Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 11
Im Raschtulswall, 28. Praios 1033 BF
Im Lager der Bâni Khadr am Djer Kalkarif
Autor: von Scheffelstein
28. Praios, morgens
"SIE IST FORT? WAS: FORT? Sprich, alter Hund, oder ich erschlage dich auf der Stelle!", brüllte Nasfágul Pascha den alten Nuranshâr an, der wie eine verhungerte Ziege in seinen Händen hing.
"Es war der Junge!", nuschelte Ghazal iban Muyanshîr, dem Nasfágul mit einem Schlag den Kiefer gebrochen hatte, so dass noch der letzte Zahn herausgeflogen war. "Der Junge, Shâr, der Blutlose, dem du vertraut hast! Ich habe doch gesagt, dass es ein Fehler ist ... Nein, nein!", wimmerte er, als der Shâr der Bâni Khadr ihn schüttelte.
Blut lief über die hagere Brust des Alten. Nasfágul verspürte Lust, ihm sämtliche Knochen zu brechen, ihm den Hals umzudrehen und auf seinen Leichnam zu spucken! Nicht nur, dass der Alte die hellhaarige Sklavin hatte entlaufen lassen. Er behauptete auch noch, die gesuchte Gebärerin des verheißenen Sohnes gefunden und gefangen zu haben - nur, dass auch diese ihm entkommen war.
Nasfágul knirschte mit den angefeilten Zähnen. Der neue Nuranshâr, der goldhaarige Junge, war auch fort. Ghazal behauptete, er sei geflohen. Einige der anderen sagten, er sei auf den Berg gestiegen, um die Geister zu befragen. Nasfágul war es gleich. Wenn er ihm in die Finger geriete, war er so tot wie Ghazal tot sein würde, wenn es ihm nicht gelang, die Sklavinnen wieder einzufangen.
"Bring mir die Weiber!", sagte er und schmetterte den Alten zu Boden. "Die Hellhaarige und die Gebärerin, sei's die, die du gefunden hast oder eine andere. Versagst du, werde ich deine Därme an die Geier verfüttern, deine Leber an einen Berglöwen, dein Herz aber und deinen hässlichen Schädel werde ich an einen Pfahl spießen, damit alle sehen, wie es dem ergeht, der meinen Zorn weckt!"
"Ja, Shâr!", stöhnte der Alte, während er sich an der Zeltwand festkrallte, sich mühsahm auf die Füße zog.
Nasfágul wandte sich ab, winkte eine Sklavin mit einem Krug Beerenwein heran, leerte diesen in einem Zug und drückte ihn ihr wieder in die Hand.
Die Sayadim Zhul redeten auf ihn ein, wetteifernd mit Vorschlägen, wo sie die Sklavinnen noch suchen könnten, sich mit Zornesreden übertreffend und Grausamkeiten, die sie den Nuranshârim antun würden. Nasfágul brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen, winkte sie alle hinaus, bis auf Kazûm, Kungaan, Djershar und Farzand, mit denen er die Jagd besprechen wollte.
Doch gerade erst hatten die Männer sich auf den flachen Stühlen neben ihm niedergelassen, als draußen Stimmen laut wurden. Kurz darauf wurde die Zeltplane zurückgeschlagen, und Nasfáguls Brudersohn stand im Eingang. Nein, er stand nicht: Er stützte sich auf Azad und Halif, zwei der jungen Krieger. Er sah nicht besser aus als Ghazal, im Gegenteil.
Nasfágul winkte ihn unwirsch heran. "Was willst du, Charrizul?", fragte er.
Statt einer Antwort drang ein Gurgeln aus Charrizuls Kehle. Er war fast so bleich wie die Flachländer. Blut benetzte seine Lippen, aber er riss sich zusammen.
"Ich ... habe ... sie gesehen", stieß er hervor. "Sklavin ... Sie ... nicht alleine ..." Er war so schwach, dass Nasfágul seine Worte kaum verstand. Den Sayadim Zhul ging es nicht anders. Kazûm runzelte die Stirn, Kungaan spannte seine gewaltigen Muskeln und ließ die Zähne aufeinanderklacken, wie er es immer tat, wenn er ungeduldig war.
"Wo?", fragte Nasfágul. "Wo hast du sie gesehen?"
"Norden ...", keuchte Charrizul. "Schlucht ... rote Steine ..."
"Wann?" Ungeduldig erhob sich Nasfágul von seinem Sitz. "Und was heißt: Sie war nicht alleine?"
"Gestern, als die ... Sonne ... hoch stand." Charrizul taumelte. Die jungen Krieger fassten seine Arme fester. "Golshan", sagte er, und sein Gesicht verzog sich zu einer finstern Grimasse. "Ist bei ihnen."
Nasfágul ballte die Fäuste. Dieses Weib! Er hätte es erschlagen sollen! Aber was hieß ... "Ihnen?"
Charrizuls Blick veränderte sich. Mit einem Mal wirkte er wacher. Wie ein verwundetes Tier in dem kurzen Moment, bevor es sich für Flucht oder Kampf entscheidet. Dann sanken seine Schultern und er nickte. "... fremdes Weib. Eine ... Kriegerin. Vom Stamm der ... Yil ... Yil..." Er musste husten, Blut lief über seine Lippen, und die Krieger hatten Schwierigkeiten, ihn länger zu halten. Charrizul sank zu Boden, kniete wie ein Sterbender vor ihm.
"Yil'Hayatim", knurrte Nasfágul und warf den Sayadim Zhul bedeutsame Blicke zu. Kungaan entblößte die Zähne, Djershar knurrte etwas, und der alte Farzand strich sich über das vernarbte Gesicht. Nur Kazûm verzog keine Miene, aber sein Blick war kalt und tödlich wie der eines Raubtiers, das seine Beute bereits gesichtet hatte. Einen Moment lang fragte sich Nasfágul, wer von ihnen dereinst den Sieg über die berüchtigste Kriegerin der Flachländer davontragen, wer sie brechen und schließlich töten würde. Er selbst oder Kazûm, mit denen sich Yil'Hayatim vielleicht noch messen konnte? Djershar bestimmt nicht. Stark wie er war: Sie war stärker! Farzand? Man durfte den alten Krieger nicht unterschätzen, er war gerissen wie ein Schakal, hinterhältig und erbarmungslos, aber er hatte seine beste Zeit hinter sich. Kungaan vielleicht? Wenn sie Kungaan in die Hände fiele, wäre sie tot. Da mochte sie noch so sehr mit ihrer Stachelkugel um sich schlagen, es würde ihr nichts nützen: Kungaan war ein Tier. Er würde sie zerquetschen wie eine Ratte. Sicher war nur eines: Wer auch immer Yil'Hayatim besiegte, wäre der neue Shâr. Egal, was er sonst getan hätte, egal, wen er erschlagen hatte oder noch erschlug: Die Bâni Khadr würden ihm folgen. Kungaan durfte nicht siegen.
"Ist Yil'Hayatim bei ihnen?", fragte Nasfágul. Charrizul schüttelte den Kopf. Nasfágul nickte, fast erleichtert. Wenn er den Sonnenstier-Sohn zeugte, mochte Raschtula ihm gewogen sein, auch den Kampf gegen die Flachländer zu gewinnen, sich als Shâr zu behaupten, ob nun Kungaan die fremde Kriegerin erschlug oder nicht. "Wo sind sie hin?"
"Djer ...", brachte Charrizul hervor. "Kal ... Kalk ..." Dann brach er zusammen, sackte Nasfágul vor die Füße, das Gesicht auf dem Bärenfell vor dem Stuhl des Shârs.
"Schafft ihn raus", befahl Nasfágul, "Ghazal soll sich um ihn kümmern." Azad und Halif packten Charrizul an Armen und Beinen und zerrten ihn aus dem Zelt.
Nasfágul sah auf die Sayadim Zhul herab. "Wenn die Weiber durch den Siq al-Ferat Henna gegangen sind, nähern sie sich dem Djer Kalkarif von Norden. Wenn sie fliehen wollen, würden sie nach Norden zu den Blutlosen gehen, das ist der schnellste Weg. Aber vielleicht glauben sie, uns zu täuschen, wenn sie sich westwärts wenden, dann werden sie auf den Djer Ragaz zuhalten. Dort werden sie uns nicht entkommen! Vielleicht haben sie aber ein anderes Ziel. Kungaan, du wirst mit den Sayadim Zhul auf die Südseite des Berges reiten und ihnen den Weg zu den Kriegerinnen vom Stamm der Achmad'Sunni abschneiden. Djershar, du nimmst dir die jungen Krieger: Sieh', dass sie nicht auf den Berg fliehen. Vielleicht könnt ihr sie von oben entdecken. Kazûm, Farzand, ihr kommt mit mir: Wir reiten zum Djer Ragaz. Und wenn einer den neuen Nurânshar findet: Bringt ihn zu mir! Er soll sich mit Ghazal messen. Mann gegen Mann. Und wenn sie mir beide wertlos erscheinen, töte ich sie mit eigenen Händen!"
Die Blutjäger nickten und griffen nach ihren Waffen. Doch als Nasfágul ihnen aus dem Zelt folgen wollte, legte Kazûm ihm die Hand auf die Schulter.
"Bedenke nur eines, Shâr", sagte er. "Wer auch immer Charrizul verwundet hat, ist noch dort draußen. Und eines ist sicher: Die Weiber waren es nicht. Und auch kein Tier."
Die Blicke der Männer trafen sich, und Nasfágul dankte dem Mond, dass der andere sein Freund war. Wieder einmal bewies Kazûm, dass er den Panzer aus Drachenschuppen nicht umsonst trug. Nur ein Jäger, der stark und schnell war, dabei aber klug wie Kazûm, vermochte eine solche Bestie zu töten. Vielleicht hatten die Blutlosen neue Krieger geschickt. Sie mussten wachsam sein.
"Fünf Nächte", sagte er. "Wenn wir sie dann nicht gefunden haben, schicke ich Krieger zu den kleinen Stämmen im Osten. Sie sollen sich uns anschließen, wenn wir hinabziehen in die Flachlande und uns holen, was uns gehört!"
- Die Geschichte um Shâr Nasfágul Pascha und seine Krieger wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ferkinalager, Teil 13.
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