Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 07

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Im Raschtulswall, 25. Praios 1033 BF

Am Fuße des Djer Kalkarif im Raschtulswall


Autor: von Scheffelstein

"Und wo ist sie jetzt?"

Aureolus antwortete dem Shâr nicht gleich. Mit einem raschen Blick erfasste er die Situation: Ihr Umhang lag auf dem Boden. Ihr Rucksack dort, wo er ihn zurückgelassen hatte. Aber sie – war fort. Dort, wo sie gelegen hatte, lag ein Stück des Seils, mit dem er sie gebunden hatte. Zerschnitten, in mehrere Teile. Der junge Mann bückte sich und hob die Reste des Seiles auf, ballte die Faust. Diese verdammte Scheffelsteinerin!

"Sprich! Wo ist das Weib? Ich will sie jetzt! Wag nicht, mich anzulügen!"

"Aber nein, nie würde ich es wagen!", erwiderte Aureolus rasch, nur um irgendetwas zu sagen. Er merkte, wie seine Linke, die den Stab umklammert hielt, feucht wurde. Sein Herz schlug schnell. Der Shâr kam drohend näher. Wie konnte das passieren? Er hatte doch alles richtig gemacht! Jemand musste der Frau geholfen haben. Unmöglich, dass sie sich allein befreit hatte! Er hatte die Knoten geprüft, sie waren fest gewesen. Und sie hatte keine Waffen bei sich gehabt. Oder doch? Nein, er hatte den Rucksack durchwühlt, da war nichts gewesen.

"Nun, wie du siehst, Shâr, ist sie nicht leicht zu fangen", sagte Aureolus und hielt Nasfágul Pascha den Strick hin. "Aber weit kann sie nicht gekommen sein. Seht in der Höhle nach!"

Nasfágul hieß seine beiden Krieger, die Höhle zu durchsuchen. Fieberhaft überlegte Aureolus, was er tun konnte. Er musste die Frau finden. Bei allen Dämonen der Niederhölle, wo war sie? Er war keine halbe Stunde fort gewesen. Nein, sie musste sich noch irgendwo hier versteckt halten. Sonst hätte sie den Umhang und den Rucksack mitgenommen. Und falls sie sie hier gelassen und den Abhang hinuntergeklettert war? Der junge Mann machte einen Schritt auf die Steilklippe zu. Ausgeschlossen! Da kletterte niemand hinunter! Da hätte sie schon fliegen können müssen ...

"Sucht alles ab, Shâr, du wirst sie finden. Ich verspreche es dir ..."

"Ha!", kam es aus der Richtung des alten Schamanen. "Ich habe gleich gesagt, dass dieser Junge ein Lügner ist. Ich habe die Richtige schon längst in dein Zelt holen lassen, Nasfágul Pascha!"

"SEI STILL!", brüllte der Shâr. "ICH WILL SIE NICHT! Ich will eine andere", wandte er sich an Aureolus. Schneller, als dieser seinen Stab erheben konnte, hatte der muskelbepackte Ferkina ihn am Kragen seines Hemdes gepackt. "WO IST SIE?"

Aureolus spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Das lief gerade gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Für einen winzigen Moment bekam er es mit der Angst zu tun. Die Zaubertränke, die er seiner Lehrmeisterin Mordaza Maraneta aus dem Labor gestohlen hatte, waren fast aufgebraucht. Die meisten davon, um dem hübschen Grafentöchterlein die Unschuld zu bewahren oder zumindest zu verhindern, dass sie ein Ferkinabalg gebar. Die Entführung der Scheffelsteinerin - und vor allem: sie zu heilen – hatte ihn einiges an Kraft gekostet. Bei Isyahadin, es war zum Verrücktwerden! Aber er war nicht Rakolus' Sohn, um vor einem Wilden einzuknicken.

Saya uida'za eo'gra e'fey var, summte er in seinem Geiste, während die Pranke des Ferkina ihm fast den Atem raubte. "Gemach", krächzte er. "Lass mich sprechen, dann bekommst du sie!"

Der Zauber schien zu wirken. Nasfágul ließ ihn los. Keuchend und hustend fuhr sich Aureolus über den Hals, dann nahm er eine würdevolle Haltung ein. "Shâr", sagte er, "ich habe die Gebärerin deines auserwählten Sohnes hierher gebracht. Aber fangen musst du sie selbst. Würdest du ein wildes Ross von einem anderen Mann zureiten lassen, auch auf die Gefahr hin, dass es dem anderen dann besser gehorcht als dir? Nein? Siehst du: Wenn du diese Frau besitzen willst, wenn du der Vater ihres Sohnes sein willst, dann musst du sie zähmen! Finde sie, fange sie, dann wird sie dein sein. Ich kann nicht mehr tun, als sie in deine Nähe zu bringen. Aber welcher iban Khadr wird ein Mann geheißen, der seine Mannesprüfung von einem anderen ablegen lässt? Hast du den Berglöwen, der dich zum Mann werden ließ, nicht mit eigenen Händen erschlagen? Hast du nicht selbst den Bären getötet, der dich zum Blutjäger machte? Wenn du der Vater des Sonnenstier-Sohnes sein willst, so musst du dich seiner Mutter als würdig erweisen, ehe ein anderer dir zuvorkommt."

Nasfágul Pascha musterte ihn mit gefurchter Stirn. Dann aber entblößte er seine spitzen Zähne zu einem wölfischen Grinsen. "Du hast recht, junger Nuranshâr! Ich werde diese Frau fangen. HAMAR, AZAD! KOMMT HER!"

Die beiden Krieger kamen aus der Höhle gelaufen. "Da ist niemand, Shâr!", sagte der eine. "Aber dort ist ein Gang, der tiefer in den Berg führt. Vielleicht ...!"

"Später. Wir werden uns später darum kümmern", sagte Nasfágul, dessen Stimmung sich durch Aureolus' Worte sichtlich gehoben hatte. "Kommt, nehmt das mit," er wies auf die Ausrüstung der Scheffelsteinerin, "wir werden eine Jagd veranstalten!"


Autor: von Scheffelstein

Aureolus fuhr sich mit den Händen durch das Haar und betrachtete sein Spiegelbild in dem Wassereimer. Verstohlen blickte er zu den Kriegern hinüber, die hinter dem Shâr das Lager der Bâni Khadr verließen. Was, wenn sie auf muskelbepackte Krieger stand, mit narbenversehrten, ölglänzenden Oberkörpern, die Wind und Wetter trotzten? Schwer bewaffnet waren sie, mit Steinäxten, Speeren und erbeuteten Schwertern. Manche von ihnen hatten sich auf ihre Bergpferdchen geschwungen, die sie ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten pflegten. Die meisten waren zu Fuß. Es waren fast so viele wie die, die Nasfágul auf Aureolus' heimlichen Befehl nach Kaiserlich Selaque geschickt hatte, um die verfeindeten Ferkinas zu vertreiben und den Rossbanner-Orden niederzumachen. Die Männer sahen aus, als wollten sie in den Krieg ziehen. Dabei zogen sie nur gegen eine einzige, unbewaffnete Frau.

Nun, Aureolus konnte es gleich sein, ob sie sie rasch fingen oder nicht. Ja, es wäre ihm sogar ganz recht, wenn sie sich Zeit ließen. "Jage sie, Shâr!", hatte er Nasfágul unter der Wirkung seines Zaubers eingeschärft. "Finde sie! Und kehre nicht ohne sie zurück. Sie ist deine Beute! Lass nicht Geier, Berglöwen oder einen Drachen fangen, was dir gehört! Ruhe nicht, bis du sie mit deinen Händen hältst. Raschtula schätzt keine Verlierer!"

Die wohl gesetzten Worte hatten doch nur dazu gedient, den Shâr für eine Weile dem Lager fern zu halten. Aureolus brauchte Zeit. Wenn er die Ferkinas beherrschen wollte, musste er mehr über ihre Geister erfahren, sie sich vielleicht zu Diensten machen. Dazu musste er die heilige Quelle der Bâni Khadr aufsuchen, wie er es schon vor Tagen geplant hatte, ehe er zufällig auf die Scheffelsteinerin gestoßen war. Doch bis zu der Höhle auf dem Djer Kalkarif war es ein halber Tagesmarsch. Und er musste damit rechnen, einen Tag oder mehrere dort oben zu verbringen, bis er genug Wissen erlangt hatte, um als Nuranshâr zu gelten. Es würde schwer genug werden, die Rolle glaubhaft zu spielen, jedenfalls, wenn der Alte noch in der Nähe war.

Aureolus kniff die Augen zusammen und suchte die Felsen gegen die Sonne ab. Seit sie auf dem Plateau gewesen waren, von wo seine Gefangene entkommen war, hatte er den Schamanen nicht mehr gesehen. Aber er durfte wohl kaum hoffen, dass der sabbernde Alte in eine Schlucht gestürzt war und sich den dürren Hals gebrochen hatte.

Ein Grund mehr, so rasch wie möglich auf den Djer Kalkarif zu steigen. Nicht umsonst verehrten die Ferkinas den Berg als "Zauberberg". Eine Linie reiner Kraft verlief durch den Djer Kalkarif, und Aureolus hoffte, von dem Sikaryan zehren zu können, um seine Kräfte zu schonen. Das war gefährlich, aber war er nicht der Sohn des Zauberers, der die Zeit besiegt hatte? Was sollte er sich fürchten?

Hauptsache, der Shâr und seine Männer blieben lange genug fort und kamen nicht ohne die Scheffelsteinerin zurück. Nicht, dass Nasfágul Pascha es sich doch anders überlegte und Aureolus seine Beute wieder wegnahm. Dann wäre alles umsonst gewesen.

Aufgeregt leckte der junge Mann sich über die Lippen und zupfte sein Hemd zurecht. Er hätte in seinem Versteck vorbeischauen und die Robe anziehen sollen. Aber dafür war nun keine Zeit mehr. Hoffentlich fiel ihr nicht auf, dass das Hemd an den Ärmeln zu kurz war. Nachher dachte sie noch, er sei nur ein Junge, noch nicht einmal ausgewachsen. Er war ... noch nicht ausgewachsen. Aureolus machte ein grimmiges Gesicht. Er war ein Mann! Und mächtiger als diese ganzen hohlköpfigen Krieger mit ihren Muskeln und Bärten und Kriegsnarben! Seine Mutter war keine Sklavin, sondern von Stand. Und sein Vater war kein tumber Wilder, sondern einer der mächtigsten, klügsten und gefürchtetsten Männer der jüngeren Geschichte. Oh ja! Es gab nichts, wofür er sich schämen bräuchte, im Gegenteil!

Und doch klopfte sein Herz ihm bis zum Hals, als er die Plane zurückschlug und das Zelt des Nuranshâr betrat.


Autor: von Scheffelstein

Da saß sie: Comtessa Romina von Ehrenstein-Streitzig, noch immer an Händen und Füßen gefesselt, aber inzwischen bekleidet mit einem Wollrock und einem aufwendig bestickten Tuch, das ihren Oberkörper bedeckte. Nasse, blonde Locken umrahmten die Wangen, die während der letzten Tage ein wenig Farbe verloren hatten. Aureolus erwiderte den Blick ihrer eisblauen Augen mit einem stummen Lächeln. All die betörenden Worte, die er sich während der letzten Stunden zurecht gelegt hatte, schmolzen dahin wie Honig in der Sonne, schienen ihm nun zu süßlich, zu behäbig, zu zäh, um verlockend zu sein. Seine sonst so scharfe Zunge, klebte an seinem trockenen Gaumen fest, der nie um ein Wort verlegene Geist war nurmehr erfüllt von ihrer Schönheit.

Aureolus riss sich von ihrem Anblick los und trat an einen flachen Tisch, auf dem Ghazal iban Muyanshîr Beeren, Nüsse und Wurzeln in kleinen Schalen gesammelt hatte und auf dem allerlei Trinkgefäße standen. Der junge Mann griff nach einer Kalebasse, roch an dem Inhalt und goss Beerenwein in eine tönerne Schale.

Mit einem Lächeln, das nicht ganz so selbstbewusst ausfiel, wie er sich wünschte, wandte Aureolus sich zu der Gefangenen um.

"Ihr müsst durstig sein", sagte er und hielt ihr den Becher hin, bereit, ihn ihr an die Lippen zu setzen, wenn sie danach verlangte. "Habt keine Angst, Domnatella. Ihr seid jetzt in Sicherheit."




Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 07