Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 28
In Kaiserlich Selaque, 4. Rondra 1033 BF
in Vanyadâl zu Füßen des Castillo da Vanya
4. Rondra 1033 BF, am frühen Nachmittag
Autor: Vargas
Raúl de Vargas war müde, unfassbar müde. Er wusste nicht mehr, wie viele Tage lang er schon durch diese verfluchten Berge stapfte, seitdem eine krude Mischung aus Glück und Pech dafür gesorgt hatte, dass er als einziger nicht den Leuten in die Hände gefallen war, die Udinias Kate aufgerieben hatten. Er grinste zynisch beim Gedanken daran, dass ihm eine volle Blase das Leben gerettet hatte.
Jetzt aber war er allein, ohne Pferd, ohne Nahrung, und nur mit dem am Leib, was er getragen hatte, als er sich kurz aus der Hütte verabschiedet hatte. Raúl verfluchte den Tag, an dem seine Mutter ihn hierher geschickt hatte. Sein Bruder saß grad sicher auf einem bequemen Stuhl und aß Kuchen, und er lief wie ein abgerissener Streuner durchs Nirgendwo! Aber sie hatte doch Recht mit ihrem Misstrauen, sagte eine mahnende Stimme in ihrem Kopf. Du hast selbst gesehen, dass diese Rifada da Vanya Recht hatte, jedenfalls was die Elenterin betrifft. Er biss sich auf die Lippe und stapfte weiter.
In der Entfernung tauchte eine Hütte auf. Kurz hüpfte Raúls Herz vor Freude, bis es sich daran erinnerte, dass ihm schon die letzten beiden Türen verschlossen geblieben waren. Jeder hier schien Angst zu haben. Raúl dagegen hatte keine, dafür hatte er zu viel Hunger und Durst, die langsam übermächtig zu werden drohten. Wenn die mir nicht aufmachen, bin ich verloren, dachte er. Travia, bitte lass sie diese Tür aufmachen! Langsam näherte er sich und klopfte.
Autor: SteveT
Etwa zur selben Zeit, in der sich die gefrässige Oger-Rotte auf sie zu bewegte, rüttelte Moritatio sacht an Richezas Arm, um sie endlich aus ihrem langen Traumschlaf zu erwecken. Er wagte dies nur, da Tsacharias Krähenfreund kurz aus der Hütte gegangen war, um am Dorfbrunnen einen Eimer mit frischem Wasser zu holen. Auch hier im Dorf Vanyadâl war das dumpfe Dröhnen laut zu vernehmen, das Moritatio noch niemals zuvor gehört hatte und das ihn durchaus mit Sorge erfüllte. Dahinter steckten die Wilden - kein Zweifel! Vermutlich war das ein Signal, um noch weitere Stämme von ihnen zum Krieg gegen das Bosquirtal aufzurufen.
"Richeza, wach auf!", rüttelte er seine schöne Cousine und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Komm zu dir! Du musst zu Kräften kommen! Wenn Mutter oder Gujadanya mit Verstärkung anrücken, müssen wir ihnen von innen das Tor des Castillos öffnen, und alleine schaffe ich es nicht, das zu vollbringen. Bitte, du musst mich in unsere Burg begleiten!"
Immerhin hatte sie nun die Augen geöffnet und blickte ihm halbwegs klaren Blickes in die Augen. Sie schien verstanden zu haben, was er gesagt hatte. "Hörst du das?", frug er sie. "Das sind die Wilden! Sie werden bald wohl mit noch mehr Kriegern hier sein. Bis dahin müssen wir in der Burg sein, wir können nicht länger warten."
Sie wollte antworten, er legte sich aber warnend den Zeigefinger auf die Lippen, denn von draußen vor der Hüttentür waren knirschende und zugleich leise klingelnde Schritte zu hören, die unmöglich von Tsacharias Krähenfreunds Gamaschen herrühren konnten, sondern die sich für ihn eher wie sporenbewehrte Reitstiefel anhörten.
Moritatio zog ein weiteres Mal sein abgebrochenes Rapier und schlich zum von zwei klappbaren Holzläden verschlossenen Fenster. Er lugte durch die schmale Ritze zwischen den Fensterläden und erblickte draußen einen ihm unbekannten jungen Edelmann mit schwarzem Haar und dunklen Augen, der ihre Hütte aufmerksam musterte. Der Bursche trug eine gute Rüstung und zwei Klingen an seinem Gürtel - er musste also auf der Hut sein, vermutlich war das auch einer von Praiosmins Speichelleckern.
Er verdrehte die Augen und stieß einen lautlosen Fluch aus, als es kurz darauf an die Hüttentür klopfte. Verflucht, diesmal war kein Krähenfreund da, um den Mistkerl abzuwimmeln.
Autor: von Scheffelstein
Richeza blinzelte ins Zwielicht der Hütte. Durch die verschlossenen Fensterläden drang spärliches Tageslicht, auf einer Holzkiste neben dem Bett stand eine fast heruntergebrannte Kerze. Benommen blickte die Edle sich um. Der alte Heiler war nicht zu sehen, dafür Moritatio, der eine Waffe zog – oder das, was davon übrig war.
Richeza setzte sich leise stöhnend auf. Ihr war, als würden sich sämtliche Verletzungen, die sie sich während der Suche nach Praiodor zugezogen hatte, wieder bemerkbar machen. Als hätte sie nun, da sie kein Ziel mehr hatte, für das sie kämpfte, mit einem Schlag alle Kraft verlassen, jeglicher Wille. Befremdet stellte sie fest, dass der Alte ihr, bis auf Brust- und Lendentuch, sämtliche Kleider ausgezogen hatte. Richeza zog sich die Decke um die Schultern und blickte Moritatio an. Wo waren sie hier? Wie war sie hierher gekommen? Und: War Moritatio nicht nach Punin aufgebrochen? Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie als Gefangene des Aranjuez ins Vanyadâl geführt worden war. Und dann? Sie wusste nicht, was geschehen war.
Erst als es ein zweites Mal klopfte, wurde Richeza bewusst, dass Moritatio die Situation offenbar als Bedrohung auffasste. Richeza angelte ihren Stiefel, der neben dem Bett lag und zog ihren Dolch unter die Decke, dann legte sie sich zurück. Die Wilden würden nicht klopfen, dachte sie, während sie durch halb geschlossene Lider zur Tür blinzelte und sich weit fort wünschte, zurück nach Scheffelstein oder Ragath oder sonstwohin, wo sie schlafen konnte, schlafen, ohne gestört zu werden.
Autor: Vargas
Nichts rührte sich. Jetzt tun sie wieder so, als wären sie nicht da. Er versuchte zu horchen, was von drinnen zu hören war, aber es blieb still. Dann klopfte er nochmal. Keine Reaktion. Und wenn wirklich niemand da ist? Ich will nicht hier im Nirgendwo verhungern!
Mit dem Mut der Verzweiflung klopfte er ein drittes Mal und erhob seine Stimme, die nur krächzend aus seiner trockenen Kehle kam. "So macht doch auf! Ich bin kein Ferkina, kein Feind, nur jemand, der dringend einen Unterschlupf und Wasser braucht. In Travias Namen, lasst mich ein!" Er zögerte kurz, seinen Namen zu sagen, verzichtete dann aber darauf. Wer wusste, ob die Elenterin ihn suchen ließ ...? "Ich schwöre bei den Zwölfen, ich komme in keiner feindseligen Absicht!"
Raúl ließ die Hand sinken. Es hatte nichts gebracht, auch hier machte ihm niemand auf. Seufzend ließ er sich mit dem Rücken gegen die Hauswand fallen und starrte in den Himmel.
Autor: von Scheffelstein
Richeza sah zu ihrem Vetter hinüber und hob fragend die Augenbrauen. "Wer ist das?", flüsterte sie und richtete sich auf die Ellenbogen auf, den Dolch noch immer in der Rechten. "Wo sind wir hier, Moritatio? – Los, mach ihm auf! Aber wenn das eine Falle ist – bei den Göttern, dann stich ihn ab!"
Sie legte sich wieder zurück und befeuchtete die spröden Lippen mit der Zunge. Nein, es sah nicht so aus, als wäre ihr länger Ruhe gegönnt. Sie musste weitermachen, weiterkämpfen, und war es nur, um zu überleben!
Autor: SteveT
"Wir sind in einer Fellachenhütte in unserem Dorf! Ich musste dem Aranjuezer versprechen, mit dir hier im Ort zu bleiben - andernfalls hätte er dich nicht bei mir gelassen und du wärst noch seine Gefangene!", zischte Moritatio leise zurück. Wegen der Stimme von draußen wollte er schon mit verstellter krächzender Stimme antworten, daß sie selber nichts zu essen hätten, was ja auch nicht weit von der Wahrheit entfernt war, aber dann kam er Richezas Aufforderung nach.
Vielleicht stand draußen ja wirklich jemand in Not, der immerhin in Travias Namen schwor. Aber andererseits traute er den Schergen der Elenterin durchaus auch einen Meineid und alle sonstigen Schandtaten zu.
Er zog mit einer Hand den quietschenden Riegel zurück und nickte Richeza zu, daß diese ihren Dolch unter der Decke bereithalten sollte. Er selbst hob seinen Rapierstumpf, bereit sofort zuzustechen, während er mit der anderen, freien Hand, der Tür einen leichten Schwung gab, so daß sie langsam aufschwang.
Wer immer jetzt eintrat - wenn es ein übler Geselle war, so hatte er nur einen Augenblick, um ihn sofort niederzustechen, andernfalls waren sie verloren.
Autor: Vargas
Raúl zuckte erschrocken zusammen, als er ein Quietschen neben sich hörte. Konnte es sein, dass ihm wirklich jemand aufmachte? Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete er die Tür, die ganz langsam aufschwang. Tatsächlich! Er riss sich zusammen und reckte seinen Hals. Dann trat er vor die Tür, die Hände weit entfernt von seinen Waffen - er ahnte schließlich nicht, dass keine harmlosen Bauern in der Kate saßen.
"Hallo?", fragte er skeptisch, als er im Halbdunkel niemanden erkannte. War die Tür etwa von alleine aufgegangen? "Die Zwölfe zum Gruße? Ist jemand hier? Ich brauche nur etwas Wasser und etwas zu Essen, dann belästige ich Euch nicht weiter. Hallo?" Raúl kniff die Augen zusammen. Lag da jemand auf dem Bett, eine Frau? Sein Hunger war für den Augenblick vergessen, hier war womöglich jemand in größerer Not als er. "Ist Euch nicht wohl? Kann ich Euch helfen?"
Autor: von Scheffelstein
Richeza setzte sich auf, vermied es, Moritatio einen Blick zuzuwerfen, der im Schatten neben der Tür stand, noch vor den Blicken des Fremden verborgen. Sie kniff die Augen zusammen gegen die plötzliche Helligkeit, umfasste die Decke mit der Linken, um sie sich im Notfall rasch vom Leib reißen und aufspringen zu können, und ballte die Rechte um den Griff der Waffe.
"Wer seid Ihr?", fragte sie matt. "Wir haben nichts zu Essen." Der Mann war jung, höchstens so alt wie ihr Vetter, und er trug Waffen. Ein Vanyadâler schien er nicht zu sein, sonst hätte er anders gefragt, aber für einen Schergen der Elenterin war er bislang zu höflich. Was trieb einen Fremden in diesen Zeiten so weit nach Osten?
"Was macht Ihr hier? Wer schickt Euch?"
Autor: SteveT
Moritatio wartete, bis der junge Mann, der offensichtlich noch geringfügig jünger als er selbst war, einen Schritt in die Stube eintrat und packte ihn dann blitzschnell an seiner Gewandung und hielt ihm die gezackte Klinge seines abgebrochenen Rapiers dicht unter die Nase.
"Hereinspaziert, mein Freund! Mach keine Dummheiten!"
Er warf schnell einen hastigen Blick nach draußen, ob noch jemand vor der Tür stand und wandte sich dann sofort wieder dem Eingetretenen zu, als dies nicht so war.
"Redet! Wer seid Ihr, und was führt Euch her in Zeiten wie diesen? Schickt Euch die Vogtin, um hier herumzuspionieren? Da muss sie schon früher aufstehen! Lasst schön die Hände von Euren Waffen!"
Er gab sich alle Mühe, seine Stimme tief, männlich und bedrohlich klingen zu lassen.
Autor: Vargas
Nach Tagen des Umherirrens ohne Pause war Raúl schlicht zu langsam, um Moritatios 'Angriff' abzuwehren. Erschrocken sah er auf die Waffe vor seiner Nase und dann auf die Frau auf dem Bett. Soll ich die Wahrheit sagen? Gedanken rasten durch seinen Kopf, als er sich räusperte.
"Ich bin ..." Herumspionieren? Wenn er Spione der Vogtin fürchtet, dann ... "Ich bin Raúl de Vargas, Sohn von Aldea de Vargas, der Junkerin von Valenca. Sie schickt mich hierher, um dem Grund dieser ganzen Fehde nachzugehen." Er musterte die Gesichter der beiden, um ihre Reaktionen deuten zu können, doch vergebens. "Ich ... Ferkinas haben meinen Spähtrupp aufgerieben. Alle Überlebenden wurden von einer Kriegerin in eine Kate gebracht, aber die wurde von den Leuten einer gewissen Elenterin ausgehoben. Ich bin der Einzige, der da rausgekommen ist. Ich habe seit Tagen nichts Vernünftiges gegessen oder getrunken, habe mein Pferd verloren und bin nicht in der Stimmung, mich mit Euch zu schlagen, junger Dom. Also lasst mich um Travias Willen endlich los!"
Autor: von Scheffelstein
Richeza starrte den jungen Mann an und versuchte, sich aus seinen Worten einen Reim zu machen. Konnte man ihm trauen? Sie hatte Hunger und Durst, und ihre Gedanken irrten wie im Nebel umher. Irgendwas an dem, was er sagte, berührte etwas in ihrem Geist, verhallte wie der Klang eines Hornes im Dunst. Sein Name. Seine Name – wo hatte sie ihn schon einmal gehört?
Richeza ließ die Decke los und griff nach dem Wasserkrug neben der Kerze, führte ihn mit zittriger Hand an ihre Lippen, ungeachtet der Tropfen, die ihr Kinn herab und über ihre Brust rannen. Sie stellte den Krug ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen. In ihren Schläfen pochte es dumpf, und sie war müde. Wenn sie nur nicht so unendlich langsam wäre, als sei ihr Körper der einer Puppe, den sie erst an Fäden ziehen musste, damit er sich bewegte und als sei ihr Geist weit entfernt in einem Traumland, in dem all das hier nicht wirklich war!
Gut, dass ihre Tante sie nicht so sehen konnte, sie würde sich ihrer schämen! Eine da Vanya, Richeza, du willst eine da Vanya sein?
Wieder klang etwas in ihrem Geist an, eine Saite, von zarter Hand berührt und sofort wieder verstummt.
"De Vargas", murmelte sie. Ihr war, als hörte sie die Stimme ihrer Tante diesen Namen sagen. Aber wann? Aber wo? War er ein Feind? Ein Freund?
"Rifada da Vanya", sagte sie und war sich selbst nicht sicher, ob sie die Worte an den Fremden, an ihren Vetter oder die Götter richtete. "Wo ist sie?"
Autor: Vargas
Einen ganzen Augenblick lang starrte Raúl die auf dem Bett liegende Frau an, bevor er sich räusperte.
"Das war der Name, genau. Diese Kriegerin, Domna da Vanya, hat helfend in den Kampf gegen die Ferkinas eingegriffen. Ich habe ihr dafür mein Pferd geliehen. Sie ritt ... in Richtung der Berge, doch was aus ihr geworden ist, weiß ich selbst nicht", erklärte er langsam. Dann sah er Moritatio prüfend an. "Würdet Ihr bitte die Waffe aus meinem Gesicht nehmen? Und vielleicht, wenn es nicht zu viel verlangt ist, könntet Ihr Euch mir ja nun vorstellen, da Ihr davon ausgehen könnt, dass ich keine Horde meuchelnder Ferkinas bin ... oder was immer Ihr sonst zu fürchten hättet."
Autor: von Scheffelstein
Pferd. Da war etwas. Ja, sie hatte etwas von einem Pferd gesagt. Langsam dämmerte es Richeza, der Nebel lichtete sich. Die Berge. Nachts vor der Höhle. Der Abschied von ihrer Tante.
"Wenn ihr ...", sagte sie stockend, während sie die Worte ihrer Tante zu fassen versuchte, "wenn euch ... ein Edelmann? Namens de Vargas? ... begegnet ... ja. Sagt ihm, ich halte immer meine Versprechen!"
Sie sah den Mann an. "Seid Ihr das? Ihr bekommt Euer Pferd zurück. Das hat sie gesagt. Das ... und ... noch ein weiteres. Pferd."
Sie rieb sich die Stirn. "Sie wird bald hier sein. Hoffentlich. Sie ist unsere Tante. Meine. Seine ...", sie wies auf Moritatio, "Mutter."
Sie konnten nicht hier bleiben. Sie mussten in die Burg. Hatte Moritatio gesagt. Er hatte wohl recht. Richeza schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Die Decke rutschte zu Boden. Die jungen Männer starrten ihren nur spärlich bedeckten Körper an. Sie zuckte die Schultern.
"Geht", sagte sie zu dem Fremden, "lasst mich einen Moment allein. Mo, hol mir Wasser!" Sie winkte mit der Rechten, in der sie noch immer den Dolch hielt, in Richtung der Tür, dann drehte sie den beiden ihren narbenversehrten Rücken zu und leerte den Krug. Das Wasser schmeckte abgestanden, aber es löschte den Durst.
Autor: SteveT
Moritatio blickte Raúl noch einen Moment lang prüfend an, als könne er in dessen Augen lesen, ob er die Wahrheit sagte. Aber alles, was er sagte, ergab einen Sinn. Seine Mutter hatte tatsächlich den Namen des jungen Mannes erwähnt, der ihr sein Pferd geliehen hatte - wobei er sich seinerzeit keineswegs sicher gewesen war, ob sie es nicht einfach gegen dessen Willen konfisziert hatte.
Als er Richezas Blöße erkannte, steckte er sofort den Rapierstumpf weg und hielt stattdessen die andere Hand halb vor Raúls Augen, sodass dieser seine schöne Base nicht noch eingehender betrachten konnte. "Gehen wir nach draußen!", schlug er diesem im Befehlston vor und zog ihn dabei schon am Arm mit sich vor die Tür nach draußen, wo gerade Tsacharias Krähenfreund mit einem vollen Eimer Wasser in den Händen vom Brunnen her zurückkam.
"Dom Raúl, das dort drinnen ist meine Base Richeza von Scheffelstein y da Vanya, dieser Rustikal dort ist der Heiler Tsacharias Krähenfreund, der uns einen guten Dienst erwiesen hat, und ich selbst bin Moritatio da Vanya, der Sohn der Junkerin, der Ihr dankenswerterweise Euer Pferd ... äh, geliehen habt. Seid versichert, dass Ihr es zurückerhalten werdet plus ein weiteres zur Entschädigung Eurer Unannehmlichkeiten."
Er blickte prüfend zum Castillo hinüber, von dessen Bergfried aus man sie sehr leicht entdecken konnte. "Kommt mit!", wank er Raúl zu, ihm zu folgen, und verzog sich mit ihm in den toten Winkel hinter der Nachbarhütte, wo man sie unmöglich sehen konnte.
"Bringt meiner Base das Wasser hinein!", befahl er dabei im Vorbeigehen dem alten Heiler. "Gerade eben hat sie danach verlangt."
Er musterte Raúl nochmals und überlegte ein wenig, inwieweit es klug war, ihn als Wildfremden ins Vertrauen zu ziehen, "Ihr seid also hier, um mehr über unsere Fehde zu erfahren? Nun, die Reichsvogtin hat wider jedes Recht unsere Burg besetzt - das ist der ausschlaggebende Punkt unserer Fehde, obwohl es noch zahlreiche andere Infamien gab, die alle aufzuzählen jetzt müßig wäre. Was genau habt Ihr jetzt vor, Dom Raúl, wenn Ihr mir die Frage gestattet? Ich will nicht unhöflich sein, aber es könnte sein, dass wir dort drüben erst einmal Eure Hilfe benötigen, ehe ich Euch ein reiches Mahl anbieten kann, wie es einem Gast Eures Standes normalerweise zustünde."
Mit einem Kopfnicken wies er auf das Castillo hinüber, auf dessen Zinnen das grün-weiße Selaquer Banner mit dem Marmorblock wehte.
Autor: Vargas
Raúl folgte ihm nur widerwillig, aber immerhin hatte sein Gegenüber sich jetzt vorgestellt. Hier draußen durfte man wohl nicht wählerisch sein. Er hörte sich an, was Moritatio zu sagen hatte, und nickte dabei bedächtig. Es dauerte seine Zeit, bis sein müder, hungriger Geist begriff, worauf der junge Mann hinauswollte. Erstaunt sah er zum Castillo.
"Das ist Euer Heim? Besetzt?" Seine Augen funkelten finster. Wenn es etwas gab, das er nachvollziehen konnte, dann das Gefühl, um seine Heimat betrogen worden zu sein. "Wenn es Euer Castillo ist, dann steht es für mich außer Frage, was ich nun vorhabe. Eure Mutter hat mir und meinem Freund das Leben gerettet, und auch wenn sie im Gegenzug mein Pferd erhalten hat - ich schulde Eurer Familia etwas. Bei der Ehre meiner Familia, wenn Ihr eine Verwendung für einen Schwertarm bei Eurem Vorhaben habt - ich bin Euer Mann!"
Er atmete kurz durch. "Aber eine kleine Mahlzeit und etwas Ruhe, die brauche ich vorher dennoch. Es muss kein festliches Mahl sein, nur genug, damit ich mich auf den Beinen halten kann", sagte er und schmunzelte.
Autor: von Scheffelstein
"Stell das Wasser dorthin", sagte Richeza, als die Tür sich wieder öffnete, "und dann lass auch du mich ... oh ... Ihr seid es", unterbrach sie sich, als sie den alten Heiler erkannte.
Der Alte stellte den Eimer neben das Bett und betrachtete sie eingehend. "Geht es Euch besser?"
"Leidlich", sagte sie. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und brachte sie mit sachtem Druck dazu, sich zu setzen. Sie ließ zu, dass seine Finger über ihr Gesicht wanderten, ihren Schädel, das Schlüsselbein. Er drückte hier und da, und einmal zuckte sie zusammen, als er ihre Rippen zusammenpresste.
"Es wird noch einige Tage dauern, bis es verheilt", sagte er. Er klang besorgt. "Ihr solltet Euch schonen."
Richeza seufzte.
"Nehmt Eure Verletzungen nicht auf die leichte Schulter! Euer Kopf hat sehr gelitten. - Folgt meinem Finger!" Der Alte fuhr mit dem Zeigefinger vor Richezas Gesicht herum und hielt ihr Kinn fest. "Nur mit den Augen!" Sie tat, was er verlangte. Seine Finger waren angenehm kühl auf ihrer Haut.
"Habe ich Euch schon gedankt?", fragte sie. "Für das, was Ihr für mich getan habt? Und: Für Praiodor?"
Er lächelte nur.
Sie senkte den Blick auf ihre Füße und dachte an ihren Großvater. Ein Grund mehr, schnell in das Castillo zu gelangen. Von dort würde sie ihm eine Taube schicken können. Sie stand auf. "Bitte lasst mich einen Moment allein, ich will mich waschen."
Wortlos ging er hinaus, nahm den Eimer mit, der unter dem Bett stand.
Sie wusch sich das Haar, ließ das kühle Wasser über ihren Körper laufen. Trotz der stickigen Hitze in der Kammer fröstelte sie, und als sie in die Söldlingskleider stieg, war ihr schwindelig. Sie legte sich wieder hin.
Ihr war nicht nach Heldentaten zumute. Wo war er, der Prinz aus den Geschichten, der für sie die Burg erstürmte und sie auf Händen über die Schwelle trug? Hatte sie sonst nur Hohn und Spott für solche mädchenhaften Schwärmereien übrig, erschienen sie ihr im Augenblick doch zu verlockend. Eine Weile hing sie dem Gedanken nach, versonnen lächelnd, dann öffnete sie die Augen, versuchte, sich die Stimme ihrer Tante ins Gedächtnis zu rufen. Tun, was eine da Vanya tun muss! – Aber, seltsam: Gegen die zarte Kraft des unsichtbaren Prinzen konnte ihre Tante in ihrem Kopf anbrüllen, wie sie wollte, ihre Worte drangen wie durch Watte, schwebten davon wie Wolken, hatten keine Macht gegen die Versuchung, sich den starken Armen hinzugeben. Borons Armen? Schlaf und Träumen.
Ihr Magen knurrte.
Reiß dich zusammen, Richeza!
Widerwillig öffnete sie die Augen. Es gab keinen Prinzen. Nicht einmal ihre Tante war hier. Ihrer aller Leben war noch immer bedroht. Von Hunger, Schwäche, vor allem aber von Feinden. Mühsam richtete Richeza sich auf, steckte den Dolch zurück in den Stiefel und taumelte zur Tür. Draußen war es hell und heiß, aber immerhin wehte ein Wind.
Moritatio und der de Vargas standen ein paar Schritt weiter neben einer Hütte mit vernagelten Fenstern. Hoch über ihnen ragte auf dem Burgberg das Castillo da Vanya auf. Richeza wankte auf sie zu. Ihr schwindelte noch immer.
"Kommt!", sagte sie. "Gehen wir! Bring uns in die Burg, Moritatio! Dort gibt es sicher etwas zu Essen. Dort können wir ... schlafen!"
Autor: SteveT
Moritatio nickte und deutete auf einen halb von Gebüsch zugewachsenen Geröllhaufen südwestlich der Burg in einiger Entfernung. "Dort hinüber müssen wir zunächst einmal!"
Er versuchte, sich Richezas Arm über die Schulter zu legen, um diese beim Humpeln zu stützen - aber wegen des gewaltigen Größenunterschieds zwischen ihnen beiden war dieses Vorhaben von vorneherein zum Scheitern verurteilt. So hakte er sich einfach bei ihr unter.
"Lauft noch einmal in die Hütte zurück, in der Ihr uns angetroffen habt," wandte er sich dabei an Raúl, "auf dem Tisch werdet Ihr noch den mickrigen Rest eines Ziegenkäses und einige Granatäpfel finden. Das ist leider alles, was wir an Proviant vorzuweisen haben. Der Alte soll in der Hütte bleiben und dort seiner ganz normalen Beschäftigung nachgehen. So wird er hoffentlich niemandes Verdacht erregen."
Während sich der junge de Vargas entfernte und zur Hütte zurücklief, raunte er Richeza zu, mit der er nur langsam vorankam: "Hast du gehört, was er gesagt hat? Udinias Kate wurde von den Leuten der Elenterin überfallen! Das heißt, mein Vater, meine Amme, all unsere Leute wurden gefangengenommen - möglicherweise sind sie sogar tot!" Er schluckte und schüttelte den Kopf bei dieser Vorstellung.
Autor: von Scheffelstein
"Das tut mir leid", murmelte Richeza. Sie wusste nicht mehr genau, was der de Vargas gesagt hatte. Sie hoffte für ihren Vetter, dass sein Vater noch lebte. Und nicht nur für ihn, dass Rifada da Vanya es sicher nach Wildenfest geschafft hatte. "Hoffentlich kommt deine Mutter bald mit Soldaten", sagte sie, während sie Schritt für Schritt das Dorf durchquerten. Sie war so langsam, so unendlich langsam. Immer wieder musste sie stehen bleiben und sich an Moritatios Arm festhalten.
"Götter, ich weiß nicht, wie ich dir helfen soll, Vetter", sagte sie, als sie endlich ihr Ziel erreicht hatten und sie sich keuchend neben den Büschen zu Boden sinken ließ. "Wir haben keine Waffen, nichts zu Essen, und ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Hast du überhaupt einen Plan, wie du dich durch die Gardisten der Elenterin kämpfen willst, um ans Tor zu gelangen? Sie werden uns erwischen und umbringen oder als Geiseln im Kerker verrotten lassen." Sie stützte den Kopf in die Hand und schwieg, während sie darauf warteten, dass der fremde Jüngling sie einholte.
Autor: Vargas
Raúl folgte Moritatios Befehlen ohne Zögern. Zeit für Machtspielchen war ein andermal sicher auch noch. Eilig ging er zurück in die Hütte, suchte nach den Lebensmitteln und steckte sie ein. Dem Heiler warf er erst dann einen Blick zu.
"Gebt Ihr mir womöglich einen Schluck Wasser ab, guter Mann?"
Auf dem Weg nach draußen aß er das Stück Ziegenkäse. Nicht zu viel auf einmal, hatte seine Mutter ihm einmal erklärt, sonst bekommst du nach dem Hunger Bauchschmerzen und bist zu nichts mehr zu gebrauchen. Und gerade jetzt musste er zu etwas zu gebrauchen sein, Hunger hin oder her. Hastig folgte er Moritatios Spuren, bis er ihn und die keuchende Richeza wiederfand.
"Ich bin soweit. Ich hoffe, Ihr habt einen Plan, bei dem selbst Phex vor Neid erblassen würde, um uns dort hinein zu bringen. Zu dritt können wir es wohl schlecht stürmen", mutmaßte er.
Sein Blick traf Richeza und nahm eine besorgte Färbung an. "Es geht Euch nicht gut, Domna ... Aber Ihr dürft jetzt nicht aufgeben. Wenn Ihr die Richeza von Scheffelstein seid, dann habe ich von Euch gehört. Dann seid Ihr jemand, den Schmerz, Hunger und Müdigkeit nicht aufhalten können." Er streckte die Hand aus, um sie ihr als Hilfe anzubieten. "Und falls sie es doch können, fühle ich mich geehrt, an Eurer Seite unterzugehen."
Seine Augen kreuzten wieder Moritatios Blick. "Also, was ist der Plan?"
Autor: von Scheffelstein
Richeza hob den Kopf und musterte den jungen Mann. Schließlich lachte sie leise und schüttelte den Kopf. Was waren das nun für Geschichten, die man sich erzählte? Hunger, Schmerz und Müdigkeit konnten sie nicht aufhalten? Entweder, der Bursche war ein dreister Schmeichler oder das Bild, das in Almada von ihr gezeichnet wurde, unterschied sich sehr von dem, das sie selbst von sich hatte oder auch von dem Ruf, den sie zu haben glaubte.
Dennoch nahm sie seine Hand und ließ sich aufhelfen. "Wir werden nicht untergehen", sagte sie bestimmt. "Aber vielleicht sollten wir wenigstens unter der Erde sein, ehe wir unseren Schlachtplan besprechen, hier draußen sollte man uns nicht entdecken, ja, gerade hier sollte man nicht nach uns suchen."
Sie legte Moritatio die Hand auf den Arm. "Geh vor und erzähle uns derweil, was du dir gedacht hast!"
Autor: SteveT
Moritatio legte die Stirn in Falten, während sie Richeza aufhalfen und er sie gemeinsam mit Raúl zu der Rückseite des Felsens außerhalb der Dorfschaft schleppte, wo sich der Ausgang ihres geheimen Fluchttunnels aus der Burg befand.
"Mein Plan? Es gibt keinen großangelegten Plan! Es scheint mir zunächst einmal angeraten, dass wir in das Castillo hineinkommen und von hier draußen wegkommen, denn sonst ist unsere Entdeckung durch die Wilden oder Praiosmins Schergen nur eine Frage der Zeit."
Er sah sich suchend um. Viele der großen steinernen Findlinge, Felsnadeln und Geröllhaufen hier im Vanyadâl sahen sich zum Verwechseln ähnlich - darunter den richtigen zu finden, war nicht ganz einfach. Schließlich war er sich aber doch sicher, den gesuchten Gesteinshaufen entdeckt zu haben. Eine direkt daraus hervor wachsende verkrüppelte Birke wies ihm den Weg.
"Dort hinüber! Dort ist der Einstieg zu einem unterderischen Gang, der uns in den Weinkeller der Burg bringen wird." Er stampfte wütend mit dem Fuß auf, als ihm ein Versäumnis einfiel. "Verflixt, ich habe mir extra von unserem Schulzen dessen Lampe geben lassen - jetzt aber habe ich sie in der Hütte stehen lassen! Wir müssen uns also wohl oder übel im Dunkeln unseren Weg suchen! Da der Gang, wie gesagt, im Weinkeller endet, der zu kühl ist, als dass sich dort jemand mit klarem Verstand einquartieren würde, gehe ich davon aus, dass wir zumindest dort noch keine Menschenseele antreffen werden. Vom Weinkeller aus können wir durch ein schmales Fenster den inneren Burghof einsehen und uns somit schon einmal ein Bild machen, mit wem wir es auf der Feste zu tun haben werden."
Er blickte an Raúl herunter auf dessen Waffengürtel. "Da ich gerade sehe, dass Ihr gleich zwei Klingen an Eurem Gürtel tragt, Dom Raúl: Könntet Ihr es in Erwägung ziehen, eine davon an meine Base weiterzugeben? Da Euch ihr Name ja bereits bekannt war, werdet Ihr wissen, dass sie wahrscheinlich vortrefflicher damit umzugehen weiß, als wir beide zusammengenommen."
Autor: Vargas
"Dasselbe wollte ich gerade vorschlagen", erwiderte Raúl leise und schmunzelte, während er an seinem Waffengurt herumnestelte. "Und wenn wir im Weinkeller sind, was dann? Eure eigenen Leute sitzen vermutlich im Kerker ein, oder? Ich bezweifle, dass die Besatzer sie alle umgebracht haben. Wenn wir sie befreien könnten, stünden wir nicht so allein da."
Raúl übergab Richeza eine seiner Waffen. "Sehen wir die Sache positiv: Wenn Ihr so gut seid, wie Euer Ruf und Euer Vetter es bezeugen, dann sollte ich mich wohl glücklich schätzen, dass Ihr heute nicht in Bestform seid ... Wenigstens räumt Rondra mir eine Chance ein, neben Euch zu glänzen", scherzte er mit einem leisen Lachen. Die Worte seines Vaters erschienen ihm nie so wahr wie jetzt: Es ist erst dann ernst, wenn man nichts mehr zu lachen hat.
Autor: von Scheffelstein
Richeza steckte die Waffe wortlos hinter ihren Gürtel. Sie war froh, dass der Jüngling ihr den Säbel gereicht hatte und nicht sein Schwert. Dass es Degen und Rapier waren, mit denen sie sich ihren Ruhm erworben hatte, verschwieg sie. Immerhin hatte ihr ihre Tante kürzlich einige Lektionen mit dem Reitersäbel erteilt. Doch ob sie sich in ihrer jetzigen Lage auch nur eines einzigen Angreifers zu erwehren wüsste, war fraglich.
Schweigend folgte sie Moritatio in die Dunkelheit, lauschte seinen Schritten, die ihr den Weg wiesen. Ab und an stolperte sie über Unebenheiten des Bodens, und immer wieder musste sie innehalten, um zu verschnaufen. Zweimal trat ihr der junge de Vargas in die Hacken und murmelte eine Entschuldigung. Der Weg erschien ihr endlos, aber gerade, als sie glaubte, nicht mehr weiterzukönnen, verkündete Moritatio, dass man am Ziel sei.
Sie stiegen eine steile Eisenleiter hinauf und kletterten durch eine Falltür in einen riesigen, kühlen Raum. Es roch säuerlich nach Wein und nach – Fäkalien. Von irgendwo weit oben drang spärliches Licht in den Raum. Im Halbdunkel konnte Richeza die schemenhaften Umrisse etlicher riesiger Fässer ausmachen. Der Boden rings um die Falltür war nass, überall standen kleine Pfützen.
Richeza suchte sich eine trockene Stelle und lehnte sich mit dem Rücken an eines der Fässer. Obwohl der Raum alles andere als bequem war und obwohl sie noch immer in Gefahr waren, vielleicht mehr als zuvor, fühlte es sich fast an, wie nach Hause zu kommen, nach all der Zeit in den Bergen.
Autor: SteveT
"Phexseidank!", atmete Moritatio erleichtert auf, als er sich neben Richeza im Schutze eines der gewaltigen Fuderfässer niederließ. "Ich hatte mich schon gefragt, was wir tun sollen, wenn die Falltüre verschlossen gewesen wäre", wisperte er leise in deren Ohr. Die Flüssigkeit, die den Steinboden des Raumes benetzte, war offenbar größtenteils ausgelaufener Weißwein, wie er an den wenigen zum Weinbau geeigneten Hängen in Bosquirien wuchs, von wo Rolban der Brenner seiner Mutter die Fässer alle paar Jubeljahre schickte. Hier in Selaque wuchs kein Wein, den ein rechter Almadani trinken konnte - zumindest nicht auf ihrem Land. Offenbar hatten seine Eltern und das Burggesinde bei ihrer Flucht eines der Fässer angestochen, das in vollem Zustand den Weg in die Freiheit verbarrikadiert hatte. Direkt neben der schweren Holztür, die nach draußen auf den inneren Burghof hinausführte, lag ein umgestürzter Holzeimer, von dem ein bestialischer Gestank nach menschlichem Kot und Urin ausging - offenbar hatte ihn jemand längere Zeit als Abtritt verwendet und ihn dann umgetreten oder gar geworfen. Vielleicht hatte hier drin damals während der Flucht ein Kampf stattgefunden?
"Dom Raúl hat einen guten Einwand vorgebracht, den ich noch gar nicht bedacht hatte", flüsterte Moritatio weiter, diesmal etwas lauter, sodass ihn auch eben dieser verstehen konnte. "Damals bei dem Kampf im Burghof, als wir in letzter Sekunde durch den Bergfried entkamen, hatte meine Mutter ja Unterstützung durch unsere Geleitreiterinnen und eine Mercenaria von Dom Hernán, die mit ihr wider die Leute der Elenterin kämpften. Vielleicht ist von diesen noch jemand am Leben und harrt im Kerker seither seiner Befreiung? Dass man dagegen meinen Vater und unser Gesinde wieder hierher gebracht hätte, wage ich zu bezweifeln. Eher hat man sie wahrscheinlich auf Albacim eingekerkert, als sie wieder in ihre alte Heimat zurückzuschaffen."
Er kratzte sich nachdenklich am Kinn, als plötzlich draußen irgendwoher von den Zinnen ein Alarmruf zu hören war.
Autor: von Scheffelstein
Richeza blickte hinauf zu dem schmalen Fenster unter der hohen Decke. "Ob das deine Mutter ist?", fragte sie. Die Hoffnung ließ ihr Herz schneller schlagen. "Verdammt, und wir sitzen hier fest, sie kommt zu früh! Los, klettere auf das Fass dort, vielleicht kannst du von da aus einen Blick aus dem Fenster werfen. Rondra, ich bete, sie ist es wirklich, das wäre die erste gute Nachricht seit Tagen!"
Autor: SteveT
"Was ist los? Was schreit der Schwachkopf oben auf dem Tor so laut herum?", brüllte Yegua von Elenta von der Loggia ihres requirierten Gemachs in den Hof hinunter, wo sie gerade im Begriff war, einen kurzen Lagebericht an ihre Cousine, die Vogtin, aufzusetzen. "Draußen vor dem Tor ist ein Botenreiter, der hier eine Nachricht für eine gewisse Morena von Harmamund abliefern soll. Er sagt, er habe gerade unterwegs eine Rotte Oger überholt, die ihm ans Leder wollten. Die Ungeheuer wären geradewegs auf dem Weg hierher!"
"Was?" Yegua schüttelte ungläubig den Kopf und stützte sich auf die steinerne Brüstung der Loggia.
"Draußen steht ein Botenreiter aus Ragathsquell, der eine Nachricht für eine gewisse ...", wiederholte der Wachposten noch lauter seine Meldung.
"Ja, ja, das habe ich schon verstanden, Idiot!", unterbrach ihn Yegua ungehalten. Wieso glaubte irgendjemand, diese Morena von Harmamund hier anzutreffen? Hieß so nicht das selbstherrliche Weib, das ihr mit irgendeinem Schrieb ihres Onkels, des kaiserlichen Marschalls, ihre Pfründe stehlen wollte, was sie gerade noch mit einer kleinen List hatte abwenden können?
"Meinetwegen lasst den Kerl herein, solange niemand sonst mit ihm vor dem Tor steht!" befahl sie. "Hier herein werden seine Oger wohl kaum kommen! Die sollen sich schön an den Bauern drunten im Dorf sattfressen!" Leiser, sodass nur der Wächter unter der Loggia sie verstehen konnte, fügte sie hinzu: "Sobald er drin ist, nehmt ihr ihm sein Schreiben ab und bringt es zu mir rauf! Weigert er sich, es herauszugeben, dann prügelt ihr ihn gründlich durch und sperrt ihn in den Weinkeller! Ich kümmere mich dann später selbst um ihn!" Der Wachposten nickte und grinste vorfreudig-gehässig, wobei er den Stil seines Hakenspießes wie einen Prügel in die freie Handfläche klatschen ließ.
"Herein mit ihm!", gab er den Befehl der Burgcapitana an die beiden Wachposten an der Barbarkane weiter. "Sobald er drin ist, schließt ihr das Tor sofort wieder hinter ihm!"
Autoren: SteveT, von Scheffelstein
Moritatio tat wie ihm geheißen und kletterte vorsichtig auf eines der vollen Fuderfässer, das der schmalen Fensteröffnung in etwa drei Schritt Höhe am nächsten stand. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er tatsächlich hinaus in den Hof lugen.
"Ich sehe zwei ... nein ... drei Wachposten", kommentierte er leise, was draußen vor sich ging. "Sie gehen zum Tor ... jetzt entriegeln sie das Tor - verdammt, ich bezweifle, daß sie für meine Mutter das Tor entriegeln würden. Womöglich erwarten sie sogar noch Verstärkung? Nein! Es ist zum Glück nur ein einziger Mann, der ein Pferd am Zügel führt. Sie schließen das Tor sofort wieder hinter ihm."
"Ihr tut gut daran, das Tor sogleich wieder zu verriegeln, denn schon bald werden die Menschenfresser hier sein!", nickte der ankommende Herold den Burgwachen beifällig zu. "Wo finde ich nun Domna Morena von Harmamund?"
"Gebt mir das Schreiben, ich bringe es zu ihr!", forderte ihn der Dickste der drei Torwächter auf und hielt ihm auffordernd seine geöffnete fleischige Rechte entgegen.
"Ich bedaure", schüttelte der Botenreiter den Kopf, "aber die Nachricht ist nur für Domna Morenas Augen höchstselbst bestimmt. Wenn Ihr mich also zu ihr führen würdet?"
"Aber gerne doch", machte der Dicke einen übertrieben höflichen Kratzfuß und nickte dann seinen beiden Kameraden blinzelnd zu. "Folgt mir bitte! Hier entlang!"
"Aber wollt Ihr die Dörfler draußen nicht warnen, dass sie sich auch hierher auf die Burg in Sicherheit bringen?", vergewisserte sich der Herold der Harmamunds verwundert, während er sich anschickte, dem grün-weiß berockten Gardisten zu folgen. Aus den Augenwinkeln sah er noch eine schnelle Bewegung von einem der zurückbleibenden Gardisten, dann traf ihn ein stählerner Schwertknauf am Hinterkopf, sodass ihm schwarz vor Augen wurde und er nach vorne auf alle Viere niederstürzte.
"Um die kümmern wir uns, wenn wir mit so großkopferten Burschen wie dir fertig sind!", ätzte der Dicke und trat ihm mit seinen genagelten Stiefeln mit voller Wucht ins Gesicht, sodass der Bote endgültig die Besinnung verlor und schlaff in den Staub niedersank.
"Gut gemacht!", rief ihnen die Commandanta zu, die gerade in diesem Augenblick aus dem Portal des Palas trat und gelassen zu ihnen herüberkam. "Schneidet ihm die Tasche ab!"
Ohne mit der Wimper zu zucken, kniete der Dicke neben dem Bewusstlosen nieder und zerschnitt mit seinem Dolch den Tragegurt von dessen Heroldstasche.
Yegua nahm die Tasche wortlos von ihm entgegen und kippte den ganzen Inhalt über dem Ohnmächtigen aus, auf den drei Äpfel, ein Laib Brot, eine Trinkflasche, eine Landkarte, eine Decke und eben ein zusammengerolltes Stück Papier neiderprasselten. Yegua bückte sich und hob nur das letztere vom Boden auf, entrollte es und begann mit zusammengekniffenen Augen die eigenwillige Handschrift darauf zu entziffern:
'Meine Tochter,
ein Freund am Ohr der Domnatella ließ uns wissen, dass jener, welcher Ihr dient, in kurzer Zeit der Process gemacht werden soll. Auch vom Fuchsbau droht ihr dasselbe Malheur. Des Kaisers Degen und der Schwarze Stier sind einhellig, dass Ihr darob jedweden weiteren Dienst an der Jungfrau entsagen werdet und unverzüglich in den Hort des Drachen zurückkehrt. Zuvor jedoch nutzt die Gunst der Stunde in der Greifen Nest und überantwortet jedwedes Schriftstück dem Feuertod, das den Erben des Calas schaden und den Erben Ahumedas von Nutzen sein mag, den steinernen Stuhl aus Selaque betreffend. Der Condottiere wird Euch dabei zur Hand gehen, denn dies ist unser Wille!
Eure Mutter,
A.'
Yegua runzelte die Stirn. Ohr der Domnatella? Fuchsbau? Kaisers Degen? Schwarzer Stier ? Was war das für ein sinnloser Schwachsinn? Der Verfasser dieser Zeilen - oder vielmehr: die Verfasserin, da es sich ja offenbar um die Mutter der Harmamund handelte - verwendete entweder eine abstruse Geheimschrift oder aber sie musste ein Fall für die Noioniten sein! Ja, gab es nicht in Ragathsquell ein großes Kloster der Noioniten? Vermutlich war der Brief von dort abgeschickt worden und der Narr von einem Boten wußte nicht einmal, für was für ein verwirrtes Geschreibsel er da sein Leben riskiert hatte. Sie schüttelte nochmals ungläubig den Kopf und knüllte die Nachricht dann zusammen und warf sie achtlos weg. Hauptsache, sie hatte diese Morena nicht erreicht - das Weibsbild war ihr schon vom ersten Augenblick an unsympathisch gewesen.
"Fesselt ihn!", befahl sie ihren Gardisten, die dem unglücksseligen Boten seinen Gürtel auszogen und ihm damit die Hände auf dem Rücken zusammenbanden. Mit dem Rest seins Taschengurtes band man ihm auch beide Füße zusammen.
"Los! Rüber zum Weinkeller mit ihm! Ich habe schon eine Idee, wo wir ihn lassen können", wank sie ihren Soldaten zu, ihr zu folgen, während sie sich selbst in Bewegung setzte.
Moritatio, der das ganze Geschehen überrascht mitverfolgt und auch leise an Richeza und Raúl weitergegeben hatte, sprang sofort von dem Fuderfaß herunter und scheuchte die beiden anderen in die hinterste, lichtärmste Ecke des Raumes. "Versteckt euch! Sie kommen genau hierher!"
Kaum hatten alle drei hinter zwei großen Fässern Deckung gefunden, öffnete sich die Tür einen Spalt breit und stieß gegen die beiden Weinfässer, die von innen dagegen geschoben worden waren. Man hörte ein Fluchen, das Bersten von Holz, als sich von außen mit Gewalt mehrere Bewaffnete gegen die Tür warfen, dann rollte eines der Fässer ein Stück beiseite, und es wurde schlagartig heller im Raum.
"Welche Idioten haben hier ein Fass hingestellt?", knurrte ein Mann.
"Los, schleift ihn da hin!", sprach die befehlsgewohnte Stimme der Frau, die drunten im Dorf nach ihnen gesucht hatte und von Tsacharias im letzten Moment abgewimmelt worden war. Ein rasselndes Geräusch war zu hören. Moritatio wusste als einziger, woher es stammte. An der etwa vier Schritt hohen Gewölbedecke des Weinkellers war ein Flaschenzug angebracht, der normalerweise dazu diente, die bis zu vierhundert Stein schweren Fuderfässer anzuheben, so daß man sie auf Handkarren verladen konnte. Ganz sicher hatten die Eingetretenen aber nicht vor, sich ein Fäßchen Wein in die Stube zu karren.
"Hängt ihn an den Haken! Nein, nicht so rum, ihr Trottel! Mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten! Ja, so ist es richtig!", erklangen die schneidenden Befehle der Frau. Dann war erneut das rasselnde Geräusch zu hören.
"Hehe, da kann er baumeln, bis er schwarz wird!", lachte diesmal die gehässige Stimme eines Mannes. Kurz darauf quietschte wieder die Tür, dann fiel sie ins Schloß und es war wieder fast genauso dunkel wie zuvor in dem Weinkeller: Fast, denn das Holz der Tür schien beschädigt, und durch einen Riss fiel graues Tageslicht herein.
Richeza blies langsam die Luft über die Lippen. "Hier sind wir nicht sicher, scheint mir", flüsterte sie. "Was, wenn sie zurückkommen und sich fragen, wie jemand zwei Fässer so dicht vor die Tür stellen konnten, obwohl sie von außen verschlossen war?"
Autor: SteveT
Moritatio kroch aus dem Versteck hinter den Fuderfässern hervor und klopfte sich Staub und Spinnweben von der Hose.
Er blickte als Erstes zum Flaschenzug an der Decke empor. Wie er bereits vermutet hatte, baumelte dort tatsächlich ein Unglücklicher gefesselt von der Decke herab. Der ihm gänzlich unbekannte Mann hatte eine dick geschwollene Nase, aus der in regelmäßigen Abständen Blutstropfen herabfielen, da er mit dem Kopf nach unten hing. Moritatios Mitleid mit ihm verflog aber augenblicklich, als er im Halbdunkel näher unter ihn trat und so den Wappenrock des Ohnmächtigen erkennen konnte: Er war gelb und purpur mit einem aufgestickten roten Drachen auf der Vorderseite - der Bursche war ein Lakai der Harmamunds! Was suchte er hier und weshalb hatte man ihm so übel mitgespielt?
Als er bemerkte, daß Raúl und Richeza ebenfalls mit ihm nach oben starrten, wandte er sich der zersplitterten Tür zu, als ginge sie der Gefangene nichts weiter an. Er kniff ein Auge zusammen und spähte durch den Türriß auf den Hof hinaus.
"Ich denke, wir heben drei Möglichkeiten," zählte er flüsternd auf, "erstens, wir warten die Dunkelheit ab und schleichen uns dann in den Palas. Da wir weit mehr Zimmer haben, als diese Schurken an Personen zählen, könnten wir dort einen Raum finden, in dem wir unentdeckt bleiben. Zweitens könnten wir jetzt zum Bergfried rennen und uns darin verschanzen, wie wir es schon einmal getan haben. So hätten wir den Vorteil, das wir notfalls nochmals auf die Richeza bereits bekannte Art aus dem Castillo entkommen könnten und außerdem natürlich, dass wir von oben den allerbesten Ausblick auf das ganze Umland hätten, wann Verstärkung anrückt. Die dritte und riskanteste Möglichkeit wäre, daß wir direkt versuchen, die Barbakane und das Torhaus einzunehmen. Seitlich des Tores gibt es eine Wachstube mit einem Bett darin und außerdem wird von dort auch das Fallgatter betätigt. Allerdings wird das Tor - soweit ich es von hier einsehen kann - von drei Mann bewacht und wenn wir diese angreifen, so kann man uns von jedem Punkt des Innenhofes aus sehen - wir würden also rasch gegen eine Überzahl stehen."
Er blickte seine Cousine und den Faladoer fragend an: "Ich für meinen Teil würde den Palas favorisieren . aber wenn Ihr anderer Meinung seid, so richte ich mich nach Eurer Entscheidung."
Autor: von Scheffelstein
Richeza rappelte sich auf und betrachtete den blutenden Mann am Flaschenzug nachdenklich. "Wir sollten schnell hier raus, aber gerade solange es hell ist, darf uns niemand sehen. Wenn wir einen Raum finden, den wir schnell und unbemerkt erreichen können, wäre das am besten. Vor allem aber brauchen wir Wasser und etwas zu Essen. Ein Angriff aufs Torhaus wäre schierer Wahnsinn."
Sie nickte in Richtung des Gefangenen. "Und lass diesen Burschen herunter! Lass es so aussehen, als sei das Seil nicht ordentlich festgemacht worden. Kein Mensch hat es verdient, so zu sterben!"
Sie sah Moritatio an. "Also: Können wir von hier unbemerkt irgendwohin gelangen, wo wir eine Weile unbemerkt überleben können?"
Autor: SteveT
"Was meint Ihr dazu?", blickte sich Moritatio über die Schulter zu Raúl um. "Mit Sicherheit ungesehen kommen wir hier nur nachts heraus. Tagsüber können wir Glück haben, dass gerade niemand in den Hof blickt, wenn wir hinüber zum Palas, zum Bergfried oder zum Tor laufen. Ich sehe nur die drei Wachen am Tor und eine weitere oben auf dem Wehrgang, die aber nach draußen in Richtung des Dorfes blickt. Wenn wir den richtigen Moment abpassen, könnte es gelingen. Allzu viele scheinen sie jedenfalls nicht zu sein!"
Er strich sich grübelnd über seinen sprießenden Bart am Kinn. "Wenn wir früher Gefangene auf der Burg beherbergt haben, so wurden sie immer in den linken Torturm gesperrt. Ich weiß nicht, ob Praiosmins Schurken diese Gewohnheit übernommen haben - aber dort würde ich eventuelle Gefangene als erstes vermuten. Nur kommen wir an diesen Turm nicht ohne ein Gefecht heran - wie gesagt stehen drei Trottel direkt vor dem Torhaus beisammen und debattieren irgendetwas."
Autor: SteveT
Moritatio blickte noch einmal eindrücklich zu Raúl, der seit ihrem Einschleichen in das Castillo bedächtig still geworden war: "Ihr riskiert Euer Leben, um uns zu helfen, werter Freund, und unsere Familia ist Euch darob zu großem Dank verpflichtet. Wenn Ihr also eine andere der von mir genannten Optionen favorisieren würdet, dann nur heraus damit!" Er schaute Raúl abwartend an.
"Ich persönlich würde vorschlagen, dass wir unser Glück im Palas versuchen. Dort haben wir nicht nur die meisten Möglichkeiten, ein halbwegs sicheres Versteck zu finden, sondern nur dort haben wir auch die Chance etwas Essbares aufzutreiben, wenn es uns gelingt, in die Küche, die Räucherkammer oder gar bia in den Zehntkeller zu gelangen."
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