Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 04
Kaiserlich Selaque, 26. und 27. Praios 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf der Straße von San Owilmar nach Elenta und in der Ortschaft Elenta[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
26. Praios, nachts[Quelltext bearbeiten]
Das Pferd stolperte so plötzlich, dass Dulcinea keine Zeit blieb, zu reagieren. In hohem Bogen flog sie über den Hals der Stute und krachte, mit dem Gesicht voran, zu Boden, schlitterte über die Straße und blieb liegen. Im ersten Moment glaubte sie, sie hätte sich das Genick gebrochen. Es knackte, als sie den Kopf hob, ein heller Schmerz schoss in ihren Rücken. Dulcinea richtete sich auf Hände und Füße auf, spuckte Sand und Blut aus. Vorsichtig bewegte sie den Kopf, rappelte sich mit zitternden Gliedern auf.
"Du dummes Pferd", murmelte sie. Doch der Schreck saß zu tief, als dass sie dem Tier wirklich zürnen konnte. Die Stute wieherte und schnaubte, als Dulciena in die Zügel griff. Als sie aufsitzen wollte, wich das Tier aus. "Halt still", zischte die junge Frau und zwang das Pferd mit hartem Griff zum Stehen. Ächzend zog sie sich in den Sattel und stieß dem Ross die Hacken in die Seiten. Das Pferd schrie und machte einen Satz, machte einige Schritte und blieb wieder stehen.
"Nun lauf doch!", rief Dulcinea frustriert, trat diesmal jedoch vorsichtiger zu. Prustend lief das Pferd an, doch seine Bewegungen waren unregelmäßig, und wann immer Dulcinea es nicht antrieb, blieb es stehen. Auch das noch: Es lahmte! Nicht lange, und die junge Frau musste sich eingestehen, dass sie an diesem Abend nicht mehr weit käme. Sie musste ein Gehöft finden, irgendwo unterkommen!
Eine halbe Stunde, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, führte Dulcinea das Tier am Zügel, doch sie passierte keinen Hof. Jedenfalls keinen am Wegrand, und auch sonst sah sie kein Licht. Sie war inzwischen selbst zweimal umgeknickt, müde und ihr war kalt. Ihr Gesicht brannte bei jeder Bewegung, und ihre Füße taten ihr weh. Das schlimmste aber war: Der Wein war alle!
Als sie eine Baumgruppe am Rand der Aliner Kuppen erreichte, konnte sie nicht mehr. Sie führte die Stute zwischen die Bäume, band sie an einen Strauch und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Die Arme um die Knie geschlungen, starrte sie in die Dunkelheit. Sie wagte nicht, das Pferd abzusatteln und genauso wenig, zu schlafen. Bei jedem Rascheln im Gras, jedem Ruf eines Käuzchens, zuckte sie zusammen. Schließlich nahm sie den Degen zur Hand, den sie sich aus der Waffenkammer genommen hatte – eine prunkvolle Waffe mit einem Rubin am Knauf – und hielt ihn wie einen Stachel vor sich in die Dunkelheit. Nicht, dass sie sich damit zu erwehren gewusst hätte, hätte ein Ferkina oder auch nur ein Hund es auf sie abgesehen, und doch war es das einzige, was sie vor all den bösartigen Wesen der Finsternis beschützen konnte und wenigstens ein bisschen beruhigte.
"Siehst du, Großvater", murmelte sie, "siehst du, wie mutig ich bin? Ich übernachte in tiefster Wildnis! Umgeben von blutgierigen Tieren. Und diesen Ferkina-Bestien. Ohne ein Dach überm Kopf. Nicht mal ein Abendessen hab' ich gehabt. Und der Wein ist auch alle! Und alles nur, weil diese verdammten Söldner nach dem Pferd geschlagen haben, die feigen Hunde!"
In Gedanken sah Dulcinea die Szene vor sich: Wie die Mercenarios reihenweise unter ihren tapferen Hieben fielen, die sie vom Ross aus führte. Dann aber verlegten sie sich auf eine neue Strategie und prügelten auf das Pferd ein, um sie aus dem Sattel zu holen. Doch da hatten sie die Rechnung ohne Dulcinea di Alina gemacht: Sie gab dem Tier die Hacken zu spüren, und es sprengte davon. Aber die Söldner, die feigen Schweine, hatten eine Schlinge um dessen Bein geworfen, und das Ross stürzte, begrub Dulcinea halb unter sich, und nur mit Mühe konnte sie sich unter dem dummen Tier hervorwälzen, gerade noch rechtzeitig, um den letzten beiden Mercenarios entgegenzutreten. Zwei Degenstiche, schon lagen sie ... blutend im Gras. Nun aber schnell ... auf zum ... Castillo da Vanya. Allein, das dämliche Tier stellte sich an, ... nur weil es sich den Fuß vertreten hatte ...
27. Praios, mittags[Quelltext bearbeiten]
Als Dulcinea erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Mittag war vorüber, und die Hitze bereits unerträglich. Durst!, war das Erste, was sie dachte. Sie schüttelte den letzten Tropfen Wein aus ihrem Schlauch. Ihre Kehle brannte inzwischen ebenso sehr wie ihr Gesicht, die Zunge klebte ihr am Gaumen, und ihr Magen knurrte. Wie hatte sie so lange schlafen können?
Mühsam rappelte die junge Frau sich auf. Alles tat ihr weh. Die Gelenke waren steif, ihr Nacken schmerzte, und zu allem Überfluss hatten Insekten ihre Arme und Beine zerstochen. Ein Blick auf das Pferd ließ ihre Laune noch schlechter werden: Der rechte Vorderfuß war dick angeschwollen. Wenn sie das Tier nicht zuschanden reiten wollte, führte sie es besser erst einmal am Zügel. Dann aber bestand keine Hoffnung, dass sie das Castillo da Vanya noch an diesem Tag erreichte. Ja, sie konnte froh sein, wenn sie es überhaupt noch bis Elenta schaffte. Denn zuerst einmal brauchte sie etwas zu Essen. Und Wasser – nein, pfui: Wasser?! Wein brauchte sie, ja, Wein – und zwar schnell!
"Komm schon, Mistvieh!", knurrte sie misslaunig, als sie die Stute hinter sich her auf die Straße zerrte. "Mach schon! Tragen werd' ich dich bestimmt nicht!"
Das Pferd schnaubte nur.
27. Praios, nachts[Quelltext bearbeiten]
Es war längst dunkel, und bis zum Castillo da Vanya war es sicher noch weit. Der Vater würde gewiss verstehen, dass sie nicht allein durch die Nacht reiten konnte. Immerhin waren Ferkinas unterwegs. Und vielleicht verfolgten sie auch die Söldner. Ja, gewiss taten sie das.
"Heda, aufmachen!" Ärgerlich hämmerte Dulcinea di Alina gegen die Tür. Das war schon die dritte Hütte, bei der sie es versuchte. Kein Licht fiel zwischen den Ritzen der hölzernen Läden hindurch. Entweder, die Bewohner waren nicht zu Hause, oder sie antworteten ihr nicht. Man konnte sie doch nicht einfach alleine hier auf der Straße stehen lassen, mitten in der Nacht! Kurzerhand drückte sie gegen die Tür – sie schwang auf.
"Hola?" Es war zu finster, um überhaupt irgendetwas zu erkennen, trotz des Sternenlichts, das schwach den Dorfplatz von Elenta beleuchtete. Dulcinea machte einen zögerlichen Schritt in die Hütte hinein. "Heda! Aufwachen!"
Die Stille war ihr unheimlich. Sie ließ die Tür nicht los, damit diese nicht zufiele und sie gänzlich im Finstern stünde. Etwas raschelte neben ihr, dann hörte Dulcinea hüfthoch zarte trippelnde Schritte über Holz laufen. Kreischend vor Schreck ließ die junge Frau die Tür los. Schlagartig wurde es noch dunkler.
"Oh, ihr Götter!", schrie sie, tastete nach der Tür, malte sich die schlimmsten Dinge aus – katzengroße Mäuse in der Dunkelheit, und schlimmer noch: Ratten, Ratten, groß wie Kälber! – bekam die Tür zu fassen, riss sie auf und stolperte hinaus auf den Platz. Spätestens jetzt, dämmerte ihr, hätten die Bewohner der Hütte sich regen müssen. Spätestens jetzt hätte irgendwo in irgendeinem der umliegenden Häuser ein Licht angehen müssen. Niemand – hier war niemand! Elenta glich einem Geisterdorf!
Mit fliegenden Fingern löste Dulcinea die Zügel ihrer Stute, die sie über einen Zaunpfeiler gehängt hatte. Hier würde sie nicht bleiben, allein, in einem Dorf voller Ratten! Sie musste weiter Richtung Vanyadâl. Bis zum nächsten Gehöft. Irgendwo musste es doch einen verfluchten Bauernhof geben! Doch der Gedanke daran, durch die finstere Nacht zu reiten, auf einem Pferd, das lahmte, auf Wegen, die sie nicht kannte, umgeben von Kreaturen, die nur darauf lauerten, ihr mageres Fleisch von den Rippen zu reißen, versetzte sie in Panik.
Gerade hatte sie einen Fuß in den Steigbügel gesetzt, als jemand der Stute einen Schlag versetzte. Das Pferd trabte an, Dulcinea verlor den Halt und stürzte hart zu Boden, wurde zwei Schritt weit über die staubige Straße geschleift, ehe sie den Fuß losbekam.
"Wen ham wir denn da?" Eine Frauenstimme. Dulcinea sah sich von vier schattenhaften Gestalten umgeben. "Hoch mit dir!" Kräftige Hände zerrten sie in die Höhe, dann drehte die Frau ihr die Arme schmerzhaft auf den Rücken. Sie war eine Handbreit kleiner als Dulcinea, doch diese hatte ihr an Kraft nichts entgegenzusetzen.
"Ob das die Scheffelstein ist?", fragte eine andere Frau.
Ein Mann packte Dulcineas Kinn und riss grob ihren Kopf herum. Weinschwangerer Atem schlug ihr ins Gesicht. "Quatsch!", stieß der Mann aus. "Es heißt, die Scheffelstein wär' ganz ansehnlich. Die hier ist hässlich wie die Nacht."
"Lasst mich los!", kreischte Dulcinea. "Wenn ihr mich anfasst, wird man euch hängen! Loslassen – au! – verfluchte .... aaah!"
"Maul!", knurrte die Frau in ihrem Rücken und stieß sie vorwärts.
"Ich bin nicht die Scheffelstein!", rief Dulcinea. "Ich kenne sie überhaupt nicht! Ich kenne euch nicht! Ihr verwechselt mich!" Einen Augenblick lang war sie versucht, diesen Mordbuben mit dem Namen ihres Vaters zu drohen, mit dem ihres verstorbenen Großvaters, mit dem der Reichsvogtin gar, deren treue – nun ja – Untertanen ihre Familia seit jeher – na ja, fast – gewesen waren. Doch da dieses Gesindel es offenbar auf eine Adlige abgesehen hatte, war es vielleicht besser, wenn es sie für eine einfache Frau hielt. "Ich bin nur eine einfache Reisende und ganz zufällig ..."
"Halt's Maul!" Der Schlag dröhnte in ihrem Schädel. Die Frau hinter ihr war ganz offenkundig eine übellaunige Zeitgenossin. Aber die würde schon noch was erleben, wenn ... wenn ...
"Ich glaub', sie ist es nicht." Eine dritte Frau. "Überlegt mal: Da im Castillo, da waren nur vier Frauen. Die da Vanya, die große Hässliche und die Soldatin, die wir umgelegt haben, und die Kleine, die entkommen ist. Und wenn wir also immer noch nach ihr suchen, muss sie entkommen sein. Und die war klein ..."
"Was weiß ich?", brummte der Mann. "Hab sie nich' gesehen. Hab genug mit der da Vanya zu tun gehabt. Die alte Fotze hat mir das Ohr abgehau'n!"
"Maul, alle!", knurrte die erste Frau. "Das kann sie dem Herrn erklär'n." Sie hatten ein größeres Gehöft erreicht, und die Banditen stießen Dulcinea auf das Wohnhaus zu, vor dem mehrere Pferde angebunden waren. Zwei gerüstete Männer – Söldner wohl – hielten Wache vor der Tür und nickten, als die Gruppe sich ihnen näherte.
Wortlos stieß die kräftige Frau Dulcinea durch eine Eingangshalle in die Wohnstube. Feuer flackerte im Kamin. Zwei Männer saßen in Sesseln über einen kleinen Tisch gebeugt, auf dem eine Karte lag, auf der sie mit Holzstückchen und Nadeln bestimmte Orte markiert hatten. Einer der Männer, der einen dichten Vollbart trug und einen Caldabreser, kratzte sich am Kinn.
"Aye, Capitan", sagte er, "ich glaube, das könnte gehen."
Der andere Mann saß mit dem Rücken zu ihnen und versetzte noch einige der Hölzchen auf dem Tisch.
"Capitan! Wir ham wen gefunden!" Die kräftige Frau stieß Dulcinea in die Mitte des Raumes.
"Ist im Dorf rumgestreunt", ergänzte ihr Begleiter.
"Vielleicht die Scheffelstein?", fragte die zweite Frau.
Der Capitan drehte sich um und stand auf. "Schwachsinn, die Scheffelstein ist klein wie ein Zwerg, wie oft soll ..." Er verstummte.
"Vater!", rief Dulcinea und fing vor Erleichterung an zu weinen.
Autor: SteveT
"Ihr dämlichen Strohköpfe!", polterte Junker Ordonyo di Alina los und versetzte Phelippa, die zumeist die Wortführerin seiner Waffenknechte war, eine klatschende Ohrfeige. "Was habt ihr mit meinem Mädchen gemacht? Erkennt ihr nicht mal Dulcinea, mein einziges Kind? Hinaus mit euch!"
Er wies sämtlichen Waffenknechten außer dem Anführer die Tür und knallte sie von Innen zu, nachdem diese die warme Stube verlassen hatten, in der wohl früher einmal ein kaiserlicher Offizier gehaust hatte, der die nahen Steinbrüche beaufsichtigt hatte.
Er sah sich seine Tochter im Schein des Herdfeuers genauer an - schlimm sah sie aus und hatte mehrere Verletzungen. Aber was suchte das dumme Ding überhaupt hier?
"Jetzt zu dir, Mundilla! Was hast du hier zu suchen? Allein - Nachts - in Zeiten wie diesen? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst das Gut hüten, bis ich wieder da bin? Denkst du, irgendjemand von den Fellachen hört jetzt auf den fetten Pepote? Nein, die sitzen jetzt alle faul auf dem Arsch und zerreißen sich das Maul über uns, solange sie niemand zum Frondienst antreibt!"
Er bedeutete Dulcinea, sich in den Sessel zu setzen, von dem er selbst gerade aufgestanden war. "Aber es gibt gute Neuigkeiten, Kind! Hier, wo wir jetzt stehen, ist unser Land! Ich habe es Praiosmin, der widerlichen Mastsau, aus dem Kreuz geleiert! Nur das Castillo da Vanya wollte sie mir nicht zugestehen, die fiese Ratte! Sie hat Aldea von Harmamund belehnt - darüber könnte man ja fast lachen! Was hat die Stierreiterin hier in unserem schönen Bosquirtal verloren? Die soll bleiben, wo sie ist! Schau dir die Karte an, Kind! Dort siehst du, was jetzt alles unser ist - und auch, wo noch der Feind steht. Aber Moment mal ..." Er blickte Dulcinea genauer an und hob ihr Kinn an, sodass er ihre Augen und das zerkratzte Gesicht besser im Licht sehen konnte. "Diesen Blick kenne ich doch! Du hast irgendetwas ausgefressen und überlegst, wie du es mir beibringen sollst! Streite es nicht ab - los, heraus damit! Was hast du mir zu gestehen?"
Autor: von Scheffelstein
Dulcinea knetete ihre Finger vor ihrem Bauch und suchte fieberhaft nach Worten. Stattdessen liefen ihr erneut die Tränen aus den Augen, und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. "Ich ... ich ... nichts, Vater, ich habe nichts ...", stieß sie schließlich schluchzend hervor, dann wurde sie des Blickes gewahr, den der Anführer der Waffenknechte ihr zuwarf, der sie mit herablassender Ausdruckslosigkeit musterte. So, wie der alte Rigoroso sie stets betrachtet hatte, wenn er sie überhaupt eines Blickes gewürdigt hatte.
Dulcinea schluckte und riss sich zusammen, wischte sich über das zerschundene Gesicht und platzierte ihre Hände wie zufällig so, dass ihr Vater die Schnitte an ihrem linken Arm sehen konnte. "Vater", sagte sie, und bezwang das Zittern in ihrer Stimme. "Alina brennt. Söldner. Söldner, Vater: Ein ganzes Heer ist dort einmarschiert. Sie haben alles niedergebrannt und geplündert. Geraubt, gemordet und die Fellachinnen geschändet. Oh nein, keine Sorge ...", sagte sie, und die Wut über alles, was sie aufgrund der Mercenarios hatte erleiden müssen, gewann die Oberhand, "mich bestimmt nicht! Ich habe mich ihnen mit der Waffe in der Hand entgegen gestellt. Aber es waren zu viele, Vater. Und sie wollen auch Euch, also musste ich Alina verlassen, um Euch zu warnen."
Die junge Frau setzte ihre Erzählung fort, berichtete, wie die Söldner das Pferd malträtiert hatten, wie sie das arme Ross hatte schinden müssen, um ihnen zu entkommen, wie sie sich nachts vor Ferkinas hatte verbergen müssen. Die Wut ließ sie tatsächlich glauben, all das erlebt zu haben, ihre Stimme war fest und überzeugend, und doch trug sie nicht ganz so dick auf, wie sie es während des letzten Tage – aus Angst! – vorgehabt hatte.
Als sie geendet hatte, war nichts mehr übrig von dem weinenden Mädchen, das von Söldnern in diesen Hof gezerrt worden war. Als sie geendet hatte, war sie Dulcineo Rigoroso, der tapfere Enkel ihres Großvaters. Sie ballte die Fäuste. "Nehmt jeden Mann und jede Frau mit, die Ihr kriegen könnt, Vater! Und dann lasst uns zurückreiten und diesen Bastarden das Fell gerben!" Ihre Augen blitzten entschlossen, selbst überzeugt von ihrer Heldengeschichte. "Ich will nicht eher ruhen, als bis jeder einzelne von ihnen im eigenen Blut liegt!" Eine solche Wut sprach aus ihrer Stimme, dass sogar der bärtige Anführer der Waffenknechte erstaunt – ja: fast anerkennend – die Brauen hob.
Autor: SteveT
Ordonyo di Alina, der im Bosquirtal nur El'Saksağan, die Elster, genannt wurde, war bei Dulcineas Bericht erst weiß und dann puterrot geworden. "WER HAT DAS GETAN? WER WAGT SO ETWAS?", brüllte er seine Tochter und den Capitan seiner Waffenknechte gleichermaßen an und trat wuchtig gegen den Tisch, sodass die Karte und die Holzklötzchen durch die Luft flogen.
"Rifada! Das war die verfluchte Vanyadâlerin!", beantwortete er sich seine Frage umgehend selbst und stampfte zornig mit dem Fuß auf. "Ich hätte sie abstechen können, als sie in Ketten in unserem Kerker hing. Aber nein, unsere achso-praiosfromme Vogtin wollte ihr ja unbedingt den Proceß machen - und das haben wir nun davon! Sie ist uns entwischt - aber wie kann sie so schnell mit Mietlingen nach Alina gelangt sein? Irgendjemand muß ihr geholfen haben, ihre Sippschaft in Schrotenstein und Ragathsquell per Brieftaube zu verständigen! Aber das wird nicht ungesühnt bleiben! Jetzt machen wir sie und das ganze Da-Vanya-Pack endgültig kalt! Eine Elster raubt selbst - aber niemand raubt aus ihrem Nest und kommt mit dem Leben davon!"
Er schritt einen Moment still grübelnd wie ein gereiztes Raubtier im Zimmer auf und ab. "Pardoniert's mir, Euer Wohlgeboren!", verschaffte sich vorsichtig der Capitan Gehör. "Aber wir haben hier nur acht Leute, und Eure Tochter sprach offenbar von einer kleinen Armee - wir brauchen zunächst einmal Verstärkung ..."
"Schnauze! Das weiß ich selbst!", fuhr ihn El' Saksağan an. "Wir müssen selbst ein Terzio ausheben und es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen. Aber dafür brauche ich Geld, und das lagerte im Keller meines Hauses! Das einzige, was ich im Moment an Wertvollem habe, ist Land - viel Land, das wird uns als Pfand dienen!"
Er deutete auf seine Tochter: "Kind, du musst nach Punin reiten, zu einem Bankier Alabizzi oder Tournadingsbums und einen Credit über 1000 Dukaten aufnehmen ... hm, nein - nicht nach Punin, Das dauert zu lange! Du reitest nach Ragath zu Dom Vigo Sforigan! Bestell ihm Grüße von mir - ich brauche drei Dutzend seiner Hakenspieße - das schlimmste und abgefeimteste Gesindel, das er anzubieten hat! Er erhält sein Blutgeld, sobald ich meinen Besitz wieder habe - das nun mir gehörige Dorf Elenta soll ihm einstweilen als Sicherheit dienen! Und wenn du schon in Ragath bist, wirst du auch dem gräflichen Castellan deine Aufwartung machen! Erzähl ihm von dem Überfall auf Alina und wer dahintersteckt! Ich will, dass die Grafenkrone gegen diese landfriedensbrecherische Sippschaft vorgeht!"
Erst jetzt, als er seinen Monolog beendet hatte und sein erster Zorn etwas verflogen war, wurde ihm vollends bewusst, was seine Tochter gerade gesagt hatte.
"Du hast dich also mit der Waffe in der Hand den Feinden entgegengestellt, die an unser Hab und Gut wollten? Recht getan, mein Kind - so handelt eine Alina! Aber was ist mit dem Vieh und vor allem mit den Pferden? Konnten sie wenigstens gerettet werden?" In seiner Frage schwang eine unausgesprochene Drohung mit, dies besser zu bejahen, da andernfalls sogleich der nächste Wutausbruch folgen würde.
Autor: von Scheffelstein
Dulcinea schluckte. Ihr Mut begann bereits wieder zu sinken. Nach Ragath sollte sie reiten. Allein etwa? Und mit dem Söldnerpack eines der berüchtigsten Condottieres Almadas verhandeln? Ja: Mit dem Castellan des Grafen gar? Was sollte sie denn da sagen? Sie hatte keine Ahnung von Verhandlungen. Die würden sie doch einfach über den Tisch ziehen!
"Natürlich habe ich an das Vieh gedacht, Vater", sagte sie, nicht mehr ganz so selbstsicher. Sie war müde und hatte Kopfschmerzen. Jetzt, da sie in Sicherheit war, wollte sie nur noch schlafen. Nein: Vorher wollte sie Wein. War das etwa Wein dort in dem Krug zu Füßen des bärtigen Söldnerführers? Seufzend riss sich Dulcinea selbst aus den Gedanken.
"Ich habe den Hirten befohlen, das Vieh von der Weide zu treiben und die Pferde in dem kleinen Tal in den Aliner Kuppen in Sicherheit zu bringen. Wehe, wenn die Taugenichtse nicht auf sie aufgepasst haben! Mehr konnte ich nicht tun, Vater! Ich hoffe nur, die Söldner kennen nicht den Weg hierher", kam ihr plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Sie war nicht sehr schnell vorangekommen. Die Mercenarios waren größtenteils beritten gewesen, soweit sie gesehen hatte. Nicht, dass sie noch in der Nacht in Elenta auftauchten! "Wir müssen hier weg, Vater! Das Dorf ist nicht befestigt! Sie werden Euch töten, wenn sie Euch in die Hände kriegen!" Und mich, dachte sie, und vor allem auch mich.
Autor: SteveT
"Keine Sorge, mein Kind! Hier bei mir wird dir nichts geschehen!", klopfte Ordonyo seiner Tochter erstmals anerkennend auf den Rücken und wies auf die entkorkte Weinflasche zu Füßen des Capitans. In einer Ecke stand auf einem kleinen Tisch auch ein angeschnittener Laib Brot und ein länglicher Ziegenkäse.
"Iss und trink erst einmal und stärke dich! Dein Vater wird diese Scharte auf unserem Schild mit dem Blut derjenigen auswaschen, die das getan haben - verlass' dich drauf!"
Er begann wieder überlegend auf und ab zu wandern. "Wenigstens die Rösser sind also scheinbar geblieben - sehr gut! Capitan, schickt zwei Eurer Leute aus, die Tiere und ihre Hirten in den Kuppen zu finden und sie nach Norden in Sicherheit zu bringen! Sie sollen sie erst einmal in den Valenca-Grund treiben - ich werde selbst mit der dortigen Junkerin sprechen und ihr alles erklären. Mundilla - ich habe es mir anders überlegt! Wir reiten beide zusammen in die Rote Stadt, sonst zieht dich der alte Sforigan noch über den Tisch! Und wir werden uns auch gar nicht vom Castellan abspeisen lassen, sondern gleich einmal dem Tobrier höchstpersönlich einen Antrittsbesuch abstatten - dann werden wir sehen, ob unser Haferyaquirer als Graf etwas taugt, oder ob er eine solche Willkür in seinem Lande duldet."
Der Capitan nickte und wollte hinaus zu seinen Untergebenen gehen, aber Ordonyo hielt ihn am Arm fest, ehe er das Haus verlassen konnte. "Nicht so schnell, Capitan! Für Euch selbst habe ich auch einen Auftrag! Da wir selbst niemals so viele Leute wie die da Vanyas unter Sold nehmen können, die siebenhundert Jahre Vorsprung hatten, ihr Vermögen zusammenzuraffen, müssen wir eben dafür sorgen, dass ihr Aufgebot mindestens bis auf die Größe des unseren zusammengeschrumpft ist, bis wir auf sie treffen."
Der Capitan erbleichte: "Ihr wollt, dass ich mit meinen wenigen Leuten ein ganzes Terzio angreife? Das wäre ein Alveranskommando, Euer Wohlgeboren!"
"Das weiß ich selbst!", schüttelte die Elster den Kopf und seine Augen begannen listig zu leuchten, was bei allen Menschen, die ihn gut kannten, sämtliche Alarmglocken läuten ließ. "Aber sie und wir haben gemeinsame Feinde, die wir vielleicht für unsere Zwecke einspannen können ..."
"Äh ... Ihr meint doch nicht etwa die Wilden?", glotzte ihn der Capitan ungläubig an, der noch nie gehört hatte, dass sich die Barbaren zu einem Pakt mit Docenyos bereit erklärt hätten.
"Doch, genau die meine ich!", bestätigte Dom Ordonyo seine schlimmsten Befürchtungen. "Meines Wissens lagert ein großes Heer von ihnen in der Elentinischen Ebene nahe des Krötensees. Die Vanyadâlerin wird ihr Aufgeot schnurstracks die Straße entlang zu ihrem Castillo führen, um es zurückzuerobern. Eure Aufgabe wird es sein, die Ferkinas zu reizen und ebenfalls dorthin zu locken! Wenn die dumme Rifada vor den Mauern ihrer eigenen Burg steht und sie belagert, weil drinnen Yegua von Elenta hockt und ihr dann noch die Wilden in den Rücken fallen, sodass sie zwischen zwei Parteien eingekeilt ist, dann ziehen wir mit unserem angeworbenen Aufgebot als lachende Vierte heran und geben ihr endgültig den Rest. Und bei mir gibt es keinen langen Proceß, sondern nur einen schnellen Schnitt durch die Kehle!"
Mit jedem Wort kam sichtlich ein Stück seines normalerweise unverbrüchlichen Selbstvertrauens zurück. Er sah zu, wie seine Tochter mit großen Schlucken die vorher noch mehr als halbvolle Weinflasche leerte und auch das Brot und den Ziegenkäse bis zum letzten Bissen vertilgte. Als sie jedoch auch noch seufzend ihre Stiefel hochlegen wollte, wank er ihr zu, gleich wieder aufzustehen.
"Nichts da, Mundilla! Ich lasse dir ein neues Pferd geben. Wir beide reiten jetzt gleich weiter in Richtung Norden - nach Valenca. Von dort aus geht es dann morgen früh nach Ragath! Schlafen können wir, wenn unsere Feinde tot sind!"
Autor: von Scheffelstein
Gerade hatte Dulcinea es sich bequem machen wollen, als die Worte ihres Vaters in ihren bereits leicht benebelten Geist drangen. Sie glotzte ihn an. "Was ... jetzt? Vater, es ist mitten in der Nacht, ich bin zwei Tage durchgeritten auf einem lahmen Pferd, musste nachts mehrmals mein Versteck wechseln, um nicht von Ferkinas entdeckt zu werden, hab kaum gegessen und getrunken und ..."
Ihr war schon wieder zum Weinen zumute. Das war nicht das Leben, das sie sich vorstellte. Warum konnte sie nicht einfach wieder auf der Veranda sitzen, die Sonne genießen, einen Ragatzo kippen oder zwei oder drei und ihre Ruhe haben? Das musste alles ein schlechter Traum sein! Sie wollte aufwachen! Nein: Eigentlich wollte sie schlafen. Sofort.
Aber dann sah sie wieder den bärtigen Söldner an, der sie auf unbestimmte Weise an den alten Rigoroso erinnerte und daran, dass sie besser ihre Rolle spielte, wenn ihr Vater sie ihr abnehmen sollte. Sie stellte sich vor, Dom Dulcineo zu sein, schlank und groß, gewitzt, unerschrocken – gerade so, wie ihr Bruder, der Säugling, es in den Augen ihres Großvaters gewesen war.
Dom Dulcineo grinste ihren Vater an. "... und Ihr scheucht mich gleich weiter und dann noch ins Dorf der tausend hässlichsten Frauen Almadas? Glaubt ja nicht, dass ich mir dort eine aussuchen werde! Äh ..." Sie verlor kurz den Faden, weil ihr aufging, dass sie ihren Vater vielleicht auf falsche Gedanken brachte. Aber Dom Dulcineo war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. "Na, Vater, nun macht nicht so ein Gesicht! Aber in zwei Dingen muss ich Euch widersprechen: Schlafen können wir, wenn wir tot sind. Und wir reiten erst weiter, wenn wir wenigstens auf den Tod unserer Feinde angestoßen haben. Soviel Zeit muss sein, bei Boron!" Dom Dulcineo schenkte ihrem Vater ein entwaffnendes Lächeln, legte ihm jovial die Hand auf den Arm und zwinkerte dem Söldnerführer zu.
Dulcinea staunte nur, wie leicht das Leben war, wenn man ein Mann war.
- Die Geschichte um die Alinas wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Falado, Teil 01.
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