Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 16
Wie die vier Jugendlichen das Pilgerfeld erkundeten und dabei dem roten Trovere begegneten. Wie sie auf den Tumult um einen Zwergenhändler reagierten. Wie ein Rudel schwarzer Hunde die streitlustigen Pilger vom Stand des Händlers vertrieb. Wie dieser sich bei den Jugendlichen bedankte. Wie Domnatella Zaida einen Streich ausheckte.
Baronie Taubental, 2. Travia 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Pilgerfeld von Santa Catalina (nachmittags)[Quelltext bearbeiten]
Autorin: beiras
Sich von den beiden Domnatellas mitreißen lassend, hatte Salvestro die Herberge verlassen und war Richtung des Pilgerfeldes aufgebrochen. Noch auf dem Hauptplatz des Dorfes traf er auch seine Zwillingsschwester Corvara, die er den anderen nach allen Regeln der Cortezia vorstellte.
Gemeinsam drängten sie sich durch die Menschenmenge auf der Hauptstraße, bis sie das Dorf verließen und das Pilgerfeld erreichten, an dessen Rande sie einen Moment staunend stehen blieben. Es erstreckte sich, leicht ansteigend, von der Straße bis zu einem kleinen Hain, in dem, wie Zaida ihnen mit dem Stolz der Ortskundigen erzählte, sich die Kapelle der Santa Catalina verbarg, sowie das Rahjastandbild, das übermorgen ins Dorf getragen werden würde. Zelte, Buden und Stände bildeten ein fröhlich-chaotisches Labyrinth der Farben; Holzschilder, Fähnlein und Ausrufer priesen Waren aus Nah und Fern an; Hütchenspieler, Wahrsagerinnen und Jongleure zeigten ihr Können. Und so viele Menschen hatten sich hier versammelt! Freilich war es, wie Lessina fachmännisch einschätzte, kein Puniner Völkergemisch – die überwiegende Mehrheit der Leute sprach den Tosch Murer Dialekt –, doch hier und da fand sich ein Nordmärker Blondschopf, ein horasischer Spitzkragen oder gar ein aranisch gewickelter Turban. Überall wurde gescherzt, gelacht, getrunken und um seltsame Devotionalien, kostbare Tücher, edle Rösser oder teure Weine gefeilscht. Aus der Ferne erklang eine Vihuela. Neugierig wandelten die vier Jugendlichen an den Ständen vorbei und blieben immer wieder stehen, um dieses oder jenes Angebot zu begutachten.
Eine alte Vettel bot Duftwasser feil und prahlte lautstark mit dessen Wirkung. „Die holden Damen werden Euch nicht mehr widerstehen können, junger Herr! Hättet Ihr es nicht auch gerne, wenn Euch die hübschesten Mädchen in Scharen hinterher laufen würden?“, rief sie Salvestro zu.
Dieser trat einen Schritt näher an die Alte heran und roch an der eilig geöffneten Tonflasche. „Wer will denn wie ein brünstiger Eber riechen? Sollte es sich bei den von Euch so gerühmten hübschen Mädchen um liebestolle Wildsauen handeln, verzichte ich gerne darauf, dass sie mich verfolgen.“ Er schnippte ein paar Tropfen des „Wohlgeruchs“ in Richtung der Verkäuferin und lachte, als diese wild gestikulierend hinter ihm her schimpfte. „Im Übrigen laufen mir doch schon die hübschesten Mädchen in Scharen hinterher“, grinste er seine Begleiterinnen an, als sie die Alte schon weit hinter sich gelassen hatten.
Seine Schwester lachte hell auf. Die Geschwister hatten sich schon die ganze Zeit über sichtlich amüsiert, waren sich aber auch der Blicke bewusst, die ihnen folgten und hatten höfische Contenance bewahrt. In ihren schwarzen Gewändern fielen sie zwischen all den farbenfrohen Menschen auf. Dies schien ihnen aber nichts auszumachen.
Autor: vivar
Als die vier Jugendlichen weiter durch das Getümmel schlenderten, wurden die perlend-rollenden Töne der Vihuela lauter. Vor einem roten Zelt hatte sich eine Menschenmenge gebildet und lauschte gebannt einem unsichtbaren Virtuosen, der die Saiten mit unglaublicher Schnelligkeit zupfte. Ein feuriger Rhythmus erklang, und das Volk begann zu klatschen und mit den Fingern zu schnippen. „Bravo!“, rief einer, „Tito!“, ein zweite, „Zeig uns, was Du kannst!“, ein dritter. Und da erschien über den Köpfen der applaudierenden Leute mit einem Mal der Oberkörper eines jungen Mannes. Er musste auf ein Fass oder einen Tisch gesprungen sein. Wie sein Zelt war er ganz in rotes Leder gekleidet, das ihm vortrefflich stand, wie Domnatella Corvara befand. Seine schwarzen Locken fielen ihm ungebändigt ins schmale Gesicht und gaben ihm, gemeinsam mit der scharf gebogenen Adlernase einen verwegenen Anschein. Seine smaragdgrünen Katzenaugen leuchteten verführerisch unter dichten Augenbrauen hervor. Die Vihuela hatte er sich mit einem bestickten Band um den Hals gehängt und ließ die Finger über die Saiten fliegen. Dann begann er mit klarer Stimme zu singen:
„Yaquir auf und Yaquir ab, in der Stunde der Arangen,
lockt das Fest der Catalina zu den Rhythmen der Vihuela.
Faaa la la fa la la la, faaa la la la la la la!
In den Höfen der Palacios bröckelt von vergilbten Mauern
Schweigen. Die Vihuelalieder klingen nicht in Taladur.
Faaa la la fa la la la, faaa la la la la la la!
Straßen auf und Straßen ab schwirr’n die Blicke der Verliebten,
schwirren die Vihuelalieder in der Stunde der Arangen.[1]
Faaa la la fa la la la, faaa la la la la la la!“
Bereits beim zweiten Mal hatten die Leute fröhlich das Falala mitgesungen und nun klapperten viele Hände kräftigen Beifall. Der Sänger sprach lächelnd: „Tito von Taladur dankt euch allen für euren Applaus, denn er ist das Brot des Trovere! Damit ich mir aber auch einen guten Trunk leisten kann, bitte ich euch, auch mit euren Münzen nicht zu sparen!“ Der Sänger verneigte sich in alle Richtungen. Als er sich wieder aufrichtete, blickte er direkt Lessina in die Augen.
Autor: damotil
Kurz senkte sie die Lider um zu verbergen, dass sie geschmeichelt war. Verlegen schob sie mit den Fingern ihrer Rechten eine lose Haarsträhne hinter das Ohr zurück. Dann wagte sie ein süßes Lächeln, wie sie es sich von Melisandra abgeschaut hatte und blickte den Sänger aus erwartungsvoll funkelnden Augen an.
Autor: vivar Ohne den Blick von ihr zu wenden, sagte er: „Das folgende Lied ist einer ganz besonderen Rose gewidmet.“ Zart zupfte er an den Saiten, und begann zart zu singen:
„Rose, die rot auf dem Anger
Stolz dich spreizest
gebadet in Purpur und Karmesin:
Prunke üppig und duftend;
Doch Obacht, denn wie Du heut schön bist
So wirst du bald traurig sein.“[2]
Mit einem unerwartet maliziösen Lächeln, das nur der schönen Lessina galt, verneigte sich der Sänger erneut.
Autorin: lasdardas
Kaum hatten sie die Herberge verlassen gehabt, hatte Zaida eine interessante Feststellung gemacht: Salvestro war ihr weit sympathischer, wenn er seine Schwester nicht an der Seite hatte. Denn schon verwandelte er sich wieder in Seine Hochnäsigkeit. Na gut, ganz so schlimm war es nicht, aber sie war sich nicht so recht sicher, was sie von Corvara halten sollte. Andererseits war Rahjafest und sie wollte sich amüsieren, also entschloss sie sich energisch, sich nicht die gute Laune verderben zu lassen, als sie das versammelte Trüppchen durch die Menge führte. Außerdem gefiel sie sich in der Position der Führerin ganz gut.
Doch der gute Vorsatz war kurz davor sich zu verflüchtigen, als man sich zu der Menge um 'Tito von Taladur' gesellte. Misstrauisch runzelte Zaida die Stirn und beäugte den Künstler. Gerade hatte sie noch kurz davor gestanden, für ihn zu schwärmen – immerhin mochte sie Zahoris im Besonderen, aber auch andere Fahrensleute. Doch den da oben, der gerade so hämisch zu Lessina blickte, verlor alle Sympathien bei ihr.
Autor: damotil Lessinas Lächeln war mit dem letzten Vers eingefroren. Eine kurze Weile sah sie ihn überrumpelt, irritiert und wortlos an. Erst dann wirkten die Unterweisungen ihrer Lehrmeisterin und sie hatte sich wieder im Griff. Misstrauisch verengten sich ihre gerade noch so fröhlichen Augen und ihr Blick fixierte den Sänger.
„Was glaubt Er denn wer ist, der sich Tito von Taladur nennt? So schön das Lied begann, so unwürdig endet es doch für diesen heiligen Ort!“, entgegnete sie ihm dann kühl und etwas gedämpft.
Lessina setzte ein Lächeln auf. Ihre Augen wurden wieder weicher und sie fuhr mit lauterer Stimme fort: „Ach, Tito... Er ist ja ganz hübsch anzusehen und zu singen vermag Er ja auch. Aber Er muss sich keine Sorgen machen, dass ich mein Herz sofort an ihn verlieren und dann in Balde an einem gebrochenen darbe, weil Er wieder von dannen zieht und die Liebe nicht erwidert. Oder ist Er gar ein Wahrsager?“
Mit spitzen Fingern zupfte Zaida ihre neue Freundin am Ärmel. „Sag an, kennst du den Künstler, oder wird er nur gerade unverschämt?“, erkundigte sie sich mit leiser Stimme. Düster runzelte sie die Stirn, den Blick noch immer auf den Mann gerichtet.
Demonstrativ hakte sie sich bei Zaida ein und zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Nein... ich kenne ihn nicht. Aber es ist ein Spielmann und diese sind eben unanständig unverschämt.“ Sie grinste breit bei ihren Worten, doch über der fröhlichen Fassade lag ein Schatten. „Aber das reizt uns ja ihnen. Nicht wahr?“
In den hinteren Reihen drehte sich das einfache Volk zu Lessina um, nachzusehen, wem das Lied gegolten habe und wer da geantwortet hatte. So mancher nickte beifällig bei ihren Worten. Was dachte sich dieser Trovere dabei ihnen die Feierlaune zu verderben? Andere glotzten nur auf die prächtig gewandete Puninerin, aber ein unwirsches Räuspern Salvestros brachte sie wieder dazu, sich abzuwenden.
Tito von Taladur indes hatte den Unmut der Lessina wohl nicht vernommen, denn mit sanfter, doch volltönender Stimme redete er weiter: „Gewiss, ihr Leut', bei aller rahjanischen Freude, die wir in diesen Tagen erleben, mag ein jeder von uns daran denken, dass alle Schönheit auch verblüht! Am Ende werden auch die herrlichsten Rosen zu schwarzer Erde! Denkt daran!“
Seine Zuhörer schienen aber gar nicht geneigt an derlei erinnert zu werden, denn einer rief: „Spiel ein Rahjalied!“ – „Ja, was Lustiges!“
Kurz zuckten des roten Spielmanns Mundwinkel unwillig darüber, dass seine Predigt so viel weniger Beifall fand als seine Lieder, doch dann lächelte er wieder. „Ei nun, etwas Lustiges wollt ihr hören! So will ich das Lied von der lustigen Müllerin Euch singen.“
Klatschen und Pfiffe zeigten an, dass das Lied den meisten bekannt war, so dass Tito die Seiten anschlug und sang:
„Es war einmal eine Müllerin,
ein wunderschönes Weib,
sie tut ja selber mahlen,
schön Geld sich zu ersparen,
wollt' selber der Mahlknecht sein.“
Die letzte Zeile wurde von den Leuten begeistert wiederholt: "wollt' selber der Mahlknecht sein!"
„Und als der Müller nach Hause kam,
vom Regen war er nass:
Steh nur auf, steh nur auf, du Stolze,
mach mir ein Feuer von Holze,
vom Regen bin ich nass.
Salvestro wippte vergnügt im Klang der Verse und summte mit: "Dum-Regen-dum-dum-nass!" Flink sah er sich um und erspähte einen Stand mit Wein in unmittelbarer Nähe. Schnellen Schrittes war er dort, bestellte vier Krüge Wein und warf dem Knaben ein paar Münzen zu, die dieser geschickt fing.
Ich steh nicht auf, lass dich nicht ein,
sprach die Müllerin.
Ich hab heut' Nacht gemahlen
mit schönen, jungen Knaben
bis an den frühen Tag,
dass ich nicht aufstehen mag.“
"Dass ich nicht aufstehen mag!" Großer Beifall von den Frauen in der Runde. Salvestro begab sich wieder zu den jungen Damen und bot jeder einen Krug des Weines an: „Um Euch die Verse zu versüßen, meine Damen! Mögen sie Euch munden und zu einer Stimmung beitragen, die Rahja ehrt.“ Er trank einen großen Schluck.
„Stehst du nicht auf, lässt mich nicht ein,
sprach nun der Müller fein,
so tu ich die Mühl' verkaufen.
Das Geld tu ich versaufen
beim roten, kühlen Wein,
wo schöne Mädchen sein.“
Hier hoben ein par rotgesichtige junge Burschen aus den vorderen Reihen ihre Becher und Krüge in die Höhe und sangen das „wo schöne-he Mädchen sein!“ aus voller Kehle. Auch Salvestro stimmte in den Gesang ein, wenn auch so leise, dass dies nur seine Begleiterinnen bemerken konnten. Dabei sah er Lessina und Zaida an und schmunzelte.
„Tust du die Mühl’ verkaufen,
was mach ich mir daraus?
Dort unten auf grüner Heide
bau ich mir eine zweite,
wo's frische Wasser quellt,
das Mahlen mir gefällt.“[3]
"Das Hum-hum uns gefällt!" Der Applaus zeigte an, dass dieses heitere Lied, dazu noch untermalt von Tito unzweideutiger Mimik, den Geschmack der Pilger weit eher traf.
Corvara lachte leise und ließ sich den Wein schmecken. „Wie viele Bauernmädel er wohl schon mit diesen Versen und seinen Augen verführt hat? Und mit dem Hauch der Fremde, die er als Trovere versprüht?“ Ihre erhobenen Augenbrauen zeigten, dass sie sich nicht in Gefahr fühlte, dem zweideutigen Charme des Bänkelsängers zu erliegen. „Lasst uns weiter ziehen, es gibt sicherlich noch andere Kuriositäten zu sehen!“
In der Tat, das gab es. Salvestro verneigte sich leicht vor Zaida und Lessina, um ihnen den Vortritt zu lassen. Am Ende der Zeltgasse blieb er jedoch wieder stehen, um sich den Tanz eines Mädchens näher zu betrachten. Sie war vielleicht etwas älter als Salvestro und bewegte ihren rahjagefälligen Körper sinnlich zur Musik einer Lautenspielerin. Geschickt waren Tücher um ihren Körper geschlungen, die nur wenig Haut bedeckten, aber doch dem gefälligen Betrachter Raum für Spekulationen ließen. In ihren Händen hielt sie Tücher, die sie im Rhythmus der Musik scheinbar durch die Luft schweben ließ. Lächelnd betrachtete Salvestro das Schauspiel und nippte an seinem Wein.
Autor: vivar
Der sinnliche Anblick, an dem der Jüngling sich ergötzte, wurde mit einem Mal durch Tumult in seinem Rücken gestört. Eine schnell größer werdende Menschentraube scharte sich um den offenen Stand eines Zwerges, der in seiner Auslage Ohrringe, Ketten und gefasste Steine für den Finger feilbot. Der Angroscho war von stämmigem, muskulösen Wuchs und ganz in Leder gekleidet. Um die fliehende Stirn hatte er sich ein rotes Tuch gebunden und sein schwarzgrauer Bart war in zwei dicke Zöpfe geflochten. „Bronzeschmuck. Feiner Bronzeschmuck aus Kyrstollen. Kauft Bronzeschmuck“, brummelte er wieder und wieder vor sich hin, wobei seine raue Stimme mit jedem Mal lustloser und leiser zu werden schien.
Das mochte mit einem in rahjagefälliges Rosa gekleideten Mann und seinen zwei Begleitern zu tun haben, die sich vor dem Stand aufgebaut hatten und erst leise und eindringlich, und dann immer lauter den Angehörigen des Kleinen Volkes anpöbelten. „Wir brauchen hier keinen Zwergenschmuck“, sagte der Pilger in Rosa.
„Zwergenschmuck stinkt“, ließ sich der Zweite vernehmen.
„Und Zwerge sowieso“, fügte der Dritte hinzu.
„Bronzeschmuck. Bester Bronzeschmuck“, entgegnete der Händler trotzig, aber wenig überzeugend.
„Am besten, du packst deinen ganzen Plunder ein und verschwindest wieder unter der Erde, Zwerglein! Wir brauchen dich hier nicht!“, stieß der Pilger mit der Sandale gegen eine der Stangen, die den Baldachin des Standes trugen. Dann drehte er sich zu den Gaffern um. „Ist es nicht so? Kommt dieser freche Kerl ausgerechnet hierher, nach Santa Catalina, und will seinen ‚Bronzeschmuck’ verkaufen! Ha! Schmuck soll das sein? Ein Schmerz für jedes Auge! Zwergenwerk! Pah! Wer hat denn damals Santa Catalina erschlagen, hä? Blutrünstig dahingemordet? Wer? Wer?“
„Die Zwerge!“, rief jemand.
„Genau! Und jetzt kriechen sie wieder aus ihren Löchern hervor und wollen auf dem Fest unserer Heiligen ihren wertlosen Tand verkaufen!“, hob der in Rosa Gewandete akklamierend die Hände.
„Bastarde!“ – „Eine Schande!“ – „Heiligenmörder!“ erschallte es aus der Menge. Fäuste wurden gereckt. Jemand spuckte dem Zwerg vor die Füße.
„Und was machen wir mit Heiligenmördern?“, rief der Agitator.
„Vertreiben!“ – „Aufhängen!“ – „Eintopf!“ schrie das Volk durcheinander. Der zweite Agitator stürzte die Auslage um, so dass die Schmuckstücke, die zugegebenermaßen eher von schlichter Machart waren, in den Dreck kullerten. Der Angroscho wich entsetzt zurück.
Autorin: lasdardas
Kaum dass die ersten Stimmen lauter wurden, hatte Zaida sich Lessinas Arm gegriffen und sich mit ihr durch die Menge nach vorne gedrängt, um zu sehen, was es auch immer da zu sehen gab – allein die Lautstärke versprach schon Aufregung. Ein Blick zurück hatte gezeigt, dass sich Salvestro lieber diese aufgebrezelte Tänzerin ansah. Rahjanisch? Hah! Vor allen Dingen nackte Haut. Das könnte sie auch, wenn sie nur wollte. So ein untreuer Gefährte auch!
Schmollend konzentrierte sie sich ganz auf die Aufregung und runzelte schon düster die Stirn. Was war denn das? Und ausgerechnet auf dem Fest der Rahja? Vielleicht hätte sie lieber noch einmal nachdenken sollen, doch da ging das las Dardas’sche Feuer mit ihr durch, besonders eingedenk der zwergischen Gräfin der Waldwacht und der sanften Art, in der ihre Schwester immer über Santa Catalina gesprochen hatte.
Entschlossen schob sie die Ärmel der Bluse nach oben, tastete sicherheitshalber nach dem Dolch an ihrem Gürtel und sprang dann aus der Menge – Lessina hinter sich zurücklassend, wollte sie die Freundin doch nicht mit in die Gefahr stürzen.
„He da, was soll das?“, blaffte sie in einem Tonfall, den sie sich bei Moritatio abgeschaut hatte und der ihrer Meinung nach genau die richtige Menge cortezischer Arroganz aufwies. „Wollt ihr mit eurem Verhalten etwa die schöne Göttin verärgern? Liebe und Heiterkeit sind ihr ein Wohlgefallen und nicht Rauflust und Streitsucht!“ Ihre Augen blitzten wild, als sie sich zwischen einen der Aufrührer und den Zwerg stellte. Das mulmige Gefühl drückte sie energisch mit Hilfe des rechtschaffenen Zorns auf diese Missachtung des Festfriedens nieder.
Autor: damotil
Lessina wollte gerade noch ihre neue Freundin zurückhalten. Der Griff nach ihrer Schulter aber ging bereits ins Leere, als diese so unerwartet ungestüm davonsprang um sich zwischen die Kontrahenten zu stellen. Ein paar Herzschläge zögerte sie, doch bevor sich die Gasse durch die Gaffer vor ihr wieder schließen konnte, fasste sie sich ein Herz und schlängelte sich in die vorderste Reihe um zumindest einen unverstellten Blick auf das Geschehen zu erhalten.
Autor: vivar
Der Mann in der rosenfarbenen Tunika stierte sie wild an. Eigentlich war er ein stattlicher Mittdreißiger, muskulös, sonnengebräunt und mit Locken in der Farbe von Rabenfedern, doch der Wein hatte seine Wangen gerötet, seine blauen Augen getrübt und seinen Atem mit Alkohol getränkt. „Liebe? Ja, aber zwischen Mensch und Mensch, und nicht zwischen Mensch und Zwerg. Heiterkeit? Dieser Erdwühler verdirbt mir und all diesen guten Leuten hinter mir gehörig die Feierlaune. Und vergiss nicht, du freche Göre, dass Rahja auch die Herrin der Schönheit ist. Was schön ist, ist auch gut und wahr, sagt der Abt immer. Schau dir den Kerl hinter dir doch mal an! Ist dir je so ein Ausbund an Hässlichkeit begegnet? Die Knollennase, die speckige Haut, die verfilzten Haare... er beleidigt mein Auge!“
Zaida warf einen kurzen Blick hinter sich und musste zugeben, dass der Pilger zumindest diesbezüglich Recht hatte. Der Angroscho war selbst nach den Maßstäben seines eigenen Volkes keine Augenweide. Für einen Händler war er obendrein recht ungepflegt. Finster zog er die buschigen Brauen zusammen und ballte die Fäuste angesichts der in heiligem und weinseligem Zorn gesprochenen Worte.
„Also zur Seite, Mädel! Oder willst du uns etwa Glauben machen, dass du auf bodennahe Kerle stehst?“ Der Pilger grinste breit.
Autor: damotil
Mit gerunzelter Stirn verfolgte Lessina die reichlich streitlustig scheinende Pilgergesellschaft. Sie war keine besondere Freundin der Angroschim, aber sie hegte auch keine Abneigung gegenüber dem kleinen Volk. Vielmehr, so erinnerte sich, war es so, dass viele begnadete Juweliere und Goldschmiede aus ihren Reihen kamen. Nein, das ging nun wirklich zu weit. Zum einen war dies doch ein Fest der Rahja, zweitens war dieser Angroscho zwar nicht schön und sein Schmuck von einfacher Art, aber das war noch lange kein Grund ihn zu bedrohen. Und drittens konnte es ja wohl nun gar nicht angehen, wie dieser vorlaute Kerl sich gegenüber der Domnita aufführte. So löste sie sich aus dem Publikum und gesellte sich an die Seite ihrer Freundin. Ihr Herz schlug wie wild in ihrer Brust, aber sie bemühte sich um Contenance und die Ausstrahlung von Selbstsicherheit, so wie es ihre Lehrmeisterin sie gelehrt hatte.
„Bei Rahja!“, fuhr sie mit scharfer Stimme den Pilger an und ihre grünen Augen funkelten voller Zorn, den sie bewusst in sich aufwallen ließ um Kraft aus dem pulsierenden Gefühl zu schöpfen. „Mäßige Er seinen Ton! Die Herrin Rahja schätzt rüpelhaftes und flegelhaftes Benehmen in in keinster Weise!“ Der Blick aus ihren smaragdgrünen Augen fixierte den Unruhestifter: „Außerdem sollte Er sich wohl eiligst bei der Domnita ob der lästerlichen Wortwahl entschuldigen!“
Autorin: beiras
Im Gegensatz zu ihrem Bruder Salvestro, der von der rahjagefälligen Tänzerin scheinbar sehr eingenommen war, war es Corvara nicht schwer gefallen, sich von deren Anblick loszureißen. Ohne auf die umher stehenden Gaffer zu achten schob sie sich nach vorne und verharrte dort einen Moment, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Angesichts des Angroscho rümpfte sie leicht die Nase, hatte doch ein Angehöriger des kleinen Volkes ihrer Familie ihren Titel lange Zeit streitig gemacht. Doch das war Geschichte... Und nun musste sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass ihr Vater eine Baronie beherrschte, die auch von diesen kleinen bärtigen Wesen bewohnt war.
Sie seufzte leise und gesellte sich zu Lessina und Zaida. „Ich denke, die von Ihm so harsch angesprochene Domnita hat Ihm gegenüber nur ihr ehrenvolles Herz offenbart, nicht ihre Vorliebe oder Abneigung einem Angroscho gegenüber. So sollte Er seine Zunge hüten, solche anzüglichen Gedanken zu laut auszusprechen, wer weiß, wer solche Worte zum Anlass nehmen könnte, sich näher mit Ihm zu befassen?“
Autorin: lasdardas
Dankbar blickte Zaida zu ihren neu gewonnenen Freundinnen hinüber, ehe sie sich energisch wieder dem Trunkenbold zuwandte. Da pflegte einer wohl weniger rahjanische denn valponische Tugenden! Und Lessina hatte Recht, solche Beleidigungen sollte sie sich nicht gefallen lassen, das wäre eine Schmach, sich dafür vor ihrer angebeteten Comtessa rechtfertigen zu müssen!
„Er hat meine edle Freundin gehört“, schlug sie ob solcher Unverschämtheit einen anderen Ton an, „oder hat Er etwa seine Manieren auf dem Boden des Weinfasses verloren?“
Ihre Augen wurden schmal, als sie den Rotwangigen musterte. „Und was die Angroschim angeht, vielleicht will Er dieses Thema ja mit unserer Gräfin, der Angroschna Groschka Tochter der Bulgi, näher erörtern? Ich bin mir auch sicher, dass der werte Baron Vivar – übrigens gar vielfach von Rahja gesegnet und ein Ehrengast auf jedem Rahjafest – es gar nicht gerne hört, wenn seine Lehnsherrin so beleidigt wird!“ Mit wild blitzenden Augen hielt sie den Blick des Streithahns fest.
Autorin: beiras
Mittlerweile hatte auch Salvestro bemerkt, dass er die Tänzerin alleine betrachtete. Er drehte sich verwirrt um und schob sich suchend durch die Menge, die sich um das kleine Grüppchen um den Angroscho gebildet hatte. Er musste den Mut Zaidas bewundern, die sich gerade vor dem Pilger aufgebaut hatte. Ein kurzes Zucken ging über sein Gesicht, als der Name „Vivar“ fiel. Ruhig stellte er sich hinter das kampflustige Mädchen und bildete mit seiner Schwester erneut einen schwarzen Fleck zwischen all der farbenfrohen Kleidung. Zwar hatte er den Muskeln des Pilgers nur seinen eher schlaksigen Körper entgegen zu setzen, doch blickten seine Augen eisig in das Gesicht seines Gegenübers.
„Nun, wir warten auf seine Entschuldigung“, erklang es sanft, fast zuckersüß von Corvara.
Autor: damotil
Lessina blickte Zaida aus den Augenwinkeln an, aber ohne den Unruhestifter und Aufrührer dabei ganz aus den Augen zu lassen – es war schließlich nicht abzusehen, zu welch weinseligen Unfug er sich noch aufschwingen würde. „Domnita“, wandte sie sich an Zaida. „der ehrenwerte Baron ist ein eifriger Diener der Herrin Rahja, er wird sicher hiervon erfahren wollen. Unfrieden auf dem Fest der Göttin!“ Der Blick kehrte zu dem Mann vor ihr zurück und ihre Augen funkelten. „Bei Rahja! Er sollte sich etwas schämen! Und wenn Er endlich untertänigst um Entschuldigung gebeten hat, dann soll Er nicht vergessen seinen Namen zu nennen!“
Autor: vivar
Die Menge hatte verwundert geaht und geoht, als ein drittes Mädchen und ein Knabe sich zwischen Zwerg und Pilger gestellt hatten. „Das ist ja ein ganzer Harem!“, rief jemand, und ein anderer: „Ein rechter Stecher, dieser Zwerg!“ Die Leute lachten. Sie witterten eine Prügelei, vielleicht eine Plünderung, zumindest aber gute Unterhaltung. Manche von ihnen schienen aber auch ernsthaft erbost über die Anwesenheit des Zwergs.
„Die Gräfin?“, echote der Pilger. „Die ist weit... und so lange sie dort bleibt, will ich mit ihr auch Frieden halten. Was aber Seine Hochgeboren, den Schönen Baron, betrifft, so schützt und bewahrt er die Traditionen der Santa Catalina, denn er ist ein Jünger Rahjens. Wisst ihr denn nicht, dass sein Ahnherr und Namensgeber León I. es war, der den Grundstein für das Kloster gelegt hat? Wieso sollte sich der heutige Baron da aufregen, wenn wir einen Heiligenmörder vertreiben, eh? Nein, im Gegenteil! Wenn der Baron hier wäre, so würde er mir beipflichten und den kleinen Kerl eigenhändig aus dem Taubental prügeln, damit er nicht weiter die Grabruhe seiner Ahnen stört!“
„Bravo!“ Die Zuhörer klatschten und stampften mit den Füßen. „Raus-prü-geln! Raus-prü-geln!“, intonierten sie. So mancher reckte den Pilgerstab in die Höhe und verursachte damit ein munteres Schellengeräusch, das so gar nicht zu der bedrohlichen Geste passen mochte. Der Kreis schloss sich enger um den Stand und drückte die drei Rädelsführer weiter nach vorn auf die Kinder zu.
Schließlich sprang auch noch eine Frau mittleren Alters in einfacher Kleidung dem Wortführer bei: „Ihr solltet diesen kleinen Griesgram nicht verteidigen, Kinder. Die Zwerge sind ein bösartiges Volk und haben Santa Catalina ermordet, weil sie keine Freude an Rahjas Schönheit finden. Und dieser da“ – sie wies auf den Angroscho, der sich inzwischen daran gemacht hatte, hastig seinen auf dem Boden verteilten Schmuck wieder einzusammeln – „ist besonders dreist, dass er sich in der Festwoche der Heiligen hierher traut! Verschwindet lieber schnell!“
Autorin: lasdardas
Mehr als unwillig sah sich Zaida die aufgebrachte Meute an, nun noch mehr aufgestachelt von dem Trunkenbold. Es hätte ihr nicht übel gefallen, dieser Meute noch mehr Kontra zu geben, in der Hoffnung doch noch der Vernunft zum Sieg zu verhelfen - und wenn dies bedeutet hätte, sie in diese Tunichtgute notfalls mit Gewalt hinein zu prügeln. Weniger die Angst davor, dass sie gegen diesen muskulösen Mann schlechte Karten hatten, als vielmehr der Widerwille, hier auf dem Fest der Santa Catalina und ausgerechnet in dem Jahre, in dem ihre sanftmütige Zwillingsschwester in die Reihen der Rahjadiener aufgenommen würde, einen Aufruhr mit zu verantworten, ließ sie nach einem harmonischeren Ausgang suchen. Außerdem wollte sie verhindern, dass Lessina und die anderen beiden in irgendwelche Handgreiflichkeiten hineingezogen wurden. Nach ihren Erlebnissen im Raschtulswall fühlte sie sich irgendwie den anderen, was einen direkten Konflikt anging, eine weise Nasenspitze voraus.
Rasch wanderte ihr Blick zu Salvestro. Sie suchte ihn mit einer Augenbewegung auf sich aufmerksam zu machen, ehe sie auch kurz zu dessen Schwester und Lessina sah.
Autorin: beiras
Salvestro nickte leicht, er schien ebenfalls zu bemerken, dass sie hier weder mit Vernunft noch mit Muskelkraft weiterkämen. Die Menge wartete auf ein Schauspiel und würde sich dafür gegen sie verbünden. Er seufzte resigniert und schob sich zwischen den Rädelsführer und Zaida.
Autorin: lasdardas
Den Aufrührer wachsam beäugend drehte sich Zaida halb zu dem Zwerg um. „Verzeiht, Herr Zwerg, doch wir Menschen vertragen den Brand bei weitem nicht so gut wie Ihr vom kleinen Volk. Um also zu verhindern, dass hier ob der Trunksucht einiger Unbeherrschter“, die Worte begleitete ein wütender Blick zu dem Rädelsführer, „ein Unglück geschieht, möchte ich Euch bitten, Euch von uns fort geleiten zu lassen.“ Leiser und zähneknirschend fügte sie an: „Und ich werde zu gegebener Zeit dafür sorgen, dass die Pilgervögtin von diesem Aufruhr erfährt…“ Es passte ihr ganz und gar nicht, jetzt zu kneifen, aber wie es schien, ließen sich diese Suffköpfe ja nicht mehr beruhigen. Und mal wieder keine Spur von irgendjemandem weder von der verehrten Comtessa, noch von der Mutter oder gar dem vorwitzigen Baron. Bah, wenn man sich nicht um alles selbst kümmerte…
Autor: vivar
‚Wühlschratdreck noch mal!’ Turogosch Sohn des Thundrim blickte gequält drein. Ihm war die ganze Situation zuwider. Nur zu gern hätte er diesem in blässlich rote Tücher gewickelten Großling, der ihn da bedrängte, mit seiner guten Axt den Schädel gespalten oder mit seiner Windenarmbrust die Augenhöhlen durchlöchert. Allein, seine Waffen hatte er im Zelt der Contessina Amazetti lassen müssen, die ihm sogar befohlen hatte, sein Kettenhemd gegen dieses lächerliche Ledergewand einzutauschen. ‚Tarnung, Turogosch! Tarnung ist alles auf dieser Mission!’, äffte er die Taladurer Leutnantin in Gedanken nach. Auch ohne Waffen hätte Turogosch diese aufgeblasenen Menschlinge im Steinumdrehen erledigt: ein Tritt in die Kniescheibe hier, ein stählerner Griff in die Almadine da, ein knackender Hals dort – und schon hätte der Rest der Meute das Goblinpanier gesucht. Der Angroscho fürchtete sich keinen Deut vor den Trunkenbolden und noch weniger vor irgendwelchen örtlichen Taubentaler Bütteln.
Dagegen fürchtete er seine Vorgesetzte, die in ihrem Zorn unberechenbar werden konnte. Sie war derzeit, als einfache Pilgerin verkleidet, zwar irgendwo im Dorf unterwegs und zog Erkundungen ein, doch wenn sie am Abend zum gemeinsamen Zelt zurückkehrte, würde sie nur allzu schnell vom Aufliegen seiner Tarnung erfahren und das konnte üble Konsequenzen für ihn haben. Contessina Amazetti hatte sich ohne Zögern freiwillig gemeldet, als Stadtmeister Galeazzo von Zalfor einen Geheimauftrag zu vergeben hatte, der eine Reise ins Taubental beinhaltete. Die kleine Baronie stand seit etlichen Jahren bei einigen Taladurer Häusern – darunter die Amazettis und die Tandoris – tief in der Kreide, denn der ausufernde Lebensstil der vormaligen Baronin hatte Unsummen verschlungen. Nun, hatte Galeazzo von Zalfor befunden, sei es an der Zeit vom neuen Baron León de Vivar Rechenschaft einzufordern und da dieser – wie seine gesamte Sippschaft – äußerst zahlungsunwillig und obendrein für den Tod mehrerer tapferer Taladurer Bürger verantwortlich zeichnete, wolle man sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln herumplagen, sondern ihn gleich in Gewahrsam nehmen und solange im Kerker behalten, bis sich seine Zahlungsmoral gebessert habe.
Da die Befugnisse der Taladurer Garde nur unweit der Mauern der Streitturmstadt endeten, musste die Festnahme einer Entführung gleichkommen. Für diese Aufgabe nun hatte Contessina Amazetti begeistert den Arm hochgerissen und seinen, Turogoschs, gleich mit. Wie sie dem wenig begeisterten Zwergen später erklärt hatte, konnte sie damit sowohl das Amt der Gardecapitanya wieder gewinnen, das sich der schmierige Sacramoro Mengozzi erschlichen hatte, als auch endlich jenen Mann in die Finger bekommen, der am Tod ihres Verlobten Kelsor Tandori die Schuld trug.[4]
Turogosch hatte nur etwas Unverständliches gebrummt. Im Gegensatz zu Contessina war er bei Kelsors Tod dabei gewesen. Sie hatten damals tagelang auf der verregneten Eisenstraße im Hinterhalt gelegen, um diesen León und seine Puniner Spießgesellen zu erwischen, und die Großlinge hatten sich alle fürchterlich erkältet. Als die Puniner schließlich heranzogen, hatte der sippenlose Zwerg den jungen Tandori eindringlich davor gewarnt sie anzugreifen; zu geschwächt waren die eigenen Leute, und die Puniner führten Väterchen Rabosch mit sich, den Grafen höchstselbst! Doch Kelsor war nicht mehr aufzuhalten gewesen, hatte etwas von „den Grafen vor Puniner Hornochsen schützen“ gefaselt und war gemeinsam mit den Taladurer Dispuestos aus dem Wald hervorgebrochen. Turogosch war als einziger in seinem Versteck liegen geblieben. Im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten hatte er die Bataille überlebt und alle Schuld hinterher natürlich den Puninern in die Schuhe geschoben – schließlich wusste er, was dessen Verlobte hören wollte.
Deswegen hatte sie ihn jetzt auch für diese Mission ausgewählt, um Dom León gemeinsam zur Strecke zu bringen. Und deswegen durfte er noch keine Gewalt anwenden, sondern musste die Hilfe junger, übereifriger Menschenmädchen annehmen. Er blickte das wild gelockte Kind an. Das Ergebnis seiner miserablen Schauspielkunst war ein in quiekendem Tonfall hervorgebrachtes: „Aber meine Waren! Was wird mit meinen Waren?“
Autorin: beiras
Corvara blickte sich um und bemerkte eine Bewegung am Rande der Menge. Etwas schien zu versuchen, durch die Menge zu ihr und zu ihren Begleitern zu kommen. Einzelne Menschen schauten irritiert nach unten als sich etwas an ihnen vorbei drückte. Hier und da waren Unmutslaute und etwas zu hören, was wie ein Knurren klang. Corvara pfiff leise und vier der schwarzgrauen Wolfshunde, die mit ihr angekommen waren, stürmten auf sie zu ohne noch Rücksicht auf die umstehenden Schaulustigen zu nehmen.
Corvara beugte sich etwas hinunter, tätschelte einem besonders großen Hundeexemplar den Kopf und sprach kurz beruhigend auf ihn ein. Seltsamerweise schloss sich die Menge nicht mehr so eng um sie wie noch zuvor, die Menschen hielten Abstand von den Hunden, die die Zähne bleckten. Corvara wusste, dass ihr Vater erbost sein würde, wenn er erfuhr, dass sich die Tiere selbstständig gemacht hatten, aber darüber ließ sich immer noch nachdenken. Vielleicht musste er es ja nicht erfahren.
„Ihr solltet auf den Vorschlag Domnita Zaidas eingehen. Folgt der Stimme der Vernunft, wir werden Euch begleiten. Sammelt schnell Eure Waren ein und lasst uns dann keine Zeit mehr verlieren.“ Mit knappen Anweisungen und Gesten positionierte Corvara die Hunde um die kleine Gruppe. Auch Salvestro streichelte gedankenverloren einen Hundekopf, während er den Blick nicht von dem Rädelsführer nahm.
Autor: vivar
Das Auftauchen der vier großen Bestien verunsicherte die Leute zusehends. Einer jeden schien plötzlich eingefallen zu sein, welch wichtige Angelegenheiten sie eigentlich noch zu erledigen hatte. Die Menge begann sich eilig zu zerstreuen und schließlich blieben der Rädelsführer und seine beiden Kumpanen alleine zurück. Sie waren nun deutlich in der Unterzahl. Zwar waren all ihre Gegner wohl ein bis zwei Köpfe kleiner als sie, doch die schwarzen Hunde – oder waren es Wölfe? – sahen so aus, als könnten sie mühelos eine Kehle zwischen den Kiefern zerdrücken.
Schritt für Schritt wichen der Rosagewandete und seine beiden Freunde nach hinten. Die Angst stand ihnen im Gesicht geschrieben. Als einer der Hunde erst zu knurren und dann zu bellen begann, ergriffen sie das Hasenpanier und verschwanden in der Zeltgasse.
Der Zwerg lachte ihnen schadenfroh hinterher. Dann besann er sich auf Manieren – nicht auf seine eigenen, sondern die der Großlinge – und deutete eine Verneigung vor den vier Jugendlichen an. „Habt Dank, ihr tapferen Kinder. Ihr habt mich vor, äh, üblen Schlägen, vielleicht sogar einem schäbigen Tod bewahrt“, log er. Was sagte man noch in so einer Situation? „Ich hatte große, äh, Angst vor den Großlingen und ihr habt mich beschützt. Darf ich die Namen meiner ehrenwerten Retter erfahren?“
Autor: damotil
Lessina hatte tief schlucken und sich arg zusammenreißen müssen, als sie der riesigen Hunde ansichtig geworden war. Obwohl das Herz in ihrer Brust heftig pochte, musste sie anerkennen, dass die Hunde die Situation deutlich zu ihrem Gunsten verschoben hatten. „Puh“, stieß sie leise aus, als sich der Ring um sie aufgelöst hatte, „die waren ganz schön auf Radau aus!“
Dann wandte sie sich dem Angroscho zu. Interessiert und neugierig musterte sie den bärtigen Händler aus dem Zwergenvolk. Sie hatte schon mit dem ein oder anderen zwergischen Händler Geschäfte gemacht, aber die waren allesamt irgendwie... würdevoller und vor allem besser gekleidet gewesen. Dieser sah eher aus, als wäre er einem Kriegshaufen entlaufen und würde nun sein Glück als Schmuckhändler versuchen. Nachdenklich bückte sie sich um ein Stück des Bronzeschmucks vom Boden aufzuheben. Ihr geschulter phexischer Blick glitt über den einfachen Ohrring in ihrer Hand. ‚Billiger Tand‘, war ihre nüchterne Einschätzung bereits nach einem kurzen Augenblick.
„Hier“, sagte sie dann und streckte dem Angroscho die offene Hand mit dem ‚Kleinod‘ entgegen. „Das gehört wohl auch Euch.“ Zögernd blickte sie die drei anderen an und fragte sie sich, ob sie ihren Namen preisgeben sollte. Irgendwas hier sorgte für ein unangenehmes Gefühl in ihrem Bauch, aber das war vielleicht auch einfach die Aufregung plötzlich inmitten eines wütenden Pöbels gestanden zu haben.
„Bei Rahja! Das war... aufregend!“ Sie setzte ein Lächeln auf und strahlte vergnügt den Angroscho an. „Wie war noch mal Euer Name?“, fragte sie dann ganz unbedarft in dessen Richtung, seine Frage nach dem ihrigen schlichtweg ignorierend.
Autor: vivar
„Wieso denn noch mal? Ich habe meinen Namen doch noch gar nicht gesagt, Großlingsmaid. Du bist ganz schön fre... mutig! Mutig bist du! In meiner Jugend hätte ich es nicht gewagt, eine Frage einfach mit einer Gegenfrage zu beantworten, zumal, wenn der Frager gute 130 Jährchen älter ist! Aber du sollst deinen Willen haben. Ich bin Tschubax Sohn des Tschuschox, aus Cantalapiedra im Jennbachschen.“ ‚Tarnung, Turogosch!’
Der Angroscho nahm Lessina den Bronzeohrring aus der Hand. „Auf die Aufregung hätte ich gut verzichten können. Wer soll denn ahnen, dass Angroschs Kinder in diesem Drecks... in diesem schönen Dorf so wenig gelitten sind? Zumindest gibt es noch ehrbare Kurzlebige wie Euch, die äh...“ Ihm fiel auf, dass drei der vier Kinder ihn noch immer schweigend anstarrten und dass die vierte seine Frage nach dem Namen nicht beantwortet hatte. War er etwa unhöflich gewesen? Die Etikette der Langbeiner brachte ihn bisweilen zur Verzweiflung.
Autorin: lasdardas
Dem Zwerg musste der Schrecken wohl noch deutlich in den Gliedern sitzen, nachdem er gerade eben erst Dank des mutigen Eingreifens der jungen Nobleza vor einer unrahjanischen Keilerei bewahrt worden war, überlegte sich Zaida gerade, im Geiste schon die ersten Zeilen einer spannenden Novella verfassend, als sie stutzte.
Ja, unrahjanisch… Bei allem Zwist musste sie das dem Rädelsführer der versammelten Zecher und Becherer hier doch zu Gute halten. Der werte Angroscho sah nicht unbedingt gut für ein Rahjafest gerüstet aus. Um ehrlich zu sein, er sah überhaupt nicht gut aus! Da musste doch dringend Abhilfe geschaffen werden. Die für den heutigen Festtag in Anspruch zu nehmende gute Rahjatat! Zum Glück für den unwissenden Angroscho und die Mitverschwörer in Spe – zu eben jenem Zeitpunkt zwinkerte die kleine Waldwachterin auch schon auffällig unauffällig ihren Kumpanen zu – kannte sie sich hier in Santa Catalina ja aus und wusste just noch, wo hier der beste Barbier des Dorfes seinem Handwerke nachging.
Nun war Zaida ja bekanntlich vorlaut und frech, aber nicht unbedingt dumm – jedenfalls brüstete sie sich damit, eben das nicht zu sein. Daher kam ihr in den Sinn, dass es nicht ratsam wäre, den grummeligen Angroscho zu früh über die ihm bevorstehende Verschönerung zu benachrichtigen. Wusste doch jedes Waldwachter Kind, dass Angroschim zuweilen etwas stur, wenn nicht gar von steinernem Gemüte waren. Also musste man diesem hier eben etwas zu seinem Glück nachhelfen. Und wenn er denn aufgehübscht wieder nach Hause in seine finsteren Bingen reiste, dann wäre ihm womöglich noch eine der selten anzutreffenden Zwerginnen so hold, dass sie für viele kleine süße bärtige…
Eilig bremste sich Zaida und steckte den Kopf zu Lessina hinüber, derweil der Zwerg noch immer seinen Waren nachjammerte. „Also pass auf, Lessina, ich habe eine Idee…“ Und damit beugte sie sich hinüber zur Freundin und wisperte dieser leise zu, wie man den Zwerg unauffällig zum Barbiere bringen könnte, mit der Bitte, eben diesen Plan auch Salvestro und dessen Schwester mitzuteilen, derweil sie sich unschuldig wieder an Tschubax wandte.
„Nun, Dom… äh… Zwerg, wenn ich uns erst einmal vorstellen darf: Das dort ist die Domnatella Lessina aus Punin, das sind die verehrten Geschwister Domnito Salvestro und Domnatella Corvara de Beiras y Bejar und meine Wenigkeit, Zaida de las Dardas y Sangrín." Kurz hielt sie inne, noch nicht ganz so zufrieden mit der Vorstellung, aber bei Moritatio hatte man sich diese Höflichkeiten auch einfach zu selten abschauen können. Ach, darauf gepfiffen! "Sagt, wollt Ihr uns nicht noch ein Stück begleiten? Wir wollen ja nicht, dass Euch nicht doch noch was passiert! Außerdem weiß ich, wo man hier im Ort das beste Bier bekommt. Sogar Zwergenbräu, hab ich mir sagen lassen!“
Autor: vivar
Stirnrunzelnd blickte der Angroscho von einem zum anderen. Zwergenbräu? Wollte die Kleine ihn auf den Arm nehmen? Kein aufrechter Sohn Angroschs würde sein kostbares Brauwerk an dieses Dorf der Zwergenfeinde verkaufen! Und wenn, so würden gewiss andere Brüder nicht fern sein und ihn nach Vater, Sippe und Klan befragen. Unwillkürlich rückte er sich sein Kopftuch zurecht, das die Klanadorosch-Rune auf seiner Stirn verbarg.
Andererseits... ein kühles Helles konnte er nun durchaus vertragen. Die Blagen sahen reichlich harmlos aus und er hatte wenig Lust, noch den halben Abend an seinem vermaledeiten Stand zu stehen. Vielleicht konnte er bei ihnen sogar an Informationen kommen? Sicher wäre die Leutnantin stolz auf ihn. So rang er sich ein zähnezeigendes Lächeln ab und sprach: "Ein Bier in Ehren soll kein Zwerg verwehren, Zaida de las Dardas y Sangrín. Aber was mache ich mit meinen schönen Waren? Wenn ihr mir helft, sie aufzulesen, Kinder, so darf jeder das schönste Stück behalten." Er wies auf die bronzenen Ringe, Halsketten und Medaillons, die auf dem Boden herumlagen.
Autorin: beiras
Der Hund an Salvestros Seite schnupperte neugierig an der Stelle auf dem Boden, auf den der Angroscho mit seinen kurzen Fingerchen zeigte. "Zurück", erklang es herrisch vom jungen Herrn und das Tier gehorchte schnaubend. Unwillig blickte Salvestro auf die eben so angepriesene Ware und es war nur zu deutlich, dass er nicht den Wunsch verspürte, sich ein Schmuckstück auszusuchen. "Habt Dank für dieses großzügige Angebot, aber ich bin mir sicher, uns war es Ehre genug, Euch aus dieser kleinen, misslichen Lage zu helfen." Er zwinkerte Zaida unauffällig zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass er ihren Plan mitbekommen hatte.
"Wie die sowohl mutige als auch hübsche Domnatella Zaida de las Dardas y Sangrin vorschlug, würden wir Euch gerne noch einen Moment in unserer Nähe wissen. Und Ihr habt gesehen, wie sehr Menschenansammlungen und Rüpel auf unsere tierischen Begleiter reagieren." Flink bückte er sich und fing an, die Schmuckstücke aufzusammeln, die auch nach näherer Betrachtung nicht seinem Geschmack genügten. "Helft mir, Dom Tschubax, dann müssen sich die Domnatellas nicht ihre Gewänder hier auf der Erde dreckig machen.“
Corvara hielt das augenscheinliche Leittier des Hunderudels fest, war doch auch dieser neugierig, was dort am Boden passierte. "Ruhig, gaaaaanz ruhig. Wir müssen mit den Hunden sowieso zurück zum Zwinger. Sie scheinen hungrig zu werden und ich möchte nicht, dass sie inmitten der Feiernden zu jagen beginnen. Es wäre nicht rahjagefällig, wenn sie sich ein kleines Kind schnappen würden." 'Oder einen Angroscho', fügte sie in Gedanken hinzu. Ihr Vater würde außer sich sein, wenn er erfuhr, dass die Hunde weggelaufen waren. Auch wenn sie vielleicht nur nach ihr gesucht hatten. Solch ein Aufsehen wollte ihr Vater sicherlich nicht. Aber vielleicht musste er es ja nicht erfahren.
Autor: vivar
Der Angroscho wollte erwidern, dass es ihm herzlich egal sei, was mit den Gewändern der Domnatellas geschah. Stattdessen bückte er sich wortlos und sammelte gemeinsam mit Salvestro die auf dem Erdboden verstreuten Kleinodien auf. Es dauerte nur kurze Zeit, bis sie alles in ein schwarzes Samttuch eingeschlagen hatten, das Turogosch mit einer Lederschnur zuband und sich wie einen Sack über die Schulter hängte. Er stand auf und klopfte sich die Krumen von den Beinkleidern. „Na, dann lasst uns einmal sehen, wo es dieses famose Bier gibt. Führt uns an, Großlingsmaid“, grinste er Zaida gutgelaunt an.
Die junge Waldwachterin deutete in Richtung des Dorfes und schritt aus. Turogosch watschelte auf seinen kurzen Beinen neben ihr her, dicht gefolgt von Salvestro, der – ganz heranwachsender Caballero – Lessina seinen Arm geboten hatte. Zuletzt folgte Corvara mit den Hunden.
- ↑ Im Original von George Forestier (um 1952).
- ↑ Im Original von Juana Inés de la Cruz (1651-1695).
- ↑ Traditionell (um 1534).
- ↑ Siehe die Briefspielgeschichte Von einem, der auszog, einen Grafen zu finden.
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