Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 30
In Ksl. Selaque, 4. Rondra 1033 BF
Im Vanyadâl und auf dem Castillo da Vanya am frühen Abend
Autor: Der Sinnreiche Junker
Anzures Ballan lachte leise in sich hinein. Entweder spielten ihm seine Augen einen Streich, oder aber er war tatsächlich verrückt geworden, denn nachdem er vier Tage lang einem Raben gefolgt war – was wohl eher dafür sprach, dass er den Verstand verloren hatte – stand er nun kurz vor Untergang der Praiosscheibe mitten im Tal von da Vanya. Prüfend befühlte er seine Stirn, doch sie fühlte sich nur leicht erhitzt an. Eigentlich ein Wunder, nachdem er vier Tage mit einem praktisch unversorgten Armbruch, kargen Rationen und nur wenig Wasser einsam durchs Gebirge gestolpert war. Schon seine Amme – welche auch die Amme seines Herrn und Freundes gewesen war – hatte immer gesagt, er, der bezeichnenderweise im Phexmond Geborene, ein wahres Glückskind sei. Und bislang schien sie recht zu behalten.
Der Mercenario wandte sein Haupt zunächst nach links gen Westen, dann nach rechts gen Osten. Grezzano oder Castillo da Vanya? Ein Schaudern erfasste ihn beim Gedanken an den letzten Empfang dort – oder war es nur ein Fieberschub? Eine Woche war vergangen, seit die Vorhut Grezzano verlassen hatte. Zweifellos war der Condottiere längst weitergezogen, und hatte wohl kaum Vorräte zurück gelassen. Das Castillo da Vanya dagegen war aller Wahrscheinlichkeit nach besetzt, sodass es dort Unterkunft und Essen, vielleicht sogar einen Heiler gab. Die Frage war nur, von wem es besetzt war. Abermals erschienen die Bilder vor seinem inneren Auge, wie das herab sausende Fallgatter eine Söldnerin im wahrsten Sinne des Wortes zerquetscht hatte, wie sie rennen mussten wie die Hasen, um den Bogenschützen auf dem Wehrgang zu entkommen. Diese Sache würde Hernán von Aranjuez freilich nicht einfach auf sich beruhen lassen. Das hatte auf dem Anmarsch schon dieser kleine Junker zu spüren bekommen, als der Condottiere dessen Anwesen in Schutt und Asche gelegt hatte. Ganz ohne Zweifel würde er auch die übrigen Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollen, sodass er womöglich vors Castillo da Vanya gezogen war, sobald er die Suche nach der Grafentochter aufgegeben hatte. Und viel länger als eine Woche würde er sich wohl kaum mit diesem wenig hoffnungsvollen, dafür aber umso gefährlicheren – das hatten sie zu spüren bekommen, das wussten die Götter! – Unterfangen aufhalten würde.
„Castillo da Vanya also“, murmelte er halb zu sich selbst, halb zu dem Raben, welchem er wie jedes Mal, wenn sie zuletzt eine Weggabelung erreicht hatten, einen Brotkrumen zugeschnippst hatte. Ob der Vogel wohl irgendwie mit dem hochgelehrten Herrn zu tun hatte, welcher erst kürzlich nach langer Absenz wieder in den Schoss des Hauses Aranjuez zurück gekehrt war? Der Magier hatte sich nicht unter den Toten am Grund der Schlucht befunden, sodass er womöglich überlebt hatte. Vielleicht stand das Tier irgendwie mit ihm in Verbindung. Einerlei, wenn er das Castillo mit dem letzten Tageslicht erreichen wollte, würde er sich sputen müssen…
Autor: SteveT
Im prasselnden Sturzregen eines der typischen bosquirischen Sommergewitters erreichte Anzures Ballan bis auf die Haut durchnässt die armseligen Hütten der Dorfschaft Vanyadâl. Die große vieltürmige Burg mit dem wuchtigen Bergfried warf einen dunklen Schatten über den Ort, wann immer ein gleißender Blitz das dunkle Gewölk zerriss. Einer davon schlug knisternd und fauchend direkt in den Bergfried ein, was den ganzen Ort kurzzeitig in ein unwirkliches blaues Licht tauchte. Trotz des Wolkenbruchs brannte der Fahnenmast des Bergfriedes und das grün-weiße Selaquer Banner daran danach lichterloh. Irgendwo auf dem Castillo wurde eine dumpf dröhnende Alarmglocke geläutet.
Das Dorf selbst war noch immer wie ausgestorben - alle Fenster und Türen waren verriegelt oder sogar von außen mit Brettern vernagelt. Selbst Hühner, Schweine oder Ziegen waren keine auf den morastigen, pfützengesprenkelten Gassen zu sehen. Die Wolken am Himmel waren so dunkel, daß man kaum zu sagen vermochte, ob es Tag oder Nacht war. Der altgediente Mercenario war sich aber sicher, daß es allenfalls früher Abend sein konnte.
Er hatte erst wenige Schritte in das Dorf hinein gemacht, als ihn sein Gefahreninstinkt selbst gegen das Tosen des Sturmes ein leises Platschen oder Wasserspritzen wahrnehmen liess, so als ob direkt hinter ihm jemand kraftvoll in eine Pfütze getreten sei. Er wandte sich so schnell um, wie das mit einem gebrochenen und nur behelfsmäßig bandagierten Arm möglich war, und starrte geradewegs auf die nackte, feucht glänzende Brust einer Kreatur, die ihn um zwei Haupteslängen überragte.
Im nächsten Moment fegte ihn ein Faustschlag von den Beinen - so hart, als wäre er von einem Kriegshammer getroffen worden und die riesige Kreatur hinter ihm riss brüllend das Maul auf, aus dem vier bedrohlich lange Eckzähne aufragten.
"Ein Oger!" dachte Anzures im Fallen, "ein verfluchter menschenfressender Oger!" Glücklicherweise war der Aufprall auf dem schlammigen Boden nicht allzu hart - aber mit zwei Schritten stand der Riese über ihm, bei dem es sich - trotz einer Größe von über zweieinhalb Schritt - offenbar noch um ein Oger-Junges handeln musste.
Von weiter hinten auf der Straße näherten sich noch vier weitere von etwa seiner Größe und begannen, wie geistesgestörte Krakeeler gegen die Fenster und Türen der Hütten zu schlagen und zu treten. Auch zwei noch größere, da ausgewachsene Oger-Weibchen mit baumelnden Titten, groß wie Wassermelonen, folgten den Halbstarken noch hintendrein.
"Ihr Götter! In diesem trostlosen Landstrich bleibt einem auch nichts erspart!" fluchte Anzures Ballan gegen das Brüllen des Sturmes und rollte sich im letzten Moment stöhnend zur Seite, als der rechte Fuß des Jung-Ogers knapp neben seinem Kopf niedersauste, der ihn schlichtweg hatte zertreten wollen, wie ein lästiges Insekt.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Der Waffenmeister biss auf die Zähne, als der Schmerz seinen Arm durchfuhr. Aber besser noch über den maladen Arm gerollt, als den Fuß des Orgers im Gesicht. Blitzschnell zog er einen Dolch, eine hässliche Basiliskenzunge, denn für das Schwert blieb keine Zeit, zumal er von dort unten auch nicht viel mehr als wirkungslos hätte herumfuchteln können. Schon hob das Junge abermals seinen Fuß, und wieder musste Anzures sich mit Grunzen beiseite rollen. Dieses Mal aber hatte er die Klinge zur Hand, und als das Vieh ein drittes Mal zum Stampfen anhob, setzte er die Klinge in der Kniekehle dessen Standbeines an. Seine Hand war schwarz von Ogerblut, als er sie ruckartig wieder hervor zog. Das Ungetüm hingegen schrie gequält auf, schwankte und verlor das Gleichgewicht ob der durchtrennten Sehnen und Bänder, und ging schließlich mit lautem Platschen zu Boden.
Bis zur Burg hinauf würde er es niemals schaffen, zumal er es der Besatzung – wer immer das gerade sein mochte – kaum würde verdenken können, wenn sie einem Fremden nicht die Tore öffnen würden, dem eine Horde Oger auf dem Fuße folgten. Doch wohin dann? Nicht einmal mit einem gesunden Arm und im Vollbesitz seiner Kräfte würde er sich einem Oger entgegen stellen, geschweige denn einer ganzen Sippe. Es hieß, Oger könnten Menschenfleisch riechen, sodass es nicht sonderlich erfolgversprechend schien, sich irgendwo im Dorf zu verstecken, durch welches die Untiere soeben marodierten. Es sei denn…sein Blick war auf den Brunnen in der Mitte des Dorfes gefallen. Womöglich würden sie ihn dort unten nicht wittern können. Falls doch säße er freilich in der Falle, und selbst wenn der Schacht zu eng sein sollte, als dass sie ihm herunter folgen könnten, so war ihnen doch zuzutrauen, dass sie irgendetwas auf ihn hinab werfen würden. Und selbst wenn nicht, müsste er es von dort unten erst einmal wieder herauf schaffen, mit nur einem guten Arm. Sei’s drum. Mit einem götterlästerlichen Fluch, den Frau Rondra sogleich mit Blitz und Donner beantwortete, rappelte er sich auf, und stürzte in Richtung des von groben Steinen ummauerten Dorfbrunnens…
Autor: Ancuiras
... doch er kam nicht weit. Eine Pranke des zu Boden gegangenen Ungeheuers langte nach ihm, und obschon sie ihn nur streifte, strauchelte er, rannte noch zwei Schritt mit rudernden Armen und fiel abermals hin. Er hörte, wie der Oger hinter ihm sich aufrappelte und auf dem guten Bein in seine Richtung humpelte. Er blickte sich panisch um und krabbelte gleichzeitig auf allen Vieren vorwärts. Das Wesen brüllte vor Zorn und sonderte geifernden Speichel ab, der in langen Fäden aus seinem Maul hing. Es näherte sich unaufhaltsam, und der Waffenmeister sah keine Möglichkeit aufzuspringen, denn dann wäre das Vieh beim ihm gewesen. Weit komme ich so nicht, dachte er bei sich, als er aus dem Augenwinkel, aus der Lücke zwischen zwei Hütten hervor schießend, ebenfalls etwas Großes auf ihn zukommen sah. Er meinte Hufgetrappel zu hören, doch er hatte keine Zeit, in die Richtung zu schauen, da er bereits den Atems des Ogers in seinem Nacken spürte. Als er sich auf den Rücken rollte, den Dolch als einzigen Schutz zwischen ihm und dem Menschenfresser, sah er dessen mit großen Reißzähnen bewehrtes Maul auf ihn nieder fahren.
Im nächsten Augenblick wurde der Schädel des Monsters von einem langen Schaft durchbohrt und ein Schwall Ogernbluts ergoss sich auf Anzures. Gerade konnte er sich zur Seite werfen, bevor der massige Körper zu Boden fiel - eben dort, wo er gerade noch gelegen hatte.
Als sich die Wolke aus Blut und Staub gelegt hatte, sah er einen gepanzerten Ritter, dessen zielgenau platzierte Lanze soeben den Jungoger über das Nirgendmeer befördert hatte, oder wo immer Oger nach ihrem Ableben hingehen mochten. Der Reiter, unter dessen Helm blondes Haar hervor lugte, wendete sein Ross und hielt wieder auf Anzures zu.
"Sitzt auf", rief der Mann ihm zu, "wenn Ihr nicht als Carpaccio enden wollt!"
In der Tat waren die anderen Oger mittlerweile bedrohlich nah heran gekommen.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Und wiederum hatte ihn sein Glück nicht im Stich gelassen. Woher der Reiter so plötzlich gekommen war, wer sich unter dem Visier verbarg, und mit welchen Farben er es hielt war einerlei, Hauptsache dem Oger im letzten Moment entkommen. Da nahm man auch gerne einen Schwall wenig wohlriechendes Ogerblut in Kauf, sodass sich neben dem Weiß der weit aufgerissenen Augen auch kurz das Weiß eines bleckenden Grinsens im schwarzklebrigen Antlitz mischte. Die Aufforderung aufzusitzen brauchte der Reiter nicht zweimal zu sagen. Auf ein Knie gestützt, schob Anzures die Klinge in seinen Stiefelschaft, stemmte sich stöhnend hoch – eindeutig war er zu oft über seinen gebrochenen Arm gerollt – und hielt den gesunden Arm dem heranbrausenden Reiter entgegen gestreckt, bereit mit letzter Kraft und hoffentlich ein wenig gnädiger Mithilfe hinter ihm auf die Kruppe des Rosses zu springen…
Autor: SteveT
Wütend knallte Yegua von Elenta die Tür des Abtritts der herrschaftlichen Gemächer auf Castillo da Vanya von außen zu, ohne dass sie darin hätte erledigen können, weshalb sie dieses eigentlich stille Örtchen aufgesucht hatte. Konnte man denn hier nirgendwo seine Ruhe haben? Nicht einmal für einige wenige Augenblicke?
Eigentlich hätte sie allen Grund, ihrer Base dankbar zu sein, die ihr diese Bewährungschance gab und ihr eine mächtige Festung wie diese anvertraute, die unzweifelhaft ein Vermögen wert war. Mit jedem Tag aber, den sie seit der Abreise Praiosmins als deren Statthalterin und Burgcapitana hier verbracht hatte, war es offensichtlicher geworden, dass ihre Base ihr alles andere als die Crème de la Crème ihrer Büttel als Burgwachen zurückgelassen hatte. Unter den sechzehn Dorftrotteln und Vollidiotinnen, die sie unter ihrem Commando hatte, war kaum einer, der unfallfrei seinen eigenen Namen schreiben konnte - geschweige denn, irgendwelche komplizierteren Befehle in der gewünschten Art und Weise ausführen.
Mit zusammengepressten Lippen und sporenklirrend durchquerte Yegua das Arbeitszimmer des Großinquisitors, dessen Gemächer sie zu ihrem Domizil erwählt hatte, und riss die Tür zur Loggia auf, um im prasselnden Starkregen hinaus ins Freie zu treten.
"HEEEEEEYYYY! Was soll das Geklingel?", brüllte sie zur Barbakane hinüber. "Nur weil es gewittert, müsst ihr nicht Alarm schlagen! Das tut es hier jeden verdammten Tag! Und was ist das für ein Geschrei im Keller?"
Gegen das Tosen des Sturmes hörte sie bis zum Tor niemanden. Stattdessen antwortete ihr die Soldatin Lucia drunten im Hof, die ihr selbst noch als die Hellste ihrer Untergebenen vorkam: "Halten zu Gnaden, Domna - es ist nicht wegen dem Sturm! Es wird geläutet, weil der Bergfried brennt!"
"WAS?", schrie Yegua entsetzt und blickte nach oben. Tatsächlich brannten der Fahnenmast und das Selaquer Banner lichterloh, auch das Mauerwerk im obersten Stockwerk des Turmes schien beschädigt, und ein rötlicher Schein, der aus dem Inneren der Türmerstube kam, verhieß nichts Gutes.
"Orkverflucht! Das war ein Blitzeinschlag! Glücklicherweise war bei diesem Wetter wenigstens niemand oben auf den Zinnen!", antwortete Yegua und wandte sich bereits ab, um hinunter in den Hof zu laufen. Sie musste selbst die Löscharbeiten organisieren - ansonsten brannte wegen dieser Lappalie am Ende noch die ganze Burg ab.
"Eusebio war oben!", korrigierte sie Lucias Stimme aus dem Hof.
"Waaas? Dieser Schwachkopf! Wieso das denn?", fauchte Yegua.
"Ähm, er wollte das Banner einholen, damit es bei dem Sturm nicht abgerissen wird und fortfliegt. Das bringt Unglück, sagte er!"
"Friede seiner Asche!", ätzte Yegua und tippte sich an die Stirn. "Zumindest hat er Recht behalten - Unglück hat es ihm fürwahr gebracht!"
Sie knallte die Tür zu, griff sich ihren Helm und Streitkolben von einem Wandregal und stürmte die Treppe hinunter und durch die Vorhalle hinaus ins Freie.
"Nimm dir noch drei Mann hinzu und geht hinunter in den Keller! Sieh nach, was das dort unten für eine Schreierei war. Der Stimme nach, war es diese Rothaarige!", instruierte sie Lucia, während sie selbst weiter durch den Regen bis zum Torhaus lief, wo noch immer die Alarmglocke geläutet wurde.
"Holla! He! Aufhören!", rief sie dem Büttel zu, der das Klöppelseil der kleinen Glocke wie ein Irrsinniger hin und her riss. "Was ist denn los, verflucht nochmal?"
"Ach Ihr seid's!", antwortete ihr der Gardist, der erschrocken zusammengezuckt war. Sein Name war Eskariel, wie Yegua inzwischen wusste. Sie hatte seinen Namen als ersten von allen im Gedächtnis behalten, weil er aus irgendeinem abgeschiedenen Gebirgstal in der Waldwacht stammte und einen so fürchterlichen Dialekt sprach, dass sie kaum einen Satz verstand, als ob er nicht auf Almadanisch, sondern in der Sprache der Echsenmenschen mit ihr kommunizieren würde.
"Drausse sin' siwwe Oscher, Domscha, so gross wie ä klaa Häusje, die sin so'nem arme Bursch nach und wollden kapudd robbe und kapudd dabbe! Da kimmt awer gerad noch so'nen annern Bursch uffem Pferd und hat de aane uffgespiesst wie ä Mastsau. Da! Der anner kraxelt ach uff de Gaul! Ui, ui, ui dene gehd's jetz schee ans Ledder!"
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang Yegua die nassen Stufen zur Balustrade empor. Was faselte der Mensch? Sie hatte fast kein Wort seines Kauderwelschs verstanden und nickte nur, scheinbar zustimmend, ehe sie selbst einen Blick hinunter ins Dorf warf, der ihr fast das Blut in den Adern gefrieren ließ. Drunten auf dem Dorfplatz rotteten sich sieben riesige Ungeheuer mit bleicher glänzender Haut zusammen, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Das also mussten Oger sein, die die Menschen am Rande des Raschtulswalls seit jeher fürchteten. Ein weiterer Oger lag tot oder verletzt am Boden, während zwei Menschen in ihrer Mitte um ihr Leben kämpften. Eben kam der Größte der Oger, ein mächtiger Brocken mit hässlichen Dornen am Hinterkopf, auf die beiden zu, deren verängstigtes Pferd im Angesicht dieser Monster scheute.
Ohne lang zu überlegen, nahm Yegua Eskariel seinen Kompositbogen vom Rücken und zog einen Pfeil aus dessen Köcher. In ihrer Zeit bei den Aguerridos war sie immer eine der besten Schützinnen des Terzios gewesen - nun war der rechte Moment zu überprüfen, ob dies noch immer so war...
Autor: Ancuiras
Gendahar ergriff den Arm des Mannes und zog ihn hoch. Beinahe hätte es ihn selbst vom Pferd gerissen. Früher hatte er jemanden aus vollem Gallop auf sein Ross hieven können, aber zugegebenermaßen waren das schon damals zarte Domnatellas gewesen, die er zeitweilig der ihm zürnenden Sippe entführen wollte, und kein ausgewachsener Kriegsmann. Er musste sein Pferd nahezu vollständig parieren, damit der Mann nicht gleich wieder herunter fiel, aber mit gemeinsamen Kräften gelangen es ihnen. Allerdings baumelte der Mann nun wie ein nasser Sack quer über dem hinteren Teil des Pferderückens, weitaus weniger graziös als einst die Donmnetallas.
Die Aktion hatte viel zu viel Zeit gekostet, und schon war ein weiterer Oger, diesmal ein riesiges ausgewachsenes Exemplar, bis auf wenige Schritt heran gekommen. Gendahar gab seinem Pferd die Sporen, dass trotz der doppelten Last wie wild davon schoss, den Gestank des Ungeheuers kaum noch ertragend.
Gendahar blickte sich um, während er auf das andere Dorfende zuhielt. Er hatte genug Zeit gehabt, die Siedlung zu studieren, während er sie aus seinem Versteck in den Büschen am rahjawärtigen Hang beobachtet hatte. Ihm war gleich aufgefallen, dass kaum Menschen in dem Ort zu sehen waren. Dann waren plötzlich der arme Mann hinter ihm und die wütenden Oger erschienen, aber noch immer war nirgendwo ein Zeichen von Richeza, wegen derer er den ganzen Weg aus Schrotenstein wie der Wind hierher geritten war.
Selbst wenn es ihm gelingen sollte, den Ogern zu entkommen, konnte er nicht einfach fortreiten. Sicher lag Richeza in einem Verlies tief unterhalb des Castillos, wo sie zwar sicher vor den Ogern, aber nach wie vor in den Händen der Schergen Praiosmins war.
Autor: von Scheffelstein
Am Ortsausgang hätte Gendahar beinahe einen alten Mann über den Haufen geritten, der plötzlich zwischen den Büschen auf den Weg trat. Der Mann stolperte rückwärts und ließ dabei einen Arm voll totes Holz fallen, und das Pferd wich so plötzlich zur Seite aus, dass Anzures Ballan kopfüber vom Pferd rutschte und – wieder einmal – auf dem verletzten Arm aufkam.
"Oh!", machte der Mann, als Gendahar das Pferd zügelte. "Oh!", dann noch einmal, als er über den liegenden Söldner hinweg ins Dorf schaute und die Oger erblickte. Einem der Ungeheuer steckten zwei Pfeile in der Schulter, und es wütete mit einem ausgerissenen jungen Baumstamm in der Hand und zertrümmerte Tür und vernagelte Fenster einer Kate. Aus den übrigen Hütten drang Geschrei herüber, und in diesem Moment brach einer der Oger aus einer Hütte aus und schleifte einen halbwüchsigen Mann hinter sich her, dessen abgetrennten Arm er bereits im Mund hatte.
"Ihr guten Götter!", rief der Alte aus, in dem Gendahar, als er sein Pferd wendete, nun den Heiler Tsacharias Krähenfreund erkannte.
"Guter Herr", wandte der Alte sich an ihn, der ihn offenbar in Rüstung und Helm noch nicht erkannt hatte, "helft uns! Helft den armen Leuten! Wir müssen sie aus den Hütten herausholen und in Sicherheit bringen!" Er betrachtete den Söldner, der sich soeben aufrappelte, besorgt, dann band er einen Teil des bunten Gewandes los, und hielt das farbige Tuch in die Höhe. "Gütige Tsa, schütze und bewahre das Leben dieser armen Menschen! Segne sie und lasse Frieden herrschen in diesem Tal!"
Er bückte sich, hob einen der Äste auf, die er zuvor fallen gelassen hatte und band das Tuch wie eine Fahne daran. "Folgt mir!", sagte er. "Ihr müsst die Menschen aus den Häusern holen! Ich werde die Ungeheuer vertreiben, habt keine Angst!"
Und so schritt er auf das Dorf zu, in dem die Oger wie tollwütige Wölfe tobten und eine Spur von Blut und gesplittertem Holz hinterließen.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Anzures schwankte, und ihm tanzten bunte Lichter vor den Augen. Trotz des Adrenalins in seinem Körper, raubte ihm der pochende Schmerz in seinem gebrochenen Arm nach dem abermaligen Sturz beinahe das Bewusstsein. So mochte es gut sein, dass er mit dem gesunden Arm auch deshalb den Gendahars ergriff, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und abermals zu stürzen.
„Hört nicht auf ihn, der Mann ist toll!“, presste er mühsam hervor, dem alten Heiler nachblickend, wie er mit einem Parlamentärsfähnchen auf die Oger zu hielt.
Autor: Ancuiras
Gendahar rollte die Augen. Dieser Tsacharias konnte einen wirklich in den Wahnsinn treiben. "Wartet, Ihr rennt in den sicheren Tod! Er versuchte, sein Ross in Richtung der Dorfmitte zu lenken, aber es wollte nicht. "Sagt, habt Ihr Domna Richeza gesehen? Im Castillo vielleicht?"
Autor: von Scheffelstein
Tsacharias, der die Fahne hoch über seinen Kopf hielt, drehte sich zu Gendahar und Anzures um und nickte. "In der Tat, das habe ich. Und wie es scheint, ist sie wirklich auf dem Weg ins Castillo." Er schüttelte den Kopf und seufzte. "Tsa behüte deine Kinder, die voller Leichtsinn sind und Torheit", murmelte er, dann blickte er erneut zu Gendahar auf. "Nein, mein Freund, nicht ich bin es, der in den sicheren Tod rennt, vielmehr Eure Domna. In ihrem Zustand! Unverantwortlich!" Abermals schüttelte er bekümmert den Kopf und winkte den Männern. "Aber nun kommt! Es gilt viele Menschenleben zu retten! Beeilt Euch, dann zeige ich Euch, wohin die Domna und ihre Freunde gegangen sind."
Autor: von Scheffelstein
"Wartet!", rief Gendahar erneut. Sein Ross weigerte sich noch immer, auch nur einen Schritt näher in Richtung des Dorfes zu machen. Der Blutgeruch und der Anblick der Oger machten es unruhig. Er konnte froh sein, dass es nicht einfach Reißaus nahm.
Fluchend ließ er sich aus dem Sattel gleiten. Ohne den Alten würde er nicht erfahren, wo er Richeza fand und wie er ins Castillo gelangte, ohne von den Bogenschützen niedergemacht zu werden, die offenbar dort oben auf den Wehrgängen und Türmen standen. Gerade eben traf ein dritter Pfeil den wütenden Menschenfresser, der mit dem ausgerissenen Baum um sich hieb. Diesmal durchschlug der Pfeil die Kehle des Monstrums. Sein ohrenbetäubendes Brüllen ging in ein Gurgeln über, dann fiel das Biest der Länge nach vornüber und spießte sich im Sturz einen der gesplitterten Äste des Baumes durch den feisten Wanst. Schwarzes Blut spritzte, und der staubige Boden der Straße färbte sich dunkel.
Die übrigen Oger tobten nur um so wilder. Zwei zankten sich um eine schreiende Frau, die sie bei lebendigem Leib schier in Stücke rissen, die übrigen hielten auf den alten Krähenfreund zu.
Der Alte war verrückt! Das war Wahnsinn! Niemand konnte hoffen, dieses Schlachten unbeschadet – oder überhaupt – zu überleben! Warum sollte er sein Leben riskieren? Gendahar musste an Rominas Worte denken. Tat er das all hier wirklich, um eine da Vanya zu retten? Nun, sie war nicht irgendeine da Vanya ...
Als er jung war, war ihm mancher Ehemann, dem er die Hörner aufgesetzt hatte, wie ein tollwütiger Oger erschienen. Hatte er sich vor diesen gefürchtet? Nein, er hatte auf seine Fechtkünste vertraut und sich im Eifer der Jugend in jeden Konflikt gestürzt, der an ihn herangetragen worden war. Hatte das Feuer der Jugend ihn etwa verlassen? Bei den Göttern: Noch nicht, Gendahar, noch nicht!, dachte er und zog sein Schwert.
"Könnt Ihr laufen?", wandte er sich an Anzures Ballan. "Gut, dann schafft es lebend bis zur anderen Seite des Dorfes. Wenn Ihr noch ein paar Frauen und Kinder mitnehmen könnt, um so besser. Ich brauche diesen Verrückten lebend. Rondra mit uns!"
Tsacharias Krähenfreund hielt direkt auf die Menschenfresser zu, schwenkte das bunte Tuch und rief: "Frieden sei mit euch, Söhne und Töchter Ogerons!" Einige der Oger blieben verdutzt stehen und gafften den Alten an, der furchtlos mitten unter sie schritt. Wundersamer Weise machte keines der Monstren Anstalten, den alten Heiler zu attackieren, ja, eines der Weibchen und zwei der jüngeren Oger wichen sogar zurück, und als er weiter die Fahne vor ihren groben Gesichtern schwenkte, drehten sie sich um und flohen in verschiedene Richtungen.
Die zwei streitenden Oger schenkten dem Heiler weniger Beachtung. Sie rissen noch immer an der erbarmungswürdigen Bäuerin herum, die ihrem Schicksal inzwischen erlegen war. "Frieden!", rief Tsacharias Krähenfreund, aber sein Rufen ging im Brüllen der Oger unter und im Schreien und Jammern der Dörfler, die sich zum Teil in den Hütten zu verstecken versuchten, zum Teil aus ihnen flohen, denn ein letztes großes Ogerweibchen zerschmetterte die Türen und angelte mit den langen Armen nach den kreischenden Menschen in den Hütten.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Wahnsinn, einfach nur Wahnsinn! Rondra war mit den Mutigen, so sagte man, doch hieß es auch ein wenig spöttisch, es gäbe nur mutige oder alte Mercenarios, aber deren keine mutigen alten. Und so war Anzures Ballan wohl einen kurzen Moment tatsächlich versucht, sich das nun herrenlose Ross zu greifen und die beiden Narren ihrem Schicksal zu überlassen. Es gab Momente, die Mut, gar Todesverachtung forderten, doch dies hier schien ihm nur Wahnsinn zu sein, einfach nur Wahnsinn. Freilich, der blonde Krieger – er erkannte den ihm nicht ganz unbekannten Edelmanne unter dem Helm noch immer nicht – hatte ihm gerade das Leben gerettet, und ihn seines Reittieres zu berauben wäre dann nicht einmal mehr mit kruder Söldnerehre vereinbar gewesen. Ohne Ross aber würde er nicht weit kommen, also …
„Was soll’s, drauf geschissen!“, fluchte er mit schiefem Grinsen, weit weniger für Heldensagen und Lieder geeignet und zog seinerseits das Schwert. Zwar war er glücklicherweise Linkshänder, doch schien die Klinge nach all den Strapazen unendlich schwer. Und so stolperte er eher hinter Dom Gendahar her zurück ins Dorf und verdarb damit gewiss das glorreiche Bild zweier tapfer avancierenden Caballeros …
Autor: von Scheffelstein
Ungläubig beobachtete Gendahar, wie drei der Oger in die Büsche zurückrannten, aus denen sie vor einem guten Wasserlauf hervorgebrochen waren. Der Alte schien mit Mächten im Bunde zu sein, die selbst den gottlosen Menschenfressern Respekt einjagten. Ob Romina recht hatte, die davon überzeugt war, dass Tsacharias Krähenfreund ein Geweihter der Göttin Tsa war? Da er selbst sich wenig um seine Erbfolge gekümmert hatte und es daher mehr mit Rahja als mit Tsa gehalten hatte, hatte Gendahar den Priestern der Ewigjungen bisher nicht allzu viel Beachtung geschenkt. Sie segneten die Leiber der Frauen und die Lenden der Männer und die Kinder, die aus deren Vereinigung hervorgingen. Und wenn man ein wenig achtgab, passierte dies nicht allzu oft ... Aber es schien, als müsste er sein Bild von den farbenfrohen Geweihten erneuern.
Jetzt aber hieß es erst einmal, den Alten irgendwie hier herauszuholen! Mit gezogener Waffe hielt Gendahar auf die beiden streitenden Oger zu. Der eine riss der Toten einen Arm aus, klemmte ihn sich zwischen die Kiefer und zerrte weiterhin am geschundenen Leib der Frau. Der andere versetzte seinem Artgenossen einen Faustschlag, dass dieser zurücktaumelte, wandte sich um und kam genau auf Gendahar und den Alten zu.
'Rondra!', dachte Gendahar und hob das Schwert, um es dem Monstrum in den Leib zu rammen. Doch etwas hielt ihn zurück. Nicht Angst war es, sondern ein befremdliches Zaudern: Ein plötzlicher, unbekannter Widerwille zu töten. 'Ihr Götter, es sind Menschenfresser!', dachte er mit klopfendem Herzen, während der Oger auf ihn zustürmte – aber seine Arme versagten ihm den Dienst. 'Das war's, du hattest Recht, Romina!', dachte er benommen.
Doch der erwartete Schmerz blieb aus. Sacht schob ihn Tsacharias Krähenfreund zur Seite, und das Ungeheuer stürmte an ihnen beiden vorbei, seine Beute mit beiden Armen und den Zähnen umschlossen.
"Schnell, schnell!", rief Tsacharias Krähenfreund. "Holt die Menschen aus den Häusern! Nicht lange, und Ogerons Kinder werden zurückkehren, bis dahin müssen wir die Leute an einen sichereren Ort gebracht haben!"
Gendahar schüttelte den Schrecken ab und wandte sich den Hütten zu. Was für ein Irrsinn! Was für ein wundersamer Irrsinn! So etwas hatte er noch nie erlebt!
Autor: von Scheffelstein
Wer hatte so etwas schon einmal gesehen: Ein alter Zauselbart, der mit einem bunten Tuch vor dem Gesicht eines fettglänzenden Ogerweibchens herumfuchtelte und mit sanften Worten auf das Ungeheuer einredete? Und was tat dieses? Biss es dem Alten etwa den Kopf ab, wie es zu erwarten gewesen wäre? Nein: Es brüllte und grunzte und knurrte und wich doch allmählich vor dem wehenden Banner zurück wie ein Dämon vor dem Weihwasser der Praioskirche!
Verzweifeltes Schreien aus der Hütte, die das Ogerweib fast zum Einsturz gebracht hatte, rissen Gendahar aus seinem Staunen. Eine Frau schrie! Und der Alte hatte um Hilfe für die Dörfler gebeten! Gendahar stürzte durch die zerstörte Eingangstür der Hütte, in der es aussah, als habe ein Unwetter in ihr gewütet. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, lag unter den Trümmern einer Truhe. Holzsplitter ragten aus ihrem blutenden Bein, der Fuß stand in widernatürlichem Winkel ab. Vergeblich versuchte die Frau, aufzustehen, streckte schreiend die Hände nach einer umgestürzten Wiege aus, die nahe des Eingangs stand. Die aus den Angeln gebrochene Tür drohte jeden Moment auf den brüllenden Säugling zu fallen, der zwischen den Bruchstücken des Rahmens am Boden lag.
Keinen Augenblick zu früh riss Gendahar das Kind vom Boden hoch, schon kippte die Tür und bedeckte die Wiege mit einem Splitterregen.
"Nein, nein!", schrie die junge Frau, als Gendahar das Kind dem Söldner in die Arme drückte, der vor der Hütte aufgetaucht war. "Hier, nehmt!", sagte er zu Anzures Ballan und wandte sich der Dörflerin zu, die weinend vor ihm zurückwich.
Er steckte das Schwert weg und klappte das Visier des Helmes hoch. "Keine Angst!", hob er beschwichtigend die Hände und befreite sie von den Trümmerstücken. "Wir bringen euch in Sicherheit!" Ob sie das wirklich konnten, ja, ob es irgendwo in Kaiserlich Selaque überhaupt noch einen sichern Ort gab, dessen war er sich allerdings nicht so sicher.
Sie war so dürr und leicht, dass es ihm selbst in der Rüstung keine Mühe bereitete, sie zu tragen, und dennoch wäre er fast auf der schlammigen Straße ausgeglitten. Furchtsam klammerte die Frau sich um seinen Hals, als sie die Ungeheuer erblickte, die sich Tsacharias Krähenfreund noch immer fahnenschwenkend vom Leib hielt.
"Mir nach!", schrie Gendahar den Dörflern zu, die aus ihren Hütten flohen. Der Wind war stärker geworden, riss seine Stimme fort, doch einige Menschen folgten ihm zögernd, als er auf das andere Ende des Dorfes zuhielt. Andere aber rannten auf die Felder hinter den Hütten oder verschwanden zwischen den Felsen am Wegesrand, und einige Verzweifelte versuchten gar, ihr Hab und Gut auf Handkarren in Sicherheit zu bringen.
"Wohin?", rief er dem alten Heiler zu, als er an ihm vorüber eilte.
"Dort, dort, der Felsen: Seht Ihr die kleine Birke zwischen den Steinen? Dorthin, rasch!", rief der Alte zurück und schloss sich ihnen an, rückwärtsgewandt, die Oger nie aus den Augen lassend.
Nicht lang, und sie standen vor dem Geröllhaufen, aus der die verkrüppelte Birke wuchs. "Und jetzt?", fragte Gendahar, als Tsacharias Krähenfreund zu ihnen aufschloss. Gut zwei Dutzend Dörfler hatten sich um sie geschart.
Der alte Heiler wies auf einen Felsüberhang rechts des Geröllhaufens. Beim zweiten Blick entdeckte Gendahar ein kindshohes Gittertor unter dem Felsen. Es stand offen.
Er drückte die junge Frau einem kräftigen Bauern in die Arme und erntete einen bitterbösen Blick der Bäuerin, die neben diesem stand. Doch was kümmerte ihn Eifersucht, wenn sie nicht einmal ihm selbst galt?
Der Regen trommelte auf seinen Helm, und er nahm ihn ab und zog auch die Panzerhandschuhe aus. Sie würden ihn in dem engen Gang nur behindern. Von den Ogern war nichts zu sehen, aber das konnte sich rasch ändern.
"Da geht es zur Burg, ja?", wies er auf die Gittertür.
"Dort sind Eure Domna und der junge Herr da Vanya und ihr Begleiter hineingegangen", sagte Tsacharias Krähenfreund. "Mögen die Götter Euch schützen!"
"Werdet Ihr uns nicht begleiten?", fragte Gendahar erstaunt.
Der Alte schüttelte den Kopf. Sein buntes Gewand klebte regennass an seinem Körper. "Nein", sagte er mit einem Blick hinauf zum Castillo da Vanya, das hoch über ihnen auf dem Burgberg thronte. "Ich war zu lange den Orten fern, an denen Tsas Stimme zu mir sprach und ich ihr Wirken in aller Pracht erleben durfte. Und mein armer Hund ist mir davongelaufen. Der dumme Junge bringt es fertig und verläuft sich oder belästigt die Bauern und gerät in Schwierigkeiten." Tsacharias Krähenfreund lächelte wehmütig.
"Na, dann", sagte Gendahar, der sich nicht sicher war, ob er die Hilfe des Alten bald vermissen würde oder nicht eher froh war, den Verrückten los zu sein. "Ich danke Euch für Eure Hilfe!"
Der alte Mann winkte ab. Gendahar versteckte Helm und Handschuhe zwischen Moos und Steinen unter der Birke und nickte Anzures Ballan zu. "Auf ins Castillo da Vanya!"
Der geheime Fluchttunnel der da Vanyas war nun die längste Zeit geheim gewesen. Domna Rifada würde sich bedanken, dass er das halbe Dorf in ihr Castillo führte. Andererseits: Wahrscheinlich hätte sie es selbst nicht anders gehalten, immerhin konnte sie kaum wollen, dass ihre Schutzbefohlenen von Ogern abgeschlachtet und gefressen wurden. Mit gezogener Waffe betrat er den dunklen Gang hinter der Gittertür.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Der Mercenario war froh das Kind, welches ihm Dom Gendahar – den er nun, da er sein Visier geöffnet hatte, endlich erkannte – in den gesunden Arm gedrückt hatte, nun gleichfalls bei den Dorfbewohnern los zu werden. Der Säugling plärrte noch immer lauthals, sodass Anzures skeptisch die Stirn furchte. Ob das die beste Voraussetzung war, sich per Geheimgang in das Castillo zu schleichen? Sicherheitshalber lockerte er schon einmal den Schwertarm mit ein paar Bewegungen.
„Auch ich danke Euch“, nickte er gleichfalls dem alten Heiler zu. Beinahe könnte man sogar noch etwas wie ein respektvolles „Tsa mit Euch“ verstanden haben, doch hatte der raubeinige Söldner nur gemurmelt, und gewiss hatte der Sturm seine Worte nicht verständlicher gemacht.
Sodann blickte er in die Runde verängstigter Dörfler. „Wir brauchen Licht. Eine Fackel, eine Laterne, irgendetwas…“
Einer der Dörfler hob nach Anzures‘ Aufruf eine Laterne, in der sich eine freilich erloschene Talgkerze befand. Während Gendahar von Streitzig den Gang bereits so weit erkundete, wie das schwache Licht von draußen es zuließ, drängten sich die verängstigten Dorfbewohner ins Trockene. Am Eingang kauerte Anzures mit dem Laternenträger, wo es eine ganze Weile dauerte, bis es gelungen war Feuer zu schlagen, um mit Hilfe einiger Binsen schließlich die Kerze zu entzünden. Die Laterne wurde nach vorne durchgereicht, sodass zumindest vorne Licht war, während man sich hinten wohl oder übel auf seinen Tastsinn verlassen musste. Das einzig Gute am Jammern und Wimmern der Dörfler war, so ging es dem Mercenario der als Letzter ging durch den Kopf, dass man so wenigstens immer wusste, wo der Vordermann war. Mit seinem maladen Arm wollte er freilich nicht allzu oft gegen den blanken Fels stoßen, sodass er einem Blinden gleich die Schwertklinge in einem Halbkreis immer wieder von rechts nach links und wieder zurück bewegte, sodass ihm Widerstand und leises Klirren verrieten, wo die Wände zu beiden Seiten waren.
Solcherlei Probleme hatte man an der Spitze des Zuges nicht, wobei der Weg auch dort endlos erschien. Freilich, wenn man bedachte wo sie eingestiegen waren, und dass der Gang bis ins Castillo führen sollte, war es kaum verwunderlich, dass sich die Wanderung hinzog. Dom Gendahar schritt voran, wie es sich für einen Mann seines Standes gebührte, die blanke Klinge in der Faust, derweil ihm ein Bauer hinter ihm so gut es ging mit der Laterne leuchtete. Schließlich erreichten sie eine eiserne Leiter, und der Thangolsforster wartete bis alle aufgeschlossen hatten. Nacheinander kletterten sie die Sprossen hinauf in Weinkeller, in welchem es alles andere als einladend roch, doch immerhin war es nun nicht mehr stockdunkel. Es dauerte eine ganze Weile bis alle zwei Dutzend herauf geklettert waren, wobei sich insbesondere Flüchtige mit Kindern auf dem Arm oder Mercenarios mit Schlingen im Arm alles andere als leicht taten. So wischte sich Anzures dann auch über die feuchtglänzende Stirn, als er endlich oben angekommen war, wo der Streitziger die Dörfler zur Ruhe mahnte, was insbesondere bei den Kindern nicht ganz leicht zu bewerkstelligen war…
Autor: Ancuiras
Gendahar blickte sich in dem Weinkeller um. Die großen Fuderfässer nahmen den größten Teil des Raumes ein, was nicht überraschend war. Was nun? Auf dem Weg durch den Gang hatte er sich mit einem der älteren Dörfler unterhalten und herausgefunden, dass die Burgherrin, eine Gefolgsfrau Domna Praiosmins, ein strenges Regime führte und die Dorfbewohner nicht gut auf sie zu sprechen waren. Es stand zu hoffen, dass Richeza ihr noch nicht in die Hände gefallen war!
Er ging leise zur Tür, als er aus dem Augenwinkel, halb von einem Fass verdeckt, eine Gestalt auf dem Boden liegen sah. Das Schwert vor sich näherte er sich ihr und erkannte, dass es sich um einen Mann handelte, der eine Kopfwunde erlitten hatte. War er tot oder nur bewusstlos? Er beugte sich hinab und fühlte den Puls. Schwach, aber doch spürbar. Er sah sich seine Kleidung genauer an. Ein Diener der Familie Harmamund! Hatte Morena ihn geschickt? Oder der Marschall? Warum hatte man ihn niedergeschlagen?
"He", rief er mit gedämpfter Stimme einen Mann und eine Frau aus dem Dorf zu sich. "Kümmert euch um den Mann. Versorgt ihn, so gut es geht, und seht, ob ihr ihn wieder zu Bewusstsein bringen könnt. Vielleicht kann er uns etwas über die Burg und ihre Besatzung sagen."
Er begab sich wieder in Richtung der Tür, die beschädigt war, und spähte in den Hof. Er konnte nur einen kleinen Ausschnitt sehen, und dort war niemand zu sehen. Von dem Wehrgang her aber waren Stimmen zu vernehmen.
Er drehte sich um und sah, dass Anzures Ballan hinter ihm stand. Er schien ein erfahrener Kämpfer, was er von dem Rest ihrer Gruppe leider nicht sagen konnte. "Was meint Ihr, wie wir vorgehen sollten? Wir werden hier drin nicht ewig unentdeckt bleiben, befürchte ich. Ihr wart bei unserem ersten Besuch in dem Castillo nicht dabei, richtig? Also kennt Ihr Euch auch nicht besser aus als ich, und das ist wahrlich nicht besonders gut ... Letztes Mal haben wir uns im Bergfried verschanzt, aber dazu müssten wir über den Burghof laufen, aber mit den ganzen Leuten würden wir unmöglich ungesehen dorthin gelangen. Vielleicht sollten wir uns der Herrin der Burg stellen und darauf hoffen, dass sie uns nicht den Ogern zum Fraß vorwirft?"
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