Chronik.Ereignis1032 Die Herren von Pildek 19
Baronie Brigellan, Mitte Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
In Peraine-Tempel von Endivarol[Quelltext bearbeiten]
Autor: Von Scheffelstein
Der Kämpfer[Quelltext bearbeiten]
Naidana führte Nado in die Amtstube der Saathüterin, einen spärlich eingerichteten Raum auf der Nordostseite des Tempels. An der Wand links der Tür standen Regale mit Büchern und Schriftrollen und ungezählten Tiegeln, Töpfen und Flaschen. Von der hohen Decke hingen grünblättrige Pflanzen, die sich um die drei schmalen, hohen Fenster rankten, durch die man hinaus auf den kleinen Marktplatz Endivarols blickte. Jetzt, zur Mittagsstunde an einem Praiostag, lag er verlassen da.
Die Saathüterin stand vor einem vollgestellten Tisch und sprach mit zwei Fremden. Im ersten Augenblick glaubte Nado, die bewaffneten und gerüsteten Männer seien Söldner, und er schreckte zurück, zu frisch, zu schmerzhaft war noch die Erinnerung an seine letzte Begegnung mit den Aguerridos.
Der größere Mann war ein breitschultriger Riese in Lederrüstung, mit zerzaustem braunen Haar und einer Ziernarbe auf der rechten Wange. Der Kleinere war eine Handbreit kleiner als Nado selbst, der sich für groß hielt, trug Platte und Handschuhe und das schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Bei genauerem Hinsehen allerdings waren die Männer zu gut gekleidet für Mercenarios, die Rüstung des Kleineren zumindest zu edel; und das Wappen auf dem Umhang des Mannes war kein Abzeichen eines Terzios: Es wurde schräg links durch einen roten Balken geteilt, oben zeigte es einen schwarzen Adlerkopf in gelbem Feld, unten einen gelben Pferdekopf auf blauem Grund. Das Wappen eines Edelmanns. Nados Herz schlug schneller. Der hohe Herr.
"Da ist er", sagte die Saathüterin, und die Männer drehten sich zu Nado um, der den Raum betrat und abwartend stehen blieb. Der hohe Herr musterte Nado. Er trug einen gepflegten Rahmenbart und einen Ring mit blauem Stein an seiner behandschuhten Linken. Doch er war ein Kriegsmann, das sah Nado gleich. Das Gesicht hatte die ledrige, braune Haut eines Mannes, der viel Zeit unter der Sonne verbrachte, und die Rüstung hatte bereits ihren Zweck erfüllt, wie Beulen und Kratzer bewiesen. Am meisten beeindruckte Nado das Schwert in ziselierter Scheide, das der Mann in der Rechten trug. Es war viel größer als die Schwerter, Rapiere und Säbel, die er bei den Söldner in Carhag-Lo gesehen hatte. Man brauchte gewiss viel Kraft, um es zu führen.
"Ich danke Euch, Hochwürden Tumhazartalish", wandte sich der Fremde an die Saathüterin. "Wenn Ihr erlaubt, würde ich gerne ein paar Fragen an den jungen Mann richten."
"Gewiss, Euer Wohlgeboren, wie Ihr wünscht." Die Priesterin wies auf die steinerne Bank unter dem Fenster und stellte dem Edelmann einen dreibeinigen Hocker mit Ledersitz hin. Der Riese streckte seine Beine auf der Bank aus und lehnte sich gähnend zurück. Der hohe Herr blieb stehen.
"Naidana, kümmere dich um unsere Gäste." Die Saathüterin mit dem unaussprechlichen Namen ging an Nado vorbei aus dem Raum. Naidana folgte ihr.
"Geht es dir besser?", fragte der hohe Herr Nado unvermittelt. Der Blick seiner dunklen Augen war aufmerksam, eindringlich, doch er fragte mehr aus Höflichkeit, denn aus Interesse, das spürte Nado, in seiner Stimme schwang ein Hauch von Ungeduld mit.
"Ja", sagte Nado daher und nickte nur.
"Setz dich!" Der Mann schob mit dem Fuß den Hocker herüber. Nado setzte sich. Der Mann trat ans Fenster, sah auf den Marktplatz hinaus. Unter dem Olivenbaum vor dem Tempel saßen zwei Männer und eine Frau. Fremde. Nicht aus Almada. Der eine Mann war klein und hatte schräg gestellte Augen, trug Lederkleidung und einen Bogen, der zweite war sogar noch größer als der Begleiter des hohen Herrn und hatte das rote Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten. Auch die Frau war groß – kräftig und wohlgeformt, trug das helle, blonde Haar kurz, und ihr Lachen ließ sie jung wirken, auch wenn sie gewiss schon über vierzig war. Sie hatte ein Kurzschwert auf den Knien, das sie mit einem Lappen reinigte.
"Wer hat dir das angetan?", fragte der hohe Herr. Er machte sich keine Mühe, sich vorzustellen.
"Söldner", antwortete Nado.
"Warum?"
Ihre Augen begegneten sich. Nado wich dem Blick des Mannes nicht aus. "Die Söldner haben sich vor Jahren in Pildek breit gemacht. Sie pressen die Leute aus und verlangen Schutzgeld von den Reisenden."
"Und du wolltest nicht zahlen?"
"Ich bin kein Reisender."
"Ein Bauer?"
Bis vor Kurzem hatte es nur eine Antwort auf diese Frage gegeben. Jetzt aber klangen Nado die Worte seines ältesten Bruders in den Ohren: 'Du bist nicht unser Bruder! Wenn du unserer Familie schadest, dann verschwindest du dorthin, wo auch immer du hergekommen bist!'
"Ja", sagte er trotzdem.
Der hohe Herr, dem sein Zögern nicht entgangen war, sah ihn an. Naidana kam mit einem Krug und einigen Bechern herein und goss Wein ein, reichte dem Herrn und seinem Begleiter einen Becher, ehe sie auch Nado einschenkte.
"Du wurdest nicht ohne Grund halbtot geschlagen", stellte der fremde Herr fest, nachdem die Ährendienerin die Stube wieder verlassen hatte, diesmal durch eine Tür auf der rechten Seite, vor der einige Stufen zum Marktplatz hinab führten.
"Ich nehme es an", erwiderte Nado mit einem Schulterzucken und nippte an seinem Wein. Der Mann ließ den Becher in seiner Hand kreisen, ohne zu trinken. "Weißt du, wer ich bin?"
"Ihr habt mich gefunden und hierher gebracht. Ich schätze ... nun ja ... danke dafür."
Die beiden Männer wechselten einen Blick. Der Herr nahm einen Schluck und stellte den Becher auf dem Tisch ab. "Warum, glaubst du, habe ich das getan?"
"Weil Ihr ... ein freundlicher Mensch seid?"
Der Riese auf der Fensterbank lachte schallend. Der hohe Herr lachte nicht. "Wie heißt du?", fragte er stattdessen.
"Nado", sagte Nado. "Maldonado."
"Maldonado." Die Augen des Mannes waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen. "Nein, Maldonado, das ist nicht der Grund. Ich habe dich hierher gebracht, weil ich Antworten will. Antworten auf meine Fragen. Verstehen wir uns?"
Nado zuckte mit den Schultern und nickte. "Fragt! Was wollt Ihr wissen?"
"Wer waren die Söldner, die dich zusammengeschlagen haben?"
"Aguerridos. So nennen sie sich", erklärte Nado und trank einen Schluck Wein.
"Sind das die, die an der Straße von Endivarol nach Carhag-Lo lagern?"
Nado nickte.
"Warum haben sie dich verprügelt?"
Nado sah den Mann an. Er spürte, dass es unklug wäre, seine Geduld auf die Probe zu stellen. Er gab sich freundlich, aber Nado schätze ihn als einen Menschen ein, dessen Laune sich so plötzlich ändern konnte wie das Wetter an einem Rondratag: von freundlich zu stürmisch in kürzester Zeit. Nado fürchtete seinen Zorn nicht, denn was sollte ein Mann, selbst ein hoher Herr wie dieser, ihm in einem Tempel der gütigen Peraine schon tun wollen? Jedenfalls, wenn er die Götter ehrte, und dieser Mann wirkte nicht wie ein Frevler. Allerdings: Der Fremde hatte ihm vermutlich das Leben gerettet. Verdiente er da nicht eine ehrliche Antwort, egal, aus welchen Gründen er fragte?
"Sie haben mich verprügelt", sagte Nado, "weil ich mich eingemischt habe."
Der hohe Herr hieß ihn mit einer Handbewegung, fortzufahren.
"Ein Mädchen wurde getötet. Damit hat es angefangen. Sie wurde nicht einfach ... im Streit erschlagen oder ... geschändet. Sie ... wurde abgeschlachtet. Hingerichtet. Sowas habt Ihr noch nie gesehen!"
Der Riese auf der Fensterbank hob die Augenbrauen, als wolle er sagen, dass er und der Herr so Manches gesehen hätten, was Nado sich nicht vorstellen könne, doch er sagte nichts.
"Ich wollte wissen, wer das getan hat", fuhr Nado fort. Die Erinnerung an Esperanzadas grausam zugerichtete Leiche machte ihn wütend.
"War sie dein Liebchen?", fragte der hohe Herr gerade heraus.
"Nein. – Ja. Ich ... mochte sie."
Der Mann nickte. Und Nado begann zu erzählen. Von den Söldnern. Von den Zahori. Dass die Söldner den Tod der Silfide wollten, der Hexen, wie sie sie nannten, weil einer ihrer Leute gestorben war. Dass die Bauern nicht zwischen den Silfide und den Cruento zu unterscheiden wussten und Jagd auf alle Zahori machten, obwohl die eine Sippe ihnen half und die andere sie ausbeutete. Er erzählte von Esperanzadas Tod und von Talfans. Davon, dass die Mercenarios ihn, Nado, gebeten hätten, die Mhanah der Silfide zu töten. Und dass diese ihm die Wahl gelassen hatte, sich für eine Seite zu entscheiden. Er berichtete auch von Batistars, seines Bruders, Tod. Jagos Worte aber behielt er für sich. Die gingen den Fremden nichts an.
Der hohe Herr hörte ihm aufmerksam zu, die Augen ein wenig zusammengekniffen, mit den Fingern kraulte er seinen Kinnbart.
"Klingt nach einem Problem", sagte der Riese und seufzte.
Der hohe Herr nickte und musterte Nado gedankenverloren. "Für welche Seite hast du dich entschieden, Junge?"
Nado hob die Schultern. "Ich hatte keine Gelegenheit." Er machte eine unbestimmte Geste, einen Kreis, der den Marktplatz und den Tempel einschloss.
"Verstehe." Der Mann nickte erneut. "Und für welche Seite entscheidest du dich?"
"Sagt es mir!"
Der Fremde kniff die Augen zusammen. "Hängst du deinen Mantel immer nach dem Winde?"
"Der Wind ist mir gleich", sagte Nado. "Aber es ist leichter, mit dem Sturm zu reiten als gegen ihn." Er wies nach draußen auf den Olivenbaum, auf die Männer und die Frau. "Die gehören zu Euch, oder? So, wie Ihr fragt, habt Ihr ein Interesse daran, selbst die Herrschaft in Pildek zu übernehmen. Oder zumindest die Söldner rauszuwerfen. Ihr tragt ein Wappen. Das heißt, Ihr habt Einfluss. Mehr als irgendwelche Zahori. Sagt mir, was ich tun soll, und ich tu's!"
"Die Leute, die für mich kämpfen, kämpfen nicht in erster Linie für mich oder mein Gold. Sie streiten in Rondras Namen und für eine gerechte Sache", erklärte der Herr. Nado hatte den Eindruck, ihn mit irgendetwas verärgert zu haben.
"Ich will Euer Gold nicht!", sagte Nado stolz, als der Mann den Becher leerte und erneut auf dem Tisch abstellte. "Ich will den Mörder meiner Freundin finden." Der Fremde packte sein Schwert fester und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. "Den Mörder meines Freundes." Der hohe Herr nickte dem Riesen zu, und dieser kam behände auf die Füße. "Den Mörder meines Bruders!", rief Nado, als die Männer sich zum Gehen wandten.
"Ich komme auf dich zurück", sagte der hohe Herr, "wenn ich Fragen habe. – Hagen, hör' dich in diesem Städtchen mal um, wie's um die Terzios in der Gegend steht und welche Bewaffneten zu welchem Preis zu haben sind."
"Und was habt Ihr mit ihnen vor?" Nado sprang vom Stuhl auf, als der Fremde die Tür öffnete. "Ihr könnt es nicht gleichzeitig mit den Aguerridos und den Zahori aufnehmen. Und wer weiß, ob die Mörder überhaupt unter ihnen sind? Wie groß soll das Heer sein, mit dem Ihr in Pildek einziehen wollt? Die Mercenarios haben mehr als hundert Mann!"
Der hohe Herr drehte sich langsam um und sah ihm direkt in die Augen. "Was willst du, Junge?" Nado straffte die Schultern. Dies war seine Gelegenheit. Sie käme nie wieder! "Bringt mir das Kämpfen bei!"
Der Mann schnaubte und stieg die Stufen hinab.
"Nein, wartet!" Nado machte einen Satz vorwärts, um den hohen Herrn am Arm aufzuhalten, doch der Riese – Hagen – versperrte ihm den Weg.
"Krieg ist kein Kinderspiel", sagte der lange Hagen mit rauer Stimme. "Er tut verdammt weh!" Die Faust des Mannes traf Nado so unvermittelt an der verletzten Schulter, dass er gegen die Wand taumelte. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, obwohl der Riese sicher nicht mit aller Kraft zugeschlagen hatte. Einige Herzschläge lang lehnte Nado stöhnend an der Wand und starrte hinaus in die flirrende Hitze des Marktplatzes, ein helles Rechteck in der Wand der Amtsstube.
Sich die Schulter haltend, sprang er hinaus auf den Platz. "Hört zu", sagte er zu dem hohen Herrn, der sich von der blonden Frau die Zügel eines Rappen anreichen ließ und auf das Pferd stieg. "Wenn Ihr in Pildek Erfolg haben wollt, müsst Ihr das Volk hinter Euch bringen. Die Leute fürchten die Aguerridos. Und sie fürchten die Zahori. Sie fürchten die Götter und die Cañocacha, die Herrin der Dürre, sie haben Angst vor Zauberei, vor Missernten und vor dem Hunger. Wenn Ihr in Pildek etwas erreichen wollt, dann müsst Ihr entweder furchtbarer sein als all das, wovor die Menschen Angst haben. Oder Ihr schafft es, sie für Euch einzunehmen und ihnen Mut zu machen."
An der Miene des hohen Herrn war nicht abzulesen, was er dachte. Eine Augenbraue hatte er gehoben, die andere gesenkt, den rechten Mundwinkel kaum merklich verzogen. Er nickte Hagen zu, der sich in den Sattel eines braunen Elenviners schwang, und dann auch seinen Begleitern unter dem Olivenbaum. Mit leichtem Schenkeldruck setzten die Männer die Pferde in Bewegung. Der große Rothaarige, der kleine Mandeläugige und die blonde Frau hoben ihr Gepäck auf, um ihnen zu Fuß zu folgen.
Nado ließ die Schultern sinken und presste die Lippen aufeinander.
Nach einigen Schritten drehte die Frau sich zu ihm um. "Na los", sagte sie und zwinkerte ihm zu, "hol deine Sachen! Beeil' dich ein bisschen, er wird bestimmt nicht auf dich warten!"
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