Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 35: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Zeile 134: Zeile 134:


"Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!"
"Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!"





Version vom 3. Dezember 2012, 17:30 Uhr

In Ksl. Selaque, 5. Rondra 1033 BF

Im Wappensaal des Castillo Albacim und an der Straße von Selaque nach Schrotenstein

5. Rondra 1033 BF, abends

Im Wappensaal des Castillo Albacim

Autor: SteveT

"Seid gegrüßt, hochgeborene Frau Vogtin! Hier sind wir wieder!"

Der ihr reichlich zerlumpt, zerloddert und unrasiert vor die Augen tretende Junker von Alina vollführte die vage Andeutung einer Verbeugung vor der feisten Reichsvogtin, die ihn mit kaltem, feindseligen Blick von Kopf bis Fuß musterte. Seine spindeldürre Tochter Dulcinea hinter ihm rang sich immerhin so etwas ähnliches wie einen ungelenken Kratzfuß als Respektsbekundung ab.

"Wo in der Götter Namen habt Ihr gesteckt, als Selaque und ich Euch brauchten?", schnauzte ihn Praiosmin auf der Stelle an, ohne zuvor irgendwelche müßigen Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Sie hatte dem windigen Kerl ohnehin noch nie recht über den Weg getraut, der sie und das Haus Elenta ohne Frage sofort hintergehen und verraten würde, wenn ihm nur eine andere Parteiung ein besseres Angebot unterbreitete, das seinem eigenen Vorteil und Fortkommen dienlich war.

"Mit Verlaub", antwortete Dom Ordonyo in ebenso barschem und gereiztem Tonfall, "meine Tochter und ich waren in den wildenverseuchten Bergen unterwegs – und dies nicht umsonst, sondern letztlich zu unser aller Rettung! Da es Euer Hochgeboren ja für richtig hielt, das Castillo da Vanya nach der von mir in die Wege geleiteten Eroberung der völlig unbeteiligten Familia von Harmamund in den Schoß zu legen, gab es dort für mich nichts mehr weiter zu tun, sodass ich die Zeit nutzte, um andere Unterstützer für unsere Sache zu gewinnen."

"Für unsere Sache?", wiederholte Praiosmin ungläubig und winkte ungläubig ab. "Für Eure eigene Sache meint Ihr wohl? Eure Aufgabe wäre es gewesen, mit Euren Leuten Eure Dominie und damit die Straße zwischen Alina und Elenta zu verteidigen. Stattdessen aber lasst Ihr von dort vollkommen unbehelligt ein fremdes Söldings-Terzio heranziehen, das bis vor die Mauern des gerade erst gewonnenen Castillos zog! Nur dem Geschick und der List meiner dortigen Burgcapitana haben wir es wohl zu verdanken, dass die Burg nicht sogleich wieder verloren ging, während Ihr und Eure missratene Tochter Euch in der Wildnis herumgetrieben habt! Was sollen das überhaupt für Verbündete sein, mit denen Ihr Euch zu rechtfertigen sucht?"

"Ich habe keinerlei Anlass, mich zu rechtfertigen!", schnauzte Ordonyo zurück, so laut und patzig, dass die beiden Wachen, die links und rechts von Praiosmins erhöhtem Stuhl standen, schon die Hände an ihre Schwertknäufe legten. "Ihr selbst, Euer Hochgeboren, habt es tatenlos zugelassen, dass die eben von Euch angesprochene Soldateska, die aus Ragatien – also aus dem Land Eurer geliebten Harmamunds – anrückte, meine Latifundias und mein Hofgut bis zu den Grundmauern niederbrannte. Ich selbst reiste zu dieser Stunde durch den Valencagrund, wo ich die Junkerin Aldea de Vargas als unsere Verbündete gewinnen konnte. Sie streckte mir die Goldmittel vor, um in Ragath ein schlagkräftiges Söldlingsheer zu unserem Entsatz anwerben zu können. Zumindest war dies meine Intention gewesen, meine Tochter hier kann bezeugen, dass all dies der Wahrheit entspricht."

Er stupste seine Tochter an, die blöd zum Fenster hinaus gaffte, wo man von hier oben auf dem Berg Albamonte eine kolossale Fernsicht von über vierzig oder fünfzig Meilen hatte.

"Wie? Was?", schrak Dulcinea zusammen und wurde puterrot, als sie bemerkte, dass Praiosmin und ihr Gefolge sie anstarrten. "Äh, ja ja, genau so war es! Ich lernte dort den Sohn der Junkerin kennen, Ramón de Vargas, und brauchte ihm das Boltanspielen bei ..."

"Ja, ja, wie auch immer!", schnitt Ihr ihr Vater das Wort ab und warf ihr einen giftigen Blick zu. "Leider musste ich in Ragath feststellen, dass der treulose Ludovigo Sforigan nicht unserer Sache dienlich war, sondern – im Gegenteil! – der unserer Feinde!"

"Sforigan?", wiederholte Priaosmin abermals ungläubig und tauschte einen Blick mit ihrem Burgcapitan Urbino von Krötensee. "Der Lump war schon damals bei der Beschießung Selaques involviert. Was aber hat er nun mit unseren inneren Angelegenheiten hier zu schaffen? Mischt er sich jetzt etwa auch noch ein?"

"Na, was glaubt Ihr, von wem die Mercenarios stammen, die mein und Euer Land verwüsten? Die nichts als Brandschatzen, Plündern und Morden im Sinn haben? Es sind seine Hakenspieße, keine anderen – wenn sie auch nicht von ihm selbst, sondern von dem Hund Hernán von Aranjuez angeführt werden."

Praiosmins Miene wurde zu Eis. "Dass der elendige Sforigan dahintersteckt, wusste ich nicht, aber den Namen des besagten Hernán von Aranjuez höre ich in den letzten Tagen und Wochen viel öfter, als mir lieb ist. Ich will, dass dieser Canaille das Handwerk gelegt wird und dass er aus meinem Land verschwindet, wo er aus eigenem Antrieb und gegen meinen Willen handelt! Ich bin die Herrin von Selaque! Ob er nun für die da Vanyas, Sforigan oder für sich selbst kämpft, ist mir egal! Ich will den Mistkerl in Ketten vor mir sehen, dass er um Vergebung fleht, die ich ihm nicht gewähren werde!"

Der letzte Satz hatte wohl mehr ihrem Burgcapitan als Dom Ordonyo gegolten. Zumindest neigte ersterer das Haupt, dass ihm der Wunsch seiner Herrin Befehl sei.

"Da wir also nicht mit Entsatz durch Sforigans Mietlinge rechnen konnten, sondern diese plötzlich sogar als unsere Antagonistas ansehen mussten, habe ich in Ragath einen noch besseren und vor allem kostengünstigeren Plan ersonnen, wie wir eben diese feindlich gesonnene Söldlingsschar und die da Vanyas gleich mit dazu ein für allemal rasch loswerden können", fuhr Ordonyo di Alina fort, sichtlich nicht ohne Stolz.

"Fahrt fort!", forderte ihn die Reichsvogtin energisch auf und strich sich nachdenklich über ihr Doppelkinn. Auch wenn ihr Vermögen dank des Marmors ohnehin beträchtlich und durch die beschlagnahmten Besitztümer der da Vanyas noch weiter angewachsen war, entsprachen kostengünstige Lösungen doch immer ihrem Naturell. Auch ihr vögtlicher Kämmerer Phexdano der Wucherer, der neben der Tür am anderen Ende des großzügigen Wappensaales stand, horchte mit einem Mal mitten in der leisen Unterhaltung mit einem anderen Hoflakaien auf und spitzte die Ohren, was der Aliner ersonnen hatte.

"Sagt Euch der Name Kanishkar etwas? Auch Kanishkar der Weissager oder Kanishkar der Graue Bär genannt?", fragte Ordonyo nach einer Kunstpause.

Praiosmin zog eine Augenbraue in die Höhe und rümpfte ihre breite Nase: "Ein Wilder, nicht? Abergläubische Narren erzählen, dass er es war, der meinen Onkel Radmon mit einem obskuren Fluchzauber tötete. Aber das ist Unsinn, mein Onkel wurde krank wegen seines ausschweifenden Lebenswandels, der dem Herrn Praios am Ende nicht mehr gefällig war. Die Wilden sind viel zu dumm, als dass sie die elende Hexerei erlernen könnten. Sie können ja nicht einmal lesen!"

Ordonyo schüttelte leicht den Kopf. "Da bin ich aus eigener Erfahrung anderer Ansicht. Jedenfalls erschuf jener Kanishkar eine Trommel, ein ekelhaftes Ding aus Menschenhaut, auf das mit einem durchbohrten Ogerschädel geschlagen wird. Diese Trommel oder Pauke ist zaubermächtig und vermag menschenfressende Oger von überall her aus ihren Verstecken anzulocken. Seit dem Tode Khenubaal Paschas und Kanishkars Verhüllung vor über zwanzig oder dreißig Jahren wurde diese Pauke im Haus des gräflichen Castellans Rondrigo vom Eisenwalde in Ragath aufbewahrt, der – anders als seine Herren, die Grafen – um die Wirkung der Trommel wusste und an sie glaubte."

"Rondrigo vom Eisenwalde?" Praiosmin tauschte einen amüsierten Blick mit Capitan Urbino. "Eure Geschichte ist ja abstrus! Der weilte vor ein paar Tagen hier als mein Gast auf eben dieser Burg!"

"Ich weiß!", nickte Ordonyo unbeirrt. "Und während er sich hier in Selaque herumtrieb, um die verloren gegangene Tochter seines Herrn wiederzufinden, war ich in Ragath in seinem Haus und verschaffte uns die Trommel! Habt Ihr denn nicht in den letzten Tagen und Nächten ihren dumpfen Klang gehört?"

"Doch schon!", nickte Praiosmin und kräuselte die Stirne über so viel unglaubwürdiges Geschwätz. "Das waren eben die ganz normalen Kriegstrommeln der Blutsäufer, mit denen sie uns mürbe machen und einschüchtern wollen. Aber das ist ihnen nicht gelungen! Wie ihr bei Eurer Ankunft bemerkt haben werdet, ist Selaque wieder frei! Wir haben ihrer Belagerung tapfer standgehalten!"

Ordonyo verdrehte die Augen. Tapfer nannte es dieses Weib tatsächlich, sich wie eine Ratte in ihrem Bau zu verkriechen, während draußen ihr Volk abgeschlachtet wurde. Da war er selbst zum Glück aus anderem Holz geschnitzt!

"Auch wenn Ihr meinem Bericht offenbar keinen Glauben schenkt, Euer Hochgeboren, so ist er doch Wort für Wort wahr! Dank der Trommel ist es uns gelungen, Oger – riesige, haushohe Ungetüme – aus dem gesamten Raschtulswall nach Selaque zu locken, die sich an den Vasallen der da Vanyas und an besagtem Landsknechtsheer schön satt fressen, während wir hier gerade sprechen. Alles was wir tun müssen, ist noch ein paar Tage hier im Schutze unserer Mauern auszuharren, dann haben diese Ungeheuer all unsere Feinde bis zum letzten Knäblein aufgefressen. Wenn ihr Hunger dann gestillt ist, ziehen sie von alleine wieder fort oder sie verstreuen sich wieder in alle Winde zurück in ihre ursprünglichen Jagdreviere. Das Beste daran: " – er warf dem vögtlichen Kämmerer einen triumphierenden Blick zu – "Diese unbesiegbare Streitmacht aus Riesen kostet uns keinen roten Heller, und sie macht auch vor den Wilden nicht Halt. Auch diese werden sich geschwind aus Angst vor den Monstren wieder auf ihre hohen Berge zurückziehen!"

Capitan Urbino von Krötensee trat neben Praiosmins Stuhl und raunte seiner Herrin halblaut zu: "In den letzten Tagen häufen sich tatsächlich Berichte unserer Zuträger, dass sie riesige, menschenfressende Ungetüme mit bleicher Haut gesehen haben. Viele sind so verängstigt, dass sie sich gar nicht mehr in die Ebene und ins Vanyadaler Land hinab trauen und hier oben Zuflucht gesucht haben."

Praiosmin vernahm die Worte ihres Capitans mit versteinerter Miene und zunehmend größer werdenden Augen. Schließlich zischte sie Ordonyo feindselig an: "Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ich bin bekanntermaßen eine götterfürchtige Frau, die die Gebote unserer segensreichen Zwölfe – allen voran die unseres Himmelsfürsten Praios! – in allerhöchsten Ehren hält. Praios steh uns bei! Ich vermag kaum zu glauben, was für ein niederträchtiger Kerl Ihr seid, Junker Ordonyo! Sollte es wahr sein? Habt Ihr Unglücksseliger uns tatsächlich Kreaturen der Hölle ins Land gelockt, die unsere unschuldigen Untertanen mit Haut und Haar auffressen, nur um unseren Feinden eine Niederlage beizubringen? Die hätten sie auch gegen mich und die meinigen erhalten! Dafür brauche ich keine Menschenfresser!"

"Ach ja?", ätzte Ordonyo zurück. "Und wie? Hättet Ihr sie ausgehungert, dadurch dass Ihr dick und fett auf Eurem Castillo hockt, während sie draußen die ganze Wildbahn zur Verfügung haben, um sich zu ernähren? Hahaha, da lachen ja Wilden!"

"Das reicht jetzt!", sprang Praiosmin so schnell und wütend aus ihrem Stuhl auf, wie man es ihr kaum zugetraut hätte. "Wachen! Eisen auf den Kerl! In den Kerker mit ihm! Sollte sich diese Trommel finden und Eure Erzählung mit den Menschenfressern als wahr erweisen, so könnt Ihr sicher sein, dass ich Euch dafür der Suprema überstellen werde! Das ist Wegbereitung für niederhöllische Praktiken!"

Ordonyo griff reflexartig an seine Seite nach seinem Säbel – zu spät dämmerte ihm, dass er diesen ja draußen vor der Türe hatte abgeben müssen. Diese widerliche Kebse hatte es von Anfang an vorgehabt, ihn festzunehmen! So knallte er der ersten der drei Wachen, die auf ihn einstürmten, die Faust ins Gesicht, dass diese rückwärts taumelte und benommen zu Boden ging. Die anderen beiden Wachen senkten ihre Hakenspieße gegen ihn, und auch Capitan Urbino zog sein Schwert und deutete mit dessen Spitze auf seine Kehle. "Gebt auf, Junker Ordonyo – oder ich stech' Euch nieder! Ihr habt die Worte der Reichsvogtin vernommen. Ihr steht unter Arrest!"

"Nein! Vater! – Lasst meinen Vater in Frieden, Ihr gemeines Weib!", kreischte nun auch Dulcinea di Alina in Richtung Praiosmins.

"Hinaus mit ihr! Schmeißt sie raus!", befahl Praiosmin von Elenta, deren Gesichtszüge puterrot geworden waren. "Lass dich nie wieder in Selaque sehen, Mädchen, oder ich schwöre dir, es geht dir genauso an den Kragen wie deinem irrsinnigen Vater!"


5. Rondra 1033 BF, am späten Abend

An der Straße von Selaque nach Schrotenstein

Autor: SteveT

Fünfunddreißig Meilen weiter nordwestlich schritt Moritatio da Vanya weit aus, um noch vor Anbruch der Nacht in Schrotenstein zu sein. Der Abschied von Richeza und den anderen in aller Götterfrühe war ihm nur deshalb so leicht gefallen, weil er das Castillo seiner Familia verlassen hatte, bevor überhaupt jemand auf den Beinen gewesen war, dem er erst alles lang und breit hätte erklären müssen.

Nein, nein, er hatte seinen Heimaturlaub lange genug überzogen und damit sicherlich Schande über seinen Namen gebracht. Hoffentlich glaubte man ihm bei Hofe seine Geschichte über all die Vorkommnisse in Selaque und den Bergen in dieser kurzen Zeit. Vieles davon würde in den Ohren eines Außenstehenden gewiss wie die Phantasterei eines Trunkenboldes klingen – erst recht, wenn ihm diese Außenstehenden von vorneherein nicht wohlgesonnen waren, wie es bei seinem Colonello Filippo di Lacara leider unzweifelhaft der Fall war.

Hoffentlich hatte sein langes und eigenmächtiges Ausbleiben noch nicht außerhalb des Hofjunker-Banners die Runde gemacht. Wenn er erst beim gesamten Hofstaat oder gar bei Seiner Kaiserlichen Majestät eine Reputation als zeitweiser Fahnenflüchtiger und Deserteur weg hatte, so konnte er seine Aussichten auf eine Hofkarriere ein für allemal begraben – und diese war es ja letztlich, die hoffnungsfrohe junge Burschen wie ihn selbst in Scharen nach Punin zog.

Ja, mit seiner Tapferkeit beim Entstehen und Wachsen dieses neuen großartigen eslamidischen Kaiserreichs unter Hal Secundo mitwirken zu können – das war schon der Traum, der ihn letztlich antrieb. Selbst die Eroberung einer Traumfrau wie Richeza oder der Ragather Comtessa musste hinter dieser Ambition zurückstehen.

Er hatte Elenta am frühen Vormittag passiert und sich von dort aus strikt südwärts in Richtung Krötensee gehalten. In Ermangelung eines Reittieres war er tatsächlich zu Fuß unterwegs, was bei der Durchquerung der Elentinischen Ebene auch sicherer war. Erstens weil Reiter hier trotz der meilenweit wogenden Graslandschaft schon aus großer Entfernung aufgrund der von ihnen aufgewirbelten Staubwolken zu erkennen waren, zum anderen aber auch, weil der Untergrund hier für Reiter reich an Stolperfallen war, in denen sich ein Pferd leicht die Beine brechen konnte. In der Ferne kam schon die Straße von Schrotenstein nach Selaque ins Blickfeld, die momentan sein Ziel war, da er dann – nach einer Nacht auf Burg Schrotenstein – von morgen an nur noch auf gepflasterten Straßen bis nach Punin wandern konnte.

Die Sonne stand bereits recht tief und rötlich am Horizont, als er die Straße erreichte, die sich zu seiner Überraschung nicht einsam und verlassen wie sonst durch die grünbraune Landschaft schlängelte, sondern auf der von Westen her eine größere Menschenmenge heranzog, die offenbar gerade aus Schrotenstein kam. Im blendenden Gegenlicht konnte er nur ihre schwarzen Silhouetten vor dem gleißenden Feuerball des Praiosrundes erkennen, das hinter dem Hügel stand, den die Gruppe herabzog.

Ihr Gang und die Art und Weise, wie sie sich bewegten, deuteten eigentlich darauf hin, dass es sich um Rustikals handelte – vermutlich eine größere Schar Bauern, die von der Arbeit auf den Feldern zurückkehrte. Eventuell kamen sie aus dem Weiler Carano, der unweit der Baroniengrenze zwischen Selaque und Schrotenstein lag. Die funkelnden und blitzenden Rüstungen, die einige von ihnen am Leib trugen, und die Waffen, die sie fast alle in den Händen hatten, deuteten jedoch darauf hin, dass es sich doch nicht um Bauern oder – falls doch – dann um eine gut ausgerüstete Landwehr-Miliz handelte.

Ja, natürlich! Das mussten die braven Schrotensteiner Untertanen seines Onkels Lucrann und seiner lieben Muhme Belisetha sein, die zu ihrer Unterstützung nach Selaque zogen! Moritatio zog seinen Ersatz-Caldabreser vom Kopf, den er aus dem heimatlichen Castillo als Sonnenschutz mitgenommen hatte, und begann der Gruppe damit zu winken.


"Guckt euch den an!", stupste Alrigo aus Selaque seinen Cumpadre Elano an und deutete auf den ihnen zu winkenden Edelmann drunten auf der Straße. "Kennt einer von euch den Trottel oder was hampelt der so herum?"

"Also ich kenn' keine Leute aus Schrotenstein und will auch niemand' von dort kennen!", stellte der muskulöse Steinbrecher Lechdan klar, der früher ein Sträfling gewesen war, ehe ihn die Reichsvogtin vor über zwölf Jahren aus unbekannten Gründen begnadigt und zu einem freien Steinbrecher der Krone befördert hatte. Seither musste er nur – genau wie alle anderen Spitzel und Zuträger der Vogtin – unter dem gemeinen Volk und den Sträflingen ein wenig die Augen und Ohren offenhalten, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen.

Seit ihr ursprünglicher Commandant, der eitle Geck Azzato von San Owilmar, entschieden hatte, noch ein wenig länger auf dem fremden Castillo im See zu verbleiben, wie ihnen diese Morena von Harmamund und ihr Begleiter Berengar zu ihrer aller Verblüffung verkündet hatten, ehe sie selbst in Richtung Punin davongeritten waren, führte nun Lechdan das rat- und orientierungslose Selaquer Aufgebot nach Hause zurück. Niemand von ihnen wusste, was sie noch weiter in Schrotenstein sollten, wo man ihnen nicht wohlgesonnen war, wie die drei Verwundeten bezeugen konnten, die sie seit der Bataille mit den Bewohnern der Nachbarbaronie auf selbstgezimmerten Tragbahren mit sich schleppen mussten.

"Ich glaub', mich tritt ein Ochse!", stieß weiter hinten die Bauerstochter Guiseppa einen markanten Pfiff aus. "Ich erkenne den Mistkerl, der uns da winkt! Es ist der junge da Vanya – der Sohn der Verräterin Rifada! Er, seine Mutter und seine Schwester sind einmal mitten über unser Rübenfeld geritten, sodass mein Vater danach geschimpft hat: Der Namenlose hol' diese ganze Rasse!"

"Ein da Vanya?", fragte Alrigo ungläubig. "Und der winkt uns noch frech, nachdem seine Schwester uns allen die Wänste aufschlitzen wollte?"

"Ein Verräter wie seine Mutter!", wetterte Dasodono, einer der Verwundeten, der auf seiner Bahre schwach den Kopf hob und eine Faust in den Himmel reckte. "Zahlt's dem Scheißkerl heim, was seine Sippschaft mir und der Bosquirischen Jungfer angetan haben! Die Herrin wird uns allen dankbar sein!"


Moritatio hatte sich der vielleicht fünzigköpfigen Gruppe inzwischen bis auf zwanzig Schritt genähert. Erst jetzt erkannte er ob des blendenden Lichts, dass das gar keine Schrotensteiner, sondern Selaquer wie er selbst waren. Allerdings Selaquer aus dem Markt Selaque selbst und auch einige Bewohner des Weilers San Owilmar oder von Elenta, die er allesamt nicht zu den Schutzbefohlenen seiner Familia zählen konnte.

"Die guten Götter zum Gruße, ihr Leute!", rief er ihnen trotzdem höflich entgegen und ging weiter auf sie zu. "Was führt euch in diese Gegend, fernab eurer Schollen? Kommt ihr aus Schrotenstein?"

"Was geht's dich an, Verräterschwein?", rief Lechdan keck zurück und hob einen Stein vom Boden auf, den er auf Moritatio schleuderte.

Der Stein traf Moritatio hart an der Wange, ehe er ausweichen konnte. Der Schmerz durchzuckte ihn jäh, und er presste eine Hand auf die getroffene Stelle, die sich sofort blutrot färbte. "Bist du von Sinnen, Rustikal?", schimpfte er und griff mit der anderen Hand nach seinem Degen, den er als Ersatz für sein zerbrochenes Rapier mit sich führte, bis er sich in Punin von den Gebrüdern Sfazzio eine neue persönliche Waffe von seinem Sold würde leisten können. "Das wirst du mir teuer bezahlen! Wer einen Magnaten angreift, dessen Leben ist verwirkt!"

"Dein Leben ist verwirkt, verfluchter da Vanya!", brüllte Lechdan zurück und hob seinen Säbel, der Moritatio an eine Waffe aus der Sammlung seiner Mutter erinnerte. Entsetzt sah er, dass zwar nicht alle, aber doch fünfzehn oder zwanzig weitere Aufrührer und Krawallbrüder mit Lechdan gemeinsam auf ihn zu stürmten.

'Alleine gegen zwanzig – sei kein Narr!', schoss es Moritatio durch den Kopf. 'Du bist ein Hofjunker Seiner Majestät!', sagte ihm ein anderer Gedanke. "Ein Hofjunker flieht nicht – viel Feind, viel Ehr, die alte Mär!"

Gellend prallten Säbel und Degen aufeinander. Lechdan war kein versierter Kämpfer, das verriet schon seine Angriffshaltung, aber es lag eine gehörige Wucht in seinen Schlägen.

Moritatio versuchte, den fürchterlichen Schmerz in seiner Wange zu ignorieren und auf seine Chance zum Gegenangriff zu lauern, als ihm ein anderer Angreifer von der Seite die Spitze seines Hakenspießes in die Seite rammte. Ein Bauer mit einem Hakenspieß? Das waren doch die Waffen seiner Mutter, die man aus ihrem Bergfried gestohlen hatte! Moritatio sprang in einem verzweifelten Ausfall vor und stach Lechdan seine Klinge in die Brust. Gurgelnd fasste der bullige Mann mit beiden Händen nach seiner Klinge, die Moritatio über und über blutbesudelt wieder aus dessen Leib hervor riss.

Ein anderer Bauer schlug ihm von hinten die Stachelkugel seines Streitkolbens auf den Schädel, dass es Moritatio schwarz vor Augen wurde und er taumelnd vornüber stürzte. Sofort drangen von allen Seiten weitere Selaquer auf ihn ein, prügelten und stachen von überall her auf ihn nieder, dass er noch eine einzige Welle von Schmerz verspürte. Dann aber fielen mit einem Male alle Schmerzen von ihm ab und er sah ein helles warmes Licht, verbunden mit einem Gefühl von Geborgenheit.

"Da haste wasde verdienst!", presste Alrigo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und tauchte ein weiteres Mal wie von Sinnen die Spitze seines Hakenspießes in den Leib des nun regungslos daliegenden Magnaten.

"Er ist hin!", stellte Guiseppa lakonisch fest. "Lechdan aber auch!"

Alrigo wischte sich schnaufend den Schweiß von der Stirne und sah zu, wie zwei junge Knechte dem toten Junkerssohn seine Stiefel und seinen Caldabreser auszogen.

"Einen Magnaten kaltzumachen – das kann uns alle an den Galgen bringen!", meldete der alte Schneidermeister Olpertino als einziger Bedenken an.

"Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!"



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 35