Chronik.Ereignis1032 Die Herren von Pildek 18
Baronie Brigellan, Mitte Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Peraine-Tempel von Endivarol[Quelltext bearbeiten]
Autor: Von Scheffelstein
Der Tempel[Quelltext bearbeiten]
Die Luft über dem Gemüsegarten flirrte in der Sonne. Ein Mistkäfer kroch über die rissige Erde zwischen den Paprikapflanzen. Sonst bewegte sich nichts. Die Taube, die während des Morgens gurrend auf dem Dach des Tempels entlang spaziert war, war davongeflogen. Der Hund auf der Veranda schlief. Selbst im Schatten war es heiß.
Nado lauschte dem Gesang der Priester, die die Nachmittagsmesse hielten. Dem tragenden Bariton des alten Erntemeisters Yehodo folgte der melancholische Alt der Saathüterin. Sie war Tulamidin, ihren Namen konnte Nado nicht aussprechen, aber in ihrer Gegenwart fehlten ihm meist ohnehin die Worte. Wenn ihre kundigen Finger seine Haut berührten, sanft und doch fest auf seine Rippen drückten, über die Muskeln an seinen Armen strichen, wünschte er sich, sie würde auch dann damit fortfahren, wenn die Wunden verheilt wären. Manchmal streifte ihr langes, dunkelbraunes Haar seinen Hals, wenn sie sich beim Wechseln der Verbände über ihn beugte, und er roch den Duft ihrer Haut: Seife und Erde, Lavendel und Minze, und wenn sie den kleinen Silvio in der Küche ausschimpfte, roch sie nach Lammbraten und Rosmarin oder den Gewürzen ihrer Heimat.
Der Saathüterin entgingen die Blicke nicht, mit denen Nado sie betrachtete, aber sie bedachte ihn stets mit einem belustigten Lächeln oder einem scherzhaft tadelnden Schnalzen der Zunge.
"Schlafe, Junge!", hatte sie einmal gesagt und ihm einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Im Stillen hatte er ein 'mit mir' hinzugefügt und sich vorgestellt, wie ihre Lippen tiefer wanderten, und als sie den Schlafsaal verlassen hatte, hatte er sich leise stöhnend unter der Decke Erleichterung verschafft. Anschließend hatte er lange wach gelegen und an Vinyaza gedacht und all die anderen Mädchen, mit denen er geschlafen hatte und an Esperanzada, mit der er nie geschlafen hatte und die tot war und ihm vielleicht deshalb nicht aus dem Kopf gehen wollte. Er hatte geschworen, ihren grausamen Tod zu rächen, ihren Mörder zu finden, aber seither waren Monde vergangen, Monde, während derer er untätig herumgelegen hatte, anfangs dem Tod selbst näher als dem Leben.
Die Priester hatten ihn wieder gut hinbekommen. Die Rippen waren verheilt, die Schulter schmerzte nur noch selten, und inzwischen konnte er wieder feste Nahrung zu sich nehmen, ohne dass ihm beim Kauen der Schmerz das Gesicht zerriss. Bis auf eine Narbe unter dem linken Auge würde nichts zurückbleiben.
Der Gesang hatte aufgehört. Nado steckte sich einen Grashalm in den Mund und beobachtete die Zitronenfalter, die von Distel zu Distel flatterten. Er war das Nichtstun nicht gewohnt.
'Ich habe kein Geld für den Tempel', hatte er den Priestern gestanden. 'Aber wenn Ihr wollt, kann ich Euch im Garten helfen. Ich kenne mich aus mit den Pflanzen.'
'Du bist hier, um Heilung zu finden', hatte Yehodo streng erwidert, 'nicht um zu arbeiten.' 'Sei unbesorgt', hatte die junge Ährenhüterin Naidana ihn beruhigt, 'ein hoher Herr hat für deine Pflege gezahlt.'
'Ein hoher Herr?'
Aber mehr hatte sie nicht gewusst, keinen Namen, nur, dass er dem Tempel Geld gegeben hatte, damit man seine Wunden versorge und sich um ihn kümmere, bis er zurückkäme. Es war die Neugier, mehr noch als der Schmerz oder das süße Verlangen nach der Berührung der Saathüterin, die Nado im Tempel hielten.
Ein hoher Herr. Wer mochte das sein? Ob es der Großbauer Tauro Trigorne war? Nach Batistars Tod hatte er der Familie Unterstützung versprochen. Der Familie. Es war höchste Zeit, dass er ihr Nachricht zukommen ließ, dass er lebte und wo er war, bestimmt war Mutter schon in höchster Sorge!
Seine Mutter. Nado spuckte den Grashalm aus. Er hatte kein Zuhause mehr! Jago hatte es nur zu deutlich gemacht: Er war ein Fremder. Nur geduldet unter dem Dach seiner Mutter. Der Frau, die er für seine Mutter gehalten hatte. Achtzehn Jahre lang!
Was sollte er tun? Zurückkehren und so tun, als wäre nichts geschehen? Batistar war tot, sein Bruder! Was, wenn Jago der Mutter zwei Monde lang eingeredet hatte, es wäre seine, Nados, Schuld? Wenn er zurückginge, wäre doch nichts mehr wie zuvor. Batistar, Talfan, Esperanzada tot. Er ein Fremder im eigenen Heim. Und wer wusste, wie der Krieg der Söldner, Zahori und Bauern inzwischen verlaufen war? Vielleicht, dachte er, vielleicht sollte er Pildek verlassen. Hinausziehen in die weite Welt.
'Das Leben da draußen', hatte er zu Esperanzada gesagt, 'ist gefährlich.'
'Aber es ist auch schön', war ihre Antwort gewesen.
"Nado!" Naidana kam den Gartenweg herab. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Als er aufsah, blieb sie stehen. "Komm, Nado, da ist jemand, der dich sehen möchte."
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