Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 24
In der Baronie Selaque, 3. Rondra 1033 BF
Auf dem Weg vom Castillo Albacim Richtung Schrotenstein
3. Rondra, nachmittags
Autor: Ancuiras
Gendahar von Streitzig blickte sich ein letztes Mal nach dem Castillo Albacim um. Er war froh, das düstere Gemäuer hinter sich zu lassen. Es war ihm von Anfang an unwohl gewesen, dort Quartier zu machen und sich der Willkür der Vogtin auszuliefern, die er schon auf dem Castillo da Vanya zu spüren bekommen hatte. Es geschah nur selten, dass jemand ihn, den Sohn des Grafen des Yaquirtals und den Vogt von Thangolforst, offen angreifen ließ! Entsprechend verstimmt war er in Gegenwart der fetten Elenterin gewesen und hatte das Reden Dom Rondrigo überlassen. Oder Romina, die niemanden mehr brauchte, der für sie sprach.
Dies war die Grafschaft Ragath und er hatte keinerlei Lehns- oder Amtsgewalt hier. Er wollte nur seine Nichte sicher nach Ragath bringen, der Rest ging ihn nichts mehr an. Immerhin hatte er sich auf Castillo Albacim wieder ordentlich ausrüsten könnten, vermutlich aus den geplünderten Beständen Domna Rifadas. Ansonsten bevorzugte er leichte Rüstung, aber in diesen unsicheren Landen war ihm mit Harnisch, Helm, Schwert und Lanze durchaus wohler.
Er drehte sich nach seiner Nichte um und warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu. Bald würde sie alles überstanden haben. Die größte Unbill, die sie während der kommenden Tage würde erleiden müssen, war das tumbe Balzverhalten dieses Cronbieglers, der nicht mehr von ihrer Seite wich.
Es waren schon merkwürdige Geschehnisse, in die sie in den letzten Wochen verwickelt worden waren, aber nun schien alles ein gutes Ende zu nehmen. Alles? Mit einem Mal drängte sich das Bild der gefesselten Richeza vor sein inneres Auge.
"Ihr traut Ihr auch nicht, oder? Ich konnte es Euch ansehen."
Gendahar fuhr aus seinen Gedanken. Morena von Harmamund hatte ihr Pferd an seine Seite geführt und lächelte ihn an. Sie hatte mit ruhiger, sanfter Stimme gesprochen. Wenn sie nicht so griesgrämig wie sonst dreinschaute, war sie fast hübsch zu nennen, fiel ihm erstmals auf. Ihre langen schwarzen Haare fielen offen auf ihre kräftigen Schultern und unter ihrer Bluse zeichneten sich zwei wohlgeformte ...
Er zwang sich, wieder in ihre Augen zu schauen. Wahrlich, er hatte Rahja all zu lange nicht mehr gehuldigt. Erst jetzt erfasste den Sinn ihrer Frage. "Vom wem redet Ihr?"
"Der Vogtin natürlich." Sie schnalzte mit der Zunge. "Ihr habt ja gehört, wie sie mich in ihre Machenschaften einspannen wollte. Aber ohne mich! Das Königreich hat gerade andere Gefahren zu bewältigen." Sie schüttelte traurig den Kopf. "Ich hoffe nur, dass diese Fehde sich nicht ausweitet."
Sieh an, dachte Gendahar. Noch gestern sprach sie von 'ihrem' Castillo. Sie hat wohl eingesehen, das daraus nichts wird. Aber ihm sollte der Sinneswandel nur recht sein, wenn er denn ehrlich gemeint war. "Eure Sorge ist sicher nicht ganz unberechtigt. Um so ehrenhafter ist es, dass Ihr Euch aus diesem Treiben - weiterhin - heraus haltet." Er blickte sie ernst an. Würde sie nun wütend aufbrausen, wie es bei den Frauen dieses Landstrichs offenbar üblich war?
Stattdessen schlug sie beschämt den Blick zu Boden. "Ihr habt Recht. Ihr müsst wissen... anfangs dachte ich durchaus, es sei eine gerechte Sache, der Junkerin von Vanyadal das Handwerk zu legen. Und ja, natürlich hätte ich es begrüßt, wenn ihr Castillo in die Hände des Hauses Harmamund gefallen wäre. Nun aber sehe ich, dass Domna Praiosmins Beweggründe und Vorgehensweisen kaum ehrenhafter sind. Ich will nicht die Nutznießerin eines solchen Streits sein - wir Harmamunds haben immer mit offenem Visier gestritten!" Ihre Augen blitzten kämpferisch auf, doch sogleich wurde ihr Tonfall wieder ruhiger. "Außerdem möchte ich nicht wissen, was mit den Damen des Hauses da Vanya geschieht, wenn sie in die Klauen der Vogtin gelangen. Da möchte ich keine Hilfsdienste leisten."
"Den Damen? Ich weiß bislang nur von Domna Rifada, die von diesem Gasparo festgehalten wird." Falls Rifada seine Familie nicht mittlerweile bis ins siebte Glied ausgerottet haben sollte, denn irgendwie konnte er sich sie nicht als hilflose Gefangene vorstellen. „Und außerdem habt Ihr es ja abgelehnt, sie zu holen und ins Castillo Albacim zu bringen.“
„Ja, aber jetzt hat Domna Praiosmin diesen Caballero Azzato ohne mich losgeschickt, mit dreißig Männern und Frauen Bedeckung. Es sind keine großen Kämpfer, aber die Ausrüstung dürfte hervorragend sein.“ Diese Beschreibung der Truppe entsprach tatsächlich dem, was ihr Berengar nach seiner Inaugenscheinnahme berichtet hatte. Es war ein undisziplinierter und ungeübter Haufen, aber bis an die Zähne bewaffnet und gut gerüstet. „Sicherlich sind auch ein paar Armbrüste dabei, die jeder Idiot bedienen kann. Ich wüsste nicht, was selbst Domna Rifada dem allein, unbewaffnet und vermutlich gefesselt entgegen setzen sollte.“
Gendahar nickte gedankenverloren. Diesmal schien es wirklich übel zu stehen um Domna Rifada. Aber warum sorgte sich ausgerechnet Domna Morena um deren Wohl? Und warum sollte er sich darum sorgen, wo sie doch auch eine erklärte Feindin seines Hauses war? Und doch ließ ihn das Schicksal der Weggefährtin aus dem Raschtulswall nicht kalt.
Aber selbst wenn er gewollt hätte, was konnte er schon tun? Man musste darauf hoffen, dass der Kaiser rechtzeitig Verstärkung entsandte, um diesen Landstrich endlich zu befrieden. Rifada war aus einem harten Holz geschnitzt.
„Ich befürchte“, fuhr Morena fort, „Caballero Azzato wird sich nicht lange damit aufhalten, sie irgendwohin zu bringen, sondern den Willen der Vogtin auf eine sehr unmittelbare Weise umsetzen.“ Sie fuhr sich mit dem Daumen von links nach rechts an der Kehle entlang.
Gendahar hatte einen Kloß im Hals. Vermutlich hatte sie recht. „Ihr spracht von einer weiteren Dame“, fiel ihm da wieder ein. „Meintet Ihr die Mutter des Barons von Schrotenstein?“
"Nein, Richeza da Vanya natürlich."
Gendahars Kopf fuhr herum. „Was redet Ihr da? Sie ist in der Obhut Dom Hernáns! Zu ihrem eigenen Schutz, und damit sie nicht unbedacht in die Fehde eingreifen kann. Welche Gefahr soll ihr da von der Vogtin drohen?“
"Hatte ich noch nicht davon erzählt?“, fragte Morena fast entschuldigend. „Dom Hernán hielt es für das Beste, sie beim Castillo da Vanya zu lassen, nachdem uns Praiosmins Schergen dort nicht einließen.“
„Domna Richeza in der Hand von Praiosmins Schergen? Warum sollte Dom Hernán das zulassen?“
„Sein Trupp wurde von Ferkinas angegriffen.“
Das entsprach der Wahrheit, wie Morena wusste, auch wenn es ein wenig übertrieben war. Der Kampfeslärm war gerade noch an ihr Ohr gedrungen, kurz nachdem sie mit Hernáns fünf Leuten aus dem Vanyadal aufgebrochen war. Da hatte sie Berengar zurück geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Dieser hatte von einem Versteck aus beobachtet, dass es nur eine Handvoll Ferkinas waren, die schnell zurück geschlagen wurden. Und dann war mit einem Mal der junge da Vanya auf der Bildfläche erschien und hatte so lange auf Dom Hernán eingeredet, bis dieser ihm Domna Richeza dagelassen hatte. Diese Einzelheiten musste der Streitzig aber nicht wissen.
„Dom Hernán selbst wurde verletzt. Da meinte er wohl, nicht länger die Sicherheit der Gefangenen gewährleisten zu können.“
„Zum Henker, Hernán, was habt Ihr Euch dabei gedacht?“, stieß Gendahar zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. „Ihr habt mir Euer Wort gegeben!“
Morena blickte ihn mitfühlend an. „Aber das ist nicht alles. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man eine so wichtige Gefangene lange an einem derart unsicheren Ort lässt, wo jederzeit Ferkinas oder die Streiter der einen oder anderen Fehdepartei auftauchen können ..."
„Ihr meint ... sie bringen sie zum Castillo Albacim?"
Die Harmamund hob hilflos die Hände. "Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, was ich an ihrer Stelle tun würde..."
"Praiosverfl..." Gendahar unterdrückte seine Worte gerade noch rechtzeitig. Praios vergib mir, ich bin selbst Schuld. Ich hätte sie niemals als Gefangene allein zurücklassen dürfen.
Er schaute sich um. Der kleine Zug der Gräflichen hatte allein seine Schnelligkeit als Vorteil. Oberste Priorität war es, Romina sicher nach Ragath zu geleiten. Dom Rondrigo hatte klare Befehle - und Gendahar ganz gewiss nicht die Absicht, diesen zu widersprechen. Rominas Sicherheit war wichtiger als alles Andere. Aber die Gräflichen würden für den Rest des Weges auf seine Begleitung verzichten müssen, auch wenn das eine weitere Schwächung des ohnehin schon sehr überschaubaren Trupps bedeutete.
„Das kann ich nicht zulassen“, fuhr er an Morena gewandt fort. „Die da Vanyas sind weder Eurem noch meinem Haus besonders wohlgesonnen, aber sie haben dafür gesorgt, dass wir den Raschtulswall sicher verlassen konnten. Es wäre ... Unrecht, sie einfach dem Schicksal zu überlassen, das die Vogtin für sie bereit hält.“ Er blickte sie unverwandt an. „Ich muss Euch danken, dass Ihr Eure Sorgen mit mir geteilt habt. Aber was können wir tun? Und warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Ihr mit Eurer Rede einen bestimmten Zweck verfolgt?“
Morena lächelte schuldbewusst. „Ihr kennt mich schon zu gut, Dom Gendahar. Nun denn, allein die Sorge um die beiden da Vanyas treibt mich in der Tat nicht um. Mir schmeckt es ganz und gar nicht, dass diese feiste Vogtin nach Gutdünken handeln kann und sich einen Dreck um die Befehle meines Onkels schert, des Kaiserlichen Marschalls! Es ist bitter genug, dass ihm derzeit die Hände gebunden sind und er sich auf die Dienste eines Gefolgsmanns verlassen muss, der – im Vertrauen gesagt – mit dieser Aufgabe scheinbar überfordert ist ...“
Der Thangolforster verriet durch keine Miene, was er von der Ausführungen Morenas hielt, sondern beschied ihr durch ein Nicken, fortzufahren.
„Was wir brauchen, sind mehr Waffenleute, die den Willen des Marschalls – und des Kaisers – in Selaque durchsetzen. Wenn es gelänge, das Kommando über den Trupp Dom Azzatos zu erlangen, wären wir schon einen Schritt weiter. Wir könnten nicht nur Domna Rifada gefangen setzen – möglichst unversehrt, versteht sich – sondern auch Praiosmins Leuten den Weg abschneiden, wenn sie versuchen sollten, Domna Richeza nach Albacim zu bringen.“
Gendahar dachte nach, aber augenblicklich fiel ihm auch nichts Besseres ein. „Aber wie ihr bereits sagtet, führt dieser Azzato, ein Gefolgsmann Praiosmins, den Trupp an.“
„Ja, aber ich habe ihm den Condottiere Berengar an die Seite gestellt. Nun schaut nicht so misstrauisch – es war ein reines Täuschungsmanöver. Berengar ist ein treuer Diener des Marschalls und wird allein dessen Interessen verfolgen.“
Oder des Hauses Harmamund, dachte Gendahar, behielt dies aber für sich.
„Berengar, der alte Haudegen, wird sehr bald der eigentliche Kommandant des Trupps sein, die Leute werden auf ihn hören. Welcher Caballero vorne weg reitet, wird ihnen hingegen egal sein. Wir müssen also nur Dom Azzato aus dem Weg räumen und dafür einen leidlich glaubhaften Vorwand liefern. Ich habe auch schon eine Idee, wie dies ohne Blutvergießen gelingen kann, aber dafür brauche ich Eure Hilfe ...“
„Ich bin ganz Ohr“, sagte der Thangolforster, auch wenn ihm nich nicht ganz klar war, was er von der Sache zu halten hatte.
Im Grenzland von Selaque zu Schrotenstein
Eine Wegstunde östlich vom Castillo Briesach
3. Rondra, abends
Autor: Ancurias
Der Caballera von Harmamund war nicht ganz wohl, in der heraufziehenden Dämmerung allein durch diese Wildnis zu reiten. In alle Richtungen nach lauernden Wilden Ausschau haltend, ritt sie wie vom Namenlosen besessen über die verlassene Ebene. Der verabredete Treffpunkt konnte nicht mehr weit sein, wenn der verlotterte Haufen es tatsächlich an einem Tag so weit geschafft hatte. Hoffentlich hatte Berengar ihnen etwas Schneid beigebracht.
Von der nächsten Hügelkuppe aus konnte sie das kleine Lager sehen. Der Platz war nicht schlecht gewählt - am Rande eines Wäldchens, in das man sich bei einem Angriff zurückziehen konnte. Sie hatte befürchtet, länger suchen zu müssen, aber die Beschreibung Dom Azzatos war ziemlich genau gewesen. Abermals trieb sie ihr Pferd an und brachte den Rest des Weges im gestreckten Galopp hinter sich. Als sie sich der Gruppe näherte, löste sich die Gestalt des Caballeros von San Owilmar aus der Gruppe und schritt ihr entgegen.
Caballero, pah! Eine Schande war es, dass ein solcher Bauer den gleichen Titel führen durfte wie sie selbst, die sie einem mächtigen Fürsten- und Grafenhaus entstammte.
"Heda, Domna Morena, seid willkommen! Ich freue mich, dass Ihr Wort gehalten habt und wieder zu uns stoßt!"
Die Angesprochene stieß ihrem Pferd letztmalig die Sporen in die Seite, so dass es einen großen Satz machte, und riss erst im allerletzten Moment die Zügel herum. Dom Azzato wurde in eine dunkle Wolke aus Staub und Dreck eingehüllt. Soviel für die vertrauliche Anrede und für die Frechheit, Ihr Wort in Zweifel zu ziehen!
Ihre Miene war indes nicht unfreundlich, als sie den Gruß erwiderte. "Ich habe der Vogtin doch versprochen, ihr den Kopf der da Vanya auf dem Tablett zu servieren! Selten war ich mehr gewillt, meinen Worten Taten folgen zu lassen." Sie wartete, bis der Staub sich gelegt hatte, schwang sich aus dem Sattel und betrachtete den hustenden Caballero mit wohl verborgenem Widerwillen. "Meinen Ritt beflügelte aber, dass ich heute noch im Dienst einer weiteren Herrin unterwegs bin - der liebreizenden Rahja."
Der kräfige junge Ritter trat auf sie zu und fasste sie an den Schultern. Seine Augen leuchteten erwartungsvoll. "So habt Ihr mit ihr gesprochen?"
Morena unterdrückte den Impuls, den aufdringlichen Jüngling von sich zu stoßen und links wie rechts zu ohrfeigen.
"Natürlich - hattet Ihr daran etwa gezweifelt?"
"Nein, nein!", stieß er aufgeregt hervor. "So sagt schon, welche Botschaft hat sie Euch für mich aufgetragen?"
Kriech' ich den Stall zurück, in dem du geboren wurdest, und stirb eines langsamen, qualvollen Todes, hätte sie am liebsten geantwortet. Stattdessen setzte sie ein ermutigendes Lächeln auf und sagte: "Sie erwidert Eure Gefühle, das versicherte sie mir höchstpersönlich. Von dem ersten Augenblick an, in dem sie Euch sah, habt Ihr ihr Herz im Sturm erobert!"
"Wirklich?", fragte Dom Azzato ungläubig. "Sie schien so unnahbar, so unantastbar! Eine echte Dame, und dazu die Tochter des Grafen!" Er schlug sich vor Freude auf den Schenkel und lachte wie ein Schwachsinniger.
"Dies gab sie mir als Beweis ihrer Gunst." Die Caballera von Harmamund zog eine blonde Haarsträhne unter ihrem Umhang hervor und reichte sie ihrem Gegenüber.
Azzato betrachtete das Haar zweifelnd. "Es sieht so fahl aus - gar nicht so gülden, wie ich es in Erinnerung habe."
"Ihr Narr", lachte Morena. "Ihr wisst scheinbar gar nichts über eine Domnatella wie Romina. Natürlich stammt das Haar aus den unteren Schichten in ihrem Nacken. Sie wollte sich doch nicht verunstalten und bei ihren Begleitern Verdacht erregen ..."
"Ihr habt ja so recht - ich bin ein Narr! Ich hatte das Gefühl, sie würdigte mich keines Blickes!"
"Alles Maskerade", winkte Morena ab. "Vor ihrem Onkel und den Leuten Ihres eifersüchtigen Vaters konnte sie natürlich nicht offen zeigen, was sie für Euch empfindet. Außerdem war da ja noch dieser Dom Servando Cronbiegler."
Azzato spuckte aus. "Dieser aufgeblasene Turnierritter! Was ist mit ihm? Sagt bloß nicht, sie hatte ihr Herz an diesen speichelleckenden Höfling verschenkt?"
"Wo denkt Ihr hin? Natürlich nicht. Die Lage ist viel schlimmer. Jetzt, wo der Kaiser die Heidenmetzte heiratet, befürchtet sie, mit dem Nächstbesten vermählt zu werden, den ihr Vater als eine gute Partie ansieht."
"Dann kommt ein Cronbiegler ja wohl kaum in Frage", ätzte der Caballero von San Owilmar.
"Leider doch. Der Name Cronbiegler sagt Euch natürlich nichts, da Ihr aus einem altehrwürdigem Magnatenhause stammt. Ragather Patriziat, also ein erbärmlicher Bürgersohn, aber dafür steinreich", fabulierte Morena ins Blaue hinein. In Wahrheit hatte sie nie einen Gedanken daran verschwendet, wer oder was die Cronbieglers waren. "Eure Geliebte hat ernsthafte Sorge, dass sie nur noch wenige Tage in Freiheit zu verbringen hat - und ebenso wenige Nächte." Sie schaute dem Caballero tief in die Augen und setzte ihr schamlosestes Lächeln auf. "Sie wünscht sich nichts mehr, als diese Freiheit zu genießen, solange sie noch kann und nicht in der Ragather Grafenburg weggesperrt ist."
Dom Azzato grinste wie von Sinnen. "Ihr Wunsch soll mir süßer Befehl sein!"
"Doch Ihr müsst noch heute Nacht zu ihr eilen! Schon morgen in aller Frühe wird sie fort sein - und vielleicht für den Rest ihres Lebens unerreichbar! Und wer weiß: Wenn Euch die Ewigjunge hold ist und Ihr Manns genug seid, dann schafft Ihr noch heute Nacht Fakten, an denen auch der Herr Graf nicht vorbei kann ..." Sie vollführte mit beiden Händen eine Halbkreisbewegung vor ihrem Bauch.
"Ja, bei Rahja und Tsa, dann ist sie die Meine!", rief Azzato erregt, wurde aber schlagartig wieder ernst. "Aber noch heute Nacht? Was ist dann mit dem Auftrag der Vogtin? Sie hat klare Order gegeben, die Junkerin vom Vanyadâl dingfest zu machen oder zur Strecke zu bringen und so schnell wie möglich nach Albacim zurückzukommen ..."
"Wollt Ihr diese einmalige Gelegenheit verstreichen lassen?" Morena schüttelte den Kopf. "Es sind nur wenige Stunden bis zum Weiler Carano, wo die Gräflichen lagern. Ein Katzensprung für einen ortskundigen und wagemutigen Reiter, wie Ihr es seid. Morgen früh seid Ihr allemal zurück, dann können wir die Ruine von Briesach in der ersten Morgenstunde stürmen." Sie legte dem noch immer unentschlossen dreinblickenden Caballero eine Hand auf den muskulösen Arm. "Was ist schon eine schlaflose Nacht, wenn man dafür das Herz der schönsten Domna der Grafschaft erobert?"
Der junge Mann richtete sich auf. "Ihr habt recht. Morgen früh sehen wir uns wieder! Wo kann ich sie treffen?"
"An den drei Linden am rahjawärtigen Ortsende Caranos - rahjawärtig, wie passend, meint Ihr nicht?"
"Oh ja", entfuhr es Azzato. "Das ist überaus passend, denn heute Nacht, meine liebe Domna Morena, werde ich der Schönen Göttin huldigen!"
Autor: von Scheffelstein
"Glaubst du, wir sind hier sicher vor den Barbaren?", fragte der Bauer, den sie Alrigo nannten.
"Keine Angst, die Leute von unser'm Grafen sind ja vor und die ham se schon alle weggeputzt, ratzefatze, mach dir keine Sorgen, Alrigo", erwiderte ein anderer. "Das wird 'ne einfache Sache, wir hol'n uns das olle Weib, wo die Frau Vogtin hab'n will, und vielleicht lässtse was Gold spring'n oder wir müss'n den Zehnt nich' zahl'n fürn Jahr oder zwei oder so."
"Weiß nicht", erwiderte Alrigo. "Ich find's schon recht schaurig hier draußen. Haste nicht gehört, was die in Elenta angerichtet haben?"
"Ach, bist'n oller Schisser, Alrigo. Wir sind – was? – fünfzig oder hundert, was soll'n uns da die Wilden was könn', was?", winkte der zweite Bauer ab. "Eh, was meinst'n du, wird die Vogtin was spring'n lass'n? Sachst ja gar nichts, du? Eh, wie heißt'n?"
Aureolus knurrte nur. Das Geschwätz der Bauern ging ihm auf den Geist. Er hatte sich dem eilig ausgestatteten Landsknechtzug seiner Mutter nur deshalb angeschlossen, weil er schnell und möglichst sicher nach Schrotenstein gelangen musste und seine Zauberkraft schon wieder reichlich erschöpft war. Natürlich ahnte seine Mutter nicht, wo er war, sie hätte niemals gestattet, dass er sich den unerfahrenen Kämpfern anschloss, die, wenn man ehrlich war, doch nichts als Schwertfutter waren. Nein, sie dachte, er läge in seinem Bett und schliefe, nachdem er ihre Briefe zurückgeholt und – ja: auch zerstört hatte, worüber sie freilich weniger begeistert gewesen war.
'Schlafen, das wäre jetzt schön', dachte er, aber das Gespräch der Caballera von Harmamund und dieses tumben Idioten Azzato war zu aufwühlend, als dass an Schlaf zu denken wäre. Aus dem Schatten seiner Kapuze heraus beobachtete er, wie die Harmamund dem Caballero eine blonde Haarsträhne reichte. Jedes Wort, das sie sprach, traf Aureolus wie ein Schlag in die Eingeweide.
Der Graf wollte seine Romina an irgendeinen bürgerlichen Gockel verheiraten? Sie aber hatte sich halsüberkopf in den aufgeblasenen Dummkopf Azzato verliebt? Das konnte nicht sein! Wann das? An diesem Morgen etwa? Oh wie er diesen Schnösel hasste, der nicht einmal davor zurückschreckte, Aureolus eigener Mutter schöne Augen zu machen! Und das erfolgreich, wie es schien, denn wann immer Azzato mit seinen langen Wimpern schlug und seine kräftigen Hände tolldreist und unverfroren auf den Arm Domna Praiosmins legte, kicherte diese wie eine dumme Magd und nicht, als wäre sie seine Herrin!
Das Gesinde flüsterte gar hinter vorgehaltener Hand und hinter der Vogtin Rücken, Dom Azzato habe der bosquirischen Jungfer ihren Spitznamen geraubt – und nicht nur diesen – als er sie des nachts zu einem Ausritt bewegte, bei dem sie mal Ross und mal Reiterin gewesen sei und bei dem ihr Wiehern und Schnauben und Schreien einer ganzen Herde Wildpferde Konkurrenz gemacht habe. Seither, wisperte man im Gesinde, sei sie ihm verfallen und fresse ihm aus der Hand wie ein zahmes Füllen. Aureolus erfüllten diese Gerüchte mit Zorn, und nur zu gerne hätte er den Schwätzern die Mäuler gestopft, doch da er offiziell nichts als ein Mündel der Vogtin war, von niederer Geburt, wenn auch von hoher Bildung, hatte er geschwiegen und seine Wut in sich hinein gefressen.
Jetzt aber, jetzt war der Geck zu weit gegangen! Seiner Romina machte niemand schöne Augen, schon gar nicht ein wahlloser Schönling wie Dom Azzato von San Owilmar! Schwängern wollte er sie in dieser Nacht? Der ehrlose Hund, wie konnte er nur daran denken! 'Na, der soll etwas erleben!', dachte er, als Azzato sich auf sein Ross schwang, der Caballera von Harmamund zuwinkte und in die Dunkelheit davon galoppierte.
"Eh, Mann, wo willst du denn hin?", fragte Alrigo, als er plötzlich aufstand. "Die Wilden werden uns ..."
"Darf man nicht mal pissen gehen?", zischte Aureolus ungehalten, und die Bauern lachten und beachteten ihn nicht weiter, als er zu den Pferden der Soldaten schlich, im Schutz der Dunkelheit die Zügel eines Rosses löste, es ein paar Schritt vom Lager wegführte und bereits im Sattel saß und davon preschte, ehe die Wache ihn bemerkte und ihm hinterher rief.
In gestrecktem Galopp und doch mit einigem Abstand, folgte Aureolus Dom Azzato. Der Caballero war der weit bessere Reiter, musste er sich ärgerlich eingestehen, aber zumindest kannte der junge Zauberer den Weg nach Caranos recht gut und fürchtete nicht, sich zu verirren, zumal im fahlen Mondlicht das Gelände gut zu erkennen war.
Plötzlich wusste Aureolus, wie er den Caballero aus dem Weg räumen konnte. Aber dazu musste er erst einmal nahe genug an ihn herankommen.
Autor: SteveT
3. Rondra, am Abend
Im Weiler Carano
Die Reiter des Grafen hatten es sich in der dem kleinen Platz inmitten des Weilers. Da die drei großen Linde rahjawärtig in ihrem Rücken standen, fiel das abendlich matte Praioslicht auf den kleinen Lagerplatz und schenkte immer noch etwas Wärme. Vor allem Dom Rondrigo schien von seinen Jahren eingeholt worden zu sein und hatte den Vorschlag einer weiteren Rast dankbar angenommen.
Nachdem Morena aufgebrochen war, hatte Gendahar versucht, das Gespräch mit Romina zu suchen, aber stets war dieser Cronbiegler bei ihr gewesen. Jetzt aber nahm der Streitzig seine Nicht beiseite und gab Dom Servando mit Blicken zu verstehen, sie allein zu lassen.
"Romina", begann Gendahar und räusperte sich. "Schrotenstein ist nah und bald wirst du zu deiner Familie zurück kehren. Ich indes habe noch wichtige Dinge zu erledigen in Selaque und werde euch noch heute Abend verlassen." Er blickte sie eindringlich an. "Du musst aber auf jeden Fall nach Ragath reiten! Was ich zu erledigen habe, ist meine persönliche Angelegenheit..." Als er ihren fragenden Blick spürte, fügte er seufzend hinzu. "Also gut, es geht um Richeza. Es scheint die Gefahr zu bestehen, dass die der Vogtin von Selaque in die Hände fällt. Ich hatte Dom Hernáns Worten Glauben geschenkt, dass er sie nur zu ihrem eigenen Schutz festhalten wollte. Vielleicht war das auch seine Absicht, aber jetzt scheinen sich die Dinge geändert zu haben. Wie dem auch sei, es war ein Fehler, unsere Mitstreiterin als Gefangene zurück zu lassen. Eher noch hätten wir sie nach Ragath mitscheifen müssen..."
Gendahar versuchte in Rominas Gesicht zu lesen. Hoffentlich würde sie sich nicht weigern, nach Ragath zu reiten. Er konnte sich nicht lange verabschieden, denn die Zeit drängte.
3. Rondra, am späten Abend
Unweit des Weilers Carano in Schrotenstein
Etwa eine halbe Stunde war vergangen, seit Azzato von San Owilmar das provisorische Feldlager des Selaquer Aufgebotes verlassen hatte. Im fahlen Licht der Madasichel tauchte vor ihm die schattenhafte Silhouette eines freistehenden Hofgutes auf, neben dem sich - wenn er es in der Dunkelheit richtig erkannte - die mit hellem Tuch bespannten Flügel einer Windmühle drehten.
Es war lange her, seit er das letzte Mal hier in Selaques Nachbarbaronie gewesen war, aber wenn ihn seine Erinnerung nicht trog, stand diese Windmühle kurz vor dem armseligen Nest Carano, welches sich die Gräflichen laut Domna Morena als Nachtlager erwählt hatten.
Tatsächlich tauchten wenig später die dunklen Dächer von sechs oder sieben weiteren Häusern auf - das musste der Weiler sein. Ärgerlich schlug der schöne Azzato nach einigen ihn umschwirrenden Stechmücken oder Pferdebremsen, die hier im wasserreichen Umland des Schwarzen Sees und der Bäche Gambari und Botteilo offenbar zu Tausenden lebten. Der junge Caballero lenkte sein Pferd nach Osten und hielt nach den drei Linden Ausschau, die die süße Comtessa als Treffpunkt für ihr nächtliches Beisammensein auserkoren hatte.
Azzato kratzte sich nachdenklich am Kopf und prüfte bei dieser Gelegenheit gleich noch einmal den Sitz seiner Frisur, die dank einer teuren Pomade aus Ragath wie immer perfekt bis zur letzten Haarsträhne saß. Lässig glitt er aus dem Sattel und ließ sein Streitross ein wenig grasen, während er sich suchend umsah. Entweder die Comtessa oder aber die Harmamund schienen sich nicht sonderlich gut mit Bäumen auszukennen. Hier gab es keine drei nahe beieinander stehenden Linden - es gab überhaupt nur ein paar weit auseinander stehende, nadelspitze Zypressen. 'Na ja,' dachte er stumm bei sich, 'die Comtessa kommt eben aus einer großen Stadt, was hat sie da mit Pflanzen zu schaffen. Hauptsache, sie kennt sich gut aus mit ...'
Er knöpfte grinsend den überdimensionierten Hosenlatz seiner engsitzenden Lederhose auf und zog mit angestrengter Miene ein paar zusammengerollte Taschentücher heraus, mit denen er sich gemeinhin das Suspensorium ausstopfte, damit es schön prall aussah. Schließlich sollte die heißblütige Grafentochter, wenn sie gleich auftauchte, darin nichts vorfinden, was dort nicht hineingehörte ...
Er hatte seine Hose gerade wieder zugeknüpft, als er in seinem Rücken den schnellen Hufschlag eines weiteren Pferdes hörte, worauf er sich erwartungsvoll lächelnd umwandte. "Hier bin ich, Graciosa! Ihr habt Euch den Richtigen auserwählt, um vor Eurer Vermählung mit diesem lächerlichen Cronbiegler zu entfliehen! Ein Wort von Euch, und ich fordere den Lump und haue ihn mit einem einzigen Streich entzwei! Ein Diamant wie Ihr hat weit Besseres verd ...!"
Er brach ab, als er erkannte, wer dort angeritten kam. Azzatos vorher strahlende Miene verfinsterte sich sofort: "Du, Goldlöckchen?", rief er Ramin entgegen, dem schwächlichen anderen Mündel seiner Lehnsherrin. "Verschwinde! Ich habe hier gleich Angelegenheiten zu erledigen, die nicht für die Augen eines halben Kindes wie dir bestimmt sind! Was willst du überhaupt hier, du dürre Vogelscheuche? Soll mein Liebchen denken, dass ich mit einem Rohalsjünger wie dir Umgang habe? Wie peinlich! Das hier ist eine Campanya - ein Fehdezug - du Stubenhocker! Hier brauche ich allenfalls Lakaien, die kämpfen können - aber gewiss keinen Bücher lesenden Hungerhaken! Also los: Weg, weg, troll dich heim nach Selaque, du hässlicher goldäugiger Elfenbastard!"
Keine zwei Meilen von den beiden jungen Selaquern und Carano entfernt, ritt zur selben Zeit eine weitere Gruppe durch die Nacht, die wesentlich mehr Personen umfasste. Vorneweg trottete müde das alte Schlachtroß des Ritters Giromo von Wetterwacht, während sein Herr während des Reitens immer wieder kurzzeitig einschlief und zu schnarchen begann. Da das Ross jedoch von seinen beiden jugendlichen Knappen Alessio und Padro am Zügel geführt wurde, blieb dies ohne Konsequenzen. Alle drei waren gerüstet und bewaffnet, als ob sie in den Krieg zogen - selbiges galt, sogar noch mehr, auch für die beiden ihnen nachfolgenden Amazonen.
"Wenn die Sonne aufgeht," sagte Gujadanya da Vanya eben zu ihrer Mentorin und Seneschallin Jelissa Al'Abastra, "werden wir schon in Selaque sein! Wir müssen auf der Hut sein, denn ich traue dem fetten Sumpfhuhn zu, dass sie uns ein Aufgebot entgegenschickt, wenn sie von unseren Plänen Wind bekommt. So viele sind wir nicht, als dass wir uns schon in Kämpfe verwickeln lassen sollten, bevor wir unser Castillo erreicht haben!"
"Wenn man uns den Weg verstellt, so kämpfen wir und schleichen uns nicht wie feige Weiber um Praiosmins Leute herum", mischte sich die Landedle Delicia von Sebeloh von hinten in ihr Gespräch ein, die mit ihren vier eigenen Waffenknechten direkt hinter den Achmad'sunni ritt. Auf sie und ihr Gefolge folgten noch die vier Wildenfester Grenzreiter, die Gujadanya und Jelissa schon auf ihrem ersten Erkundungsritt nach Selaque begleitet hatten, und nach diesen nochmals acht marschierende Schrotensteiner Büttel der Familia da Vanya, die Belisetha schweren Herzens gen Vaqnyadâl detachiert hatte. Die vermutete Gefangennahme Berengars und die Besetzung ihres Castillos ließen ihr, der sonst so friedliebenden Landesmutter, leider keine andere Wahl.
"Was ist das, was dort rechter Hand in der Dunkelheit aufragt?", deutete die ortsfremde Jelissa in die angesprochene Richtung. "Da bewegt sich irgendetwas Großes!"
"Ein unbedeutendes Nest namens Carano!", wank Gujadanya ab und erschlug eine Mücke, die ihr das Blut aus dem ungepanzerten Hals saugen wollte. "Was du siehst, sind die Flügel einer Windmühle. Wer bei klarem Verstand sollte sich dort sonst um diese Zeit herumtreiben?"
Autor: von Scheffelstein
Aureolus knirschte mit den Zähnen. Der Caballero hatte ihn entdeckt! Er selbst hatte den Mann zuletzt aus den Augen verloren, da er das Pferd hatte zügeln müssen. Er war das Reiten nicht gewohnt, und mehrmals wäre er fast vom Ross gefallen. Zudem schmerzten seine Schenkel, als hätte jemand immer wieder einen Wetzstein darüber gezogen.
Verflucht noch eins, was machte der Mann hier, weit außerhalb des Dorfes? Das waren doch keine Linden, unter denen er stand, und mehr als drei waren es außerdem! War der Bursche dümmer, als er aussah? Nicht genug, dass er eine Linde nicht von einer Zypresse zu unterscheiden wusste, zählen konnte er offenbar auch nicht!
Wäre er nur langsamer geritten, fluchte Aureolus innerlich, dann hätte er den Caballero rechtzeitig entdeckt. Heimlich hatte er sich anschleichen wollen! Jetzt war sein ganzer schöner Plan dahin! Aber, nun gut, er konnte es nicht ändern, so musste er halt einen neuen Plan ersinnen – und das schnell. Ein Glück war ihm das Lügen schon immer leicht gefallen, denn lügen und sich verstellen musste er schon sein ganzes Leben lang.
"Hoher Herr!", stieß er keuchend hervor und rutschte aus dem Sattel. "Hoher Herr, ich bin hier, um Euch zu warnen!" Aureolus Beine zitterten, und er stützte sich auf seinen Stab, so steif und unbeweglich schienen ihm seine Knie. Nun, es konnte seiner Sache nur dienlich sein.
"Ihr mögt Euch wundern, warum ausgerechnet ich Euch folgte, um diese Warnung auszusprechen, denn bislang lebten wir in zwei verschiedenen Welten. Und doch weiß ich, wie sehr Euch meine ... unsere Herrin schätzt. Ihr seid ein aufrechter und ehrbarer Mann, der hoch in der Gunst Ihrer Hochgeboren steht." Aureolus neigte demütig den Kopf. "Ihr habt Besseres verdient, als einer solch schändlichen Intrige zum Opfer zu fallen!"
"Was faselst du da?", fragte Azzato ungehalten, der sich immer wieder umsah, ob nicht die Comtessa schon da wäre und sie zusammen entdeckte.
"Herr, es ist diese Harmamund. Morena von Harmamund. Sie ist eine bösartige Schlange! Ich habe gehört, was sie Euch sagte, und ich muss Euch leider berichten, dass keines ihrer Worte wahr gesprochen war." Aureolus setzte ein bedauerndes Lächeln auf. "So sehr ich Euch auch gönnte, dass Eure Zuneigung zu der ... nun ... der Comtessa erwidert würde, die wohl in den Augen eines Mannes der einen Blick für die Weiblichkeit und nicht nur die Bücher hat, sehr ansehnlich sein muss – so sehr ich Euch dies wünschte, muss ich Euch doch berichten, dass die Haarlocke, die Ihr erhieltet, Euch nicht aus freien Stücken von der Comtessa übergeben wurde."
Aureolus seufzte und blickte sich um, ehe er verschwörerisch seine Stimme senkte. "Diesen Morgen überhörte ich zufällig ein Gespräch, das die hohe Domna von Harmamund mit ihrem Begleiter führte. Wie heißt er gleich? Der Soldat – oder ist er Ritter? Dom Berengar di Cornimo? Ich hörte sie zu ihm sagen, sie hätte die blonde Locke, alles liefe nach Plan. Nun, ich dachte mir nichts dabei, aber nun fügt sich ein Mosaikstein zum anderen, und ich muss Euch warnen: Die Domna von Harmamund sprach vor einigen Tagen bei ihrer Hochgeboren vor, wie Ihr wisst, und sie bezweckt nichts Anderes, als das eroberte Castillo dieser anderen Familia zu erhalten. Wie heißen sie noch, diese Leute? Die ya Wandas? Wie auch immer: Domna von Harmamund möchte sich nun auf diesem Heerzug besonders hervortun. Euch muss sie dazu aus dem Weg räumen, und nun haltet Euch fest!"
Abermals blickte Aureolus sich um, dann trat er etwas näher. "Hoher Herr, Ihr seid in Lebensgefahr! Ihr dürft die Comtessa nicht treffen, noch weniger aber dürft Ihr sie berühren! Man will Euch – wie sagt man? – in flagrante delicto überführen, auf frischer Tat! Ich weiß nicht, wieweit die Comtessa in dieses finstere Spiel eingeweiht ist, Euch aber will man der Notzucht anklagen, und Ihr wisst, was dies für Euch hieße: Den Tod! Eine Dame von Stand und Namen der Comtessa unsittlich zu berühren, ja, sie gar zu vergewaltigen, wie man es Euch nachsagen würde, wäre unweigerlich Euer Ende."
In gespieltem Entsetzen schüttelte der junge Magier den Kopf. "Hoher Herr, ich schwöre Euch, dies ist es, was ich hörte! Bitte – um Eurer selbst Willen – glaubt mir! Ihr mögt mich für einen Schwächling halten, einen Bücherwurm und halben Mann nur, doch wir Akademiker sind götterfürchtige Leute, und niemals könnte ich mir verzeihen, wenn man Euch zu Unrecht henkte und ich nicht alles versucht hätte, den Tod eines ehrlichen Mannes zu verhindern."
Aureolus verneigte sich tief, dann plötzlich riss er furchtsam die Augen auf. "Oh, und bitte: Verratet mich nicht an die Harmamund! Der Reichsvogtin mögt Ihr erzählen, was ich Euch sagte und dass ich Euch warnte, denn sie ist eine fromme und ehrbare Frau. Aber der Harmamund nicht und keinem sonst nennt meinen Namen, ich bitte Euch! Ich fürchte diese Frau! Sie ist so falsch und grausam wie eine Viper, ich flehe Euch an, bringt mich nicht in Gefahr, ich bin nur ein Studiosus und nicht Manns genug, mich selbst meiner Haut zu erwehren!", flehte Aureolus händeringend.
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