten könne.“

Domna Yppolita hatte gehofft, damit der besorgten Mutter Trost zuzusprechen. Diese aber war bei dem Wort „Opfermut“ lediglich erbleicht und hatte ihr Ross angetrieben. Schon waren sie und ihre Knechte hinter einer Biegung verschwunden, mit welcher der schlammige Karrenweg die Mäander der linkerhand gluckernden Inoscha nachahmte. Der Daliaserin blieb nichts übrig, als ihrerseits dem Gaul in die Flanken zu treten.

Als sie Domna Siona erreichte, musste sie wie diese ihr Pferd zügeln. Aus entgegengesetzter Richtung stampfte ein Dutzend Zwerge auf sie zu. Sie trugen knielange Eisenmäntel, die bei jedem Schritt schabende metallische Geräusche machten. Geschultert trugen sie schwere Handbeile. An ihren schwarzen Hüten mit breitem Rand erkannte Yppolita sie als jene Erzzwerge, die bereits den Perainetempel zu Orondo belagert hatten. Nun trugen sie jedoch handbreite Hutbänder aus Eisen.

„Drodda, Xomaschax! Dor Mordosch![1]“, schrieen sie den Reiterinnen entgegen.


Autor: lindholz

Siona von Lindholz verstand kein Wort der holpernden Zwergensprache, doch ihr blieb kaum eine Wahl, als seitlich ins Gras auszuweichen. Viel zu nah waren die Angroschim, als dass man ihre Reihen im Galopp hätte durchbrechen können. Unruhig trippelte das Pferd und verursachte schmatzende Geräusche als sich die Hufe nur widerwillig von dem durchtränkten Boden lösten.

Auch wenn es der Edeldame schwerfiel, sich selbst gleich einer säbelschwingende Amazone durch die Reihen der Zwerge fegen zu sehen; für Ihren Augenstern hätte sie es getan! Doch wie die Lage war, musste sie mit hilflos ansehen, wie die Bewaffneten an ihnen vorbeistapften. Heftig rang sie mit den Tränen, doch ihre Lippen blieben stumm, während das Herz hinausschrie: „Was habt ihr meinem Jungen angetan?“

Ihr Blick irrte suchend über die Marschierenden, doch wenn das Kleinwüchsige Volk überhaupt sein Gutes hatte, dann, dass man einen menschlichen Gefangenen kaum übersehen konnte. Ihr Sohn war nicht hier und selbst wenn sie fragen sollte, so würde man ihr niemals weiterhelfen. Im schlimmsten Fall würde man sie in einen Kampf verwickeln, den sie bei dieser Übermacht nicht gewinnen konnten. Siona von Lindholz schlug die Augen nieder, damit man die Demütigung der Ohnmacht nicht darin sah. Ihre behandschuhten Hände verkrampften sich so heftig um die Zügel, dass die Yaquirtaler Domna zu spüren glaubte, wie die Spitzen ihrer Fingernägel selbst durch das feste Leder in ihre Handflächen schnitten.


Autor: vivar

Die Kolonne war schon einige Schritt weiter, als plötzlich der letzte der Zwerge sich mit der flachen Hand an die Stirne schlug und rief: „Ka Angrosch garaschmox! Domedna rogelna rardoschixna nom Perangritosch matar!“[2]

Sofort blieben die Kerle stehen, drehten sich um und betrachteten erst ihren Gefährten, dann Yppolita di Dalias mit steinernem Blick. Dann steckten die Erzzwerge Köpfe und Hüte zusammen und begannen ein wirres Gebrabbel, das wiederum abrupt endete, als ein Schwarzbart sein Beil wider Domna Yppolita streckte und sprach: „Großlingsfrau, du bist es! Unseren Heiler hast du uns geraubt, und uns zum Goblin gehalten, als du uns unser eigenes Bier ausgeschenkt hast! Wie kannst du es wagen, wieder gen Aurom-Dûm[3] zu reiten?“


Autor: dalias

Mut war eine feine Tugend. Yppolita wusste sie zu schätzen. Für die eigenen Handlungen und Taten einzustehen, selbst, wenn Ungemach dafür drohte. Keinen Charakterzug schätzte sie mehr an Menschen, als den Rücken gerade zu halten und ungebeugt durchs Leben zu gehen. Mehr als einmal war ihr ein kalter Schauer über den Rücken gejagt, wenn in ihren Romanen und Schauspielen der Held dem nahezu allmächtigen Erzwidersacher nebst dem nordmärkischen Gruße[4] ein „Ich stehe hier und kann nicht anders!“ entgegenhielt. Doch wann ist die richtige Zeit für Heldenmut? Stumm musterten die Zwerge sie. Aus der Ferne vermeinte Caballera Yppolita das Krähen eines Hahns zu vernehmen.

„Meint Ihr mich, werter Herr Angroscho?“, murmelte Yppolita mit zaghafter Stimme und klopfte sich dabei mit der Hand auf die Brust, „Ihr... Ihr müsst Euch irren! Noch nie zuvor war ich in Aurom-Dûm..., Euch und Eure Gefährten kenne ich ebenfalls nicht. An solch stattliche Herren würde ich mich gewiss erinnern... Wohl aber habe ich mehrere Schwestern, die mir sehr ähnlich sehen... Eine davon ist eine rechte Herumtreiberin und Possenreißerin, nicht auszuschließen, dass Ihr sie für mich haltet... Gehabt Euch wohl!“ Ihr Gesicht war rot bis über beide Ohren, als sie sich zu Domna Siona umdrehte.


Autor: vivar

Die Brauen des Angroscho wanderten erstaunt nach oben. „Großlingsfrau, ich bin Olgrux Sohn des Olgrak aus der Sippe der Aurixim! Erkennst du mich nicht wieder?“

Mit zitternden Lippen leugnete Domna Yppolita dies.

Olgrux Sohn des Olgrak kratzte sich mit der freien Hand am Kopf. „Sollte ich mich getäuscht haben? Ihr Großlinge seht aber auch alle gleich aus. Ich hätte schwören können, dass du Alveranis Gloria Yppolita di Dalias y las Dardas, Erbjunkerin zu Dalias, Sherbeth und Malkethoza, Caballera zu Las Colinas bist. Gut, dass ich es nicht getan habe! Falls dieses Weib deine Schwester sein sollte, so bist du zu bedauern. Wir werden ihr nämlich die Knie abhacken, wenn wir sie aufspüren.“ Er klopfte zur Bekräftigung auf sein Beil und die anderen elf taten es ihm gleich.

Da sie nun schon einmal angehalten hatten, machten sie keine Anstalten, weiter zu marschieren. Stattdessen rief ein weiterer Zwerg: „Ihr habt Olgrux' Frage nicht beantwortet! Was wollt ihr Großlinge dort?“ Er deutete gen Firun, wo in einigen Meilen Orondo lag.


Autor: lindholz

„Ich pflege meine geschäftlichen Belange nicht auf der Straße zu diskutieren. Oder seid Ihr befugt für den Herrn Aurom-Dûms zu sprechen?“, gab Domna Siona giftig zurück. Die Wut als Schild über ihre Verzweiflung legend, funkelte sie den Angroscho an: „Da Ihr hier waffenstarrend durch die Lande zieht und mit den Äxten erschöpften Reisenden vor der Nase herumfuchtelt, scheint etwas Beunruhigendes vorgefallen zu sein. Darum will ich Euch verzeihen, dass Ihr einer Adligen so respektlos begegnet. Ich kann Euch jedoch versichern, dass unser Anliegen weder Orondo noch Eure Sippe bedroht. Wenn Ihr uns jetzt entschuldigen würdet? Ihr schient es ja auch eilig zu haben.“

Mit einem Wink gab die Yaquirtaler Edeldame ihren Wächtern zu verstehen, die Tiere hinter der Kolonne wieder auf den Karrenweg zu lenken und ließ auch ihre Stute wieder antraben. Das Bild ihres Sohnes, dessen Oberschenkel in einer Masse aus zerfetztem Fleisch endeten; der verzweifelt seine Hände auf die Wunden presste, aus denen das Blut viel zu heftig hervorquoll, schlug wie eine Sturmflut gegen die Dämme klaren Denkens, die ihren Verstand schützten. Sie musste hier weg, bevor die Wellen den kostbaren Schutzwall endgültig in die schwarzen Tiefen des Meeres gerissen hatten!


Autor: vivar

„Meint Ihr den Herrn über Aurom-Dûm oder den Herrn unter Aurom-Dûm, meine Dame?“, schob sich ein Graubart nach vorne. Offensichtlich war er im Umgang mit Menschen erfahrener als seine jüngeren Brüder, denn er verwendete im Gegensatz zu diesen die Höflichkeitsform. „Dieser bin ich selbst, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe, und zu jenem sind wir just unterwegs. Falls Ihr also mit einem von beiden Herren sprechen wollt, sprecht mit mir oder kommt mit uns zum Baron.“


Autor: dalias

„Ach dann, werter Herr Argmoschix, Herr von Aurom-Dûm“, lachte Caballera Yppolita auf. Mit einem breiten Grinsen und ausladender Gestik versuchte sie ihre Aufregung zu überspielen. Die Rettung des Amaros von Lindholz war vergessen, stattdessen sorgte sich die Daliaserin nun um ihr eigenes Wohlergehen und die Unversehrtheit ihrer Beine. Beunruhigt glitt ihr Blick über den dichten, stählernen Ring der Zwerge. „Wir alle“, Yppolita deutete auf die berittenen Menschen, „sind Pilger, die nach Santa Catalina zogen, um der Heiligen und ihrer Göttin unsere Aufwartung zu machen. Von eben dort kommen wir nun... und wir können Euch versichern, dass der rechtmäßige Baron allen Anfechtungen zum Trotz jetzt auf dem Baronsstuhl sitzt.“


Autor: vivar

Bei der Erwähnung der Märtyrerin packten die Angroschim ihre Äxte wieder fester und zogen grimmig die Nasen kraus. Manche fluchten gar. In ihren eigenen Geschichten war Catalina alles andere als eine Heilige, sondern eine Störerin der vom Weltenmechanikus selbst gefertigten Ordnung gewesen.

Väterchen Argmoschix aber hob die Hand und gebot seinen Brüdern Einhalt. „Wisset, Domnas“, rief er kalt, „dass die Großlingsfrau Catalina in Aurom-Dûm nicht wohlgelitten ist. Ebenso wenig sind es ihre Jünger. Ebenso meiden aufrechte Kinder Angroschs das Dorf der tanzenden Rosenpriester. Es sei denn, sie haben ein wirklich ernstes Wörtchen mit ihnen zu bereden. Das letzte Mal geschah dies vor 458 Jahren, als der Herr von Vivar sich anschickte, den Rosenpriestern Grund und Boden zu schenken. Leider konnten ihn auch kluge Worte nicht von der Irrigkeit seines Tuns überzeugen. Seitdem haben die Herren von Vivar viel Wirrwarr in diese Täler gebracht. Dies hat zu enden. Darüber müssen wir mit dem Baron sprechen. Zur Not mit den Äxten.

Euch aber, Domnas, warne ich nur noch einmal: Kehrt um, wenn Euch Euer Leben lieb ist und verlasst das Taubental.“ Seine Stimme hatte alle Höflichkeit verloren.


Autor: lindholz

„Würden wir umkehren, so würden wir doch direkt in die Unruhen laufen, die ihr offenbar nach Santa Catalina zu tragen gedenkt“, erwiderte Siona von Lindholz mit zunehmender Ungeduld. „Mir erscheint es da wesentlich sinnvoller, wenn wir unsere Reise wie geplant fortsetzen. So, wie es uns der Herr über Aurom-Dûm geraten hat.“

Da die meisten der Zwerge bereits an ihnen vorbei gezogen waren, als Olgrux, der Sohn des Olgrak, die Caballera wieder erkannt hatte, gab die Domna ihren Begleitern mit einem Wink zu verstehen, den morastigen Wiesengrund wieder zu verlassen und auf den Weg zurückzukehren. Auch ihrer eigenen Stute drückte sie sanft die Fesseln in die Seite und das Tier setzte sich begleitet von schmatzenden Lauten in Bewegung.

„Vielleicht werdet ihr aber feststellen, dass Waffengewalt völlig überflüssig ist. Wie meine Begleiterin bereits andeutete, hat sich ein neuer Herr den Baronsstuhl gesichert. Ich bin sicher, mit ihm könnt Ihr Eure Forderungen wesentlich besser besprechen als mit einem Baron aus dem Hause Vivar.“


Autor: vivar

„Es gibt also schon wieder einen neuen Baron, der Euch nach Aurom-Dûm geschickt hat?“, fragte der alte Zwerg und strich sich über den Bart. „Wer sollte das sein, Domnas?“


Autor: lindholz

„Wie viele Herren haben denn rechtmäßigen Anspruch auf den Baronstitel vom Taubental?“, erkundigte sich Domna Siona enerviert, während ihr Pferd endlich die Hufe wieder auf den etwas weniger durchweichten Boden des Karrenweges setzen konnte. Als sie den unnachgiebig starrenden Blick des Erzzwerges gewahrte, führte sie dennoch aus: „Dom Remigius von Alstingen, Bruder der verstorbenen Hochgeboren Buriana von Alstingen, mögen die Götter ihrer Seele gewogen sein. Kann ich den Herren Angroschim sonst noch mit irgendwelchen Auskünften behilflich sein oder dürfen wir nun endlich unsere Reise fortsetzen?“


Autor: vivar

„Versteh’ einer Euch Großlinge. Kaum hat man sich an die Alstinger Sippe gewöhnt, kommt ein Vivar daher und nennt sich Baron. Und ehe man sich’s versehen hat, ist es schon wieder die Alstinger Sippe, die über das Taubental gebietet.“ Argmoschix schüttelte verständnislos den Kopf. „Immerhin mögt Ihr Recht haben damit, dass der junge Remigius ein vernünftigerer Gesprächspartner ist als der flatterhafte Vivar. In seiner Zeit als Vogt über Aurom-Dûm sind die Aurixim und die Großlinge gut miteinander ausgekommen. Wenn er Euch sendet, dann gewiss mit einer Botschaft für uns? Euer Ziel kann ja kein anderes als unsere Siedlung sein.“

Erwartungsvoll blickten die Zwerge die beiden Domnas an.


Autor: dalias

„So ist es auch, so ist es auch...“, beschied Caballera Yppolita mit ausladender Geste und immer schneller werdender Stimme, „Hochgeboren Baron Remigius, ehedem Vogt über Aurom-Dûm, ist Eurer Weisheit, reichen Tugend und großen Machtfülle nur allzu gewiss, felsenfester und ehrenwerter Dom Argmoschix. Daher trug er mir auf, nach Aurom-Dûm zu ziehen, und Euch Seiner Hochgeboren Kommen anzukündigen. Zu Aurom-Dûm will er Rat mit Euch halten und sich Eures Wohlwollens versichern. Sein Herz brennt mit dem Verlangen, Euch die Ehre zu erweisen, zu Euch zu ziehen und Euch an Eurem tiefen Orte anzutreffen. Würde Seine Hochgeboren erfahren, dass Ihr ihm entgegen gezogen seid – verzeiht mir diese Wortwahl, – wie ein Untertan und Hintersasse, würde Hochgeboren Remigius dies sicher höchst beschämen. Eurer Ehre und Würde und der Eures ganzen hohen Hauses würde damit kein leichter Stoß getan sein.

Aus diesem Grunde scheint es mir am ratsamsten, Ihr zöget wieder nach Aurom-Dûm, um dort die baldige Ankunft Hochgeboren Remigius‘ zu erwarten. Verzeiht dieses hektisch-großlingsche Durcheinander – diese Nacht erst hat Hochgeboren Remigius den Taubentaler Baronsstuhl bestiegen und Kämpfe wurden gefochten. Es liegt noch vieles im Argen... Manches ist Durcheinander geraten. Doch als erste Amtshandlung will Seine Hochgeboren zu Euch, weiser und mächtiger Dom Argmoschix, fahren, und Euren geschätzten Rat einholen, wie es weiter im Taubentale und in specie mit den Rosenpriestern zu halten sei. Zu diesem Behufe hat Seine Hochgeboren mich zu Euch geschickt, da er seinen Kämpen und Knechten die Ruhe nach dem großen rondrisch erfochtenen ucurischen Siege nur zu gerne gönnen wollte. Darüber aber wollte Seine Hochgeboren nicht versäumen, Euch durch meine geringen Worte, seine barönliche Aufwartung gemacht zu haben.

Aber zieht nur wieder gen Aurom-Dûm, wackere Angroschim. Seine Hochgeboren wird in Bälde zu Euch kommen. Doch wir müssen weiter gen Orondo und den Menschen über Aurom-Dûm, seinen Untertanen, von der glorwürdigen Rückkehr ihres alten und gerechten Herrn künden – auch dass sie alles für seine baldige Ankunft bereiten sollen, damit Seine Hochgeboren Euch dort oben in Orondo auch mit Lamm, Ziegenfleisch, Käse und reichlich Wein gastlich halten kann. Zudem wurde meiner wohlgeborenen Begleiterin aufgetragen, einen Verräter aus Orondo – mit welchem Hochgeboren aus alten Tagen noch eine Rechnung offen hat – festzusetzen und nach Santa Catalina zu schaffen, ehe er von der Siegesnachricht des Herrn von Alstingen zur Flucht angestachelt, sich über die Berge davon machen könne. Deswegen sind wir in derartiger Eile, felsenfester und ehrwürdiger Dom Argmoschix...“

Räuspernd blickte Caballera Yppolita in die Runde der Zwerge.


Autor: vivar

„Hrm!“, machten diese beeindruckt, und „Hrm!“ machte auch ihr Anführer, während er sich geschmeichelt ob der Rede der Caballera mit den Fingern durch den Bart strich. Dann bildeten die kleinen Kerle einen Kreis und begannen lautstark wie ein Bienenstock zu bereden, zu brummeln und zu brabbeln, wie mit dieser neuen Wendung der Dinge umzugehen wäre. Während ihrer Unterredung wippten sie aufgeregt auf ihren kleinen Fußballen vor und zurück. Dabei vergaßen sie vollkommen die Anwesenheit der Großlinge, welche daraufhin ungehindert weiter ziehen konnten.

Nach nur einer knappen Meile eiligen Ritts mussten die beiden Domnas und ihre Begleiter jedoch erneut Halt machen. Ein Haufen Reiter, ebenfalls im guten Dutzend, näherte sich im Eiltempo von Norden. Sie waren leicht gerüstet und bewaffnet. Ein berittener Bannerjunge trug einen silbernen Löwen auf fünffach rotblau gespaltenes Tuch vor ihnen her. Ihr Anführer war ein hoch gewachsener Edelmann Anfang Dreißig – erkennbar an seinem Caldabreser mit blauroter Pfauenfeder – und an dessen Seite ritt ein junger Geweihter der Peraine mit dunkelblondem, kurz geschorenem Haar ritt.

Domna Siona kniff die Augen zusammen. War das...?


Autor: lindholz

"Herrin, es ist Euer...", begann Espejo, doch Domna Siona hatte ihren Sohn bereits erkannt und brachte den Anführer ihrer Leibwache mit einem geistesabwesenden Wink zum Schweigen. Währenddessen beugte sich der vermeintliche Diener der Göttin des Ackerbaus zu seinem Begleiter herüber. Ein paar Worte wurden gewechselt, dann setzte der hochgewachsene Caldabreserträger seine Truppen mit einem militärisch-scharfen Ruf darüber in Kenntnis, dass von der kleinen, berittenen Schar kein Angriff zu erwarten war.

Siona von Lindholz, Yppolita di Dalias und ihre Begleiter näherten sich nun den beiden Männern im langsamen Schritt. Ohne ein Wort zu sagen, entbot Siona von Lindholz ihrem ungehorsamen Kinde die Rechte zum Handkuss. Dieser nahm sie entgegen und führte die feingliedrigen Finger mit einem schelmischen Lächeln, aber echter Reue in den Augen zum Mund. Seine Mutter drückte die Hand ihres in finsteren Visionen schon verloren geglaubten Sohnes fest, als befürchtete sie, er könne wie ein Traumgebilde zerfließen. In ihrem Blick lag Anklage wie Sorge, Erleichterung ebenso wie Verzeihen. Und zwei schimmernde Tränen perlten über die rosigen Wangen der immer noch schönen Domna.

Während die Yaquirtaler Edle ein spitzenbesetztes Tüchlein zückte, um die Tränen zu trocknen, wand sich Amaros von Lindholz ihrer Begleiterin zu: "Domna Yppolita, wie schön zu sehen, dass Ihr Santa Catalina sicher erreicht habt. Ich hoffe, Ihr könnt mir meine kleine Scharade verzeihen? Darf ich die Gelegenheit nutzen, Euch Dom Rondrigo de Braast vorzustellen?"

Der Edle von Deokrath beugte das Haupt zum Gruß.

"Und dies, Dom Rondrigo, sind meine Mutter, Domna Siona von Lindholz und die tapfere Caballera Yppolita di Dalias, von der ich Euch bereits berichtete", fuhr der Adept der arkanen Künste fort.


Autor: dalias

Die genannte Caballera nickte artig. „Es ist mir eine Ehre und Freude, Eure Bekanntschaft zu machen, wohlgeborene und ehrenfeste Doms.“ Die Stimme Yppolitas klang heiser. Der Müdigkeit, die ihre Glieder in ihrem Griff hielt, und der Sorgen über den Ausgang all dieser Taubentaler Irrungen und Wirrungen zum Trotz zwinkerte die Caballera dem ansehnlichen jungen Adligen und Magus, den sie als Lakai kennen gelernt hatte, spitzbübisch zu. Sie musste sich eingestehen, dass ihm der Adlige gut zu Gesicht stand. In einer sauberen Magierrobe machte er bestimmt eine noch formidablere Figur.


Autor: lindholz

Domna Siona erwiderte die beidseitige Vorstellung mit einer freundlichen Floskel, warf jedoch auch ihrem Sohn einen fragenden Blick zu. Der blonde, junge Mann räusperte sich daraufhin und begann zu erklären. "Dom Rondrigo war mein Retter in der Not: Ich hatte es mit Hesindes und Phexens Hilfe aus Orondo geschafft, doch es hatte mich tief in die Wälder verschlagen. Um ehrlich zu sein, hatte ich völlig die Orientierung verloren und konnte mich durch die dichten Kronen der Bäume nur selten an den Sternen orientieren. Die axtbewehrten, bärtigen Wadenbeißer in meinem Nacken machten es auch nicht besser."

Der junge Mann verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln, bevor er fortfuhr: "Schon hatten sie mich in die Enge gedrängt, als ich, dem letzten mir verbleibendem Fluchtweg folgend, durch ein Gebüsch brach und endlich die Ruine von Montevivar vor mir in den Himmel ragte. Dort traf ich auf Dom Rondrigo und seine tapferen Mannen. Er war von seiner Hochgeboren León de Vivar über den Usurpationsversuch dessen Widersachers in Kenntnis gesetzt worden und nach einigen...", Amaros hüstelte, "... anfänglichen Missverständnissen, haben wir festgestellt, dass wir auf der gleichen Seite stehen."


Autor: dalias

„Sei es, wie es sei! Eure Schwestern, Dom Amaros, und Eure Töchter, wohlgeborene Domna Siona“ – dabei blickte Yppolita vom Sohn zur Mutter – „sind noch in Santa Catalina im Taubental. Ebenso mein geschätzter und höchst verehrter Vetter. Remigius von Alstingen ist dorthin mit Heeresmacht unterwegs oder könnte mittlerweile schon dort eingetroffen sein. León de Vivars Rose könnte bei Sonnenaufgang schon gänzlich verwelkt und vergangen sein... Lasst uns hoffen, dass Perinyo Salpena dies durch ein geeignetes Remedium zu verhindern wusste. Doch sollten wir nicht länger verweilen, sondern gen Santa Catalina aufbrechen. Auf dem Weg dorthin jedoch, werter Dom Amaros, bester Dom Rondrigo, werden wir einige scharfe Zwergenäxte passieren müssen... Seid also auf der Hut!“


Autor: vivar

„Mit den Orondiner Erzzwergen hatten wir bereits eine nächtliche Begegnung“, nickte Rondrigo de Braast. „Sie waren sehr interessiert daran, Eures Sohnes habhaft zu werden, Domna Siona, und störten uns daher in unserer Nachtruhe. Da wir ihn aber – nach besagten... Missverständnissen – als Gast an unserem Feuer auf Montevivar aufgenommen hatten, Brot und Fleisch mit ihm geteilt hatten und er uns obendrein die bedrückenden Einzelheiten von der Vergiftung des braven León mitteilen konnte, haben wir Domnito Amaros natürlich, wie ihr seht, nicht mehr herausgerückt – obwohl uns Descendientes mit den urtümlichen Bewohnern des Tosch Mur mehr verbindet als mit Euch Yaquirtalern.“

Als er sah, wie die beiden Damen die Stirn runzelten, winkte er ab. „Einerlei. Die Zwerge setzten sich außerhalb der Ruine fest, um uns zu belagern. Da die Zeit drängte und, nach Eurem Bericht, Domna Yppolita, dies noch immer tut, brachen wir das Lager ab und wagten im Dunkel der Nacht einen beherzten Ausbruch. Wir eilten in einem reichlich halsbrecherischen Ritt gen Orondo und weiter, so dass wir die Kleinen Leute bald abhängten. Sie sind aber gewiss immer noch hinter uns. Wir befinden uns also zwischen zwei Zwergenhaufen und müssen ohnehin an einem vorbei. Wo lagern diese Kerle denn?“


Autor: dalias

„Kaum eine Meile von hier, direkt auf dem Karrenweg sahen wir sie zuletzt“, gab Domna Yppolita Bescheid, „sie waren gerade dabei, zu beratschlagen, ob sie weiter gen Santa Catalina ziehen oder sich doch lieber wieder gen Orondo – Aurom-Dûm, wie sie es nennen – wenden sollten, da wir ihnen recht efolgreich vorgauklen konnten, dass es mit dem ihnen sehr angenehmen Remigius von Alstingen einen neuen Baron im Taubental gäbe, der ganz begierig darauf sei, mit ihnen, den Angroschim unter Aurom-Dûm, bald Rat zu halten. Ein Angroscho namens Argmoschix führt die Stimme in ihrem Kreise. Er scheint ein recht bedächtiges und wohlverständiges, wenn auch störrisches Väterchen zu sein.“

„Doch sehe ich kein anderes Mittel als rohe Gewalt, um ihren Kreis durchbrechen zu könnnen und auf diesem Weg nach Santa Catalina zu gelangen. Denn Domna Siona und mich werden sie wohl so ohne weiteres erneut nicht passieren lassen und Euch, Dom Amaros, erst recht nicht. Habt Ihr, Dom Rondrigo, oder einer Eurer Getreuen denn eine genauere Kenntnis dieser Lande? Kennt Ihr vielleicht gar einen Schleichweg oder sonstige verstohlene Pfade durchs Gehölz, abseits des Weges hier an der Inoscha?“


Autor: vivar

Dom Rondrigo schüttelte energisch das Haupt. „Über verhehlte Pfade weiß ich nichts, Domna Yppolita – und es ist auch keines Braasters Art, sich solcher Phexereien zu bedienen. Doch über diesen Pfad, auf dem wir uns befinden, weiß ich interessantes zu berichten. Seit Urzeiten herrscht ein besonderer Rechtsbrauch auf dem Weg zwischen Orondo und Santa Catalina. Wenn ein Zwerg einem Descendiente den Weg verlegt, so kann dieser die Passage für sich und sein Gefolge erzwingen, indem er den Zwerg zum Orondinischen Dreikampf herausfordert.“

„Zum Orondinischen Dreikampf?“, wunderte sich Domna Siona. „Was ist das für ein Wettstreit?“

„Das weiß ich auch nicht“, zuckte Dom Rondrigo die Schultern. „Ich weiß nur, dass, wenn der Descendiente den Dreikampf gewinnt, die Zwerge ihm den Weg freigeben müssen. Verliert er, so muss er umkehren. Geht der Wettstreit jedoch unentschieden aus, so darf der Descendiente passieren, und die Zwerge dürfen die Inoschabrücke von Santa Catalina überqueren.“

Domna Siona zog die Brauen hoch. „Woher stammt dieser seltsame Rechtsbrauch?“

„Als ich noch ein Knabe war, erzählte mir mein Vater Berengar, Boron hab ihn selig, viele Leyendas des Tosch Mur. Eine der Leyendas sagt, dass einst Santa Catalina durch Zwergenhand auf dem Hügel, auf dem in heutigen Tagen ihr Kloster steht, den Tod fand. Seitdem war jedem Zwerg der Zugang zu dem heiligen Ort versagt. Daraufhin sollen die Zwerge allen Menschen den Weg zwischen Santa Catalina im Taubental und Orondo verlegt haben. Aller Handel zwischen den beiden Dörfern kam zum Erliegen.

Als Ramón Azucena, der Stammvater der Vivar, einige Jahrhunderte später in diese Lande kam, soll er im Orondinischen Dreikampf mit den Zwergen Orondos eine Ausnahme für ihn, seine Nachkommen und deren Familias erwirkt haben. Da wir Descendientes alle miteinander verwandt sind, weitete sich der Rechtsbrauch auf uns alle aus. Die Feindschaft zwischen Zwergen und Rahjajüngern wurde immer schwächer. Heute ist es Zwergen nur noch während des Hochfests der Heiligen verboten, Santa Catalina zu besuchen – was für den Jahrmarkt auf dem Pilgerfeld freilich ein schwerer Schlag ist, denn zwergische Handwerkskunst werdet Ihr dort vergeblich suchen. Gleichzeitig hat seit Menschengedenken kein Angroscho mehr einem Menschen auf dem Weg zwischen Santa Catalina und Orondo aufgelauert.

Da der Fall nun aber eingetreten ist, können wir uns auf diesen alten Rechtsbrauch berufen, um an den Zwergen vorbeizukommen.“


Autor: lindholz

„Da uns die Regeln jenes Dreikampfes unbekannt sind, ist kaum abzusehen, welchen Ausgang solch ein Wettbewerb nehmen wird und welche Risiken er birgt“, gab Domna Siona zu bedenken, „Doch ist es wohl der einzige Weg, der uns offen steht und zumindest die Hoffnung in sich trägt, dass jegliches Blutvergießen vermieden werden kann. Darum werden ich und die meinen Euch mit allen Kräften unterstützen, die uns derzeit zur Verfügung stehen, Dom Rondrigo.“

Nach kurzem Überlegen stimmten auch die anderen den Worten des Braasters zu und man brach wieder auf.


Autor: dalias

Während des kurzen Ritts kam Yppolita di Dalias y las Dardas nicht umhin, dem neben ihr reitenden Dom Amaros von Lindholz ab und an einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Die nächtliche Flucht durch den herbstlichen Wald hatte ihre Spuren an der einstmals grünen Geweihtenrobe und ihrem gegenwärtigen Träger hinterlassen. Doch trotz des Drecks an Haupt, Haaren und Kleidung, trotz der sichtbaren Zeichen von Müdigkeit und Anstrengung kam die Caballera nicht umhin zu bemerken, was für ein ausnehmend attraktiver, junger Mann neben ihr ritt. Er maß knapp neun Spann und war von schlankem, geschmeidigen Wuchs. Die edle Blässe seiner Haut verriet ganz und gar den Academicus und Adligen. Sein kurzes Haupthaar glänzte im sanften Morgenlicht golden. Seine Augen von den Farben der derischen Oceane und Meere schenkten ihr ein freundliches, mildes Lächeln, als er ihres Blickes gewahr wurde, mit dem sie ihn zu lange – viel zu lange – bedacht hatte.

Ihr Kopf wirbelte abrupt zur anderen Seite. Sie fühlte, wie das Blut in ihre Wangen schoss und sie errötete. Hinter ihr hörte sie die Stimme seiner Mutter, die sich mit Dom Rondrigo de Braast unterhielt. Sie kniff die Augen zusammen. Bei Rondra und Rahja verfluchte sie ihre Einfalt. Eigentlich brauchte sie sich gar nichts aus Dom Amaros zu machen. Er würde nie im Leben für sie empfinden, wie sie für ihn empfand. Er war zwar nicht der Gockel im Taubental, dieser Dom León, doch unleugbar schön war er. Sie aber, sie war einfach hässlich. Ihre Nase war zu groß, jeder sah dies auf den ersten Blick, dass den Göttern hier ein bedauerlicher Fehler unterlaufen war. Ihr Gesicht war ohne jeden Liebreiz. Ihre Hüften waren zu breit und ihr Bauch zu dick. Niemals würde sich Dom Amaros für sie interessieren. Zu allem Überfluss war er ausgesprochen tapfer: Er hatte es alleine mit einem Dutzend Angroschim aufgenommen. Und sie dagegen hatte sich vor seiner Mutter als feige, sich selbst verleugnende Lügnerin entpuppt. Am liebsten wäre sie auf der Stelle auf Mausegröße geschrumpft und hätte sich in einer der Satteltaschen verkrochen. Doch das Schlimmste war, dass sie arm war. Sie hatte nichts, kein Geld und nun noch nicht einmal mehr ein eigenes Pferd. Würde sie nicht diesen großen alten Namen vor sich hertragen, wäre sie ein Nichts, ein Niemand. Sie konnte gut nachempfinden, warum ihr Bruder Ranudo diesen Namen so sehr liebte. Ansonsten hatten er und sie keinen einzigen Schatz in dieser Welt.

Doch dieser Name, der Name Dalias, entfernte sie am weitesten von ihm. Mochten über all die anderen Gräben und all das Trennende Brücken geschlagen werden können, konnte niemals eine Dalias einem Lindholz den Hof machen und um ihn werben. Aber ihr Herz kannte eine andere Sprache. In dieser war Amaros von Lindholz mehr als nur ein Glied in einer uralten Kette von Feindschaften, Fehden, Verachtung und Hass. Über all dem lag etwas Wunderbares – Santa Catalinas heiliges Wirken. In all dem Chaos und den Wirren, der Vergiftung eines Barons und einem bewaffneten Angriff auf ein Pilgerfest, lag also auch der Grund und der Anfang von etwas unschuldig Schönem. Fieberhaft sammelte Caballera Yppolita die Krümel an Mut, die ihr geblieben waren, und drehte ihren Kopf zu Amaros von Lindholz. Als sie in seine unergründlich tiefen graublauen Augen blickte, wusste sie, dass sie etwas sagen musste. Sie wusste, dass sie etwas von sich und ihren Gefühlen offenbaren musste.

„Dom Amaros“, krächzte die Caballera mit kläglich heiserer Stimme und müde lächelnden Augen, „nicht nur Eure Mutter ist froh, dass Ihr diese Nacht so wohl überstanden habt – während meines Ritts mit dem Perainegeweihten nach Santa Catalina waren meine Gedanken mehr als nur einmal bei Euch... ich bin sehr froh, Euch gesund und wohl wiederzusehen...“ Errötend senkte Caballera Yppolita die Lider und wandte ihr Gesicht wieder etwas von Amaros ab.


Autor: lindholz

Für einige Augenblicke ließ sich der junge Zauberer die an ihn gerichteten Worte durch den Kopf gehen, während er mit Überraschung die zunehmende Farbe im Gesicht der neben ihm Reitenden verfolgte. In seine eigenen Gedanken versunken, drangen die an Domna Siona gerichteten Worte des Braasters nur dumpf und unverständlich zu ihm. Schließlich jedoch glätteten sich die nachdenklichen Falten um die schön geschwungenen Brauen. Seine Lippen formten ein müdes, aber ehrliches Lächeln, als er zu sprechen begann: „Ich danke Euch für Eure Worte, Domna Yppolita, die meinem müden Geist Lab und Wohltat sind. Und welch Freude es ist, zu erfahren, dass Seine Gnaden Salpena Santa Catalina in Eurer Begleitung wohlbehalten erreicht hat. Doch verratet mir: Waren unsere Mühen von Erfolg gekrönt? Konnte Bruder Perinyo seine Hochgeboren vor dem allzu frühen Schritt über die Schwelle des Todes bewahren?“

„Ich vermag es nicht zu sagen, Dom Amaros.“, gestand die Caballera mit belegter Stimme, „Eure verehrte Mutter wollte keinen Moment verstreichen lassen, derweil Euer Schicksal noch von dunklen Wolken überschattet lag, und ich begab mich mit ihr auf die Suche.“ „Welch edles Wesen ihr in Euch tragt, Domna Yppolita, dass Ihr Euch erneut solchen Strapazen aussetztet. Wahrlich, ich wünschte mir, Euch wäre statt dieser Beschwerlichkeiten ein erquickendes Bad vergönnt gewesen!“

Der junge Yaquirtaler ließ eine kurze Pause folgen, bevor ihn sein neugieriges Wesen dazu antrieb, seine Rede mit einer winzigen Zweideutigkeit zu beenden: „Wie sehr muss es Euch danach verlangt haben, von den duftenden Kissen eines weichen Lagers umfangen zu werden. Und ich kann Euch nur versichern, wie sehr ich dieses Begehren mit Euch teile.“


Autor: dalias

Caballera Yppolita schlug ihre Augenlider nieder. Auf seine Worte war Yppolita nicht vorbereitet. Sie war verunsichert, diese richtig verstanden zu haben. Teilte er etwa ihr Verlangen oder waren seine Worte bloß ein bösartiges Spiel mit ihr und ihrer Unzulänglichkeit? Das Lächeln wich von ihren Lippen und sie blickte ihn kurz an. Bald würden sie jene Stelle am Weg erreichen, an welcher sie die Zwerge zuletzt in Beratschlagungen vertieft verlassen hatten. Ihr Geist war müde, matt, ausgelaugt. Doch konnte sie seine Worte nun nicht unbeantwortet lassen. Vielleicht durfte sie es wagen, zu hoffen.

„Dom Amaros, Eure Worte – voll des Lobes – gebühren nicht mir, sondern ganz Eurer traviafrommen Frau Mutter und dem praiosfürchtigen Dom Rondrigo“, sprach Yppolita mit einem neckischen Zwinkern, „mein Teil war der geringste von allen. Doch bin ich geehrt, Euch – so die Götter wollen – in den lieblichen Rosengarten Rahjas, der Santa Catalina im Taubental ohngezweifelt ist, zurück zu geleiten. Ich hoffe, dass wir beide dort in den Genuss jener Ruhe, Erholung und Vergnügung kommen mögen, derer wir in dieser sich unendlich spannenden Nacht entraten mussten.“


Autor: vivar

Dom Rondrigo rollte mit den Augen und dachte sich seinen Teil über die beiden Yaquirtaler Turteltauben. Nach kurzer Zeit hatten die Adligen wieder jene Wegbiegung erreicht, an der man die Zwerge gelassen hatte und an der Väterchen Argmoschix und seine Brüder, Söhne und Brudersöhne noch immer darüber diskutierten, wie mit der Nachricht über den vermeintlichen Übergang der Baronswürde von Dom León auf Dom Remigius umzugehen wäre. Als sie entdeckten, dass die Großlinge zurückgekehrt waren und sich bedenklich vermehrt hatten, brachen sie ihre Beredung ab.

Der silberbärtige Argmoschix Sohn des Aurix hakte die Daumen in den Gürtel und zog höchst erstaunt die silbernen Brauen in die Höhe. „Bei Angroschs ehernen Zehennägeln! Ihr schon wieder!“, richtete er Stimme und Blick auf Domna Yppolita. „Wir sprachen gerade über Euch. Wer Ihr wirklich seid und ob Ihr wirklich in des jungen Remigius’ Auftrag nach Orondo fahren wolltet. Ist denn das der Verräter, den Ihr suchtet?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Dom Rondrigos.


Autor: dalias

Domna Yppolita di Dalias y las Dardas schüttelte ihr Haupt so energisch, dass ihre dunklen Locken durch die Luft wirbelten. Allen Stolz, den sie besaß und aufbieten konnte, legte sie in ihre Worte: „Fortombla hortomosch![5] Dies ist der ehrenfeste, strenge und wohlgeborene Dom Rondrigo de Braast auf Deokrath, ein aufrechter Freund des Volks der Angroschim. Er begehrt auf diesem Weg nach Santa Catalina im Taubentale zu ziehen. Und wir, die wohlgeborene Domna Siona von Lindholz und ich, genießen seinen Schutz und sein Geleit. Felsenfester und ehwürdiger Dom Argmoschix, Herr unter Aurom-Dûm, wir ersuchen Euch und die Eurigen, uns und den Unsrigen die Passage nach Santa Catalina nicht zu verlegen. Es ist Streit, Zwietracht und Verwirrung unter den Xomaschim im Taubentale. Meine Begleiter und ich, wir bedauern es im höchsten Maße, dass Ihr, stolze Angroschim von Aurom-Dûm, von den Wirrnissen unter den Menschen turbiert und molestiert wurdet; woran ich nicht geringe Schuld und Ursache trage. Doch all dies diente nur dem einen Zweck, das Leben von Xomaschim zu retten. Wer auch immer Herr im Taubentale und in den angrenzenden Tälern und Gemarkungen werden wird, wird Euch, felsenfester Dom Argmoschix, und die Eurigen im Besonderen zu bedenken haben. Wir bitten Euch, gebt den Weg frei!“


Autor: vivar

Der Silberbart runzelte die Stirn in einer Weise, die Domna Yppolita angesichts seiner Falten nicht für möglich gehalten hätte. „Ihr redet viel und winkelhaft[6], Domna, doch Eure Winkel sind keine rechten Winkel. Mit Euren Worten baut Ihr einen schiefen Turm, der unter Euch einstürzen wird. Vor wenigen Herzschlägen noch wart Ihr im Auftrage des jungen Remigius unterwegs, der den Baronsstuhl errungen haben soll, einen Verräter zu fangen, und nun wisst Ihr nicht mehr, wer Herr im Taubental werden wird!“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, wir werden Euch nicht passieren lassen, Domna, bis wir nicht genau verstehen, was Euer Begehr ist.“

Wie um zu unterstreichen, dass eine erzzwergische Genauigkeitsprüfung mit gerade zu heiligem Ernst vor sich zu gehen hatte, griffen seine Brüder wieder zu ihren Beilen und stellten sich quer über den Weg auf.

„Dafür, Dom Argmoschix, ist keine Zeit!“, mischte sich der Braaster ein.

„Für eine ordentliche Analyse sollte immer Zeit sein. Sonst werden die Dinge schlampig gemacht und das missfällt dem Weltenmechanikus.“

Dom Rondrigo drängte sein Ross an den Zwerg heran. „Und ich sage Euch, Dom Argmoschix, dass dafür keine Zeit ist und dass wir jetzt an Euch vorbei müssen.“

„Eure Hast könnte Euer Schaden sein. Wie wollt Ihr an uns vorbeikommen?“, brummte Väterchen Argmoschix mit beunruhigender Gelassenheit und wies auf die Beile seiner Brüder.

„Indem ich, Rondrigo de Braast, seit jeher Descendiente, Euch, Argmoschix Sohn des Aurix, aus der Sippe der Aurixim, Euch hier und heut zum Orondinischen Dreikampf herausfordere.“

Verwunderung breitete sich auf den Gesichtern der Angroschim aus. Aufgeregt wollten sie sich wieder zu einem brummelnden Beratungskreis formieren, doch der Braaster rief: „Was ist, Dom Argmoschix? Nehmt Ihr die Herausforderung an? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“

Der alte Zwerg kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Dann sprach er: „Für einen Großling habt Ihr eine hervorragende Kenntnis der Bräuche des Tosch Mur, Dom Rondrigo. Nicht mal die jüngeren meiner Brüder wissen vom Orondinischen Dreikampf, zu dem Descendientes die Aurixim herausfordern dürfen. Ob Ihr aber wirklich wisst, auf was Ihr Euch da einlasst, wird sich noch zeigen. Ich nehme Eure Herausforderung an.“

Er hob die Stimme und rezitierte ernst: „Den Dreikampf gewinnt, wer in zwei von drei Proben den Sieg davon trägt. Gewinnt der Forderer, so darf er seines Weges ziehen. Gewinnt der Geforderte, so muss der Forderer sein Pferd wenden und umkehren. Für zwei Proben darf der Forderer einen Stellvertreter benennen, eine aber muss er selbst bestreiten. Wie es Brauch ist, wird die erste Probe vom Geforderten bestimmt, die zweite vom Forderer und die dritte wieder vom Geforderten. Habt Ihr verstanden?“

Dom Rondrigo nickte. „Was ist die erste Probe?“

„Die erste Probe“, verkündete Argmoschix Sohn des Aurix nach kurzem Nachdenken, „soll der Baromdrasch sein.“

„Der... Bierschacht?“, übersetzte Dom Rondrigo zweifelnd.

„So ist es. Es gilt, innerhalb eines Viertel Stundenglases sechs Baroscht Gebrautes zu leeren und danach einen Drasch weit in gerader Linie zu laufen. Wer als erster den Drasch gelaufen ist, hat gewonnen.“

Während Argmoschix sich seinen Brüdern zuwandte, um zu bestimmen, wer von ihnen die Probe ausüben würde (und wessen Wegbierfässchen geopfert dafür werden würde), drehte sich der Braaster zu seinen Begleiterinnen um und sah fragend in die Runde. „Habt Ihr verstanden, Domnas? Es gilt, sechs Schank Zwergenbier hinunterzustürzen und danach einen Schacht, also etwa sieben Schritt weit zu laufen. Das sollte nicht allzu schwer sein. Ich könnte diese Aufgabe selbst übernehmen – doch da wir uns soeben erst begegnet sind, kenne ich Eure Trinkfestigkeit nicht, welche die meine übertreffen könnte.“


Autor: dalias

„Sechs Schank Zwergenbier, Dom Rondrigo. Nun, wenn das alles ist! Das stillt meinen Durst zwar nicht ansatzweise, aber diesen Fingerhut voll Zwergenbier will ich mir doch nicht entgehen lassen.“ Mit diesen Worten schwang sich Yppolita di Dalias y las Dardas aus dem Sattel und schritt leicht hinkend zu Argmoschix Sohn des Aurix, der gerade Olgrux Sohn des Olgrak und seinen Bruder Olgram beaufsichtigte, die mit großer Sorgfalt vier mal sechs Dromim abmaßen.

„Felsenfester Dom Argmoschix, ich vertrete den Descendiente Dom Rondrigo in diesem Wettkampf. Und ich will einen der Eurigen zu einem Baromdrasch fordern“, kündigte Yppolita dem alten und ehrwürdigen Angroscho mit lauter Stimme an.

Geringschätzig blickte Argmoschix die Großlingsfrau schräg von der Seite an, brummte einige Worte auf Rogolan zu vieren seiner Brüder und vermeldete den Herausforderern daraufhin, wer die Aurixim in diesem Trinkduell vertreten werde: „Andrix Sohn des Amgatix, guter Bruder, tritt hervor!“ Aus der Gruppe der Zwerge löste sich ein auch für Zwergenmaß recht kleingewachsener Angroscho, mit buschigen silbergrauen Augenbrauen und vollem dunklen Bart, der bis auf die beachtliche Leibesmitte des Zwerges herabhing.

Während Caballera Yppolita und Andrix der Zwerg ihre Gürtel und Wehrgehänge ablegten und sich vor der abgemessenen Strecke eines Drasch aufstellten, hielt je ein Angroscho einen Humpen, in welche andere Zwerge kostbaren Gerstensaft aus den Reisefässchen gossen. Nachdem diese Humpfen voll waren, griffen die Angroschim zu den nächsten Humpen, die jeder einzelne von ihnen mit sich führte. Die Angroschim schienen mit diesem Treiben nicht aufhören zu wollen. Als insgesamt schon sechs Krüge voll waren und die Zwerge immer noch keine Anstalten machten, mit dem Einschenken aufzuhören, blickte sich Yppolita hilfesuchend zu ihren Gefährten, zu Dom Rondrigo und Domna Siona um, die ebenfalls fassungslos mitverfolgten, wie die Zwerge Schank um Schank Bier in die Humpen füllten.

„Aber das sind doch nun gut und gerne sechs Schank, wenn nicht sogar schon zehn nach Rohal Weisebart!“, empörte sich Yppolita an Argmoschix gewandt.

„Nein, nein“, erklärte ihr dieser mit erhobenem Zeigefinger und ernster Miene, „sechs Baroschtim, nicht sechs Rohalsche Schank. Das sind recht genau vier mal und ein Zwanzigstel soviel wie ein Rohalscher Schank, Domna. Dies ist schließlich eine ernsthafte Prüfung Eurer Standhaftigkeit. Ihr einfältigen Xomaschim, Ihr handelt und redet so schnell – nie habt Ihr wirklich analysiert, ergründet und verstanden, worauf Ihr Euch einlasst, bevor Ihr es tut. Ihr seid allesamt so jung und unerfahren. Doch dabei seid Ihr doch nur rogelin rogela.“[7]

Mit jedem zusätzlichen Schank und jedem zusätzlichen Krug sank Yppolitas Mut, sich hier zu bewähren, ein Stück weiter. Kurz blickte sie gen Himmel und bat San Valpo um seine Fürsprache und Hilfe.

Endlich hatten die Angroschim ein Einsehen und beendeten das Einfüllen von Bier. Insgesamt zwölf Humpen waren nun zum Überlaufen voll. Mit entschlossenen Gesichtern reichten die Angroschim den beiden Combattanten jeweils den ersten Krug mit je vier rohalschen Schank oder einem Baroscht, wie die Zwerge messen und zählen. Mit ihrer rechten Pranke packte Domna Yppolita ihren Humpen, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm und grüßte damit ihre Gefährten, Argmoschix und ihren Gegner Andrix Sohn des Agmatix. Mit großväterlichem Nicken und Zucken der silbergrauen Augenbrauen erwiderte Andrix ihren Gruß. Die beiden Humpen stießen aneinander, etwas Gerstenbräu schwappte über, floss die Humpen hinab.

Andrix und Yppolita setzten ihre Humpen an und warteten auf ein Zeichen von Argmoschix, neben den sich Dom Rondrigo mit verschränkten Armen gestellt hatte. Amaros von Lindholz war an das Ende des Drasch getreten. Mit gedrückten Daumen und zusammengekniffenen Augen bat er um göttlichen Beistand. Auch Domna Siona war – ganz entgegen alter Lindholzer Haustradition – vernehmbar auf Seiten der Daliaser Caballera.

Doch Caballera Yppolita hatte nur noch Augen für diesen Ocean an Bier, der in sechs vollen Krügen auf sie wartete. Mit müden Augen suchte sie im ersten Humpen vergeblich den Grund und Boden. Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit überkam sie.

„Baroschem!“[8], schmetterte Argmoschix in die Runde und gab damit das Zeichen, dass der Wettkampf zwischen der Yaquirtalerin und dem Angroscho beginnen sollte.

Mit gleichmäßig großen Zügen ließ Andrix Sohn des Amgatix das Bier in seinen Schlund stürzen. Sein Haupt verschwand ganz hinter dem Humpen. Kein Tropfen trat an den Mundwinkeln hervor. Nach kaum einem Schank mittelreichischen Maßes setzte Yppolita ab und blickte kurz zu ihrem Widersacher, in dessen Rachen – wie in einem Katarakt – das Nass hinabfloss. Die Anfeuerungsrufe der Braaster Mercenarios und das monotone Brummen der Zwerge nahm Yppolita nicht mehr wahr. Rasch kam das Gefühl auf im Hintertreffen zu sein. Kaum hatte Yppolita wieder angesetzt, griff Andrix schon zum zweiten Humpen.

Mit mechanischer Gleichmäßigkeit ließ Andrix das Bier in sich strömen. Der Zwerg war ganz in seinem Element. Yppolita dagegen kämpfte verbissen. Sie wollte nicht aufgeben. Beim dritten Krug hatte Yppolita das Gefühl, vorne zu liegen, zumindest zu Andrix aufgeschlossen zu haben. Yppolita setzte ab, der dritte Krug war zur Neige gegangen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er völlig ungerührt und ohne auf seine Gegnerin zu achten, den dritten Krug beiseite stellte und den vierten Krug gereicht bekam. Sie waren tatsächlich gleich auf.

Beherzt griff Yppolita zu ihrem vierten Krug. Sie fühlte, wie der Gerstensaft in sie schwappte. In großen und hastigen Zügen trank sie. Ihre Schlücke wurden größer und größer, gieriger. Prustend drehte sie unvermittelt ihren Kopf beiseite. Sie hatte sich verschluckt. Hustend spie die Yaquirtalerin etwas Bier auf den Waldweg und ihr verdrecktes Wams. Sie schnappte nach Luft. Ohne auf sie zu achten, griff Andrix zu seinem fünften Krug. Angewidert trank Yppolita den vierten Krug aus. Sie zwang das Bier in sich. Aufstoßend griff sie schließlich zum fünften Humpen. Der Gerstensaft widerte sie nur noch an. Die Lage war aussichtslos. Sie drehte sich leicht in Richtung ihres Widerparts und sah Andrix zu seinem letzten Krug greifen. Die Trinkfestigkeit und ungerührte, nichts verschüttende Gleichmäßigkeit dieses Angroscho war in der Tat ein großes Werk des Weltenmechanicus: Eine Maschine, die gefertigt war, um Gerstensaft mit großer Gleichmütigkeit und der Präzision eines Uhrwerks zu trinken.

Yppolita gab sich geschlagen. Gerade als sie zu ihrem letzten Krug griff, hatte Andrix seinen letzten Humpen mit einem letzten großen Zug geleert. Mit seinen kurzen Zwergenbeinen trippelte Andrix in recht gerader Linie die Strecke des Drasch entlang zum Ziel. Als Andrix mit hochgereckten Armen die Ziellinie überquert hatte, warf Yppolita erst den letzten leeren Krug von sich und setzte ihren Fuß auf die Strecke des Drasch. Ihr rechtes Knie pulsierte vor Schmerz. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung. Ihr Kopf brummte. Die Niederlage schmeckte noch herber als das Zwergenbräu. Den Kopf zwischen ihren Schultern hängen lassend besann sie sich zumindest als gute Verliererin zu handeln: Anerkennend klopfte sie auf die Schulter des Siegers im Baromdrasch. Andrix nickte ihr kurz zu und brummte ein paar Silben in seiner Sprache. Sie konnte und wollte nichts verstehen. Nun lag die Hoffnung, die Reise nach Santa Catalina diesen Morgen noch fortsetzen zu können, auf anderen Schultern.

Erschöpft ließ sich Yppolita ins feuchte Gras sinken.


Autor: vivar

Argmoschix Sohn des Aurix blickte auf sie herab. Mitleid und Verächtlichkeit hielten sich in seinem faltigen Gesicht die Waage. Dann blickte er zu Dom Rondrigo hinauf. „Die erste Probe habt Ihr nicht bestanden, Descendiente. Was soll die zweite sein?“ Nach einer kurzen Pause fügte er mit offensichtlicher Häme hinzu: „Lasst Euch Zeit. Davon haben wir genug.“

Dom Rondrigo ballte die Fäuste. Dann jedoch leuchtete sein Gesicht auf. Suchend blickte er sich um. Schließlich sprach er zu dem Angroscho: „Um Zeit soll es in der zweiten Probe gehen. Seht Ihr die umgefallene Zeder dort oben?“ Er deutete auf einen Baum, der wohl in einer halben Meile Entfernung einsam in den sanften Hügeln lag und an fröhlicheren Tagen den Hirten zum Verweilen diente. „Es wäre wohl ungerecht, Euch zum Wettlauf aufzufordern. Daher fordere ich Euch zum Pferderennen auf. Wer als erster mit dem Ross über die Zeder gesprungen ist, soll die Probe gewonnen haben.“

Argmoschix verzog das Gesicht. „Aber wir haben keine Pferde!“

„Oh, das macht nichts, Väterchen“, lächelte der Braaster gönnerhaft. „Wir hatten schließlich auch keine Humpen und kein Bier. Selbstverständlich leihe ich Euch eines meiner Pferde. Morena!“ Er winkte einer der Grenzerinnen, welche daraufhin von ihrer Stute absprang und sie heranführte. Mit einer Verneigung hielt sie dem Zwerg die Zügel hin.

Dieser zuckte unwillkürlich vor dem großen Tier zurück in den Schutz seiner Brüder. Unter Brummeln und Knirschen entschieden diese, wer die Reitprobe vollführen sollte. Schließlich fiel das Los auf Olgrux Sohn des Olgrak, welcher missmutig dreinblickte und mehr von hinten nach vorne geschoben wurde, als dass er freiwillig ging.

Reichlich umständlich und mit Hilfe seines Bruders, der ihn von hinten hochdrückte erklomm der Zwerg den Pferderücken. „Rahjaseidank ist die Stute zahm wie ein Lämmchen, nicht wahr, Morena?“, grinste Dom Rondrigo. Er saß längst wieder im Sattel und ließ sein Ross im Almadaner Schritt im Kreise gehen.

Dieses Mal war es Domna Siona, die mit einem „Vivat Almada!“ das Zeichen zum Beginn gab. Doch die Probe war für Olgruk verloren, noch ehe sie recht begonnen hatte. Während der Zwerg – zur Belustigung der Adligen – noch versuchte, die zahme Stute mit seinen kurzen Beinen und heftigem Zügelrucken in Bewegung zu setzen, war Dom Rondrigo bereits auf halbem Wege den Hügel hinauf geritten. Und als Olgruk schließlich holterdipolter lostrabte, sprang Dom Rondrigos Ross gerade leichtfüßig über das Hindernis. Auf seinem Rückweg ergriff der Braaster schließlich die Zügel von Olrgruks Pferd und führte es wieder zu den Wartenden zurück.

Grimmig sah Argmoschix zu, wie Olgruk vom Pferd geholfen wurde. „Niemand sollte sich so weit vom Boden entfernen. Das ist... ungesund. Nun aber zur dritten und letzten Probe in der ich selbst antreten werde. Der Geforderte wird dem Forderer eine Rechenaufgabe stellen, die dieser in der Zeit lösen muss, welche der kleinste Zeiger meiner Uhr braucht, um zwei mal seinen Kreis zu ziehen.“ Er kramte in seinen Rocktaschen und holte ein Ei aus lauterem Gold hervor. Als er es berührte, sprang es mit einem Klicken auf und gab den Blick auf ein goldenes Ziffernblatt frei, in dem sich drei Zeiger aus Silber bewegten. „Hat der Forderer die Aufgabe gelöst, so darf er dem Geforderten eine Aufgabe stellen und so fort. Wer als erster keine Lösung mehr findet, ehe die Zeit abgelaufen ist, der hat verloren. Wer tritt gegen mich an?“


Autor: lindholz

Ohne lange zu zögern trat Amaros von Lindholz vor den Braaster hin und sprach: „Dom Rondrigo, lasst mich diese Aufgabe in Eurem Namen bewältigen.“

„Mein Sohn, du hast in dieser Nacht kaum Schlaf gefunden…“, setzte seine Mutter, Domna Siona, besorgt an, doch der junge Adept der arkanen Künste wischte den Einwand mit einer Geste beiseite.

„Mein Körper mag der Ruhe nicht abgeneigt sein, doch mein Geist sehnt sich nach einer Herausforderung!“ Auch wenn die Worte an seine Mutter gerichtet waren, ruhten seine Augen fest und entschlossen auf den Zügen des Edlen von Deokrath. Dieser erwiderte den Blick des blondschöpfigen Yaquirtalers. Sollte er ihr Vorankommen wirklich in diese jungen Hände legen? Zweifelsohne beinhaltete die Ausbildung an einer magischen Institution auch das Vermitteln höherer Rechenkunst, doch war es wirklich gesunde Selbsteinschätzung, die aus dem Lindholzer sprach, oder nur übermütiger Ehrgeiz? Mit einem Nicken gab der erfahrene Kämpe schließlich seine Zustimmung kund.

Nachdem die Entscheidung gefallen war, bildeten die Zuschauer einen mehrere Schritt durchmessenden Kreis um Amaros und Argmoschix Sohn des Aurix, dem Herrn von Aurom-Dûm. Ein älterer Zwerg namens Anderix Sohn des Argrix und Rondrigo de Braast blieben bei ihnen, um sicherzustellen, dass es zu keinerlei geflüsterter Hilfestellung kam, während das geistige Duell seinen Lauf nahm.

Die frühe Morgensonne warf lange Schatten auf den Boden und schnitt durch den klammen Nebel, der von den Ufern der Inoscha aufzuwallen trachtete. Amaros fröstelte. Während seiner Flucht durch das Unterholz des düsteren Bergwaldes war das vom Regen durchweichte Erdreich in das einfache Schuhwerk gequollen, welches er trug. Auch, wenn er bei Montevivar die gröbsten Spuren beseitigt hatte, so hatte das Leder doch die Feuchtigkeit begierig in sich aufgesogen und gab sie nun unbarmherzig wieder ab. Vermutlich würde seine Mutter wenig Mitleid mit ihm zeigen, so er die nächsten Tage elendig und fiebrig im Bett verbrächte. Sollte er in diesem Wettstreit unterliegen, so war es zudem gut möglich, dass jenes Bett in einer unterderischen und gut gesicherten Kammer in den Tiefen unter Orondo stand. Sich dessen gemahnend, schob der junge Illusionist den Gedanken an das Morgen weit von sich und konzentrierte sich ganz auf sein Gegenüber.

Argmoschix wirkte ruhig und gefasst. In seinem grauen Bart glimmten trotz seines Alters noch einige Strähnen eines warmen Kupfertons, der wohl einst sein Haar wie eine Flut geschmolzenen Metalls im Feuerschein erstrahlen ließ. Die Farbe erinnerte Amaros an das Fell eines alternden Fuchses und etwas in den turmalingrün schimmernden Augen, die ihn von unten her musterten, warnte ihn davor, seinen Gegner zu unterschätzen.

Die ersten Rechenaufgaben wurden ausgetauscht und ohne großes Zögern beantwortet. Beide Kontrahenten suchten offenbar, die Fähigkeiten der Gegenseite abzuschätzen. Schon sehr bald wurde dem jungen Adligen klar, dass er dem Angroscho mit einfachem Rechnen nicht würde beikommen können und so probierte er es stattdessen mit mathematischen Rätseln in Form kurzer Geschichten, wie man sie an der Akademie zu Grangor zur Formung eines wachen Geistes auszutauschen pflegte.

Viele der Gedankenspiele schienen dem Anführer der Zwerge unbekannt und seine Stirn legte sich in Falten, zerfurcht und tief wie Gebirgsspalten. Dennoch fand sein wacher und findiger Geist stets zur rechten Zeit eine Lösung und beantwortete die Offensive des Yaquirtalers mit ähnlichen Denkaufgaben seines Volkes. Manche waren Amaros von Lindholz in ähnlicher Form bekannt und er nannte ohne Probleme die richtige Lösung, doch andere waren ihm neu und standen, geboren tief in den Knochen der Erde, an Raffinesse jenen in nichts nach, die man in den Elfenbeintürmen der hohen Schulen auf Pergament gebannt hatte.

Schon dauerte der Wettstreit länger, als die beiden vorigen zusammen. Die Praiosscheibe erhob sich als sichtbares Zeichen der verstreichenden Zeit von den Hängen der Berge, um ihren Weg über den Himmel anzutreten. Die Inoscha gluckste unbeschwert in ihrem steinigen Bett, während dem jungen Zauberer der Schweiß auf die Stirn trat. Viele mathematische Rätsel aus der Zeit seines Studiums blieben ihm nicht mehr und keines schien ihm geeignet, die Niederlage des Herrn von Aurom-Dûm einzuläuten. Das heitere Bächlein störte sich freilich wenig daran und verzweifelt irrte der Blick des Adligen über das glitzernde, schnell strömende Wasser. Da traf ihn ein Gedanke, als hätte die Göttin der Weisheit selbst ein Einsehen mit dem gemarterten Geist ihres unwürdigen sterblichen Verehrers. Dies war vielleicht seine letzte Chance!

„Als ich gestern Nacht vor dem Haus der Peraine in Orondo stand, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe,“, erzählte Amaros von Lindholz mit klarer Stimme, „da nahm ich einen Kiesel vom Wege auf. Weiß war er und schimmernd im Licht des Mondes, wie ein gefallener Stern. Ein Glückstalisman sollte er mir sein und so steckte ich ihn in meine Rocktasche, hier an meiner Seite.“ Der Adlige klopfte sich als untermalende Geste mit der flachen Hand auf die Seite seines Oberschenkels. Neugierig wartete der Herr von Aurom-Dûm mit hoch gezogenen Augenbrauen ab, worauf diese Geschichte hinauslaufen sollte, während Amaros fortfuhr: „Nun trennen mich nur noch wenige Meilen von meinem Ziel, Santa Catalina, doch frage ich mich, ob jener Talisman wirklich dafür sorgte, dass Phexens Wohlwollen auf mir liegt, oder ob mich das Glück mit den ersten Strahlen der Sonne verließ. Sagt mir, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe: So ich den direkten Weg zu Pferde nehme und der Kiesel meine Tasche nicht verlassen hat und dies auch nicht tun wird, bis ich die Häuser Santa Catalinas um mich sehe. Wie viele Stunden werden vergehen, bis er Santa Catalina erreicht?“

Verwirrt kräuselten sich die buschigen Augenbrauen des Errwerges, während er die Frage überdachte. Dann begann er zu schmunzeln: „Ihr wollt mich hinters Licht führen, Xomascho, denn selbst ich weiß nicht genau zu sagen, wie viele Stunden, Tage oder Wochen, wir Euch den Weg verwehren werden, solltet Ihr diesen Dreikampf verlieren. Würdet Ihr gewinnen, werdet Ihr wohl binnen einer Stunde in Santa Catalina sein, würde ich sagen, auch wenn ich mich mit diesen Geschöpfen kaum auskenne, an deren Rücken Ihr Menschen offenbar so gerne Eure Hintern reibt. Doch würde ich diese Antwort geben, würde ich mich selbst zur Niederlage zwingen, denn nur dann wäre meine Lösung richtig gewesen.“

„Also bleiben Eure Überlegungen ohne Resultat?“, fragte Amaros und begann zu lächeln.

„So schnell nicht, Jungchen!“, verkündete der Angroscho und er schmunzelte erneut, als das Grinsen im Gesicht seines Gegenübers in sich zusammenbrach. „In jedem Fall werdet Ihr innerhalb einer Stunde in Santa Catalina sein, sobald ich, der Herr von Aurom-Dûm, es erlaube. Dies soll also meine Antwort sein.“

Mit auf der Brust überkreuzten Armen stand der Erzzwerg, vor seinem jungen Kontrahenten, dessen Schultern und Kopf herabgesunken waren. Doch war er immer noch kleiner als der Mensch und so konnte er sehen, wie die Mundwinkel des Adligen nach oben zuckten, als die Worte verklungen waren und der Zeiger des goldenen Eis seine Runde zum zweiten Mal beendete.

Amaros hob den Kopf wieder und verkündete selbstbewusst: „Eure Antwort ist falsch, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix Sippe. Keine einzige Stunde wird vergehen. Denn wie Euch die Caballera an unserer Seite bestätigen können wird, hat der Kiesel Santa Catalina schon lange erreicht.“

Yppolita di Dalias y las Dardas, deren Augen nur noch von Willenskraft und Anspannung offen gehalten wurden, schreckte auf, als ihr Name fiel.

„Wie Ihr alle seht, trage ich die Gewänder des Meisters der Ernte, der schon seit Jahren seinen Dienst in Eurem Orondo tut. Der Kiesel in der Tasche meiner Gewänder hat mit Perinyo Salpena den Tempel der Rahja im Herzen der Ortschaft Santa Catalina bereits vor Sonnenaufgang erreicht.“

Die Caballera nickte zur Bestätigung und gleich einem gebrochenen Damm schwemmten die Widerworte der Zwerge auf die Auswärtigen ein. Von Betrug war die Rede. Von Wortklauberei. Mit Rechnen hätte so etwas doch nun nichts mehr zu tun! Schon wurden die Anschuldigungen hitziger und schwielige, kräftige Hände irrten zu Waffen.

„GENUG!“ Wie das Grollen eines Feuerberges hallte die Stimme des Herrn von Aurom-Dûm über den Ort des Geschehens und seine funkelnden Augen hefteten sich auf Amaros von Lindholz, dessen selbstgefälliges Lächeln erneut verblasste.

„Ihr liebt Lüge und List zu sehr, Xomascho, und eines Tages werdet Ihr feststellen, dass sie auch ein Messer für Euren Rücken hinter ihrem freundlichen Lächeln verbergen“, belehrte der Angroschim seinen Gegenspieler ernst, „doch heute haben sie Euch zum Sieg geführt und ich muss eingestehen, dass ich eine wichtige Tatsache in meiner Rechnung unbeachtet ließ. Dies soll auch mir eine Lehre sein.“


Autor: vivar

Damit wandte sich der alte Silberbart seinen Brüdern zu und gab ihnen einen knirschend-brummeligen Befehl, der zur Folge hatte, dass die kleinen Leute, obschon ihre Mienen von großem Unmut über die Unverfrorenheit des Lindholzers kündeten, tatsächlich den Weg für die Reiter freigaben.

Triumphierend blickte Dom Rondrigo de Braast seine Begleiter an. „Wohlan, dies wäre vollbracht! Lasst uns nach Santa Catalina eilen! Mich brennt zu wissen, wie es um die Sache des guten León bestellt ist!“ Damit gab er seinem Ross die Sporen und führte die Gruppe an den Angroschim vorbei, die ihnen stumm hinterherstarrten.


  1. Rog.: „Aus dem Weg, (weibliche) Sonnenkinder! Damit ihr nicht sterbt!“
  2. Rog.: „Bei Väterchen Angrosch! Die schwätzerische verrückte kühne Frau, die ich schon unter den heiligen Perainebäumen (bei Nacht) gesehen habe!“
  3. Rog.: „Gold-beständig-prächtige Halle“, Orondo.
  4. Dem von den Almadanis aufgrund seiner Vulgarität den Nordmärkern zugeschriebene Gruß wurde von einem Garether Mundartdichter ein schönes literarisches Denkmal gesetzt.
  5. Rog.: „Friede und Wohlstand!“
  6. Verwinkelte Sprache gilt unter Erzzwergen des Eisenwalds als tugendhafte Kunst.
  7. Rog.: „Aufschneider“ oder „Prahl-Alrik“.
  8. Rog.: „Prost!“ oder „Ein Hoch auf das Gebraute!“