Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 06
In der Baronie Schrotenstein, 3. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Castillo Schrotenstein[Quelltext bearbeiten]
3. Rondra, morgens[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Als sich Belisetha da Vanya zwei Stunden vor dem im Zerwürfnis endenden Frühmahl auf Castillo Albacim dreißig Meilen weiter südwestlich, auf der Burg ihres Sohnes vom Schlaflager hochstemmte und ihrer jungen Leibdienerin Yusufina dabei zusah, wie sie die Kissen aufschüttelte und den vollen Nachttopf einfach aus dem Fenster leerte, fühlte sie sich wie zerschlagen nach einer grauenvollen Nacht voller Alpträume. Sie wusste nicht, ob es mit den Gargylenfratzen außen an diesem hässlichen basaltschwarzen Castillo, an den vielen merkwürdigen Begebenheiten, wie sich selbst öffnenden Türen oder niemals leer werdenden Weinkrügen, lag oder ob dieser ganze Ort schlicht von den Göttern verflucht war - aber hier schlief sie niemals sonderlich gut und vielen anderen aus ihrem Gefolge ging es ebenso.
"Habt Ihr heute Nacht auch den Wolf heulen gehört?", fragte Yusufina wortkarg, die normalerweise andernorts schon frühmorgens zu ausschweifender Plapperei aufgelegt war.
"Ich habe etwas heulen gehört", bestätigte Belisetha, der mit ihren nunmehr 72 Götterläufen das morgendliche Aufstehen immer schwerer fiel. "Aber hier in unserem schönen Bosquiria gibt es keine Wölfe! Allenfalls Schakale vielleicht oder die blutrünstigen Khoramsbestien, die die Wilden Hiyanen nennen!"
"Ich habe gestern im Ort mit den Fischern gesprochen", schüttelte Yusufina den Kopf. "Sie sagen, seit Tagen läuft ein großer grauschwarzer Wolf oder ein Wolfshund am Seeufer auf und ab und heult auf den See hinaus, sodass selbst den Fischen Angst und Bange wird. Die Fischer wollen ihn mit ihren Netzen einfangen und dann mit Knüppeln totschlagen."
Belisetha zuckte mit den Achseln: "Sollen sie! Mir steht im Moment der Kopf nach wichtigeren Dingen! Ist bereits Verstärkung eingetroffen? Und was ist das überhaupt für ein Radau?"
Seit die Zofe das Fenster geöffnet hatte, war vom Burghof her ein fortdauerndes metallisches Scheppern zu hören.
"Ja, die Edle von Briesach ist heute früh mit vier Waffenknechten eingetroffen, auch der schmucke Caballero von Wetterwacht hoch zu Ross, der Euch immer so anhimmelt und verehrt, Domna Belisatha! Der Lärm, das sind nur Eure Großnichte und die andere Amazone. Sie schlagen sich scheinbar gegenseitig die Schädel ein", erklärte Yusufina nach einem genaueren Blick aus dem Erkerfenster und kam dann mit einem Kamm bewaffnet auf Belisetha zu, um das dünn gewordene weiße Haar ihrer Herrin in ansprechende Form zu bringen.
"Waaas?", frug Belisetha und kam überraschend behände nähergehumpelt, um selbst einen Blick aus dem Fenster zu werfen. In der Tat schlugen die beiden Achmad'sunni unten im Hof schweißglänzend aufeinander ein - beide waren nur mit dem metallenen Lamellenrock der Amazonen bekleidet. Jelissa trug darüber wenigstens noch ihren Torsopanzer, aber Gujadanya war nur mit einem über die Brüste gebundenen Tuch 'bekleidet', welches das meiste ihres athletischen, muskelbepackten Körpers freiließ. Belisetha war klar, dass dies nur ein Übungskampf war - aber sämtliche Wachen auf den Zinnen, die eigentlich die Umgebung im Auge behalten sollten, glotzten nur auf die Amazonen, grinsten mit geilem Blick und feuerten die zwei Combattantinnen sogar noch feixend an.
"Aufhören!", rief Belisetha hinunter. "Gujadanya! Sofort aufhören!"
Die beiden Kämpferinnen hielten kurz in ihrer Waffenübung inne und blickten stirnrunzelnd zu ihr hinauf. Dann gab Gujadanya ihrer Mentorin ein Zeichen, fortzufahren und nach kurzem Zögern kam die ältere Amazone dieser Aufforderung nach.
Belisetha knallte wütend das Fenster zu. Mit jedem Tag wurde Gujadanya ihrer Mutter ähnlicher, gewiss würde sie eines nicht mehr fernen Tages noch halsstarriger und eigensinniger als Rifada sein, was jedem normalen Menschen unmöglich erscheinen musste. Ärgerlich ließ sich die alte Junkerin von Wildenfest von ihrer Dienerin ankleiden und sich dann von ihr die Treppe in den großen Speisesaal der Burg hinunter führen.
Dort saßen bereits etwa zwanzig Männer und Frauen des Burggesindes an den Lakaientischen beim Frühmahl. An der herrschaftlichen Tafel saß bereits Wolpert Dragentodt, ein aus dem mitternächtlichen Weiden stammender Gefolgsmann ihres Sohnes Lucrann, der hier auf der Burg in dessen Absentia das Commando führte, solange sie selbst als Baronsmutter nicht anwesend war. Der donnernde Bass des nordländischen Recken gab offenbar gerade irgendeinen Schwank aus seiner Heimat zum Besten, auf den die beiden anderen Personen, die mit ihm bei Tisch saßen, in perlendes Gelächter ausbrachen.
Belisetha erkannte sie beide schon von hinten an ihrem gänzlich unterschiedlichen 'Haarpracht' - zur Linken den inzwischen vollkommen kahlköpfigen Schädel des Caballeros Giromo von Wetterwacht, der schon auf dem gleichnamigen Wehrturm auf einem Hügel im Norden Schrotensteins gesessen hatte, als sie selbst noch in jungen Jahren Baronin dieses Landes gewesen war. Ihm zur Rechten sah sie die lange dunkelblonde Mähne der Edlen Delicia von Sebeloh zu Briesach, deren Haar bis fast hinunter auf die Bank reichte. Fast alle Männer Schrotensteins beteten die Edle an - aber genauso fürchtete man auch ihren schwachsinnigen Bruder, den man den Doppel-Gasparo nannte, und der offenbar erneut - wie schon einmal einige Jahre zuvor - Belisethas Aufforderung zum Waffendienst keine Folge leistete.
"Domnas y Doms!", trat Belisetha nickend ans Kopfende der Tafel, worauf sich sofort alle anderen - auch die Lakaien an ihren Tischen - von ihren Plätzen erhoben und sich nach einem gemeinsamen Gebet erst wieder niedersetzten, als auch die Baronsmutter Platz genommen hatte.
"Meiner Treu", schwor ihr der alte Kavalier Giromo sogleich. "Ich vermag kaum zu glauben, wie lange ich Euch schon diene, holde Domna Belisetha, denn wenn ich Euch so vor mir sehe, so erblicke ich noch haargenau dieselbe, die mich vor 43 Sommern belehnte!"
"Woran das liegt, habt Ihr Euch schon selbst beantwortet, mein lieber Dom Giromo", antwortete ihm Belisetha schelmisch. "42 - nicht 43! - Götterläufe sind eine lange Zeit, die unser beider Augenlicht getrübt haben. Aber dennoch bin auch ich hocherfreut Euch zu sehen - wie immer, wenn die drei güldenen Greifen Eurer Hilfe bedurften!"
"Ihr wisst, Herrin: Eure Ehre ist auch die Meine!", strahlte der alte Charmeur stolz, während vom Eingang her die beiden Amazonen schnurstracks auf die herrschaftliche Tafel zuhielten. Gujadanya trug noch immer den unzüchtigen Aufzug ihrer Waffenübungen, das lange schwarze Haar hing ihr offen und nassgeschwitzt über die nackten Schultern, sodass fast alle Männer im Saal verstohlen die Köpfe drehten und zu ihr herüberblickten. Gujadanya knallte ihren Säbel achtlos auf das Ende der Tafel, der offensichtlich keine stumpfe Übungswaffe gewesen war und machte schon Anstalten, sich damit ein Stück von dem großen Brotlaib abzuschneiden, der in der Mitte des Tisches stand. Glücklicherweise hielt ihr Jelissa Al'Abastra rechtzeitig hilfreich ihren eigenen Dolch hin, sodass Belisethas Großnichte stattdessen zu diesem griff, um ein gutes Viertel des Brotes für sich abzutrennen.
"Wann brechen wir auf?", frug sie, ohne sich den übrigen Tischgästen vorzustellen. Diese ahnten ohnehin schon, wessen Tochter sie sein musste.
"Ich bitte Euch, das Ausbleiben meines Bruders zu entschuldigen!", wandte sich nun die schöne Delicia von Sebeloh an Belisetha. "Ihr wisst, seit er als Kind fast im See ertrunken wäre, ist er bisweilen ... äh, sagen wir: etwas umnachtet, und vielleicht hat er Euren Aufruf zur Armeria einfach nicht als solchen verstanden."
"Schade für ihn!", nickte Belisetha missmutig. "Einen solchen Bären von einem Mann hätten wir wohl auf unserem Zug ins Vanyadâl gut gebrauchen können - so aber weiß ich nicht, ob er noch länger Herr auf Burg Briesach bleiben kann ..."
Die Blondine schluckte bekümmert: "Grollt ihm nicht, Herrin, denn ich werde auf diesem Zug alles für ihn gut machen! Briesach ist alt und verfallen, mehr eine Ruine denn eine Burg - wer außer ihm würde dort leben wollen?"
"Euer Bruder ist uns doch vollkommen gleichgültig!", fauchte Gujadanya dazwischen. "Wann wir aufbrechen können, wollte ich wissen! Jeden Augenblick, den wir hier herumsitzen und zögern, nutzt die fette Wachtel von Albacim um ihre Defencia zu verstärken! Vielleicht hockt sie jetzt in diesem Augenblick mit ihren Speichelleckern zusammen, um einen Angriff auf uns zu planen und unseren Stammbaum endgültig zu entblättern! Wer weiß schon, ob man dieser Richeza trauen kann und ob auch Hilfe aus Quazzano auf dem Marsch ist? Nein, wir selbst müssen handeln, von uns hängt alles ab!"
Sie nahm Jelissas Dolch wieder auf und ritzte damit ein Kreuz in die Tischplatte. "Hier liegt das Vanyadâl mit unserem Castillo!" Ein weiterer langer krummer Strich wurde über den Tisch gezogen. "Hier fließt die Selaqua!"
Belisetha schrie entsetzt auf: "Gujadanya! Mein Tisch ist keine Landkarte!"
Unbeirrt setzte die junge Amazone ihre Messerzeichnung fort: "Hier hocken wir, in Schrotenstein, und dort liegt Wildenfest, von wo aus meine Mutter mit einem weiteren Trupp anrückt."
"Ich habe bei meiner Abreise ausdrücklichen Befehl gegeben, dass kein Soldat die Reichsgrenzfeste ohne meine Erlaubnis verlässt!", widersprach ihr Belisetha mit verzweifeltem Blick auf ihre Tischplatte.
"Ach, Mutter regelt das schon!", winkte Gujadanya den Einwand einfach beiseite. "Wir werden also voraussichtlich hier, südlich des Krötensees, auf die Verstärkung und auch auf eventuelle Gegenwehr aus Selaque treffen. Würden wir nicht über die Landstraße, sondern querfeldein durch die Elentinische Ebene ziehen, so könnten wir diese zwar wahrscheinlich umgehen - aber dann stünden die Wildenfester alleine gegen Praiosmins Schergen. Dass sich die Ratte höchstpersönlich aus Albacim herauswagt, halte ich für eher unwahrscheinlich. Aber man erzählt sich in Selaque von einer gewissen Yegua von Elenta, die angeblich mehr vom Kriegführen verstehen soll als ihre fette Soberana!"
"Wir wollen keine Baronienfehde mit Selaque vom Zaun brechen!", erinnerte sie Vogt Wolpert Dragentodt, dem die direkte unverblümte Art der jungen Frau durchaus gefiel. "Es geht nur darum, dass Eurer Familia gehörende Castillo da Vanya zurückzugewinnen. Ist dies bewerkstelligt, so ziehen wir uns umgehend wieder nach Schrotenstein zurück. Unser Platz und unser Lehen sind hier!"
"Dagegen ist nichts zu sagen!", prostete ihm Gujadanya mit ihrem Becher zu, verzog dann aber sogleich angewidert das Gesicht, als sie feststellte, dass er Minztee enthielt.
"Dann trinken wir auf unseren Sieg über die Bosqurische Jungfer!", hob der alte Recke Giromo ebenfalls mit großer Geste seinen Becher, und alle anderen Tischgenossinnen und -genossen taten es ihm gleich - wenn auch teilweise mit säuerlichem oder nachdenklichem Blick.
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