Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 15

Der Baron tanzt

Wie sich Dom León und Dom Halmdahl an der Escarrabrücke begegneten. Wie der Koscher Caballero den Waldwachter Baron zu einem Tänzchen auf der Brücke aufforderte und wie eine Ragather Bürgerstochter dazu aufspielte.


Baronie Taubental, 2. Travia 1033 BFBearbeiten

An der Escarrabrücke (2. Traviastunde)Bearbeiten

Autoren: vivar, Geron

Zur vierten Stunde wehte das Dachsbanner Halmdahls an der Escarrabrücke. Er selbst war, ebenso wie sein Gefolge, in voller Rüstung und schwer bewaffnet angetreten. Einzig seinen Helm hatte Halmdahl noch nicht übergestülpt. Hinter ihm saßen neben den beiden anderen Rittern sechs weitere Waffenknechte hoch zu Ross. Sie waren eine raue Schar. Nicht gerade schön anzusehen, aber dafür kampferprobt und aufeinander eingeschworen. Die Röcke und Wämser der Koscher hatten bereits bessere Zeiten gesehen und auch die Schilde und Rüstungen der Männer und Frauen waren oft reichlich lädiert. Umso schärfer aber blitzten die Äxte, Streitkolben und Lanzen, welche die Reiter in der Hand führten.

Verborgen durch das Unterholz waren, zu jeder Seite der Brücke, je zwei Armbruster. Man wusste ja nie bei diesen Almadanern. Im Kosch erzählte man sich so mancherlei grausige Mär über die südlichen Nachbarn. Halmdahl würde sich jedenfalls nicht so einfach überraschen lassen.

Zum wiederholten Mal überprüfte er den Sitz seines Schwertes, als endlich jenseits der Brücke der erste Reiter auf der Kuppe des Waldweges erschien. Er war mit Kürass und Morion gerüstet, seine Gewandung war blau. Über seinem Kopf wehte ein ebenso blaues Banner, auf dem die silberne Schwertlilie der Familia Vivar prangte. Langsam und mit aufmerksamem Blick ritt er die Kuppe hinab auf die Brücke zu.

Dann erschienen drei weitere Reiter auf der Kuppe. Die Person zur Linken war aufgrund des drallen Körpers in speckiger Lederkleidung, der wilden Locken und des markanten Gesichts mit der scharfen Nase sofort als Nuerta, die zahorische Botin des Barons, wieder zu erkennen. Die Person zur Rechten schien ihr komplettes Gegenteil zu sein. Es war eine knabenhaft zierliche Frau mit glattem schwarzen Haar und einer Stupsnase, gewandet in eine schlichte dunkelgraue Robe und bis auf einen Spazierstock mit Silberknauf vollkommen unbewaffnet. Inmitten der beiden Frauen lächelte, aufrecht und respektlos lässig zugleich auf seiner schwarzen Shadifstufe sitzend, der Baron auf die am anderen Flussufer versammelten Koscher herab, die es deuchte, Khabla selbst sei ihnen erschienen.

Jeder Spann seines männlichen Körpers schien wie von einem göttlich beseelten Künstler gemeißelt. Kraftvoll spannte sich seine Brust unter dem Wams aus cremefarbenen Leder, das wohl eigens für ihn geschnitten worden sein musste, denn auch die breiten Schultern und die kräftigen Arme zeichneten sich vorteilhaft darunter ab. Auch die ledernen Beinlinge, die Stulpenstiefel und die Handschuhe waren von heller Farbe, welche den bronzefarbenen Teint seiner reinen Haut betonte. Selbst der lederne Reitmantel, offen getragen und innen mit blauem Samt gefüttert und mit Lilien bestickt, war außen cremefarben, so dass nur der schwarze Caldabreser mit den beiden Federn (in blau und weiß) einen Kontrapunkt setzte.

So kraftvoll der Leib des Barons war, so fein und edel waren seine Gesichtszüge. Die hohen Wangenknochen und die großen, tiefschwarzen Augen ließen eine entfernte Ahnung von elfischer Schönheit aufkommen. Der säuberlich gestutzte Bart und die vollen Lippen, gemeinsam mit der geraden Doppelreihe strahlend weißer Zähne, der geraden bosparanischen Nase und dem Eslamszopf jedoch rundeten den Gesamteindruck wieder zu einem menschlichen Idealproportionen entsprechenden Bild ab.

Obwohl er mit Degen und Linkhandklinge gerüstet war, strahlte León Said Dhachmani de Vivar y Vivar, der sechste seines Namens, eine Freundlichkeit und Schönheit aus, welche Ritter Halmdahls Gefolgsleute für einen Augenblick zweifeln ließ, warum in drei Dämonen Namen sie diesem sympathischen Herrn in den Büschen auflauerten.

Diese Frage sollte sich jedoch nur zu bald klären, denn hinter dem Baron erschien alsbald ein Dutzend weiterer Kürasser in blauer Tracht, deren hochgereckte Lanzen und gegürtete Säbel die Ernsthaftigkeit der Lage unterstrichen.

Indes lenkte der schöne León de Vivar sein Ross gemächlich bis an den Fuß der Holzbrücke, wo er anhielt und seine wohl tönende Stimme sanft über die rauschende Escarra hinweg erklingen ließ: „Rahja zum Gruße, Dom Halmdahl! In der Grafschaft Waldwacht ist es nicht usus, dass gemeine Briganten und Plünderer das trauliche Gespräch mit den Bestohlenen suchen. Viel eher pflegen letztere durch die Gharrucha, eines jener monströsen Produkte almadanischen Erfindungsgeistes, zu ersteren zu sprechen. Da heute aber ein so schöner Tag ist und das Hochfest der Santa Catalina vor der Tür steht, wäre man geneigt einmal auf die Einhaltung der guten alten Sitten zu verzichten und mit Euch darüber zu parlieren, welcher Dämon Euch diese Narretei von vergangener Nacht in den Kopf gesetzt hat.

Wie ich sehe, seid Ihr ebenso gut akkompaniert zu dieser Unterredung erschienen wie ich selbst.“ Sein Lächeln wurde breiter, als er mit der Hand eine vage Geste in Richtung der Bewaffneten machte. „Um aber Gedränge auf der Brücke und daraus folgende Damagen des Gebälks oder gar... Unfälle zu vermeiden, würde man allerdings advisieren, dass ein jeder verharre, wo er ist, und wir beide uns zu Fuß in der Mitte der Brücke treffen – in privatim, sozusagen.“ Mit seinen tiefschwarzen Augen blickte er Halmdahl direkt an.

Halmdahl musste bei dem Auftreten des Barons an einen eitlen Pfau denken. Trotz allem konnte er nicht verneinen, dass Dom León ein gewinnendes Lächeln besaß. Vor allem aber wurde ihm bei aller Pracht des Vivar und seiner Gefolgsleute die eigenen bescheidenen Ausstattung umso bewusster. Auf die Aufforderung des Barons nickte Halmdahl nur zustimmend und sattelte ab. Den Helm unter dem Arm geklemmt, näherte sich Halmdahl langsam der Mitte der Brücke. Seine Plattenrüstung klapperte dabei leise. Im Vergleich zu der Eleganz Dom Leóns wirkte Halmdahl wie eine Wildsau, die durch einen Rosengarten trampelte. Der Almadaner verlieh all seinen Bewegungen eine Leichtigkeit, die Halmdahl staunen ließ. Wie er absattelte und sich beschwingt der Brücke näherte, machte er nicht den Eindruck, als ob er mit einem Mann verhandeln würde, der erst kürzlich seine Skrupellosigkeit unter Beweis gestellt hatte. Viel eher schien es, als würde Dom León auf einem Sommerfest flanieren. Dennoch entging Halmdahl die linke Hand des Vivar nicht, die leicht auf dem Degenknauf ruhte.

Halmdahl neigte leicht das Haupt, als sich die beiden Männer gegenüber standen. Er hatte sich den Baron kleiner vorgestellt. Immerhin war Halmdahl es gewohnt die kleineren Südländer stets um Haupteslänge zu überragen.

„Hochgeboren“, eröffnete er höflich das Gespräch. „Es ist mir eine Freude, dass Ihr meinem Ersuchen nachgekommen seid. Mir liegt es fern Euch zu schaden. Es trug sich jedoch vor wenigen Monden zu, dass ein gewisser Rezigus von Albingen, der sich Baron von Taubental nannte, sich bei meinem Vater Ontho einfand und mir bei dieser Gelegenheit das Edlengut Waldhaus übertrug. Er verwies darauf, dass Kaiserin Rohaja ihn zum rechtmäßigen Baron ernannt hatte und er damit alle Befugnisse in den Händen hielte.

So habe ich mich aufgemacht um meinen Besitz zu beanspruchen. Mit Euch aber habe ich keinen Hader und so will ich Euch Frieden halten, solange Ihr ihn ebenso wahrt.“

„Soso“, fuhr sich der schöne Baron nachdenklich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken, „ein gewisser jemand hat also Euch gesagt, jemand habe ihm gesagt, er sei Baron von Taubental und deshalb könne er Euch sagen, dass Ihr nun der Edle von Waldhaus wärt, woraufhin Ihr mit einer Rotte...“ – er ließ das Wort ‚Wildschweine’ unausgesprochen, ließ aber den Blick über die Begleiter Dom Halmdahls schweifen – „in diese Lande hereinbrecht und Tod und Verderben verbreitet. Ich möchte Euch freilich nur ungern mangelnde Hesindialität unterstellen, aber dünkt Euch nicht, dass das ein äußerst wackliger Rechtsanspruch ist, den Ihr da durchzusetzen sucht?

Wäre ein elfisches Spitzohr an Euch herangetreten und hätte behauptet, es sei der Bergkönig Arombolosch höchstpersönlich und hiermit wäret Ihr der Dom in den Minen von Murolosch, so wäret Ihr gewiss auch losgezogen um Euren Besitz zu beanspruchen, ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, dass der Elf Euch belogen haben könnte, und hättet Euch eine blutige Nase geholt? Ich sage Euch, mein Lieber, wer auch immer dieser Rezigus ist – und man hat da einige Vermutungen – er hat Euch belogen. Baron im Taubental ist niemand außer mir, León de Vivar, denn Groschka Tochter der Bulgi, die Zwergengräfin von Waldwacht, eingesetzt von Bergkönig Arombolosch – dem echten! –, hatte die Gnade mich zu einem solchen zu ernennen. Zudem herrschten meine Väter und Vorväter seit über 500 Götterläufen über alles Land zwischen Rôn und Escarra.

Da dies nun einmal eine unumstößliche Tatsache ist“, fuhr er mit ausgesuchter Höflichkeit fort, „so habt Ihr bedauerlicherweise wider gutes und altes Recht verstoßen, als ihr meinen Aftervasallen Falk Fröhling und seinen Mundillo vom Leben zum Tode befördertet. Nun haltet Ihr das Edlengut Waldhaus besetzt, das durch ihren Tod in meinen Besitz heimgefallen ist, Ihr haltet mein Mündel, Domnatella Flavia, in Gefangenschaft, Ihr habt drei für die Heilige Gemeinschaft der Freuden bestimmte Wagenladungen geraubt und Ihr habt vermutlich auch einigen Schaden auf dem Edlengut angerichtet.

Gewiss versteht Ihr, dass man Euch nach diesen beklagenswerten Vorfällen nicht gerade als Busenfreund betrachtet, ja vielmehr großen Wert auf Euer unverzügliches Ableben legt. Selbst wenn Ihr behauptet, es nicht intendiert zu haben, so habt Ihr mit dem Angriff auf meinen Vasallen mich angegriffen. Der Almadaner Landrechtsbrauch verlangt es, dass ich diese Angelegenheit persönlich nehme und Euch den Hader erkläre – es sei denn, Ihr erfüllt die folgenden vier Konditionen.“ Er zählte an den Fingern auf:

„Ad primum, die Herausgabe des Edlenguts Waldhaus. Ad secundum, die Herausgabe Domnatella Flavia Fröhlings. Ad tertium, die Herausgabe der drei Wägen für das Taubentaler Kloster. Ad quartum, die Überstellung der Mörder Dom Falks und seines Mundillos, damit sie ihrer gerechten Strafe entgegentreten.“

Abwartend verschränkte der Vivar die Arme vor der Brust.

Halmdahl hatte den Ausführungen des Barons stumm gelauscht. „Es liegt nicht in meiner Natur einem hochgeborenen Freund meines Vaters zu misstrauen, oder ihn gar der Lüge zu bezichtigen. Wenn Ihr allerdings von der Gräfin Groschka zum Baron ernannt wurdet, ist daran nicht zu rütteln. Dieser Umstand war mir jedoch nicht bekannt. Wo Ihr aber gerade vom Lügen sprecht, mag es sein, dass Ihr mich an der Nase herumführt und Euch den Umstand zu Nutzen macht, dass wir Koscher viel auf das Wort der Bergkönige geben.

Eure Forderungen sind jedenfalls gänzlich unakzeptabel. Der Edle Falk hat sich zu Tode erschreckt, als ich sein Lehen in Besitz nahm und sein Sohn hat sich mit seinen Fuchteleinen sein Schicksal selbst beschert. Die Wägen für das Kloster gebe ich selbstverständlich heraus. Die Händlerin hatte uns versichert, sie wären für Euch bestimmt. Wenn es sich jedoch um den Besitz der Kirche handelt, wollen wir freilich nicht an den Wägen festhalten.

Eure übrigen Forderungen muss ich aber ablehnen. Wenn Ihr einen Mörder sucht, so werdet Ihr hier nicht fündig. Wenn Ihr aber Euer Mütchen kühlen wollt, so müsst Ihr mit mir die Klinge kreuzen, denn meine Männer und Frauen folgten nur meinem Befehl.“ Halmdahls Blick hatte sich während seiner Rede von verwirrt zu selbstsicher und herausfordernd gewandelt. Der Almadaner konnte ihm ja viel erzählen!

Dom Leóns sorgloses Zahnweiß-Lächeln, das er bis jetzt nicht abgelegt hatte, war bei den Worten des Koschers immer schwächer geworden und schließlich ganz verschwunden, um zornig zusammengezogenen Augenbrauen Raum zu geben. „Man hätte gerne weiter mit Euch geplaudert, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als wolltet Ihr mir mit aller Kraft den Tag verdrießen sowie mich drängen, diese leidige Angelegenheit persönlich zu nehmen und Euch als ihren Verantwortlichen und Verursacher zu betrachten. Zu Eurem Pech verspüre ich große Lust, Euer Angebot anzunehmen, denn mit Eurer impertinenten Uneinsichtigkeit und Eurem kleinlichen Zweifel an der Wahrheit meiner Worte erhitzt Ihr mir wahrlich die Galle!“ Er tat er einen federnden Schritt zurück, legte die Rechte auf den Degen, zog die Klinge blank und ging in Grundposition.

Hinter ihm riss die knabenhafte Domna in der Robe erschrocken Augen auf und legte die Hand vor den Mund, als wolle sie einen Schrei unterdrücken. Nuerta rief: „Dom León! Was tut Ihr? Der Haferyaquirier hat einen Vollharnisch!“

Doch der Vivar achtete ihrer gar nicht. „Kommt nur, Dom Halmdahl!“, rief er. „Auch wenn Ihr Euch in Blech rüstet, so seid Ihr nicht der erste Eber, den ich durchbohrt habe!“ Der Almadaner Kampfhahn in ihm war erwacht und hatte den harmonischen Rahjajünger in ihm zum Schweigen gebracht.

Halmdahl von Sindelsaums Mundwinkel zuckten, als er sich mit Bedacht die Schaller aufs Haupt setzte. „Für jemanden, der einem gerüsteten Koscher Ritter mit nichts als einem Ledermäntelchen und einer dünnen Klinge entgegentritt, seid Ihr ganz schön vorlaut, Herr León. Darüber hinaus ist mein Zeichen nicht der Eber, sondern der Dachs“, zog er klirrend das Langschwert aus der Scheide. Der Helm ließ die Worte dumpf über die Brücke dröhnen.

„Eber, Dachs, einerlei“, grinste der Almadaner Baron. „Beide wühlen im Dreck. Darüber hinaus ist meine dünne Klinge aus Taladurer Stahl – und ich habe noch eine zweite!“ Mit diesen Worten zog er mit der Linken einen Dolch hervor. Er hob den Degen in die Höhe und rief: „Musik, Maestra Lariana! Dom Halmdahl und ich möchten ein Tänzlein wagen. Eine Pasacalle? Nein, zu bäurisch. Besser eine Pavane! Wir wollen unseren Tanzpartner ja nicht sogleich außer Atem bringen.“

Die grauberobte Domna hob mit einem schüchternen Lächeln ihren Spazierstock, bewegte leise die Lippen und zählte dann laut vernehmlich: „Eins. Zwei. Drei. Vier.“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, erklangen, wie aus dem Nichts, eine Posaune, eine Schalmei, eine Vihuela und eine Drehleier und spielten die getragenen Töne des 'Pfauentanzes', wie er landauf landab in Yaquirien getanzt wurde, immer dem geschwungenen Spazierstock der Maestra folgend, der den Takt vorgab.

Der Vivar verneigte sich lächelnd vor seinen behelmten Gegner. Dieser, der almadanischen Spielereien allmählich überdrüssig, tat einen Schritt nach vorne und versuchte einen ersten, kraftvollen Hieb von oben herab zu platzieren, was ihm aber misslang, denn Dom León lenkte ihn mit einer eleganten Bewegung seines gerade ausgestreckten Degens zur Seite ab. Gleich darauf wich er mit einem federnden Tanzschritt ein Stück zurück um wieder die ursprüngliche Mensur zu erreichen. So ging es mehrere Male: Der Koscher schwang mit Wucht sein Schwert und der Waldwachter lenkte mit dem Degen die Schläge ins Leere, wich dabei allerdings ständig zurück.

Als sie Dom Leóns Seite der Brücke erreicht hatten, nahm dieser den nächsten Hieb mit dem Linkhanddolch entgegen, lenkte ihn nach außen, und setzte eine schnelle Riposte auf Kopfhöhe an, der Dom Halmdahl nur durch einen Schritt nach schräg hinten entgehen konnte. Sofort tat Dom León wieder einen Schritt nach schräg vorne und streckte dem Koscher seinen Degen am geraden Arm entgegen, um ihn auf Abstand zu halten. Ein weiterer schneller Stich samt Ausfallschritt, und die beiden Kontrahenten hatten die Seiten gewechselt.

So ging es eine Weile auf der Brücke hin und her. Von dem unsichtbaren Orchester beflügelt, hielt Dom León den wuchtig dreinschlagenden Koscher auf Abstand. Wann immer der geharnischte Halmdahl es unternahm um den ausgestreckten Degen herum an den Almadaner heran zu kommen, parierte dieser bereits die Schwäche des Langschwerts, machte eine leichtfüßige Schrittfolge vor und und zurück oder zur Seite, und die Ausgangssituation war wieder erreicht.

Dem Sindelsaumer liefen unter seiner schweren Rüstung bereits die ersten Schweißtropfen herab, während er seinem Gegner leider nichts anmerkte bis auf die Tatsache, dass sein penetrantes Lächeln einem aufmerksamen Blick gewichen war. ‚Dir wird’ ich schon zeigen, dass wir auch im Kosch zu tanzen wissen, Almadaner Pfau’, dachte Halmdahl. Er packte sein Schwert mit beiden Händen und mit einer unregelmäßigen Mischung aus Seit- und Scheitelhieben trieb er Dom León vor sich her, bis dieser mit dem hinteren Fuß an die hölzerne Balustrade stieß, welche die kämpfenden vom rauschenden Wildbach trennte. Zum ersten Mal war Überraschung auf seinem Gesicht zu sehen. Halmdahl grinste. Dem nächsten Schlag würde der Baron nicht ausweichen können.

Doch dieser rettete sich durch einen gekonnten Rückwärtssprung auf die Balustrade, wo er sich mit ausgebreiteten Armen erneut verneigte – doch diesmal nicht vor seinem Gegner, sondern vor dem gebannten Publikum. Die Zahori klatschte begeistert in die Hände und die Kürassiere johlten. Wütend griff der Koscher Ritter sein Schwert mit beiden Händen und führte horizontale Schläge gegen die Beine Dom Leóns. Dieser zog sie an, so dass die Klinge durch die Luft zischte. Weitere Hiebe des immer erboster dreinhauenden Dom Halmdahl parierte er mal von oben herab mit dem Degen, mal durch einen flinken Sprung zur Seite, mal durch eine Kniebeuge, immer dem schreitenden Rhythmus der Musik folgend. Manches Mal jedoch verfehlte das Langschwert den Tänzer nur um Haaresbreite und schlug tiefe Kerben in das Holz der Balustrade.

Von einem Moment auf den anderen schien jedoch auch der Vivar des ständigen Ausweichens Leid zu sein. Er schlug mit erstaunlicher Kraft das Schwert des Koschers zur Seite und versetzte ihm einen Tritt auf die gepanzerte Brust, so dass dieser zurücktaumelte. „Maestra Lariana“, rief er dann, „es ist Zeit für einen schnelleren Takt!“

Die Zauberin schwang den Spazierstock schneller. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, wurde aus der Pavane eine flotte Gagliarda und Dom León vollführte auf der Balustrade einen Fünfschritt – vier kleine Sprünge, abwechselnd vom linken zum rechten Fuß, den anderen Fuß immer leicht in die Luft erhebend. Anstelle des Abschlussschritts sprang er von der Balustrade auf den sich wieder sammelnden Dom Halmdahl zu und ging unvermittelt in einen Ausfall über, wobei er sich mit der Linkhand das Schwert vom Leibe hielt und mit dem Degen doppelte Finten zur Verwirrung des Koschers schlug. Diesem blieb angesichts dieses Klingensturms nur, sich vollkommen auf die Abwehr zu konzentrieren.

Doch immer häufiger gingen (freilich wirkungslose) Stöße gegen den scheppernden Plattenharnisch, ohne dass er dies hätte verhindern können, während Dom León ihn wie ein Tänzer bei Hofe umkreiste. Der Vivar war sprang dabei so flink vor und zurück, tauchte unter den Hieben Dom Halmdahls durch und plötzlich hinter seinem Rücken wieder auf, dass sich dieser wie ein Brummkreisel drehen musste, um seinen Gegner nicht aus den Augen zu verlieren.

Und da geschah es: wie ein Wespenstachel zuckte Dom Leóns Degen vor, zwischen dem Kettenschutz auf der Innenseite des Handschuhs und der Armschiene tief in den Unterarm dringend und sich dann schnell wieder zurückziehend. Dom Halmdahl fluchte vor Schmerz auf und ließ sein Schwert fallen. In dem Moment war der Baron auch schon an seine Seite getreten, drängte ihn gegen die bedenklich knirschende Balustrade, riss ihm die Schaller vom Haupt und hielt ihm den Linkhanddolch unter das Kinn.

Die Musik verstummte abrupt. Ein Aufschrei war durch die Reihen der Zuschauer auf beiden Seiten gegangen. „Euch ist bewusst, Dom Halmdahl, dass der Landrechtsbrauch von mir verlangt, dass ich Euch als Verursacher der Fehde jetzt töte?“, sagte León de Vivar, tief durchatmend.

„Meine Leute... würden... mich rächen“, presste Halmdahl von Sindelsaum mit schnaufend hervor.

Dom León blickte auf und betrachtete nachdenklich die Koscher Kämpfer, die Hände an den Waffenknäufen, alle bereit zum Sturm auf die Brücke. Wenn er den Koscher jetzt das almadanische Lächeln beibrachte, würde es ein Blutbad geben, und im Gegensatz zu ihm selbst waren seine Kürassiere alles andere als erfahrene Kämpfer. „Möglicherweise könnte ich in Eurem Fall eine Ausnahme machen. Schließlich habt Ihr tapfer gekämpft, und das ist immer ehrenwert. Der Hader, den Ihr ausgelöst habt, kann allerdings nur auf dreierlei Arten beendet werden: durch meinen Tod – diese Möglichkeit habt Ihr versäumt –, durch Euren Tod – gewiss die für Euch unangenehmste Variante – oder... Seid Ihr bereits den Traviabund eingegangen, Dom Halmdahl?“

„Wie? Nein!“

„Wenn die holde Domnatella Flavia bereit wäre, Euch als ihren Ehegatten anzunehmen“, sinnierte der Baron, den Dolch immer noch an des Sindelsaumers Kinn, „so könnte man unseren Hader für beendet ansehen. In meiner Familia wurden in der Vergangenheit schon mehrmals auf diese Weise Fehden beendet, in der Fehde gegen die von Taladur, gegen die Bejar... Solltet Ihr sie heiraten, so könnte ich sogar geneigt sein, Euren völlig unhaltbaren Forderungen auf die Edlenwürde von Waldhaus zu entsprechen, Euren Treueschwur entgegen zu nehmen und fortan nicht mehr von der Ermordung, sondern vom bedauernswerten Unfall Falk Fröhlings zu sprechen. Waldhaus braucht schließlich einen neuen Herrn, und das Taubental könnte einen tatkräftigen Kerl wie Euch wohl gebrauchen. Was sagt Ihr, Dom Halmdahl? Glaubt Ihr, dass Ihr Domnatella Flavia von Euren ehrbaren ehelichen Absichten überzeugen könnt?“

Halmdahls anfängliche Überlegenheit war ihm völlig aus dem Gesicht gewichen und hatte Überraschung Platz gemacht. Den Vivar hatte er jedenfalls völlig unterschätzt. Es gab nur noch einen Strohhalm, an den er sich klammern konnte und ein ehrenhafter noch dazu. „Ja“, krächzte er. Er musste kurz schlucken, um seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Wenn der Bergkönig Euch als seinen Lehnsmann sieht, dann will ich Euer Gefolgsmann sein und Flavia heiraten.“

Der Baron lächelte grimmig, nahm den Linkhanddolch von der Kehle seines Kontrahenten und gab diesen frei. „Ihr habt brav gewählt, Dom Halmdahl, denn Ihr habt das Vergießen von weiterem Blut verhindert – zuvörderst das Eure, versteht sich – und gebt der rahjagefälligen Harmonie Eure Freiheit zum Opfer. Ich wäre wohl lieber gestorben als zu heiraten. Lasst uns also gemeinsam gen Waldhaus reiten, damit Ihr Domnatella Flavia Euer Anliegen vortragen könnt. Sorgt Euch nicht; ich werde Euch darin unterstützen das Mädel zu gewinnen.“

Sein Lächeln wurde zu einem spitzbübischen Grinsen, dann fügte er mit einem Hinweis auf die rot gefärbten Plattenschienen Dom Halmdahls hinzu: „Wenn Ihr es wünscht, so werde ich im Übrigen Maestra Lariana Lampérez, meiner Hofmagierin, die uns auf so treffliche Weise unterhalten hat, Weisung geben, dass sie zuvor nach Eurer Wunde sehe. Die Magia Curativa ist nicht ihr Spezialgebiet, aber zumindest eine Blutung weiß sie zu stillen.“

Kraftlos nickte der Koscher Caballero. Er fühlte sich mit einem Mal sehr müde.

„Maestra Lariana, wenn Ihr wohl die Güte hättet, Euch uns einen Moment anzuschließen?“, winkte Dom León der blassgesichtigen Maga, woraufhin diese mit leichtem Schenkeldruck ihren Falben auf die Brücke trieb. Bei den Duellanten angekommen, glitt sie leicht wie eine Feder aus dem Sattel.

Sie war klein und zierlich, und hatte glattes schwarzes Haar, das ihr offen bis auf die knabenhafte Brust hing. Mit ihren haselnussbraunen Rehaugen blickte sie neugierig zunächst ihren Baron, dann den Koscher an und zog die Stupsnase kraus, als sie das Blut an seinem Unterarm sah. „Das wollen wir uns einmal näher ansehen“, sprach sie dann mit glockenheller Kinderstimme. Sie hob ihren Spazierstock, murmelte etwas und beobachtete dann stumm, wie sich die drei Schnallen, welche die Armschiene zusammenhielten, eine nach der anderen öffneten, und der Panzerarm zu Boden fiel.

Der Ärmel darunter war blutgetränkt und musste mit dem Dolch aufgeschnitten werden um den Einstich, den Dom Leóns Degen hinterlassen hatte und aus dem noch immer Blut quoll, sichtbar zu machen. Die kleine Magierin legte ihre zarte Kinderhand auf den starken Unterarm Dom Halmdahls und sprach die Worte „Balsam Salabunde.“ Zunächst bemerkte er nichts, doch Maestra Lariana lächelte ihn zuversichtlich an und so versuchte er die Magie zu spüren, während ihm das Blut mit unverminderter Stärke aus dem Arm lief. Nach einer ihm ewig erscheinenden Zeit begann es jedoch zu kitzeln und als die Magierin ihre Hand fortnahm und eilig an einem Tuch sauber wischte, war die Wunde verschwunden.

„Damit Ihr mich nicht schlechter Erinnerung behaltet, Dom Halmdahl“, lächelte der Vivar und reichte ihm sein Schwert. „Und nun lasst uns aufbrechen! Indem wir reiten, können wir noch ein wenig über diesen Rezigus von Albingen plaudern, der mich wirklich brennend interessiert...“