Chronik.Ereignis1033 Feldzug Epilog 04

Grafschaft Ragath, 16. Firun 1033 BFBearbeiten

In einer alten bosparanischen Ruine an der Reichsstraße von Ragath nach SüdenBearbeiten


16. Firun, mittagsBearbeiten

Autoren: von Scheffelstein, Der Sinnreiche Junker, Ancuiras

Mit aufgeregtem tschäk-tschäk-tschäk erhob sich der Eichelhäher in die Lüfte. Schnee rieselte von den Zweigen des Haselstrauches, auf dem er eben noch gesessen hatte. Stimmen näherten sich der verfallenen Klosterruine am Yaquirufer, Schritte knirschten im verharschten Schnee, ein Pferd schnaubte.

Richeza von Scheffelstein y da Vanya stieß sich von der Wand ab, ging zweimal federnd in die Knie, klopfte sich den Schnee vom Mantel und den Handschuhen, streckte die Finger und trat die drei Stufen hinab in den Hof des ehemaligen Boronklosters.

Gendahar von Streitzig, der ihre Pferde in die Überreste des ehemaligen Refektoriums geführt hatte, trat durch einen Durchgang, zog einige zerbrochene Äste aus dem Schnee und warf sie zwischen die Büsche am Rand des Innenhofs. Kritisch betrachtete er die verschneite Fläche, scharrte mit dem Stiefel über den Boden und räumte einige Steine beiseite.

Drei Männer traten zwischen den tiefhängenden Zweigen der Grau-Weiden und Haselsträucher hervor, die den rahjawärtigen Rand des Hofes säumten. Jeder führte ein Ross am Zügel. Jenseits der niedrigen Bruchsteinmauer blieben sie stehen und machten die Pferde fest, dann kamen sie die Stufen in den Hof herab.

Richeza von Scheffelstein y da Vanya musterte die Männer, während sie sich ihnen langsam näherte. Hernán von Aranjuez trug unter seinem Umhang ein schlichtes schwarzes Wams über einem weißen Hemd, weite Hosen und kniehohe Stulpenstiefel – Kleidung, die ihn bei dem bevorstehenden Kampf möglichst wenig behindern würde. Seinen Kopf zierte ein Hut mit Reiherfeder.

Dem zweiten Mann war die Landedle bereits auf dem Castillo Ragath begegnet. Sein Name war ihr unbekannt, doch die weiße Kutte unter dem gefütterten Leinenmantel und der dunkle Spitzhut auf seinem glatten, braunen Haar wiesen ihn als Anhänger der arkanen Zunft aus. In seiner Linken trug er einen kaum verzierten Magierstab.

Als letzter folgte niemand anderes als der kaiserliche Marschall, Gwain von Harmamund. Er hatte auf jegliche Farben und Wappen seines Hauses oder Amtes verzichtet, wie die Edle bemerkte, trug einen Wintermantel und einen schmucklosen Kürass über einem grünweißen Brokatwams mit geschlitzten Ärmeln, graue Hosen, Stulpenstiefel, Handschuhe und einen Caldabreser mit grauweißer Straußenfeder.

In einigen Schritt Entfernung von der Domna blieben die Männer stehen. "Dom Hernán", sagte diese und nickte dem Baron zu.

"Domna Richeza", erwiderte dieser, ebenso förmlich, und neigte seinerseits das Haupt.

Auch der Marschall begrüßte zunächst die Landedle und dann den Thangolforster Vogt, mit welchem er vor kurzem Umstände und Regeln des heute stattfindenden Duells ausgehandelt hatte. Die beiden Männer gaben sich steif die Hand, das Lächeln, das sie sich schenkten, wirkte reserviert, wie Richeza von Scheffelstein y da Vanya erstaunt zur Kenntnis nahm. Immerhin, dachte sie, war ihr Sekundant kein Freund des Harmamund, der wieder einmal, wie schon vor drei Jahren bei ihrem denkwürdigen Duell gegen den Kanzler Almadas, einem Kontrahenten beistand.

Der Magus wartete, bis er vorgestellt wurde. "Rondago Farugor von Aranjuez", sagte Gwain von Harmamund, "Absolvent der Akademie der Magischen Rüstung zu Gareth. Der Hochgelehrte Herr wird sich außerhalb der Sichtweite des Kampfplatzes bereit halten, um im Falle einer schwerwiegenden Verletzung dem Baron nach dem Gefecht die Wunden zu versorgen. Ihr habt ebenfalls einen Magus mitgebracht?"

"Nein", sagte Richeza von Scheffelstein schlicht.

"Nein?" Dom Gwain hob die Augenbrauen und sah von der Landedlen zu Gendahar von Streitzig und wieder zurück. "Euch ist bekannt, dass Ihr einen heilkundigen Zauberer mitbringen dürftet, sofern dieser keinen Einfluss auf das Kampfgeschehen nimmt?"

"Meine Rechte sind mir bekannt", erwiderte die Landedle kühl. Dom Gendahar hatte sie darauf hingewiesen, ja, er hatte sie geradezu beschworen, eine Lohnmagierin oder einen Lohnmagier anzuwerben, sofern sich in ihrer Verwandtschaft kein geeigneter Heilkundiger fände. Ihres Vaters jüngerer Bruder war in der Tat ein begnadeter Magus et Magister Curativus. Aber er weilte in Vinsalt und hätte sich gewiss nicht von seinen Studien entfernt, nur um seiner Nichte bei einem in seinen Augen sinnlosen Ehrenduell beizustehen. Und was Lohnmagier betraf ...

Nun, Richeza hatte sich erkundigt: Fünf Goldstücke hätte die Lohnmagierin in Ragath für ihre bloße Anwesenheit verlangt und mitunter noch einmal so viel, wenn ihre Dienste wirklich gebraucht würden. Mal abgesehen davon, dass ihr Lehen verwüstet und die Belagerung der Vogtei auch ihren Großvater an den Rand des Ruins gebracht hatte und selbst die da Vanyas, nachdem Praiosmin von Elenta das Familienvermögen gestohlen hatte, finanziell nicht mehr gut dastanden, hatte die Landedle noch nie auf so einen Firlefanz wie Heilmagie zurückgegriffen. Lieber verließ sie sich auf ihr eigenes Können als auf die Künste eines Zauberers! Ihrem Sekundanten jedoch hatte diese Entscheidung augenscheinlich nicht gefallen.

"Wie Ihr meint, Domna Richeza", sagte der Marschall. "Dom Rondago", wandte er sich sodann an diesen, "wenn Ihr die Güte hättet, Euch, wie vereinbart, auf hundert Schritt von der Ruine zu entfernen?"

Der Magus nickte und verabschiedete sich und stapfte durch den Schnee yaquirabwärts am Ufer entlang. Bald war er zwischen den Bäumen und Büschen verschwunden.

Gwain von Harmamund und Gendahar von Streitzig schritten gemeinsam den Hof des Klosters ab, derweil der Baron von Dubios seinen Umhang und den Caldabreser auf der Bruchsteinmauer ablegte, gefolgt von seinem Waffengurt und einem im rechten Stiefel eher weniger denn mehr versteckten Langdolch. Richeza von Scheffelstein löste die Schnallen ihres Umhangs, und der Thangolforster Vogt nahm ihn ihr ab, als er mit dem Marschall in die Mitte des Hofes zurückkehrte.

"Wir führen ein Gefecht aufs zweite Blut", erklärte Gwain von Harmamund an Richeza und Hernán gewandt. "Das heißt: bis einer von Euch sich geschlagen gibt oder nicht mehr fähig ist weiterzukämpfen. Das mutwillige Töten des Gegners ist nicht gestattet, entsprechende erkennbare Absichten führen zur Kampfunterbrechung durch die Sekundanten und im Wiederholungsfall zur erklärten Niederlage wegen Regelverstoßes. Ein Versterben eines der Duellanten auf dem Duellplatz kann außerdem die Anrufung eines Hohen Gerichts und die mögliche Anklage wegen Mordes nach sich ziehen. Als Kampfplatz gilt der Hof hier, begrenzt durch die drei Stufen zu jeder Längsseite, die Mauern im Norden und die Büsche vor der Mauer im Süden. Ein Betreten der Stufen ist gestattet, wer aber den Hof verlässt, erklärt damit seine Niederlage."

"Als Waffen sind Raufedegen und Rapier zugelassen sowie eine Parierwaffe", ergänzte Gendahar von Streitzig. Die beiden Kombattanten ließen die Belehrungen schweigend über sich ergehen. Offenkundig legten die Sekundanten großen Wert darauf, sämtliche Formalia noch einmal darzustellen, obwohl weder die Landedle noch der Baron zum ersten Mal ein Ehrengefecht austrugen. "Eine mögliche Rüstung darf aus Tuch oder Leder bestehen, nicht jedoch aus Metall. Macht jemand Gebrauch vom Recht, eine Rüstung anzulegen?"

Beide Kontrahenten schüttelten den Kopf.

Gwain von Harmamund nickte. "Die Waffen."

Richeza von Scheffelstein händigte dem Marschall ihren Degen aus, der Dubianer Baron reichte Gendahar von Streitzig ein Rapier und einen Linkhand-Dolch. Die Sekundanten prüften die Schneiden der Waffen, Parierstangen und Körbe und ließen sie in paar Mal durch die Luft fahren, ehe sie sie zurückgaben.

"Keine Parierwaffe?", fragte Gwain von Harmamund. Die Landedle schüttelte den Kopf. "Alsdann", sagte der Marschall. "So Ihr die Bedingungen des Kampfes anerkennt und einwilligt, von Anschuldigungen bei etwaig entstehenden Verletzungen und Entstellungen abzusehen, eine bereits genannte, absichtliche Tötung ausgenommen, so erklärt dies mit dem Satz Volenti non fit iniuria."

Richeza von Scheffelstein runzelte amüsiert die Stirn. Eine derart altmodische Einleitung eines Ehrenduells hatte sie noch nie erlebt. Der Marschall nahm es aber ganz genau! Schulterzuckend sprach sie die traditionelle Formel, der Baron von Dubios tat es ihr gleich.

Gwain von Harmamund schickte die Duellanten nicht einfach an die Schmalseiten des Kampfplatzes. Er zog einen Dukaten hervor, zeigte den Kombattanten beide Seiten und wies Dom Hernán das Antlitz des Kaisers und Domna Richeza den mittelreichischen Greifen zu. Er schnippte die Münze in die Luft, wo sie sich mehrfach überschlug und schließlich vor seinen Füßen im Schnee landete.

Gendahar von Streitzig beugte sich vor. "Greif", sagte er. Der Marschall nickte und steckte die Münze wieder ein.

Die Landedle hob die Schultern. Es war ihr vollkommen gleichgültig, auf welcher Seite sie das Duell begann. Die Sonne war nicht mehr als eine blasse Scheibe am graugelben, wolkenverhangenen Himmel. "Ich bleibe hier", sagte sie und wies hinter sich auf die Nordseite des Hofes.

Die Kontrahenten nahmen einander gegenüber an den schmalen Seiten des Hofes Aufstellung, Richeza von Scheffelstein vor der halb verfallenen Mauer der Tempelhalle, Hernán von Aranjuez vor den Hasel- und Ginstersträuchern an der Südseite des Hofes. Die Sekundanten zogen sich auf die Stufen an der Ostseite zurück, wo hinter der niedrigen Mauer die Pferde der Männer angebunden waren.

"Ad arma!", sagte der Thangolforster, und die Kombattanten hoben die Klingen vor ihre Gesichter und entboten sich gegenseitig und dann den Sekundanten den förmlichen Gruß.

"Rondram in honore habete!", ergänzte der Marschall und gab damit endlich den Kampf frei.

Ohne Eile näherten sich die Kontrahenten mit vorgereckten Waffen, prüften mit federnden Schritten ihre Standfestigkeit auf dem schneebedeckten Boden, tauschten ein paar halbherzige Klingenschläge aus, zogen sich wieder ein wenig zurück und warteten, auf der Stelle tänzelnd, auf einen Angriff.

Schließlich war es die Scheffelsteinerin, die dreimal vorschnellte, die Klinge auf die Brust des Barons gerichtet. Den ersten Ausfall parierte er mit dem Rapier, den zweiten mit der Linkhand, beim dritten schaffte er es gerade noch, beide eigenen Klingen zu kreuzen und so den Degen seitwärts abzulenken.

Richeza von Scheffelstein sprang zurück und brachte sich aus der Reichweite der Linkhand, mit der ihr Gegner nachstieß.

Wieder wippten die Duellanten vor und zurück, trieben einander einige Schritte über den Hof, Stahl prallte auf Stahl, ohne dass einer einen Treffer landete. Die Angriffe der Landedlen kamen schneller und besser platziert, doch wann immer sie eine Finte schlug, um den Rapier des Barons zu umgehen, konnte er im letzten Moment die Linkhand hochreißen und den Degen abfangen.

Seinerseits machte er nur zweimal einen Ausfall, den sie beide Male mühelos parierte, und beschränkte sich auf die Defensive. 'Er will mich ermüden', dachte Richeza, täuschte einen Schlag an, drehte die Klinge nach links und stieß stattdessen zu.

Hernán von Aranjuez zog die Parierwaffe hoch, die Klingen schrammten mit hässlichem Kreischen aneinander vorbei, und die Degenspitze, die andernfalls seine linke Brust getroffen hätte, streifte seine Wange und fuhr unter seinem Ohr am Hals vorbei. Blut lief aus dem Ohrläppchen über seinen Hals und tränkte den Kragen seines Hemdes, wie er nach einem kurzen Blick nach unten gewahr wurde. Er verzog die Lippen, doch die Verletzung war banal, würde ihn nicht behindern.

Ausfall folgte auf Ausfall, Richeza von Scheffelstein drängte den Baron zurück, doch immer wieder konnte er den Degen mit der Parierwaffe abfangen, und einmal drehte er die Linkhand so, dass die Waffe ihr fast aus der Hand gerissen wurde. Rasch sprang sie rückwärts, musste nun ihrerseits einige Attacken parieren, und Hernán von Aranjuez gewann wieder an Boden.

Richezas Blick fiel auf die Sekundanten, die einige Schritt voneinander entfernt auf der obersten Stufe vor der Mauer im Osten des Platzes standen. Das Gesicht des Marschalls wirkte gleichmütig, aufmerksam verfolgte er den Kampf. Gendahar von Streitzig hingegen hatte die Stirn gerunzelt und wirkte angespannt. Seine behandschuhte Linke ruhte auf dem Knauf seines Degens und er knetete die Finger seiner Rechten. Es wirkte gerade so, als wollte er am liebsten selbst seine Waffe ziehen und in den Kampf eingreifen.

Mit einem Mal wurde Richeza bewusst, wer ihr da zuschaute: Der Mann, von dem man behauptete, er habe noch nie ein Duell verloren! Der Mann, von dem man sagte, dass niemand in Almada und kaum jemand im gesamten Mittelreich ihm beim Fechten das Wasser reichen könne! Der beste Streiter Almadas ... Galt sein Stirnrunzeln den Attacken des Aranjuez? Oder ihren eigenen? Was würde er anders machen?

In ihrem Geist hörte sie die Stimme ihres einstigen Haus- und Fechtlehrers Omar Melekh ibn Jikhbar, der ihr auf Tulamidya zurief: Hoch den Arm, hoch, hoch! Bei allen Gaben der liebreizenden Rahja: Hat Eure Großmutter Euch nicht das Tanzen gelehrt? Tanzt mit der Klinge, Mädchen! Vorwärts, zurück, achtet auf Eure Füße!

Die Erinnerungen lenkten die Landedle ab. Zu spät bemerkte sie die Finte des Gegners. Instinktiv drehte sie sich von der Klinge weg, und das Rapier, das ihr die Lunge zerfetzt hätte, bohrte sich in ihren linken Oberarm. Sofort färbte sich der blaue Samt ihres Ärmels dunkel. Der jähe Schmerz holte sie zurück in die Gegenwart.

Sie stolperte rückwärts und hieb seine Klinge beiseite, als er nachsetzte. Scharf blies sie die Luft über die Lippen, versuchte, den Schmerz zu ignorieren, atmete, atmete weiße Dampfwolken in die eisige Luft, bis das heftige Pochen in ihrem Arm abebbte, zu einem dumpfen Schmerz am Rand ihres Bewusstseins wurde. Die Wunde blutete stark, das Blut lief ihren Arm hinab, über den Handschuh und tropfte in den Schnee.

Hernán von Aranjuez sah sie unbewegt an, machte einen weiteren Ausfall, verfehlte sie aber. Die Verletzung der Edlen hatte dem Baron Zeit verschafft, Zeit, die ihr selbst langsam davonlief. Sie griff einige Male schnell hintereinander an, aber wie schon zuvor gelang es ihr nicht, an seinem Rapier und an der Linkhand vorbeizukommen. Diese verfluchte Parierwaffe! Zu lange war es her, dass sie gegen jemanden gekämpft hatte, der mit zwei Klingen focht! Es war schlimmer als ein Duell gegen einen Linkshänder! Sie musste seine zweite Waffe loswerden!

Mit schnellen Schritten trieb Richeza von Scheffelstein den Dubianer Baron vor sich her, täuschte einen Stich auf die rechte Schulter an, schrieb mit den Klinge einen Bogen und zerfetzte den linken Ärmel seines Wamses. Die Wunde war nicht tief, aber so konnte es gehen. Noch ein Angriff, wieder eine Finte, diesmal beschrieb der Degen eine Acht, und als Hernán von Aranjuez die Linkhand hochzog, traf ihn die Breitseite der gegnerischen Klinge hart am Ellenbogen. Seine Mundwinkel zuckten vor Schmerz, er stieß das Rapier vor, aber die Landedle lenkte den Schlag nach oben ab, und er traf über ihrem Kopf ins Leere.

Der Baron griff nun selbst an, zwang sie in die Defensive, und sie parierte Schlag um Schlag und Stich für Stich, wartete auf eine Gelegenheit, fiel ihm dann plötzlich in den Angriff, tauchte unter dem Rapier hindurch zu einem tiefen Ausfall, und die Degenspitze durchstieß seinen rechten Oberschenkel. Aufstöhnend schlug er nach ihrer Schulter, aber sie war zu nah, als dass seine Klinge sie treffen konnte, doch der Korb des Rapiers schlug auf ihre verletzte Schulter, und sie rutschte auf dem inzwischen plattgetrampelten Schnee aus und fiel hart auf den Steiß.

Er wollte nachsetzen, aber sein Bein gehorchte ihm nicht, knickte einfach ein. Anscheinend bereitete ihm die alte Wunde aus Selaque noch immer Probleme. Einen Moment lang rang er vornübergebeugt nach Luft, während sie sich mühsam aufrappelte.

Blut tränkte den Boden und verwandelte den festgetretenen Schnee in eine zunehmend glatte Eisfläche.

Richeza von Scheffelstein griff an, schneller und heftiger als zuvor, und Hernán von Aranjuez, durch die Beinwunde deutlich langsamer in der Rückwärtsbewegung, beschränkte sich auf die Verteidigung mit den Waffen. Sein Bein zitterte, das Blut lief in seinen Stiefel, und er legte mehr Kraft in die Schläge, in der Hoffnung, ihr den Degen aus der Hand zu prellen.

Die Attacken der Landedlen wurden ungenauer, sie merkte den Blutverlust und hatte auf dem glatten Boden keinen allzu sicheren Stand mehr. Jeder Ausfall barg das Risiko eines Sturzes, jede Finte kostete Kraft.

Noch einmal schnellte sie vor, umging das Rapier, wich der Linkhand aus, drehte die Klinge, um seine Brust zu durchstoßen, verlor aber den Halt auf dem glatten Boden, rutschte seitwärts, und blitzschnell hieb er mit der Linken ihren Arm beiseite, während sie weiter auf ihn zu glitt. Statt aber aufgrund der verringerten Distanz mit halber Stärke gegen ihren Oberkörper zu schlagen, hieb er schwungvoll mit dem Rapier nach ihrer Waffenhand, traf mit Griff- und Terzbügel den Handrücken knapp oberhalb des Handschutzes, und Richeza von Scheffelstein schrie auf, als der stumpfe Stahl, durch den Handschuh kaum gebremst, die Mittelhandknochen zerschmetterte. Kraftvoll stieß Hernán von Aranjuez sie von sich, und sie stolperte zur Seite, bis sie wieder festen Schnee unter den Füßen hatte.

Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen, ihre Finger, noch immer um den Griff ihrer Waffe gebogen, wirkten steif und leblos, unfähig, den Degen loszulassen, gefangen unter dem Korb. Hernán von Aranjuez griff an, ungelenk, langsam, schnell mit den Armen, aber mit blutendem, kraftlosen Bein. Sie wich zur Seite aus, einmal, zweimal, stakste rückwärts, während ihr Waffenarm wie betäubt an ihrer Seite herabhing, die Degenspitze eine blutige Spur durch den Schnee zog.

Hernán von Aranjuez biss die Zähne zusammen, als sein zitterndes Bein abermals einknickte. Einen Moment lang standen sie sich gegenüber, zwei Schritt voneinander entfernt, beide schwer atmend, blutend, dann hob Richeza von Scheffelstein langsam den Degen. Kalter Schweiß stand auf ihrem bleichen Gesicht, ihr Arm zitterte nicht weniger als sein verwundetes Bein.

Sie täuschte einen Schlag an, einen zweiten, hoch, tief, mit schmerzverzerrtem Gesicht, stieß aber nicht zu und wich zurück, ehe er ihre Klinge beiseite schlagen konnte. Der Baron bewegte sich nicht von der Stelle, schien kaum noch stehen zu können, wartete nur, bis sie erneut angriff, um ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen, aber sie wich abermals aus, vermied es, mit der Klinge in der verletzten Hand zu parieren.

Einige Herzschläge lang starrten sie sich an wie verwundete Raubtiere, nur darauf wartend, dass der andere den Kampf verloren gab, doch dazu schien keiner der beiden gewillt. Noch einmal ging Richeza von Scheffelstein y da Vanya zum Angriff über, täuschte einen Schlag nach oben an, einen Stich zur Seite, wimmerte leise, als die Linkhand die Degenklinge auch nur streifte, sprang zurück und gleich darauf zu einem gewagten Ausfall nach vorne, duckte sich unter dem Rapier hinweg, das an ihrem Gesicht vorbei zischte, und während einige Strähnen ihres schwarzen Haars zu Boden fielen, durchstieß die Degenklinge den Hosenstoff des Barons und fuhr knapp oberhalb seines rechten Knies in das versehrte Bein, durchtrennte Muskel und Sehne.

Es war kaum auszumachen, wer lauter schrie: der Baron, der auf alle Viere stürzte und dabei die Linkhand fallen ließ oder die Landedle, die rückwärts stolperte und mit der Linken ihren rechten Arm umklammerte, an dem noch immer der Degen hing, als sei er festgewachsen.

Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie mit letzter Anstrengung den Parierdolch aus der Reichweite des Barons stieß und sich selbst den Degen samt Handschuh von der nutzlosen Rechten streifte. Ihre Hand war tiefblau und dick angeschwollen, und die Beulen und Dellen unter der Haut ließen erkennen, dass die Knochen sich nicht mehr alle an ihrem angestammten Ort befanden.

Richeza von Scheffelstein ließ den Handschuh fallen und wechselte die Waffe in die Linke. Die versehrte Hand an ihren Körper gepresst, richtete sie die Degenspitze auf die Schulter des sich gerade auf ein Knie aufrichtenden Barons.

"Steht auf!", stieß sie mit zitternder Stimme hervor. "Steht auf und kämpft, wenn Ihr könnt!"

Wütend funkelte sie der Condottiere von unten herauf an, nachdem er der davongetretenen Linkhand einen Moment hinterher geblickt hatte. Schweiß lief ihm aus den dunklen Locken über die Stirn, die linke Seite seines Halses war rot vom Blut des langen Schnittes gleich zu Beginn des Duells. Schwer atmend wischte er sich mit dem rechten Hemdsärmel durchs Antlitz, stützte dann den Unterarm auf das angewinkelte Knie und stemmte sich mit einem Grunzen nach oben. Zumindest versuchte er es, denn schon nach wenigen Lidschlägen musste er feststellen, dass ihm sein rechtes Bein in keiner Weise mehr gehorchte. Langsam sank er zurück auf sein gesundes Knie, warf das Rapier zur Seite und legte sich mit einem erschöpften Stöhnen in den Schnee.

Die beiden Sekundanten wechselten einen kurzen Blick und nickten sich gegenseitig zu. Das Duell war entschieden, der Kampf war vorbei.

"Finis!", rief Marschall Gwain von Harmamund.

"Das genügt", pflichtete ihm der Thangolforster bei und trat zwischen die beiden Kontrahenten, bedacht, auf dem rutschigen Grund nicht auszugleiten. "Das Duell endet, da Seine Hochgeboren von Aranjuez nicht mehr in der Lage ist, den Kampf fortzusetzen."

Er wandte sich um. Der Marschall nickte, rief nach Rondago von Aranjuez und trat selbst zu Dom Hernán.

"Für heute wurde genug Blut vergossen", sagte Gendahar ruhiger an Richeza gewandt. Er verzog das Gesicht, als er ihre Hand betrachtete, fast schien er mehr zu leiden, als sie selbst. "Ich werde Eure Hand verbinden, aber wenn sie nicht steif werden soll, bedarf sie fachkundigerer Heilkunst."

Erschöpft setzte sich die Edle auf einen Treppenabsatz, während er die Pferde zurück in den Hof führte und einige Leinenbinden aus seiner Satteltasche nahm. Mit angespannter Miene hielt sie ihm ihre geschundene Hand hin, als er danach verlangte.

Er versuchte, ihr nicht ins Gesicht zu sehen, als er so vorsichtig wie möglich den Verband anlegte. Sie biss offenbar die Zähne zusammen, denn außer dem Knirschen derselben machte sie keinen Laut. Als er fertig war, ihre Hand und notdürftig auch den linken Oberarm über ihrem Wams zu verbinden, hob er die Augen wieder. Sie war schweißüberströmt, und das kam sicher nicht nur von dem anstrengenden Kampf. Sie sah hinreißend aus.

Inzwischen hatte der Magier Dom Hernán erreicht und begann, ihm die Hand auflegend, seine Zauber zu wirken.

Gendahar von Streitzig blickte die Landedle an, die den Zauberer mit undeutbarem Gesichtsausdruck beobachtete. "Zufällig kenne ich auch jemanden ganz in der Nähe, der in der Lage ist, Euch und Eure Hand hoffentlich wieder zu Eurer vollen Zufriedenheit herzustellen." Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu und hob sogleich die Hände. "Ich weiß, Ihr wolltet keinen arkanen Beistand. Aber als Euer Sekundant bin ich nun einmal für Eure Sicherheit und Euer Wohlergehen verantwortlich – in jeder Hinsicht."

Sofort bildete sich eine kleine Falte auf der Stirn der Scheffelsteinerin, aber entweder hatte sie nicht die Kraft, sich zu beschweren, oder sie sah ausnahmsweise ein, dass er nur zu ihrem Besten gehandelt hatte. Deuteten ihre Mundwinkel nicht sogar ein kleines Stück nach oben? Sie nickte schwach, kam schwankend auf die Füße und ließ sich von ihm den Umhang umlegen.

"Dom Hernán." Die Edle nickte dem Baron zu, der an eine der Treppenstufen gelehnt dasaß. Sein Verwandter hatte das ohnehin lädierte Hosenbein weiter aufgeschnitten, ihm die Hände auf das verwundete Bein gelegt und murmelte heilende Worte.

"Dom Gwain." Ein Nicken auch in Richtung des Marschalls, dann zog sie sich mit zusammengepressten Lippen in den Sattel und folgte dem Ross des Thangolforster Vogtes die Stufen hinauf und durch den Durchgang in der Mauer in das Wäldchen, das die Ruine von der Reichsstraße trennte.

Es begann zu schneien, und als Hernán von Aranjuez und seine Begleiter einen Wasserlauf später den Kampfplatz verließen, bedeckte eine zarte Schneeschicht den blutigen Boden. Der Eichelhäher kehrte zurück und pickte unter den Haselsträuchern nach Nüssen, die der Herbst vergessen hatte. Bald waren die zarten Vogelspuren die einzigen Abdrücke im Schnee. Stille legte sich über das verfallene Kloster.

Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 04