Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 35
Wie der valpofromme Dom Lodovico einen Wirt betrog. Wie daraufhin und deswegen zu Santa Catalina und San Valpo gebetet wurde. Wie sich Wein und Tränen vermengten.
Baronie Taubental, 4. Travia 1033 BFBearbeiten
Vor der Taberna Zum Rösserlwirt (1. Rondrenstunde)Bearbeiten
Autor: dalias
Dom Lodovico di Dalias hatte einen Entschluss gefasst. In solch einem Fall war er nicht mehr zurückzuhalten. Mit breitem Bauch schob er sich durch die Menschenmenge, die Schar der Feiernden und Rahjapilger auf der Hauptstraße Santa Catalinas im Taubental. Breitbeinig und sporenklirrend bahnte er sich unwiderstehlich seinen Weg, direkt auf den großen Weinausschank vor der Taberna Zum Rösserlwirt zu, seinen wiedergefundenen Diener Alricio im Gefolge.
„‘nen Abend, Maestro Palomino!“, schmetterte Caballero Lodovico dem Rösserlwirt und Dirigenten dieses großen Ausschanks zu.
Dieser erkannte die Stimme sofort und wandte sich schlotternd und bleich um die Nase zum Besitzer dieses durchdringenden Organs um: „Ach, das ist schön, Dom Lodovico, der Meisterzecher von Vivar… mein bester Kunde und Gast. Feiert Ihr nicht mit den hohen Damen und Herren oben auf dem Hügel? Wollt Ihr nicht zurück zum Kloster? Kostenlosen und guten Wein schlürfen, bis der Tag graut…, nein?“
Lodovico machte eine abwehrende Geste und setzte sein beunruhigendstes Grinsen auf: „Nein, Maestro Palomino. Ich will mit guten und ehrlichen Leuten zechen und saufen, mich vielleicht ein wenig prügeln, die eine oder andere Schankmagd auf meinen Schenkeln reiten lassen, ach Ihr wisst, das Übliche… aber zuvörderst führt mich die Pflicht hierher… meine heilige Pflicht als Diener des Barons. Hochgeboren hat mich gebeten zu Ehren Santa Catalinas – heilig – dem guten Volk hier Euren teuren und guten Wein als frei auszuloben…“
Palomino zuckte zusammen und war kreidebleich geworden: „Ist dies Wunsch und Wille des Barons?“
Lodovico nickte bestimmt: „Es ist der ausdrückliche Befehl Seiner Hochgeboren… mittlerweile ist er selbst schon gut bedient und hat so seine liebe Mühe und Not auf dem Boden liegen zu bleiben, ohne sich festzuhalten… aber diese Worte hat er zu mir, seinem guten Lodovico, gesprochen, ehe ihn der Wein gänzlich in San Valpos Gefilde trug. Hähähä!“ Dies sprach der breit grinsende Yaquirtaler leicht lallend, während er seine Linke hinter dem Rücken hielt und mit den Fingern einen Phexensschweif formte. Wie hatte sein Bruder und Soberan dies genannt: Reservatio mentalis… man sagt, was der andere hören will, und denkt sich dazu, wie es richtig heißen müsste, dann ist es keine Sünde vor dem Götterfürsten – denn man hat in Gedanken das Richtige und Wahre vor Praios genannt, da man ja nur vor Praios das Wahre bekennen muss und nicht vor seinen Mitmenschen oder Mitzwergen. Lodovico traute seinem Bruder in diesem Punkt aber nicht ganz, daher „phexte“ er sicherheitshalber noch seine Finger hinter dem Rücken. Immerhin war sein Bruder ein einarmiger Krüppel. Wenn ein solcher den halben Tag lang mit der einen verbliebenen Hand hinter dem Rücken durch die Gegend läuft, weiß doch der letzte Trottel, was die Stunde geschlagen hat. Einerlei.
Von weiteren warmen Worten Lodovicos und seiner Versicherung, im Zweifelsfall für den aufkommenden Schaden mit seinem persönlichen Gut und Eigentum zu haften, falls sich der Baron wider Erwarten nicht an seine Freigiebigkeit erinnern würde, ließ sich Maestro Palomino dazu überreden, Dom Lodovico den freien Ausschank seines Weines zuzusichern.
Dann war die Stunde des Daliasers gekommen. Mühsam und mit Hilfe seines Dieners Alricio erklomm ein großes Weinfass und postierte sich breitbeinig auf demselben. Sein Diener trat neben Lodovico und hielt dessen rechtes Bein umklammert, um möglichen Stürzen vorzubeugen. Lodovicos rechte Hand ruhte auf dem dunkelgelockten Kopf Alricios, als der Yaquirtaler mit weit ausladender linker Hand und laut hallender Stimme zu reden begann:
„Gutes Pilgervolk! Gute Bürger Santa Catalinas im Taubental! Hört mich an! Hört mich an! – Du, mit Deinem hässlichen Zinken, halt Deine Fresse, oder ich schlag Dein Gesicht zu Brei, bei Rahja, das schwör ich Dir!“, Dom Lodovico räusperte sich verlegen, wankte etwas und begann noch eindringlicher und lauter vom Weinfass herab zu rufen, „Hört! Hört! Hochgeboren, Baron und Dom León, schickt mich zu Euch, gute Pilger, gute Bürger, wackere Schankleute! Jede und jeder von Euch erhält aus Gnaden des Barons freien, kostbaren Wein! Hört Ihr! Der Baron schenkt Euch aus Gnade freien guten Wein vom Rösserlwirt, Maestro Palomino, hier! Daher sollten wir Seiner Hochgeboren danken! Lasst uns daher die Götter um ein langes Leben, Gesundheit und lange Regentschaft für Seine Hochgeboren bitten! Lasst uns beten! Lasst uns beten, gute Bürger und Pilger! Lasst uns beten für Baron León den Milden und Gnädigen!“
Tatsächlich nickten ihm viele Feiernde zu. Es war erstaunlich still geworden vor dem Gasthof des Rösslwirts. Mehrere Dutzend, vielleicht nicht ganz Hundert falteten ihre Hände zum Gebet, einige trunkene Valpofromme sanken auf ihre Knie und allesamt richteten sie ihren Sinn gen Alveran.
Mit belegter Stimme hob Lodovico an zu beten: „Santa Catalina und San Valpo, Ihr heiligen Fürsprecher, blickt auf uns herab, die wir hier im Derenstaub knien! Haltet Fürsprache bei den Domnas Rahja, Peraine und Tsa für den guten und milden Baron León! Möge sein Leben noch lange währen! Möge er voll Gesundheit und Manneskraft noch ein gutes halbes Jahrhundert leben und gnädig herrschen! Santa Catalina und San Valpo, wir bitten Euch! Ehre Euren Namen auf alle Zeit!“
Die letzten Worte Lodovicos waren kaum mehr als ein tränenersticktes Gurgeln. Lodovico hoffte, dass unter all diesen nur zwölf Gerechte und Fromme waren, deren Gebet das Ohr der Heiligen erreichte. Oder auch nur sechs Gläubige, deren Flehen etwas vermochte. Er selbst konnte sich nicht dazu rechnen. Bis ins Innerste war er unrettbar verdorben und verloren. Nie würde ein Heiliger oder gar eine Göttin, seinen Gebeten lauschen. Das wusste Lodovico. Aber er hoffte, flehte und wimmerte, dass doch eine anständige Person hier war, die die alveranischen Herzen der Heiligen oder der Göttinnen zu erweichen vermochte. Golgari durfte ihn nicht holen. Aber was sollte er sonst tun, um den Baron zu retten. Er konnte nichts, konnte nicht zaubern, nicht heilen; er konnte nur hoffen und zu San Valpo beten. Er war machtlos. Er konnte nur hoffen. Als Lodovico mit heißen Tränen auf den Wangen und angsterfülltem Herzen von seinem Weinfass kletterte, rief er den Leuten sein „freier Wein“ zu. Für ihn aber würde heute kein Trost in diesem ergaunerten Wein liegen, das wusste er. Er war bis ins Innerste verdorrt. Er war ein Unrettbarer. Er wollte seinen guten Herrn aber nicht verlieren. Als Dom Lodovico wieder mit beiden Beinen auf dem Boden stand, sackte er zusammen. Er knetete seine Hände, aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen und flehentlich gelobte er eine Fahrt bis zum Ende der Welt, wenn es sein musste, wenn die Göttinnen nur das Leben Dom Leóns schonten und seine Seele nicht dem kalten Rethon überließen.
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