Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 03: Unterschied zwischen den Versionen

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"Und das will ich nach wie vor!" nickte Praiosmin. "Aber dazu müssen wir sie erst einmal haben! Bedenkt, mein Freund, daß ich Euren Landbesitz gerade fast verdreifacht habe! Dafür erwarte ich Gegenleistungen! Fangt mir Rifada da Vanya wieder ein! Weit kann eine Frau alleine und unbewaffnet in Zeiten wie diesen ja nicht kommen! Und zweitens behaltet die Grenze nach Ragatien im Auge! Wie Ihr wisst, sind uns bei dem Kampf hier im Hof noch andere Aufrührer durch die Lappen gegangen - unter anderem der Sohn der Übergeschnappten und dieser Landsknecht Aranjuez! Ich kenne diese Burschen nicht, aber ich will nicht, daß uns plötzlich aus Schrotenstein oder Ragathsquell Ärger ins Land rückt, habt Ihr das verstanden?"<br>
"Und das will ich nach wie vor!" nickte Praiosmin. "Aber dazu müssen wir sie erst einmal haben! Bedenkt, mein Freund, daß ich Euren Landbesitz gerade fast verdreifacht habe! Dafür erwarte ich Gegenleistungen! Fangt mir Rifada da Vanya wieder ein! Weit kann eine Frau alleine und unbewaffnet in Zeiten wie diesen ja nicht kommen! Und zweitens behaltet die Grenze nach Ragatien im Auge! Wie Ihr wisst, sind uns bei dem Kampf hier im Hof noch andere Aufrührer durch die Lappen gegangen - unter anderem der Sohn der Übergeschnappten und dieser Landsknecht Aranjuez! Ich kenne diese Burschen nicht, aber ich will nicht, daß uns plötzlich aus Schrotenstein oder Ragathsquell Ärger ins Land rückt, habt Ihr das verstanden?"<br>
Der Junker nickte mißmutig, was blieb ihm anderes übrig.
Der Junker nickte mißmutig, was blieb ihm anderes übrig.
*''Die Geschichte um Dom Ordonyo wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 04|Schauplatz: Selaque, Teil 04]].''


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Version vom 11. Juni 2011, 19:09 Uhr

Kaiserlich Selaque, 25. bis 28. Praios 1033 BF

Auf dem Castillo da Vanya, im Minendorf Grezzano und im Vanyadâl


Autor: SteveT

25. Praios

"Hoch mit ihr!"

Ein eiskalter Guß Wasser traf Domna Rifada im Gesicht und weckte sie aus dem Dämmerschlaf. Ihr halb zugeschwollenes Auge, wo sie der Streitkolben des Elentinischen Baronsgardisten getroffen hatte, brannte nach wie vor wie Feuer. Prustend schüttelte sie sich die Nässe aus dem Gesicht und den Haaren, so gut das ging, wenn man mit den Gliedern einer eisernen Kette am rechten Hand- und Fußgelenk an die Wand festgeschmiedet war. Blinzelnd erkannte sie Ordonyo di Alina, den von ihr schwerverletzten Capitan Giordan Schlehwein und ihre verhaßte Rivalin Praiosmin von Elenta an ihrem unterschiedlichen Schuhwerk, die im Halbkreis um sie herumstanden und auf sie herabstarrten.

"Was wollt ihr, verfluchtes Dreckspack?", knurrte sie.

"Halts Maul, Verräterin!", zischte Capitan Giordan und trat ihr grob mit der Stiefelspitze in die Rippen.

"Nicht doch, Hauptmann!", tadelte ihn der Aliner Junker mit seiner hundsföttischen Säuselstimme, die Rifada schon immer ein Gräuel gewesen war. "Unserer treulosen Felonistin hier wird ihr freches Mundwerk bald ohnehin für immer geschlossen werden. Soll sie ihren letzten Atem doch ruhig mit Toben verschwenden."

"Wir da Vanyas herrschten schon über Bosquirien, als Eure Vorfahren noch kahlgeschoren hinter Ochs' und Pflug über die Felder getrampelt sind! Das merkt Euch besser! Wir hätten euch damals alle aufknüpfen oder in die Steinbrüche schicken sollen!", brüllte ihn Rifada nieder.

"Ja, das hättet Ihr besser tun sollen!", lachte Junker Ordonyo höhnisch. "Denn jetzt werdet Ihr selbst einen Kopf kürzer gemacht, und ich werde grinsend direkt neben dem Schafott stehen, wenn Ihr Euer häßliches Haupt darauf bettet!"

"Ruhig!", beendete Praiosmin von Elenta ungehalten den Disput ihrer Lehnsvasallen. Rifada nahm erst jetzt wahr, daß sie ein Blatt Pergament und eine in einem Tintenfaß steckende Schreibfeder in den Händen hielt. Sie hatte ihren dicken, feisten Körper wiederum in die goldene Livree eines Laienmitgliedes der Suprema gepresst, obwohl Amando seine einstige Lieblingsschülerin aus dem Orden ausgeschlossen hatte, als sie durch die immer stärker kursierenden Gerüchte um ihre Rakolus-Buhlschaft für das Hochtribunal der Heiligen Inquisition untragbar geworden war.

Praiosmin bückte sich schnaufend und stellte Pergament und Tintenfaß direkt vor Rifada auf dem schmutzigen Boden ab. Auch wenn nur wenig Licht durch das winzige Schießscharten-Fenster zwei Schritt über ihrem Kopf hereinfiel, erkannte Rifada sofort, daß sie im Kellergeschoß des rechten Torturmes der Barbarkane ihrer eigenen Burg gefangengehalten wurde.

"Was soll das?", frug sie die sich wieder aufrichtende Praiosmin und deutete mit einem Kopfnicken auf deren Schreibutensilien.

"Damit werdet Ihr nun Euer Schuldeingeständnis für den anstehenden Proceß vor dem königlichen Hochgericht schreiben!" antwortete Praiosmin barsch, als ärgere sie bereits die Frage. "Ihr schreibt nur haargenau das, was ich Euch sage! Also los: Ich, Rifada Jezebela da Vanya, vormals Junkerin zu Vanyadâl, bekenne mich hiermit schuldig ..." Ihre Miene verfinsterte sich weiter, als sie bemerkte, daß die Vanyadâlerin nicht einmal Anstalten machte, nach der Feder zu greifen. "Na, was ist denn? Keine Mätzchen, oder glaubt mir, ich werde Euch der Tortur unterziehen lassen, bis Ihr noch viel mehr schreibt, als man von Euch verlangt, nur damit Eure Pein ein Ende findet!"

"Ich werde nichts dergleichen schreiben!", schüttelte Rifada unbeeindruckt den Kopf. "Ihr seid die Verräterin an Selaque und am Reich! Und selbst wenn ich so dumm wäre, Euch zu gehorchen. Ich kann überhaupt nicht schreiben!"

"Ihr lügt!", brüllte Praiosmin und drohte Rifada dabei mit der Faust. Sie zog ein zerknülltes kleines Zettelchen, offenbar eine Brieftaubennachricht, aus der Tasche ihres Gewandes. "Hier habe ich nur eine der Befehlsverweigerungen und Unverschämtheiten, die Ihr mir in den letzten Jahren per Taube geschickt habt. Ich habe Dutzende davon und Ihr könnt sehr wohl und gut alles schreiben, was Eurem aufsässigen und hochmütigen Geist entwächst! Also los jetzt! Keine Ausflüchte oder ich lasse Euch mit Brandeisen martern!"

"Das hat mein Mann geschrieben!", stellte Rifada lakonisch mit einem einzigen Blick das Zettelchen fest. "Er ist mein Schreiber und verfasst alles, was ich ihm befehle!" Dies entsprach durchaus der Wahrheit. Natürlich war sie als Mitglied einer Geweihten-Familia auch selbst des Lesens und Schreibens mächtig. Aber ihre eigene Klaue war - gerade im Vergleich zu Praiosmins kunstvoller Kalligraphen-Schrift - so unleserlich, daß sie Berengar alle Korrespondenz diktierte. Irgendwie mußte sich der dumme Tropf schließlich nützlich machen, wenn er schon unentgeltlich auf ihrer Burg lebte und sich eine fette Wampe anfraß.

"Ach ja?" wurde Praiosmin hellhörig. "So werdet Ihr ihm Euer Schuldeingeständnis im Beisein der hier anwesenden Zeugen diktieren und es dann vor unser aller Augen unterzeichnen. Behauptet nicht, daß Ihr auch das nicht könnt. Ich weiß es besser!"

Rifada lag schon eine patzige Antwort auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter. Wenn ihr Mann und das restliche Burggesinde dort gefangengehalten wurde, wo sie sie vermutete, dann flammte ein kleiner Hoffnungsschimmer in all der Dunkelheit auf. "Was bleibt mir übrig?", knurrte sie, scheinbar zerknirscht.

"Bringen wir sie zu ihm!", befahl Domna Praiosmin. "Aber sie muss die ganze Zeit an Händen und Füßen gefesselt bleiben. Ihr habt es selbst gesehen - das Weib ist gefährlich wie zehn verletzte Oger!"

"Aus einem anderen Munde würde ich das als Kompliment nehmen!", brummte Rifada, während ihr Ordonyo di Alina die Spitze seines Rapiers auf die Gurgel richtete und sich Capitan Giordan schweißstinkend und mit haßerfülltem Blick mit einem Schlüssel an ihren Ketten zu schaffen machte. Sie wurde von der Wand gelöst, aber dafür wurden ihre Hände zusammengefesselt, und auch ihre Fußfesseln hatten nur soviel Spielraum, daß sie nur in kleinen Trippelschritten gehen konnte. Aber das war immerhin besser als nichts. Ihre Beine schmerzten, als sie die beiden Männer nach tagelangem Liegen wieder hoch in den Stand auf die Füße zogen. Blendendes Sonnenlicht stach in ihren schmerzenden Augen, als sie nach tagelanger Dunkelheit hinter Praiosmin her ins Freie auf den Burghof tapste. Die Leichen, die nach dem harten Kampf vor einigen Tagen überall im Hof herumgelegen hatten, waren in der Zwischenzeit offenbar begraben worden. Die Tür des Bergfrieds hing schief in den Angeln. Offenbar war sie mit einem Rammbock aufgebrochen worden - hoffentlich erst nachdem Richeza, Moritatio, Dom Hernán und der Yaquirtaler Geck über die Strickleiter in die Freiheit entkommen waren. Oben auf dem Wehrgang standen die Leute des Aliners und beobachteten aufmerksam die Umgebung.

"Vorwärts!", stieß ihr Giordan Schlehwein grob die Faust in den Rücken. "Da hinüber!"

Rifada jubilierte innerlich. Praiosmin schritt geradewegs auf die Tür zum Weinkeller zu. Der einzige Kellerraum der Burg, der groß genug war, um so viele Gefangene wie das überlebende Burggesinde aufzunehmen. Genau das "Gefängnis", auf das sie gehofft hatte. Vor der Tür zum Weinkeller stand einer der Selaquer Baronsgardisten im grün-weißen Waffenrock und hielt Wache. Er salutierte, als Praiosmin näherkam und schloß ihr nach einer Verbeugung die Tür auf. Die Reichsvogtin trat in den riesigen Gewölbekeller ein, gefolgt von der gefesselten Rifada, Ordonyo di Alina und Capitan Giordan. Rifada hörte, wie die Tür hinter ihnen wieder abgeschlossen wurde. Aber das spielte keine Rolle.

Vor und unter den etwa drei Dutzend großen Weinfässern der Bodega saßen und lagen Menschen auf dem Boden, aus einer Ecke ertönte wimmerndes Kindergeschrei. Es waren vor allem die Mägde, deren Kinder, die alte Köchin und ein paar junge Stallburschen und Knechte ihres Gesindes, die hier gefangengehalten wurden. Ein paar entsetzlich nach Fäkalien stinkende Eimer entlang der Wand dienten ihnen offenbar als Abtritt.

"Wo steckt der Ehegemahl von Rifada da Vanya?", rief Domna Praiosmin so laut durch den Raum, daß sie ein jeder bis in die hinterste Ecke hören konnte.

"Mit Verlaub, das bin ich ich, Euer Hochgeboren!", kam Berengar von Schlehen mit vorsichtigen Schritten aus der Dunkelheit näher und neigte leicht den Kopf vor der Reichsvogtin, die ihn von früher sehr gut kannte. Entsetzt sah er das zerschundene und zerschlagene Gesicht seiner Frau. Diese gab ihm mit einem warnenden Blick zu verstehen, jedes seiner weiteren Worte mit Bedacht zu wählen.

"Du bist Schreiber?", frug ihn Praiosmin und reichte ihm die mitgebrachte leere Pergamentrolle und das Tintenfaß. "Dann schreib! Ich werde dir nun im Beisein deines Weibes und vor diesen ehrenwerten Herren und euch allen hier als Zeugen ihr Schuldeingeständnis für den Proceß vor dem königlichen Hochgericht diktieren, welches sie dann unterzeichnen wird. Was mit euch allen passiert, werde ich erst nach dem Proceß und der Verurteilung eurer aufsässigen Herrin entscheiden. Wenn ihr euch bis dahin gut betragt und euch als folgsame Untertanen erweist, entlasse ich euch vielleicht wieder in die Freiheit. Dann aber natürlich nur im Stato von Halbfreien, denn eine gewisse Strafe muss sein!"

Sie wollte soeben mit dem Diktieren beginnen, als hinter ihr plötzlich ein überraschtes und jämmerliches Gurgeln ertönte. Praiosmin fuhr herum und sah, daß die Vanyadâlerin offenbar Capitan Giordan den Ellenbogen auf den Kehlkopf gerammt hatte. Eben nahm sie diesen in den Schwitzkasten und schlang ihm dabei die Kette, mit der ihre Handgelenke aneinander gefesselt waren, um den Hals. "Elende! Jetzt stech ich sie ab!", brüllte der Junker von Alina und hob sein Rapier. Ehe er aber zustechen konnte, wurde er von etwas am Kopf getroffen - dem Tintenfaß, das Praiosmin gerade selbst Berengar von Schlehen überreicht hatte. Ein riesiger dunkelblauer Fleck bedeckte seine ganze rechte Gesichtshälfte.

"Drauf! Drauf!", brüllte Rifada, die weiterhin den sich verzweifelt wehrenden Giordan würgte. "Drescht sie zusammen!!!"

Praiosmin bekam es mit der Angst zu tun, denn tatsächlich kamen nun aus dem Halbdunkel fünf oder sechs junge Kerle und auch drei Weiber mit haßerfülltem Blick auf sie zugerannt. Sie griff nach ihrem Sonnenszepter am Gürtel, als einer der jungen Stallburschen einen der Fäkalieneimer griff und auf sie schüttete. Ekel überrollte sie, als sie die feuchtwarme stinkende Brühe frontal traf. Der Geruch und Geschmack von Kot und Urin drang in ihren halbgeöffneten Mund.

Spuckend und würgend sank Praiosmin auf die Knie. Auch auf den Junker von Alina, der sich den jungen Burschen mit blitzender Klinge in den Weg stellte, gingen ekle Schwälle aus den anderen Fäkalieneimern nieder, die zum Teil auch Praiosmin trafen. Ihre güldene Robe war klatschnass und über und über braun gesprenkelt. Junker Ordonyo fasste sie unter der Achsel, riß sie hoch und zog sie fort zur Tür, sein Rapier beschrieb einen weiten Kreis durch die Luft, um die jungen Maiden und Burschen des Burggesindes auf Distanz zu halten, die ihnen ans Leben wollten. Er hatte die Loyalität dieser Bastarde zu ihrer übergeschnappten Herrin unterschätzt.

"Aufmachen!", schlug er gegen die Tür. "Sofort aufmachen!" Glücklicherweise reagierte der Gardist auf der anderen Seite der Türe sofort. Er öffnete augenblicklich, ließ ihn selbst und Praiosmin heraus und warf sich dann gegen die Tür, um sie mit größter Kraftanstrengung zuzuwerfen und wieder den Schlüssel herumzudrehen.

"Nein! Capitan Giordan! Er ist noch drinnen!", stöhnte Praiosmin, die ehrliche Sorge um ihren langjährigen Burghauptmann erfasste.

"Die Verrückte hat ihn in der Mangel! Wir konnten ihm nicht helfen!", verteidigte der Junker sein Vorgehen, während von innen heftig gegen die Tür gehämmert wurde. "Aber keine Sorge! Sie sind ja alle weiterhin gefangen - da kommen sie nicht raus!"

Er wandte sich zu dem Gardisten, der sie entsetzt und auch mit einem gewissen Abscheu ob ihres Aussehens und ihres Gestanks anstarrte. "Was glotzt du so dumm? Hol' Verstärkung! Wir müssen diese tolle Hunde zur Räson bringen! Diesmal wird es keine Gnade geben! Wer sich nicht sofort ergibt, wird kaltgemacht!"

Im Inneren des Weinkellers eilte Dom Berengar seiner Gattin zur Hilfe, die Hauptmann Giordan inzwischen zu Boden gerungen hatte, auf dem Rücken unter diesem lag und ihn nach wie vor im Würgegriff hielt, während er - bereits leicht bläulich angelaufen im Gesicht - verzweifelt mit beiden Händen versuchte, die scheuernden Kettenglieder von seinem Kehlkopf zu bekommen. Dabei rollten beide hin und her, wie zwei Ringer auf dem Jahrmarkt oder zwei sich paarende Insekten: Der Anblick wäre fast komisch gewesen, wenn es nicht für jeden ersichtlich ein Kampf auf Leben und Tod gewesen wäre.

"Seine Waffe! Nimm seine Waffe!", presste Rifada zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Blut tropfte unter den scheuernden eisernen Manschetten um ihre Handgelenke hervor. Giordan Schlehwein blickte den unschlüssigen Berengar warnend mit herausquellenden Augäpfeln an - er versuchte nach ihm zu treten. Ehe sich Berengar zu einer Entscheidung durchringen konnte, trat Ludovica, die alte Köchin der Burg, hinzu, zog Capitan Giordan den Säbel aus der Scheide und tauchte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken oder ein einziges Wort zu verlieren, auf Bauchnabelhöhe tief in dessen Wanst, so daß die Klinge fünf Finger tief in seinem Gekröse verschwand.

Giordan Schlehweins Augen weiteten sich noch mehr. Entsetzt starrte er Ludovica an. Dann wurde er mit einem Male ruhiger und schlaffer, und Rifada packte ihn am Kinn und verdrehte ihm mit einem kräftigen Ruck und häßlichem Knacken das Genick.

"Gut, Ludovica!", schnaufte sie und stieß den schweren toten Körper des Capitans von sich.

Berengar erwartete ein Donnerwetter, aber stattdessen schlüpfte seine Gemahlin sofort wieder in die Rolle der Anführerin, die ihre Lakaien von ihr erwarteten. "Rollt die zwei Fässer da drüben vor die Tür!", befahl sie den Jungen, die sich mit einer Verbeugung an die Arbeit machten.

Rifada ließ sich von der Köchin den Säbel geben und stach ihn ins Zapfloch von einem der Fuderfässer, was Berengar doch verwunderte. Als sie ihn wieder herauszog, strömte der teure Rotwein aus dem Faß und ergoß sich auf den Boden ihres Gefängnisses.

"Was machst du denn da?", schüttelte Berengar von Schlehen den Kopf. "Sie können jederzeit wiederkommen - jetzt werden sie uns mit Sicherheit alle foltern und dann umbringen!"

"Nur wird dann leider niemand mehr hier sein!", grinste Rifada. "Wir gehen jetzt! Hast du Trottel dich denn nie gefragt, wie diese Burg seit siebenhundert Jahren mitten im Feindesland bestehen kann und dabei niemals erobert oder ausgehungert wurde?"

"Schon! Aber was meinst du mit 'Wir gehen jetzt'?", frug Dom Berengar ungläubig. "Die Tür ist von außen abgeschlossen, wir sind seit drei Tagen hier eingesperrt!"

"Wieso seid ihr noch da?", wandte sich seine Gemahlin, statt einer Antwort, an Ludovica. "Du kennst doch den Weg."

"Ja, Herrin. Aber keiner der Leute wollte ohne Euch fliehen!", antwortete die Köchin.

"Den Weg?", frug Berengar abermals dazwischen. "Was weiß sie und das Gesinde, wovon ich nichts weiß?"

Rifada wartete, bis fast der gesamte Wein aus dem Fuderfaß geströmt war, dann stürzte sie das nun viel leichtere Faß um und rollte es zur Seite. An der Stelle, an der es gestanden hatte, scharrte sie mit den Füßen den Schmutz und das Stroh zur Seite.

"Eine Falltür!", stellte Dom Berengar staunend fest. "Heißt das etwa, es gibt von hier aus ..."

"... einen geheimen Fluchttunnel und Versorgungsgang nach draußen - jawohl, das heißt es. Der Gang führte in die Berge, in Richtung Grezzano. Auf diese Art und Weise wurde das Castillo von unseren Vorfahren schon manches Mal vor dem Hungertod bewahrt." Sie zog die quietschende Falltür auf. Darunter wurden eine Eisenleiter sichtbar, die in dunkle Schwärze führte. "Meine Arme und Beine sind gefesselt und ich habe keine Zeit und kein Werkzeug, die Fesseln zu lösen. Das kann dann in Grezzano geschehen. Gilano, Landolo, Zicardo - her zu mir!" Sie wank die drei kräftigsten der Stallknechte heran. "Ihr werdet mich tragen müssen - es geht nicht anders. Jetzt nur heraus hier - später kehren wir zurück und holen uns das Castillo zurück!"

Zicardo und Landolo fassten sie unter den Armen, Gilano an den Füßen, letzterer stieg vorsichtig als erster in den dunklen Gang unter der Falltüre hinab.


Autor: SteveT

26. Praios, nachmittags

Im Minendorf Grezzano in Kaiserlich Selaque

"Worauf wartest du? Schlag zu!", trieb Domna Rifada den jungen Landolo in ihrem unwiderstehlichen Kommandoton zum Handeln an.

"Ich weiß nicht ... ich ... ich habe Angst, Herrin!", hielt dieser zitternd den schweren Steinbrecher-Vorschlaghammer in beiden Händen. "Wenn ich daneben haue, zermalme ich Gilano oder - schlimmer noch - Euch die Hände ..."

"Wirst du wohl gehorchen, Kerl? Schlag zu, so fest, wie du kannst!", befahl ihm Rifada erneut, und ihr stechender Blick enthielt die unausgesprochene Warnung, nun besser rasch zu tun, wonach sie verlangte.

Landolo nickte schluckend und hob den riesigen Vorschlaghammer weit über den Kopf, um auszuholen. Seine Herrin saß ganz ruhig zu seinen Füßen. Die von eisernen Bändern umspannten Handgelenke ruhig auf einem Felsblock am Ortsrand von Grezzano aufgelegt. Der junge Gilano, der den nicht minder massiven Marmormeißel halten musste, der auf die Eisenkette zwischen ihren Handgelenken zielte, hatte angstvoll die Augen geschlossen und schickte murmelnd ein Stoßgebet gen Alveran. Wenn sein Cumpan daneben schlug, würden seine eigenen oder der Herrin ihre Hände für immer verstümmelt bleiben - so oder so war dann ihrer beider Leben verwirkt.

Mit einem Aufschrei ließ Landolo den Hammer niedersausen. Berengar von Schlehen konnte gar nicht weiter hinsehen und wandte schnell mit geschlossenen Augen den Kopf ab. Nach dem harten gellenden Aufschlag von Metall auf Metall herrschte für eine gefühlte Ewigkeit eine gespenstische Stille im Ort. Nur das Krächzen eines Rabens, der auf dem Dach einer der geplünderten Steinbrecher-Hütten von Grezzano saß und von dort zu ihnen herüberblickte, war zu hören.

"Jetzt gib' den Hammer her! Die Fußkette erledige ich selbst!", hörte Berengar nach quälend langen Herzschlägen endlich das Exerzierplatz-Organ seiner Gattin und öffnete schwer ausatmend und dankbar wieder die Augen.

Er sah zu ihr hinüber, wie sie gerade Landolo den Hammer aus den Händen riss und ihn einhändig voller Wucht und Zorn fünf- oder sechsmal auf ihre Fußkette niederprallen ließ, so daß wild die Funken stoben und er schon befürchtete, sie würde sich ihre eigenen Füße zu Klump schlagen. Wahrlich, als die guten Götter einst unter den Menschen die Angst verteilt hatten, die ja auch durchaus ein nützliches und lebensrettendes Gefühl sein konnte, da mußte seine Gemahlin völlig übersehen worden sein ...

Er konnte sich nicht erinnern, sie sich jemals vor irgendetwas fürchten gesehen zu haben - selbst Mäuse und Spinnen, vor denen die meisten anderen Weibsbilder kreischend auf Tische und Stühle Reißaus nahmen, trat sie zur Not mit nackten Füßen platt.

Endlich hatte die schwere eiserne Kerkerkette ein Einsehen und zersprang funkenstiebend. Rifada warf Gilano den schweren Eisenhammer zu und kam scheppernd und klirrend zu ihrem Mann herübergeschlurft, da die Enden der Ketten an den eisernen Manschetten ja nach wie vor an ihren Handgelenken und Knöcheln baumelten -sie war jetzt nur nicht mehr gefesselt.

Der junge Zicardo, die Burgköchin Ludovica und die Mägde und ihre Kinder, die mit ihnen aus dem Fluchttunnel aus dem besetzten Castillo da Vanya entkommen waren - alles in allem 19 Leute - hatten sich auf drei großen Marmorblöcken am Ortsrand von Grezzano niedergelassen, nachdem sie das geplünderte Dorf gründlich, aber ohne großen Erfolg nach Ess- und Verwertbarem abgesucht hatten.

"Fast nichts, Herrin!", erstattete Ludovica ihrer Dienstherrin niedergeschlagen Rapport. "Alles Nützliche und Essbare wurde bereits von Plünderern lange vor uns geraubt. Das einzige, das ich gefunden habe, was Euch interessieren dürfte, ist dies hier." Sie überreichte Rifada eine gold gefärbte Feder, offenbar die Schwanzfeder eines Reihers.

"Aber das ist doch ...", kam Dom Berengar hinzu. "Haargenau solche Federn trägt doch Moritatio an seinem Caldabreser!", rief er erfreut aus und Ludovica nickte strahlend, die den Stammhalter der Familia einst als Amme gestillt und großgezogen hatte, da Rifada seinerzeit zu beschäftigt und ohne große Liebe für den armen Säugling gewesen war.

Dennoch hellte sich die finstere Miene der Junkerin nun geringfügig auf: "Das heißt, sie sind entkommen und hier gewesen! Wenn ich mich recht erinnere, hatte er den Hut Richeza geliehen. Der Einfaltspinsel glotzte sie ohnehin die ganze Zeit mit verliebten Augen an, wann immer er dachte, daß ich es nicht bemerke."

"Sei's drum!", hob Dom Berengar die Schultern. "Sie leben und nur das ist wichtig. Richeza ist ein gutes Mädchen!"

"Ja ja, das ist sie!", wank Rifada ab. "Aber sie ist die Tochter meiner Schwester - Moritatios Cousine, vergiß das nicht! Wir sind keine rückständigen Waldwachter, die sich wie die Karnickel kreuz und quer durch die eigene Blutlinie paaren!"

"Dennoch würde sie mir als Schwiegertochter ganz hervorragend gefallen!", ließ sie Berengar ungefragt wissen.

Wenn er denn überhaupt dein Sohn wäre, du Schwachkopf!, dachte Rifada stumm bei sich - laut aber entgegnete sie ihm: "Du hälst dich da gefälligst heraus! Das geht ganz alleine mich etwas an und eventuell noch die beiden!"

Bei allem müßigen und dummen Raisonieren über ungelegte Eier sollte keiner hier in ihrer Runde vergessen, in welcher Situation sie sich befanden: Sie hatten nichts zu Essen und unzählige hungrige Mäuler zu stopfen. Wenn ihnen Praiosmins oder Ordonyos Schergen durch den Fluchttunnel gefolgt waren und sie sich so weit aus dem Castillo heraustrauten, dann wäre Grezzano einer der ersten Orte, wo sie nach ihnen suchen würden.

"Hoch mit Euch! Wir müssen weiter!", übertönte Rifada das leise Geheule und Gejammere der Kinder und Mägde. "Hier können wir nicht bleiben, und ich kenne einen Ort, der gut versteckt liegt und wo es etwas zu Essen für euch gibt. Die Person dort schuldet mir ohnehin noch einen Gefallen!"


26. Praios, am frühen Abend

Vor der Hütte des Kräuterweibs Udinia Krähenfreund

Unter Zuhilfenahme von Capitan Giordans Säbel und dem Marmormeißel sprengte sich Rifada endgültig die eisernen Manschetten von den Fußknöcheln. Nur die von den wundgescheuerten Handgelenken bekam sie nicht ab, aber das mußte eben warten. Ihre Köchin Ludovica hatte den Gemüsegarten der Hexe Udinia geplündert und auf deren Feuerstelle in der Hütte für sie alle einen großen Kessel Eintopf zubereitet, den sich ihr Burggesinde genüßlich schmatzend schmecken ließ. Die alte Hexe war leider schon bei ihrer Ankunft verschwunden gewesen - Rifada hätte mit ihr gerne noch ein Hühnchen gerupft. Aber auch das musste warten. Nun, da sie ihre Schutzbefohlenen zumindest einigermaßen in Sicherheit und versorgt wußte, war sie es ihrem Namen schuldig, die Stammburg der Familia zurückzugewinnen und die erlittene Scharte auszuwetzen. Den Häusern Elenta und Alina zuvor noch ganz offiziell und förmlich die Blutsfeindschaft zu erklären, wäre vielleicht etwas für einen Paragraphenhengst wie diesen Brandil gewesen - aber nichts für eine Bosquirerin! Die verwarzte Praiosmin hatte ihr den Fehdehandschuh zuerst hingeworfen und dafür würde sie ihn nun fressen müssen! Wenn sie das falsche güldene Pökelfaß nur schon in den Fingern hätte ...

Wütend schleuderte sie den Marmormeißel 20 Schritt weit fort und schob sich den erbeuteten Säbel unter den Gürtel. "Mann, ich gehe jetzt! Du trägst hier die Verantwortung so lange ich weg bin! Ludovica, achte darauf, daß er keinen Schmachfug anstellt!"

Die alte Köchin nickte ergeben, mit einem wissenden Grinsen im Gesicht, aber Berengar lief Rifada kopfschüttelnd hinterher und versuchte, sie am Arm festzuhalten, was aber ein vergebliches Unterfangen war, da er einfach mitgezogen wurde.

"Aber Liebling ... so warte doch! Wohin um Alverans Willen gehst du denn?"

"Ich muss jemand töten!", antwortete Rifada lapidar und schüttelte ihn ab wie ein lästiges Insekt.

"Ich hoffe, du meinst nicht Domna Praiosmin?", lief ihr Berengar weiter nach. "Du bist ganz alleine, Liebling - vergiß das nicht! Und die Ferkinas? Hast du die vielen Ferkinas vergessen?"

"Die kommen später dran! Erst Praiosmin, dann Ordonyo, dann die Ferkinas!" Seine Frau schritt weiter talwärts, ohne sich noch ein weiteres Mal umzudrehen.

"Aber so habe ich das doch nicht gemeint!", jammerte Berengar und blieb stehen, da es witzlos war, seine Frau von einem einmal gefassten Entschluß abbringen zu wollen.


Autor: SteveT

27. Praios, vormittags

Im Hofe des Castillo da Vanya

Mißtrauisch und aufmerksam überwachte Reichsvogtin Praiosmin die Plünderung des Castillos. Ohne Unterlaß schleppten die zum Handdienst zwangsverpflichteten Dorfbewohner von Vanyadal schwere Teppiche und Truhen, Vorhänge und Essgeschirr, Gemälde und Statuen, aber auch gewaltige Mengen an Rüstzeug und Waffen aus dem Palas und dem Bergfried und trugen sie ächzend und fluchend quer über den Burghof bis zu einem grossen Ochsenfuhrwerk, auf dem alles verstaut und festgezurrt wurde.
Als Lehnsherrin war es ihr altes und gutes Recht, aufmüpfige Vasallen durch Pfändung und Enteignung zu strafen. In Praiosmin stieg die kalte Wut hoch, wenn sie sah, welches Vermögen und welche Kostbarkeiten die Familia da Vanya im Laufe ihrer vielen Generationen hier auf dem Castillo angehäuft hatte - .ein Vermögen, das sie aus Selaque herausgepresst hatten und das somit rechtmäßig der Krone und so zunächst ihr sebst als deren Repräsentatntin vor Ort zustand. Unzählige Male hatte ihr die verfluchte Rifada den Zehnt vorenthalten und sich dafür mit so viel Waffen eingedeckt, daß sie scheinbar ein ganzes Regiment ausrüsten wollte. Wahrscheinlich, um irgendwann einen bewaffneten Aufruhr damit anzuzetteln, wenn sie ihr nicht rechtzeitig zuvorgekommen wäre.
Junker Ordonyo di Alina verfolgte die Verladung der Wertsachen mit sauertöpfischer Miene und mit vor der Brust verschränkten Armen. Offenbar hatte der durchtriebene Windhund darauf gehofft, daß all diese Schätze und auch das gesamte Castillo ihm selbst zufallen würden, wenn sie erst nach Selaque auf Castllo Albacim zurückgekehrt war. Sie freute sich schon auf sein enttäuschtes Gesicht, wenn er gleich die Wahrheit erfuhr.
"Ähm, Domna Praiosmin?"
Sie bemerkte erst jetzt, daß der lokale Dorfschulze Sanzo Guiterriz zu ihr getreten war, der die zwangsrekrutierten Dörfler anleitete und überwachte. Sie hatte noch keine zehn Sätze mit dem Mann gesprochen, aber er schien eine noch rückgratlosere Ratte wie Dom Ordonyo zu sein. Jemand, der sein Fähnchen immer schön nach dem Wind zu hängen verstand.
Der Schulze deutete auf eine goldene Monstranz, eine drei Spann hohe Greifenstatue aus purem Gold, die zwei Arbeiter schweißüberströmt über den Hof trugen. "Äh, DAS auch?"
Praiosmin kannte die Statue gut - sie stand vorher auf dem Schrein im Studier- und Arbeitszimmer von Amando Laconda. Der dicke Schulze betrachtete sie lauernd aus seinen zusammengekniffenen Schweinsäuglein.
"Er stellt mich auf die Probe!" dachte sie. Wagt sie es, auch die Habseligkeiten des Großinquisitors zu pfänden. Amando war ihr einst ein guter Mentor, Protektor und Fürsprecher gewesen. Aber nun hatte er seine einst schützende Hand seit langem schon von ihr fortgezogen und nicht mit einem Wort hatte er als Sippen-Soberan je seiner aufrüherischen Nichte Einhalt geboten! Zur Hölle mit ihm! "Aufladen! Ich sagte ALLES aufladen!"
Der Schulze verbeugte sich devot und gab den Arbeitern einen Wink, die den güldenen Greifen mit sichtlich ungutem Gefühl an ihre Kameraden oben auf der Ladefläche des Karrens weiterreichten.
"Ob es klug ist, solche Schätze in einer Zeit wie dieser durch die Lande zu karren?" meldete sich nun Dom Ordonyo zu Wort. "Die Wilden wissen nichts von unseren Göttern. Aber sie kennen den Wert von Gold und Waffen. Ich möchte mir lieber gar nicht ausmalen, was sie anstellen können, wenn ihnen ein solcher Transport in die Hände fällt! Überlegt es Euch besser noch einmal - die Wertsachen wären hier auf der Burg bei mir in Sicherheit und in guten Händen!"
"Lasst das nur meine Sorge sein!" wiegelte Praiosmin ab. Endlich war gestern die Verstärkung aus Selaque eingetroffen, so daß sie nun ihre dringend erforderliche Rückkehr nach Castillo Albacim wagen konnte. Die Späher ihres Entsatzes hatten zudem die gute Nachricht mitgebracht, daß der große Ferkinastamm, der unweit Selaques gelagert und den ummauerten Markt zwei Wochen lang bedrängt hatte, offenbar westwärts in Richtung des Krötensees weitergezogen war.
"Heda! Was wird das?" rief die Reichsvogtin einen Bauern an, der eben ein goldgerahmtes großes Gemälde zu dem Ochsenkarren tragen wollte.
"Äh ???Nur ein kostbares Gemälde für Eure hochwohlgeborene Eminenz!" Er drehte das Bild in ihre Richtung, welches die tote Leonida da Vanya und ihren Gemahl Rohalio von Ragathsquell mit ihren nichtsnutzigen Bälgern Rifada und Madalena zeigte.
"Denkst Du, ich will mir die eklen Fratzen in meine Gemächer hängen?" schrie Praiosmin den Mann an. "Schneid das verdammte Bild heraus! Nur der Rahmen kommt auf den Wagen!"
Der Mann tat achselzuckend wie ihm geheißen, zog sein Messer aus dem Stiefel und schnitt einmal rundherum, so daß das Gemälde aus dem Rahmen herausgetrennt wurde. Den Rahmen reichte er seinen Compadres an - das Bild landete achtlos auf den schmutzigen Pflaster des Hofes.
Ursprünglich hatte Praiosmin beabsichtigt, das Castillo da Vanya nach Rifadas Verurteilung und Hinrichtung als zweiten Stammsitz für sich selbst zu behalten. Zwei starke Burgen waren gerade als Nachbarin der Ferkinas besser als eine. Aber nun, da die Verrückte entkommen war und irgendwo da draußen frei herumlief, war ihr das Wagnis zu groß. Wenn sie geheime Wege kannte, um aus der Burg herauszukommen, so konnte sie bestimmt auch jederzeit wieder hereinkommen und Praiosmin hatte keine Lust, eines Nachts im Schlaf ermordet zu werden.
"Hört alle her!" nutzte die Reichsvogtin die Gelegenheit, da gerade ein Großteil der Einwohnerschaft von Vanyadal im Burghof versammelt war. "Da ich heute noch nach Selaque zurückkehren muss, wird hier in meiner Abwesenheit eine Person über euch gebieten, die nach meinem Willen handelt und der ihr unbedingtes Gehorsam schuldig seid!"
Mit selbstgefälligem Grinsen stolzierte Junker Ordonyo an ihre Seite. Nun also sollte das Pack seinen neuen Herrn kennenlernen! Schon ab morgen würde dann hier unter seinem Regiment ein anderer Wind wehen!
"Elenta und die Elentinische Ebene wurden der Junkerschaft des hier neben mir stehenden Doms Ordonyo di Alina zugeschlagen! Die Belehnung des Sonnentempel von Ragath ist aufgehoben! Das Vanyadal wird von einer Junkerschaft zu einem Caballerogut zurückgestuft. Zur Caballera von Vanyadal und damit zu eurer neuen Herrin... habe ich meine gute alte Freundin Aldea von Harmamund ernannt! Bis Seine Majestät der Kaiser diese Änderungen gegenzeichnet und Domna Aldea hier eintrifft, um ihr neues Lehen in Augenschein zu nehmen, wird sie von meiner Base Yegua von Elenta als Burgcapitana vertreten! Ihren Anweisungen ist Folge zu leisten, als wären es meine eigenen! Und jetzt wieder alle an die Arbeit! Lang lebe der Kaiser!"
"Lang lebe der Kaiser!" wiederholten die Vanyadaler wenig begeistert und wandten sich dann schicksalsergeben wieder ihrer Arbeit zu.
Praiosmin wollte hinüber zum Palas gehen, um ihre Reisekleidung anzulegen, aber sie kam nur zwei Schritt weit, bis sie grob an der Schulter gepackt wurde.
"Nicht so schnell, nicht so schnell, Hochgeboren!" fauchte Dom Ordonyo sie an, so wütend, daß sie dabei seine Spucketröpfchen trafen. "Was soll daß heißen, Aldea von Harmamund? Von den Harmamunds war nie die Rede! Und seit wann in Praios Namen habt Ihr eine Base?"
"Um die letzte Frage offen und ehrlich zuerst zu beantworten: Seit mein seliger Onkel Radmon es mit jeder Bauernmagd getrieben hat, die nicht den Mut hatte, sich ihm zu verweigern! Sie ist natürlich nicht meine wirkliche Base, sondern bloß ein Kegel und Bastard. Aber trotzdem ist sie unverkennbar ein Kind meines Onkels und da sie bei einem Ragather Waffenmeister recht gut mit dem kalten Stahl umzugehen lernte und immer haargenau das tut, was ich ihr befehle, gestattete ich ihr im letzten Jahr, unseren Familiennamen zu führen - auch wenn sie natürlich gegenüber meinem Sohn keinerlei Erbansprüche hat! Und was Domna Aldea betrifft - wir kennen uns seit langer Zeit und ihre Feinde sind auch meine Feinde. Nachdem ihr die Vanyadalerin verhängnisvoll habt entkommen lassen, musste ich Vorkehrungen treffen und ihr eine Person vor die Nase setzen, die ihr jederzeit die Stirn bieten kann. Und kein Mensch auf Deren könnte das besser wie Domna Aldea und die Harmamunds - alte Blutsfeinde der da Vanyas schon seit dem »Ragather Rosenkrieg«."
"Und was wird aus mir?" frug Dom Ordonyo nun mehr jämmerlich als wütend, da ihm bewusst wurde, daß ihm damit Rivalen ins Land geholt wurden, die ihm in fast allem überlegen waren. "Wäre es nach mir gegangen, hätten wir das Mistweib abstechen sollen, als sie in Ketten im Kerker lag - Ihr wolltet Ihr ja unbedingt vor dem Angesicht der Krone den Proceß machen!"
"Und das will ich nach wie vor!" nickte Praiosmin. "Aber dazu müssen wir sie erst einmal haben! Bedenkt, mein Freund, daß ich Euren Landbesitz gerade fast verdreifacht habe! Dafür erwarte ich Gegenleistungen! Fangt mir Rifada da Vanya wieder ein! Weit kann eine Frau alleine und unbewaffnet in Zeiten wie diesen ja nicht kommen! Und zweitens behaltet die Grenze nach Ragatien im Auge! Wie Ihr wisst, sind uns bei dem Kampf hier im Hof noch andere Aufrührer durch die Lappen gegangen - unter anderem der Sohn der Übergeschnappten und dieser Landsknecht Aranjuez! Ich kenne diese Burschen nicht, aber ich will nicht, daß uns plötzlich aus Schrotenstein oder Ragathsquell Ärger ins Land rückt, habt Ihr das verstanden?"
Der Junker nickte mißmutig, was blieb ihm anderes übrig.


Autor: SteveT

27. Praios, vormittags

Beim Wegkreuz von Orvitello

Rifada hatte die Nacht nach ihrem Aufbruch von Undinias Hütte unter freiem Himmel in einem Pinienhain verbracht. Jetzt schritt sie bei strahlendem Sonnenschein kräftig aus, auch wenn sie ein Bärenhunger plagte. Gleich war sie beim Wegekreuz von Orvitello, spätestens da musste sie sich entscheiden, wohin sie sich wenden sollte. Sie konnte in die Mark Ragathsquell zum Castillo Quazzano ziehen - selbst wenn sie Amando dort wahrscheinlich nicht antraf, konnte sie zumindest einige Waffenknechte der Familia rekrutieren und sich selbst wieder adäquat ausrüsten und panzern. Aber der Weg nach Ragatien war weit - zumal zu Fuß - und sie würde zu viel Zeit verlieren. Nach Schrotenstein wäre es etwas näher und auf der dortigen Burg gab es mehr Wachen - aber auch dort war es höchst unwahrscheinlich, daß sie ihren Vetter Lucrann antraf. Dem Nichtsnutz war ja sein lumpiges Rittergut im hinterwäldlerischen Weiden wichtiger als sein Mutterlehen in Almada. Und ohne die Zustimmung Belisethas, die im noch weiter entfernten Wildenfest saß, würde ihr Lucranns Administrador wahrscheinlich nicht einmal einen einzigen Waffenknecht unterstellen - schon gar nicht für eine Blutfehde, die weitreichende Konsequenzen für sie alle nach sich zog. Nein, nein - es blieb ihr nur eine Möglichkeit: die Amazonen zu verständigen! Sie musste hinauf auf den verfluchten Djer Kalkarif!
Schon kam das Kreuz von Orvitello vor ihr in Sicht, wo sich der Weg nach Elenta und Ragatien, nördlich nach Kornhammer oder südwärts nach Selaque gabelte. Am Wegesrand der Kreuzung lungerten zwei verlodderte Kerle im Schatten eines alten Olivenbaumes herum, die sich langsam erhoben, als sie näherkam und die dort offenbar auf sie oder andere Wanderer warteten.
Der kleinere der beiden war mit zahlreichen Messern bewaffnet, die in einer Bauchschärpe steckten. Sein zwei Köpfe größerer und vollbärtiger Compadre trug ein mächtiges Falcata, ein Söldlingsschwert zu anderthalb Hand, lässig über der Schulter.
"Wohin so rasch des Weges, gute Frau?" stellte sich der Kleinere der beiden mitten auf den Weg und wartete bis sie ganz dicht heran war. "Ich fürchte, es wird eine kleine Maut fällig, wenn Du den Weg weiter benutzen willst."
"Gut, daß ich euch beiden treffe!" nickte Rifada."Ich brauche Deinen Lederharnisch und von Dir das Falcata. Los, hopp hopp - her damit! Es geht um das Wohlergehen unseres Landes!"
"Gut daß Du uns trifftst?" wiederholte Messer-Manzanares, der gefürchteste Wegelagerer von ganz Selaque, ungläubig und warf seinem Cumpan Pepote einen irritierten Blick zu. So hatte sie noch nie ein Opfer begrüßt. Ob das Weib in der prallen Sonne der Steinbrüche wahnsinnig geworden war? Die eisernen Mannschetten an den Handgelenken wiesen sie ja zweifelsfrei als entflohenen Sträfling aus.
"Hör zu, Weib! WIR sind hier die Räuber! Du gibst uns Deinen Säbel und wenn Du dann noch ein bißchen nett zu uns bist und dabei schön stillhälst und alles mit Dir machen lässt, dann verzichten wir vielleicht darauf, eine entlaufene Schwerverbrecherin wie Dich bei unserer Herrin, der Frau Reichsvogtin, abzuliefern."
Er grinste vieldeutig und streckte die linke Hand nach den melonengroßen Brüsten der Wanderin aus, über denen sich ihr löchriges Gewand spannte. Ehe jedoch seine Finger auch nur den zerschlissenen Stoff berührten, fing er sich einen Faustschlag ein, der ihn drei Schritt rückwärts taumeln und dann auf den Hosenboden niederstürzen ließ.
Sein Gesicht brannte, als ob er frontal von einem Katapultgeschoß getroffen worden war.
Rifada schüttelte fluchend ihre schmerzende Rechte. Sie hatte vergessen, daß sei keine Panzerhandschuhe mehr trug und dem Scheißkerl so fest eine eingeschenkt, daß sie sich dabei selbst den Mittelfinger verstaucht oder gebrochen hatte.
"Hört zu, ihr Canaillen!" schimpfte sie. "Es verhält sich genau umgekehrt! ICH bin eure Herrin und die Schwerverbrecherin ist die Reichsvogtin!"
Der niedergestreckte Strauchdieb spuckte kopfschüttelnd eine blutrote Speichelpfütze aus. Seine beiden schwarzen oberen Schneidezähne schwammen darin.
"Fie hat mir die Fähne ausgeflagen! Töte fie!" befahl er seinem verdutzt glotzenden Kameraden.
Aber ehe dieser das grobschlächtige Falcata überhaupt nur von der Schulter hatte, spürte er schon Rifadas Säbelklinge am Hals. "Vergiss' das besser gleich, Du Rohal! Wenn ich Dich rasiere, wächst Dir Dein Lebtag kein Bart mehr!"
Widerstandslos ließ sich der Hüne von ihr das Schlachtschwert aus der Hand winden und ging dann lieber in Deckung, da sie es probehalber ein paar Mal durch die Luft sausen ließ.

"Ein ekelhaftef Weib!" schimpfte Messer-Manazanares mit nacktem Oberkörper und dick angeschwollenen Lippen und schaute wehmütig seinem guten Harnisch und Pepotes Schwert hinterher, die sich mit der Fremden auf der staubigen Landstraße nach Süden langsam aus ihrem Blickfeld entfernten.
"Mmmhh!" brummte sein Cumpan genauso niedergeschlagen als Zeichen der Zustimmung. "Wüsste zu gerne, wer das war. So einen Wumms hat doch kein normales, anständiges Weibsbild..."


Autor: SteveT

Auf dem Karrenweg gen Selaque
27. Praios 1033 BF, Nachmittags

Strammen Schrittes marschierte Rifada da Vanya den staubigen Karrenweg südwärts, der geradewegs auf den befestigten Vogtsitz und Marktflecken Selaque zuführte. Aber sie hatte nicht vor, solange auf diesem Weg zu bleiben. Sie trug das erbeutete Falcata, ein mächtiges Mercenario-Schwert zu anderthalb Hand, das sie den Wegelagerern abgenommen hatte, locker über ihre rechte Schulter gelegt und stopfte sich mit der linken Hand einige Quitten in den Mund, die sie hin und wieder im Vorbeigehen von den Sträuchern entlang des Weges abriß. 'Widerlich!' dachte sie still bei sich. 'Wer hätte gedacht, daß diese Mistdinger ungekocht und uneingelegt so ekelhaft schmecken?' Hätte sie heute schon irgendetwas anderes als Wut im Bauch gehabt, so hätte sie von nun an einen großen Bogen um sämtliche Quittensträucher Almadas gemacht. Trotzig begann sie die Tenzone von der Magnatendrescherei bei Tres Vaqas Flacas zu pfeifen - dem heimlichen Lieblingslied fast jeden Bosquirers, obwohl es offiziell verboten war, weil die Yaquirtaler Laffen und damit viele heutige kaiserliche Hofbeamte nicht sonderlich gut darin wegkamen.

Wenn man das reife Korn und die vielen Früchte ringsumher so sah, hätte ein zarter besaiteter Mensch wie sie selbst glatt der Verzweiflung anheim fallen können. Raps, Roggen und Dinkel waren reif, die Obstbäume und -sträucher standen in voller Pracht - aber ihre Früchte würden irgendwann verfaulen oder verdorren oder als Vogelfutter enden, denn es war weit und breit niemand mehr da, um die Ernte einzubringen. Die Bauern und Eigenhörigen dieses Landstrichs waren alle längst vor den Ferkinas geflohen und die Wilden selbst hatten - anders als jeder "zivilisierte" Feind - Peraines Gaben vollkommen außer Acht gelassen und 'nur' das komplette Vieh von den Weiden gestohlen. Rifada wußte aus ihrer zweimaligen Gefangenschaft bei den Wilden nur zu gut, daß sich die Ferkinas fast ausschließlich von Fleisch ernährten und über fast jede Art von Grünzeug nur die Nase rümpften. Wahrscheinlich wussten die primitiven Matschbirnen nicht einmal, daß man vieles essen konnte, worüber sie ihre kleinwüchsigen Bergponys hinweglenkten.

Die geflohene Bauernschaft würden sich indes zu Recht fragen: Was ist mit unserer Herrin? Warum beschützt sie uns nicht? Konnte sie dem Landvolk später sagen: Ich hätte es gerne getan, aber eure hundsföttische Reichsvogtin hat mich darin gehindert? Wohl kaum - aber egal, sie war keinem dieser Rustikals Rechenschaft schuldig! Jetzt galt es erst einmal mit aller Kraft gegen die Dämonenbuhle zurückzuschlagen! In der im Hitzedunst flimmernden Ferne tauchte vor ihr bereits die Silhouette des weißleuchtenden Berges Albamonte auf und auf dessen Gipfel konnte man die schattenhaften Umrisse des Torre di Alba erahnen - eines Spähturmes, den Praiosmins nicht minder schurkischer Onkel Radmon während seiner Regentschaft hoch über dem Markt Selaque hatte errichten lassen - jener verfluchte Hundskerl, wegen dem Belisetha einst ihr Lehen verloren hatte. Neuerlicher Zorn wallte in Rifada auf - wann war sie endlich auf einer Höhe mit dem götterverlassenen Djer Kalkarif? Erst dann wollte sie den Weg verlassen und sich ins Gebirge schlagen - ein Plan, durch den sie sich wahrscheinlich einen ganzen Tag unnötiger Kletterei ersparte. Sie schaute nach links zur jäh aufragenden Gebirgswand des Raschtulswalls hinüber. Bislang hatte sie sich sehr gut an der dunklen Rauchwolke orientieren können, die über dem Djer Ragaz stand, dem vulkanisch aktiven Nachbarberg des Djer Kalkarif. Wenn sich aber der blaue Himmel zuzog, so daß die Gipfelhäupter oberhalb der Wolken lagen oder wenn die Vorberge noch höher wurden, so daß sie nicht mehr über sie hinweg blicken konnte, dann hatte sie keinen Orientierungspunkt mehr mußte sich sofort ins Gebirge schlagen.

Sie blieb kurz stehen und bückte sich, um ein paar Rüben aus einem der Felder zu ziehen, wobei sie zufällig hinter sich schaute - auf das Wegstück, das sie bereits seit dem Wegkreuz von Orvitello hinter sich gebracht hatte: Dort näherte sich etwas! Ein oder möglicherweise auch zwei Wagen, die eine hohe Staubwolke aufwirbelten und denen mehrere Reiter vorausritten, deren Helme und Panzer in der Sonne blinkten. Rifada verließ sofort den Weg und beschloß hinter einem Mastixgestrüpp etwas abseits des Pfades auf die Herankommenden zu warten. Wer mochte das sein, daß er in einer schlimmen Zeit wie dieser mit Wagen und großem Waffengefolge reiste? War etwa Amando schon zurückgekehrt?

Es dauerte fast eine Stunde, bis die Kolonne endlich heran war. Es waren tatsächlich fünf Lanzenreiter in blinkender Brünne, die dem Zug vorausritten und sie trugen grün-weiße Waffenröcke - die Farben Selaques. Der vordere der beiden "Wagen" war in Wirklichkeit gar kein solcher, sondern eine von 4 Rössern getragene Pferdesänfte, auf deren Stoffwänden das stilisierte Marmorblock-Wappen Selaques prangte. Rifada kniff die Augen zusammen und fletschte haßerfüllt die Zähne, als sie die aufgedunsene Visage ihrer Todfeindin Praiosmin aus ihrem Versteck heraus im Inneren der Pferdesänfte erkennen konnte, die darin mit einer anderen Person sprach, die ihr gegenüber saß. Deren Gesicht war für Rifada wegen der Sänftenvorhänge leider nicht zu erkennen. Ihre Wut stieg sogar noch auf ein weiteres, von ihr selbst nicht für möglich gehaltenes Maß an, als ihr Blick auf das schwere Ochsenfuhrwerk fiel, das im langsamen Zuckeltrab hinter der Pferdesänfte her rumpelte. Darauf stapelte sich zwei Schritt hoch kostbares Inventar, Truhen, Teppiche und Kunstgegenstände, die sie nur zu gut kannte - es waren ihre eigenen!

Die goldberobte Mastsau hatte tatsächlich ihr Castillo geplündert! Sogar Amandos goldene Greifen-Monstranz - über tausend Dukaten wert! - lag ganz oben auf dem Haufen... Rifada stemmte sich aus der Hocke in den gebückten Stand hoch, die ohnmächtige nackte Wut trübte wie ein roter Schleier ihren Blick und der Rachedurst wurde übermächtig und begann in ihren Ohren zu rauschen. Sie griff ihren Säbel mit der Linken und das Falcata mit der Rechten. Jetzt wurde mit der ganzen Drecksbande abgerechnet, auch wenn sie alleine gegen zehn, nein gegen Zwölf, Dreizehn, Vierzehn stand, denn hinter dem Karren kamen noch einige Fußsoldaten mit schweren Schritten angetrottet. Rifada stürmte aus ihrem Versteck und ließ das Falcata dabei mit rotierendem Handgelenk über ihrem Kopf kreisen. "PRRRAAAAAAAAIIIIIIOOOOOOSMIIIIIIIIN!" gellte ihr Schrei über den staubigen Rübenacker. "Heraus mit Dir, Du Ratte! Jetzt gilt's - Frau gegen Frau!" Reichsvogtin Praiosmin von Elenta und ihr Gesprächspartner waren in der Pferdesänfte zusammengezuckt und streckten nun beide entgeistert die Köpfe aus dem Fenster heraus. Die Person, die ihr gegenüber gesessen hatte, war Morena Solivai von Harmamund, die jüngste Tochter der widerwärtigen Aldea von Harmamund - der Namenlose mußte wissen, was diese Schlangenbrut hier in Selaque zu suchen hatte... "Was zum Henker...?" brachte Praiosmin entgeistert heraus, ehe einer ihrer Geleitreiter zwischen sie und die Angreiferin ritt und ihr damit die Sicht versperrte. "Es ist die Verrückte, Euer Hochgeboren! Rifada da Vanya - keine andere! Geht in Deckung!" Einer der Lanzenreiter ritt auf Rifada zu, wegen der kurzen Anlaufstrecke hatte er seine Lanze fortgeworfen und griff an die Seite nach seinem Säbel. Rifada sprang erst im letzten Moment vor dem heranstürmenden Roß zur Seite und schlug dabei dem Pferd die Parierstange des Falcatas auf die Nüstern, so daß es auf die Hinterbeine stieg und seinen Reiter aus vollem Lauf abwarf. Der Selaquer Reiter schlug hart auf dem Boden auf, ehe er sich aufrappeln und zu seinem Säbel kriechen konnte, spürte er schon den tiefen Biss von Rifadas Säbel in seiner ungeschützten Flanke zwischen den Harnischplatten. "Ho! Hoo!" packte Rifada sein noch immer steigendes und auskeilendes Pferd am Zügel und schwang sich ungeachtet des Unwillens des Tieres in den Sattel. Der nächste Reiter stürzte auf sie los, dieser hatte seinen Säbel bereits in der Hand und das Visier seines Helmes geschlossen. "Was macht ihr denn da?" brüllte Praiosmin hysterisch. "Doch nicht einzeln! Greift sie alle gleichzeitig an oder wollt ihr abgeschlachtet werden? Tötet sie! Tötet sie! Sie ist vogelfrei!" Der Hauptmann ihrer Wache schüttelte den Kopf: "Es ist eine Falle, Euer Hochgeboren! Ein Hasard! Habt Ihr vergessen, daß noch andere Aufrührer aus dem Castillo entkommen sind? Kein Mensch würde alleine eine solche Übermacht angreifen! Die Scheffelstein , der Aranjuez und ihre anderen Complizen liegen sicher dort drüben in den Büschen und warten, daß wir Eure Deckung entblößen. weil sie Euch ans Leben wollen!" "Was für Aufrührer?" frug Morena von Harmamund panisch, der die ganze Situation nicht geheuer war. "Ihr sagtet, Ihr hättet in Eurem Land alles unter Kontrolle. Wenn mir irgendetwas zustößt, wird mich meine Familia in blutiger Fehde rächen, das ist Euch hoffentlich klar?" drohte sie der Reichsvogtin. "Gar nichts wird Euch zustoßen," beschwichtigte sie Praiosmin, "mein Wille ist Gesetz in diesem Land, denn ich spreche mit der Stimme des Kaisers. Diese Irre dort ist bloß eine Gesetzesbrecherin, eine Totgeweihte - sie ist bald Vergangenheit!"

Gellend prallten die Klingen Rifadas und des angreifenden Reiters aufeinander - der Geschwindigkeitsvorteil durch das Anrennen lag bei dem Selaquer Reiter, aber die größere Reichweite bei der Vanyadalerin, die mit dem Falcata nach ihm hieb, so daß er ruckartig abbremsen und sich wegducken musste. "Hier endet Dein Weg, Rebellin!" hörte Rifada "ihn"' hinter dem Visier knurren. Ihr Gegner war eine Frau. "Halt's Maul, Miststück!" zischte sie zurück und schlug ihr mit dem Säbel eine tiefe Beule in den Harnisch. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß sich Praiosmins Pferdesänfte und der Karren mit ihrem Hab und Gut wieder in Bewegung setzten. Die Selaquer Fußsoldaten hatten sich mit gesenkten Hakenspießen um den Ochsenkarren formiert, während die Reiter - offenbar sehr zum Unwillen ihrer Erzfeindin - dicht an der Sänfte blieben, als müsse man sie vor weiteren Feinden abschirmen. Rifadas Wut steigerte sich noch weiter, als ihr die Säbelspitze der Gardistin den kinken Arm aufritzte. Ihr folgender Schlag mit dem Falcata war so wuchtig, daß der Gardistin ihre eigene Waffe bei der Parade gegen den Kopf geprellt wurde, sie schwankte im Sattel, der nächste folgende Streich Rifadas mit der Linken fegte sie endgültig vom Rücken ihres Rosses. Rifada verzichtete darauf, mit dem Pferd über sie hinwegzureiten, was sie normalerweise getan hätte. Aber langsam wich ihr Zorn Zweifeln, denn selbst wenn sie es vielleicht schaffte, fünf oder sechs von Praiosmins Gardisten vor sich zu Boron zu schicken, kam sie an das Aas selbst doch nicht heran und ihre Famlienschätze ganz alleine in Sicherheit zu bringen, gestaltete sich in Zeiten wie diesen auch als ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn sie hier und heute starb, würden Amando, Belisetha und Lucrann am Ende noch einen schändlichen Frieden mit der Dämonenbuhle schließen. Gujadanya wußte nichts von dem, was hier vor sich ging, daß ihr Erbe in höchster Gefahr war und Moritatio war ohnehin zu schwach, um auf ihn große Hoffnungen zu setzen. So blieb nur Richeza - aber die hatte ihre eigenen Sorgen. Nein, sie durfte hier und heute nicht sterben, auch wenn sich jede Faser ihres Körpers danach sehnte, Praiosmin an der Gurgel zu packen und alles Leben aus ihr herauszuquetschen. Aber das mußte leider warten... "Wir sehen uns wieder!" brüllte sie Praiosmins Sänfte hinterher und trat dann ihrem erbeuteten Pferd die Hacken in die Seite. Nur ein kurzes Stück und eher halbherzig verfolgt von der Selaquer Reiterin, die sie aus dem Sattel geworfen hatte, preschte sie den Berggiganten des Raschtulswalls entgegen. Es wurde Zeit für ihr Signalfeuer - morgen Nacht zur Rondrasstunde wollte sie auf dem Gipfel des Djer Kalkarif stehen.

Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 03