Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 23
In der Baronie Selaque, 3. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf Burg Albacim[Quelltext bearbeiten]
3. Rondra, am späten Vormittag[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
Stundenlang lag Aureolus auf seinem Bett, die schmutzigen Kleider auf dem Boden, die Briefe neben sich auf der Decke. Er war müde, aber der Schlaf floh ihn, zu viele Gedanken kreisten in seinem Kopf. Mordaza hatte sich verändert. Vielleicht zürnte sie ihm mehr, als er geahnt hatte, dafür, dass er sie verlassen, sie bestohlen hatte. Vielleicht verlor sie auch mehr und mehr alles Menschliche, das sie noch an sich hatte. Er musste vorsichtig sein. Und er musste tun, was sie verlangte, in seines Vaters verborgene Kammern eindringen und ihr von dort holen, wonach sie verlangte. Falls er es nicht fand ... Sie war mächtig! Sie gebot über Diener der jenseitigen Sphäre. Aureolus fürchtete nicht viel, aber Dämonen waren ihm nicht geheuer. Selbst sein Vater hatte die Kreaturen der Niederhöllen stets gemieden, so weit er konnte.
Sag mir, Aureolus, hatte Rakolus der Schwarze ihn einmal gefragt, als er noch ein Knabe gewesen war, was tut ein reicher und mächtiger Mann, wenn ihn ein reißender Strom von Ländereien trennt, die er begehrt?
Er baut eine Brücke, Vater.
Rakolus der Schwarze hatte sacht gelächelt. Falsch, mein Sohn, hatte er gesagt. Er lässt eine Brücke bauen. Weshalb sollte ein Mann, der reich ist und mächtig, riskieren, im Fluss zu ertrinken oder sich an seinem Werkzeug zu verletzen, wenn er Diener hat, die für ihn das Werkzeug führen und die mühsame Arbeit im Fluss, die Gefahren auf sich nehmen?
Weil er keine Angst hat? Weil er mutig ist?
Rakolus hatte gelacht. Klugheit mag wie eine Schwester der Angst erscheinen, mein Sohn, doch niemals, niemals solltest du den Fehler machen, Torheit mit Mut zu verwechseln.
Mordaza war eine der Dienerinnen seines Vaters gewesen, die für ihn in die Fluten gesprungen und das Werkzeug geführt hatten, die ihr Leben und ihre Seele aufs Spiel gesetzt hatten, weil sie für Mut – und auch Macht – gehalten hatten, was in Wahrheit Torheit war.
Als die Sonne höher kletterte, wurde es laut auf dem Burghof. Soldaten seiner Mutter schienen Waffen an die Bauern und Bürger auszugeben, und die Gräflichen machten sich zur Abreise bereit. Aureolus trat ans Fenster, lehnte die Schläfe an den kühlen Stein und beobachtete aus dem Schatten heraus, wie die Soldaten ihre Pferde bestiegen, wie die liebreizende Comtessa den Männern Befehle erteilte, ihr Haar ein goldener Kranz im Licht der Sonne, ihre Haltung stolz, ihr Gesicht – zornig?
"Romina", flüsterte er, "geh nicht!" Ein plötzlicher Stich ließ sein Herz sich verkrampfen. Würde Mordaza sie erkennen, wenn sie sie sah? Was hatte die Magierin in seinem Geist gesehen? Hatte er sie täuschen können? "Du bist sicher", flüsterte er Romina zu, die fast dreißig Schritt unter ihm ihr Ross wendete. "Ich beschütze dich! Immer!"
Sehnsuchtsvoll beobachtete er die Abreise der Gräflichen, verfolgte die Reiter mit den Augen, bis sie die Burg verlassen und auf dem gewundenen Weg hinab zum Marktplatz Selaques immer kleiner wurden und schließlich seiner Sicht entzogen waren.
Aureolus beugte sich über die Waschschüssel. Er sah furchtbar aus. Bleicher noch als sonst, mit tiefen Augenringen, Würgemalen am Hals und drei langen, blutigen Kratzern auf der Wange, wo Mordazas Krallen ihn getroffen hatten. Aureolus wusch sich Blut und Schmutz vom Körper und schrubbte seine Haut, bis der Gestank, der ihr anhaftete, verschwunden war. Mit nassen Haaren schlüpfte er in eine frische Robe und weiche Stiefel, schlug die Briefe in ein Tuch ein und nahm seinen Stab zur Hand.
Er fand seine Mutter in ihrem Arbeitszimmer. Sie schritt unruhig auf und ab, wie sie es zuweilen tat, wenn sie aufgeregt war und nachdachte. "Aureolus!", rief sie aus, als er den Raum betrat und eilte freudestrahlend auf ihn zu.
Aureolus schloss die Tür hinter sich und hielt sie mit seinem Stab auf Abstand, um einer Umarmung entgegenzuwirken – von Umarmungen hatte er genug nach dieser Nacht!
"Ich habe Eure Briefe!", sagte er, zog das mit dunklen Flecken übersäte Papier hervor und warf das Päckchen auf den Tisch. Der abgerissene halbe Brief wehte an den Rand des Tisches.
"Oh, mein Goldschatz!", rief sie und eilte auf den Tisch zu, aber Aureolus versperrte ihr mit dem Stab den Weg. Sie sah ihn an, verärgert und auch ein wenig erschrocken, als sie ihn erstmals näher in Augenschein nahm.
"Dies sind meine Briefe", erklärte er scharf, "Briefe an meinen Vater, und ich habe sie zurückgeholt."
"Was ...? Aber ... Nun, mein Goldjunge, mein lieber Sohn, es ist sehr tapfer von dir, dass du sie zurückgeholt hast. Aber Briefe sind etwas sehr Privates. Ich weiß nicht, ob ich möchte, dass du sie liest."
"Niemand wird sie lesen!", zischte Aureolus, ließ ein Feuer am Ende seines Stabes entstehen und hielt die rauchlose Flamme an die Briefe.
"Was machst du?", kreischte Praiosmin entsetzt, als das fleckige Papier sofort lichterloh zu brennen begann.
"Wisst Ihr eigentlich, was mich Eure verfluchten Briefe gekostet haben?", fragte Aureolus, der sie weiterhin daran hinderte, an den Tisch zu gelangen, während beide mit ansahen, wie das Papier zu schwarzer Asche zusammenschrumpelte. "Dies ist das letzte Mal, dass ich den Kopf für Euch hinhalte, wegen Eurer kleinlichen Fehden. Das letzte Mal!"
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