Chronik.Ereignis1033 Feldzug Prolog 03

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Im Raschtulswall,10. Praios 1033 BF[Quelltext bearbeiten]

Im Lager der Bâni Khadr[Quelltext bearbeiten]


10.Praios, vormittags[Quelltext bearbeiten]

Autor: von Scheffelstein

Nasfágul Pascha, Shâr des Ferkina-Stammes der Bâni Khadr und Sohn des großen Kriegshäuptlings Khenubaal Pascha, stützte sich mit beiden Händen auf den Griff seiner Axt und betrachtete die Sayadim Zhul, jene kahlgeschorenen und reich mit Schmucknarben verzierten Krieger, die seine besten Kämpfer waren. Ein Dutzend von ihnen hatte er in sein Zelt gerufen, und nun saßen sie alle zu seinen Füßen auf den weichen Fellen, während seine Brudertochter Golshan ihnen Beerenwein in ihre Schalen goss.

In der Mitte des Zeltes hüpfte der alte Nuranshâr, der Geisterseher Ghazal iban Muyanshîr, aufgeregt auf und ab. Sein zerzaustes weißes Haar stand wirr von seinem Kopf ab, gegen die morgendliche Kälte hatte er sich ein Wolfsfell umgehängt. Wenn er sprach, spie er einen dünnen Speichelfaden zwischen seinen wenigen Zähnen hervor. Die Krieger musterten ihn unbewegt. Auch wenn das dürre Männchen eine erbärmliche Erscheinung war: Er war der Nuranshâr, er allein kannte den Willen der Geister, zu ihm sprachen die Ahnen, deren Leiber längst von Khoramsbestien und Geiern gefressen worden waren.

"Erinnerst du dich an den Traum, von dem ich dir berichtet habe?", fragte er Nasfágul. "Als der Mond zum vorletzten Mal sein Gesicht verbarg, noch vor den Blutfesten?"

"Du träumst viel, wenn die Nächte kurz sind", knurrte Nasfágul, lehnte die Axt an die Stange, die das Zeltdach hielt, und nahm von Golshan einen Becher entgegen.

"Ja, ja", sagte der alte Nuranshâr und kicherte. "Aber ich meine den Traum von dem bleichen Jungen mit dem hellen Haar."

"Ein Blutloser", sagte Nasfágul verächtlich. "Solche Träume interessieren mich nicht."

"Das sollten sie aber", sagte Ghazal gewichtig und blickte bedeutungsvoll in die Runde. "Ich habe die Geister befragt, Tag für Tag, Abend für Abend, ich bin in die Geisterhöhle gegangen, und nun haben die Geister zu mir gesprochen und mir Antwort gegeben, wie ich diesen Traum zu deuten habe."

"Und?", fragte Nasfágul gelangweilt, leerte den Becher und ließ sich von Golshan nachschenken.

"Der Junge, das ist der Sohn des Shâr-Anach-Nûr, der selbst Herrscher des Sonnenstier-Blutgeistes werden wird ..."

"Was?", unterbrach Djershar den Nuranshâr. "Was redest du da? Ein Blutloser kann niemals Herrscher des Blutgeistes werden. Niemals hat ein Flachländer einen solchen Geist in sich getragen."

Die Sayadim Zhul nickten, aber Ghazal schüttelte heftig den Kopf, und die Knochen und Steine an seiner Kette klackerten aneinander. "Lay, lay", rief er, "ihr versteht nicht! Wenn ein Flachländer dem Zhulshâma eines Mannes entstammt, eines Iban Ferkina, eines Iban Khadr – dann wird das Blut seines Vaters in ihm wirken und nicht das Erbe seiner blutlosen Mutter ihn beherrschen. Oder wollt ihr behaupten, euer Zhulshâma sei zu schwach, um im Leib einer Flachländerin einen Jungen heranwachsen zu lassen?"

"Gewiss nicht!", schnaubte Nasfágul, der selbst Sohn einer hellhäutigen Sklavin war, die sein Vater geraubt hatte. "Jeder weiß, dass das Blut stärker ist als das Fleisch der Flachländer. Und dass ein Mann in jedem Weib einen Sohn zeugen kann, wenn das Weib nicht verdorben ist wie eine faule Frucht!"

Die Sayadim Zhul nickten abermals, aber Nasfágul entging das leise Schnauben nicht, mit dem Golshan seine Worte bedachte. Herausfordernd starrte er seine Brudertochter an, bis diese den Blick senkte und ihm den Becher abnahm.

"Du willst also sagen, dass der Bleichhäutige, von dem du geträumt hast, das Blut der Bâni Ferkina in sich trägt?", fragte Nasfágul. "Wer ist sein Vater?"

Ghazal lächelte verschlagen. Seine fast nachtschwarzen Augen funkelten. "Shâr", sagte er, "ich glaube, der Shâr-Anach-Nûr, der die Stämme einen wird, ist noch nicht geboren. Ich glaube, der Mann, der den bleichen Jungen zeugt, wird über die Flachlande herrschen und sein Sohn nach ihm. Er wird die Stämme anführen und zum größten Shâr aller Zeiten werden."

Nasfágul lehnte sich vor und musterte den Alten. "Du sagst also, wenn ich einen Sohn mit irgendeiner Sklavin zeuge, einer blutlosen Sklavin, dann wird der Blutgeist ihn besitzen und er wird ein großer Anführer werden?"

"Nicht irgendeiner Sklavin", schüttelte Ghazal erneut den Kopf. "Die Mutter des Jungen, das haben die Geister mir gesagt, ist Tochter eines Harans. Wenn du also Vater des Shâr-Anach-Nûr und damit selbst Shâr aller Shârs werden willst, musst du den Sohn mit der Tochter eines blutlosen Harans zeugen."

Nasfágul sah zu seinen Kriegern. Einige der Sayadim Zhul blickten skeptisch, andere wirkten von Ghazals Worten beeindruckt. "Und wo finde ich die Tochter eines blutlosen Harans?"

Ghazals zahnarmes Lächeln wurde noch breiter. "Die Geister haben mir offenbart, dass sie schon bald hierher kommen wird ..."

"Was?", fragte Nasfágul ungläubig und auch ein wenig geschmeichelt. "Sie kommt hierher, um von mir einen Sohn zu empfangen?"

"Nicht direkt", wandte der alte Nuranshâr ein und kicherte leise. "Du musst sie dir schon holen. Aber die Geister haben mir das Bild eines blutlosen Weibes gezeigt, das vom Haran der Flachländer abstammt, der über die rote Stadt auf dem Goblingrabhügel herrscht. Das Weib wird zu den Bergen ziehen und sich wild und kämpferisch geben, wie es sich für die Mutter des Shâr-Anach-Nûr gehört. Die Geister haben mir den Tod ihrer Krieger gezeigt, du musst nur zugreifen."

Nasfágul sann eine Weile über die Worte des Alten nach und nickte bedächtig. "Aiwa. Gut. Ich werde das Weib nehmen und den Shâr-Anach-Nûr zeugen." Er lächelte grimmig. "Nun aber sage ich euch, was ich geträumt habe!" Er stand auf und blickte auf seine Krieger hinab. "Ich schicke euch in die Flachlande. Noch heute sollt ihr losziehen, ihr alle! Geht zu einem Lager der Blutlosen nahe einer großen, dunklen Steinhütte an einem See mit schwarzem Wasser." Er beschrieb ihnen den Ort, den er gesehen hatte, kurz bevor er aus seinem Traum erwacht war. "Zerstört die Hütten und tötet alle Flachländer, denen ihr unterwegs begegnet, aber nicht die Weiber, die Weiber will ich für mich!"

"Shâr", sagte sein Freund Kazûm, sein verlässlichster Blutjäger, "hältst du es für klug, uns alle wegzuschicken? Erinnere dich, was dein Brudersohn Charrizul berichtet hat, als er und die jungen Krieger aus der Ebene zurückkehrten: Bân Gassârah sind aus dem Norden in die Flachlande eingefallen und plündern seit einigen Tagen die Lager der Blutlosen. Was, wenn sie in unserer Abwesenheit auch unser Lager heimsuchen?"

"Die Bân Gassârah paaren sich mit ihren Schafen", mischte Golshan sich ein, die bislang demütig geschwiegen hatte. "Glaubst du, ein Schafficker kann es mit einer Sabu Khadr aufnehmen?" Sie schnaubte verächtlich. "Wir Weiber können uns gut genug selbst gegen diese Schwächlinge verteidigen!"

"Schweig!", wies Nasfágul sie zurecht und runzelte verärgert die Stirn. Für ein Weib nahm Golshan sich zuviel heraus, nur weil sie die Tochter seines verstorbenen Bruders war, durfte sie nicht wagen, ihn herauszufordern. Andererseits hatte sie recht, musste er zugeben. Die Bân Gassârah waren keine ernstzunehmenden Gegner, nicht für die Bâni Khadr. Vielleicht nicht einmal für deren Weiber. Außerdem ...

"Wenn die Bân Gassârah in den Flachlanden sind, werden wir sie eben dort töten, bevor sie auf dumme Gedanken kommen. Tötet ihre Krieger, tötet die Blutlosen, und zieht zu dem Lager am See mit dem dunklen Wasser. Und wenn Ghazal wahr gesprochen hat, dann werdet ihr das Weib finden, das mir den hellhaarigen Sohn gebären wird, den Shâr-Anach-Nûr, der über die Flachlande herrschen und die Stämme einen wird. Geht nun, ich will diesen Sohn zeugen! Wir haben uns zu lange schon in den Bergen versteckt. Es wird Zeit, dass wir den Blutlosen den Platz zuweisen, der ihnen zusteht!"

"Aiwa!", riefen die Sayadim Zhul, als sie aufstanden. Nur Kazûm schien nicht überzeugt, doch er schwieg. Als er als Letzter das Zelt des Shârs verlassen hatte, schlug Nasfágul Golshan ins Gesicht. Rot zeichneten sich die Abdrücke seiner Finger auf ihrer Wange ab. "Ein Weib schweigt, wenn der Shâr mit seinen Sayadim Zhul spricht, hörst du mich?"

Golshan presste die Lippen aufeinander. Der feine dunkle Flaum unter ihrer scharfen Nase zitterte. Der Blick ihrer dunklen Augen war alles andere als unterwürfig. Einige Wimpernschläge lang starrte sie ihn an, als wolle sie ihm ins Gesicht fahren.

Er griff nach ihrem Handgelenk. "Hast du mich verstanden?", fragte er.

"Mein Vater wäre ein besserer Shâr gewesen als du!", zischte sie.

Er wollte sie erneut schlagen, aber sie tauchte unter seiner Hand hindurch und riss sich los.

"Mein Bruder ist tot!", knurrte Nasfágul zornig. "Ebenso wie mein Vater. Erschlagen von einem Weib, einer Flachländerin!"

Golshans Augen blitzten, ihr Mund verzog sich zu einem gehässigen Lächeln. "Yil'Hayatim", sagte sie. "Gelobt sei sie! Gelobt seien die Achmad'sunni!"

Wieder griff Nasfágul nach ihr, wieder wich sie aus. "Geh mir aus den Augen, bevor ich dich erschlage, Weib!", brüllte er ihr nach, als sie aus dem Zelt floh. Wütend leerte der Shâr den Weinkrug und warf ihn zu Boden. Bald, sagte er sich, bald würde er sich die Haranstochter gefügig machen. In ihrem Leib würde ein Sohn von seinem Blut heranwachsen. Und dann würde er herrschen über alle Stämme der Berge und über die Flachlande. Was kümmerte ihn da seine widerspenstige Brudertochter? Verdammt sollte sie sein! Er, Nasfágul, würde bald Shâr aller Shârs sein, Vater des Shâr-Anach-Nûr. Das konnte nicht einmal der große Khenubaal Pascha von sich behaupten!

Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 03