Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 36: Unterschied zwischen den Versionen
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===Im Wappensaal und in den Kerkern des [[Castillo Albacim]]=== | |||
=====12. Rondra 1033 BF, abends===== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
"Seid gegrüßt, hochgeborene Frau Vogtin! Hier sind wir wieder!" | |||
Der ihr reichlich zerlumpt, zerloddert und unrasiert vor die Augen tretende [[Ordonyo di Alina|Junker von Alina]] vollführte die vage Andeutung einer Verbeugung vor der feisten [[Praiosmin von Elenta|Reichsvogtin]], die ihn mit kaltem, feindseligen Blick von Kopf bis Fuß musterte. Seine spindeldürre Tochter [[Dulcinea di Alina|Dulcinea]] hinter ihm rang sich immerhin so etwas ähnliches wie einen ungelenken Kratzfuß als Respektsbekundung ab. | |||
"Wo in der Götter Namen habt Ihr gesteckt, als Selaque und ich Euch brauchten?", schnauzte ihn Praiosmin auf der Stelle an, ohne zuvor irgendwelche müßigen Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Sie hatte dem windigen Kerl ohnehin noch nie recht über den Weg getraut, der sie und das Haus Elenta ohne Frage sofort hintergehen und verraten würde, wenn ihm nur eine andere Parteiung ein besseres Angebot unterbreitete, das seinem eigenen Vorteil und Fortkommen dienlich war. | |||
"Mit Verlaub", antwortete Dom Ordonyo in ebenso barschem und gereiztem Tonfall, "meine Tochter und ich waren in den wildenverseuchten Bergen unterwegs – und dies nicht umsonst, sondern letztlich zu unser aller Rettung! Da es Euer Hochgeboren ja für richtig hielt, das [[Castillo da Vanya]] nach der von mir in die Wege geleiteten Eroberung der völlig unbeteiligten Familia von Harmamund in den Schoß zu legen, gab es dort für mich nichts mehr weiter zu tun, sodass ich die Zeit nutzte, um andere Unterstützer für unsere Sache zu gewinnen." | |||
"Für ''unsere'' Sache?", wiederholte Praiosmin ungläubig und winkte ungläubig ab. "Für ''Eure eigene'' Sache meint Ihr wohl? Eure Aufgabe wäre es gewesen, mit Euren Leuten Eure Dominie und damit die Straße zwischen Alina und Elenta zu verteidigen. Stattdessen aber lasst Ihr von dort vollkommen unbehelligt ein fremdes Söldings-Terzio heranziehen, das bis vor die Mauern des gerade erst gewonnenen Castillos zog! Nur dem Geschick und der List meiner dortigen [[Yegua von Elenta|Burgcapitana]] haben wir es wohl zu verdanken, dass die Burg nicht sogleich wieder verloren ging, während Ihr und Eure missratene Tochter Euch in der Wildnis herumgetrieben habt! Was sollen das überhaupt für Verbündete sein, mit denen Ihr Euch zu rechtfertigen sucht?" | |||
"Ich habe keinerlei Anlass, mich zu rechtfertigen!", schnauzte Ordonyo zurück, so laut und patzig, dass die beiden Wachen, die links und rechts von Praiosmins erhöhtem Stuhl standen, schon die Hände an ihre Schwertknäufe legten. "Ihr selbst, Euer Hochgeboren, habt es tatenlos zugelassen, dass die eben von Euch angesprochene Soldateska, die aus Ragatien – also aus dem Land Eurer geliebten Harmamunds – anrückte, meine Latifundias und mein Hofgut bis zu den Grundmauern niederbrannte. Ich selbst reiste zu dieser Stunde durch den Valencagrund, wo ich die Junkerin [[Aldea de Vargas]] als unsere Verbündete gewinnen konnte. Sie streckte mir die Goldmittel vor, um in Ragath ein schlagkräftiges Söldlingsheer zu unserem Entsatz anwerben zu können. Zumindest war dies meine Intention gewesen, meine Tochter hier kann bezeugen, dass all dies der Wahrheit entspricht." | |||
Er stupste seine Tochter an, die blöd zum Fenster hinaus gaffte, wo man von hier oben auf dem Berg Albamonte eine kolossale Fernsicht von über vierzig oder fünfzig Meilen hatte. | |||
"Wie? Was?", schrak Dulcinea zusammen und wurde puterrot, als sie bemerkte, dass Praiosmin und ihr Gefolge sie anstarrten. "Äh, ja ja, genau so war es! Ich lernte dort den Sohn der Junkerin kennen, [[Ramón de Vargas]], und brauchte ihm das Boltanspielen bei ..." | |||
"Ja, ja, wie auch immer!", schnitt Ihr ihr Vater das Wort ab und warf ihr einen giftigen Blick zu. "Leider musste ich in [[Ragath]] feststellen, dass der treulose [[Ludovigo Sforigan]] nicht unserer Sache dienlich war, sondern – im Gegenteil! – der unserer Feinde!" | |||
"Sforigan?", wiederholte Priaosmin abermals ungläubig und tauschte einen Blick mit ihrem Burgcapitan Urbino von Krötensee. "Der Lump war schon damals bei der Beschießung Selaques involviert. Was aber hat er nun mit unseren inneren Angelegenheiten hier zu schaffen? Mischt er sich jetzt etwa auch noch ein?" | |||
"Na, was glaubt Ihr, von wem die Mercenarios stammen, die mein und Euer Land verwüsten? Die nichts als Brandschatzen, Plündern und Morden im Sinn haben? Es sind seine Hakenspieße, keine anderen – wenn sie auch nicht von ihm selbst, sondern von dem Hund [[Hernán von Aranjuez]] angeführt werden." | |||
Praiosmins Miene wurde zu Eis. "Dass der elendige Sforigan dahintersteckt, wusste ich nicht, aber den Namen des besagten Hernán von Aranjuez höre ich in den letzten Tagen und Wochen viel öfter, als mir lieb ist. Ich will, dass dieser Canaille das Handwerk gelegt wird und dass er aus meinem Land verschwindet, wo er aus eigenem Antrieb und gegen meinen Willen handelt! ''Ich'' bin die Herrin von Selaque! Ob er nun für die da Vanyas, Sforigan oder für sich selbst kämpft, ist mir egal! Ich will den Mistkerl in Ketten vor mir sehen, dass er um Vergebung fleht, die ich ihm nicht gewähren werde!" | |||
Der letzte Satz hatte wohl mehr ihrem Burgcapitan als Dom Ordonyo gegolten. Zumindest neigte ersterer das Haupt, dass ihm der Wunsch seiner Herrin Befehl sei. | |||
"Da wir also nicht mit Entsatz durch Sforigans Mietlinge rechnen konnten, sondern diese plötzlich sogar als unsere Antagonistas ansehen mussten, habe ich in Ragath einen noch besseren und vor allem kostengünstigeren Plan ersonnen, wie wir eben diese feindlich gesonnene Söldlingsschar und die [[Familia da Vanya|da Vanyas]] gleich mit dazu ein für allemal rasch loswerden können", fuhr Ordonyo di Alina fort, sichtlich nicht ohne Stolz. | |||
"Fahrt fort!", forderte ihn die Reichsvogtin energisch auf und strich sich nachdenklich über ihr Doppelkinn. Auch wenn ihr Vermögen dank des Marmors ohnehin beträchtlich und durch die beschlagnahmten Besitztümer der da Vanyas noch weiter angewachsen war, entsprachen kostengünstige Lösungen doch immer ihrem Naturell. Auch ihr vögtlicher Kämmerer Phexdano der Wucherer, der neben der Tür am anderen Ende des großzügigen Wappensaales stand, horchte mit einem Mal mitten in der leisen Unterhaltung mit einem anderen Hoflakaien auf und spitzte die Ohren, was der Aliner ersonnen hatte. | |||
"Sagt Euch der Name Kanishkar etwas? Auch Kanishkar der Weissager oder Kanishkar der Graue Bär genannt?", fragte Ordonyo nach einer Kunstpause. | |||
Praiosmin zog eine Augenbraue in die Höhe und rümpfte ihre breite Nase: "Ein Wilder, nicht? Abergläubische Narren erzählen, dass er es war, der meinen Onkel [[Radmon von Elenta|Radmon]] mit einem obskuren Fluchzauber tötete. Aber das ist Unsinn, mein Onkel wurde krank wegen seines ausschweifenden Lebenswandels, der dem Herrn [[avwik:praios|Praios]] am Ende nicht mehr gefällig war. Die Wilden sind viel zu dumm, als dass sie die elende Hexerei erlernen könnten. Sie können ja nicht einmal lesen!" | |||
Ordonyo schüttelte leicht den Kopf. "Da bin ich aus eigener Erfahrung anderer Ansicht. Jedenfalls erschuf jener Kanishkar eine Trommel, ein ekelhaftes Ding aus Menschenhaut, auf das mit einem durchbohrten Ogerschädel geschlagen wird. Diese Trommel oder Pauke ist zaubermächtig und vermag menschenfressende Oger von überall her aus ihren Verstecken anzulocken. Seit dem Tode Khenubaal Paschas und Kanishkars Verhüllung vor über zwanzig oder dreißig Jahren wurde diese Pauke im Haus des gräflichen Castellans [[Rondrigo vom Eisenwalde]] in Ragath aufbewahrt, der – anders als seine Herren, die Grafen – um die Wirkung der Trommel wusste und an sie glaubte." | |||
"Rondrigo vom Eisenwalde?" Praiosmin tauschte einen amüsierten Blick mit Capitan Urbino. "Eure Geschichte ist ja abstrus! Der weilte vor ein paar Tagen hier als mein Gast auf eben dieser Burg!" | |||
"Ich weiß!", nickte Ordonyo unbeirrt. "Und während er sich hier in Selaque herumtrieb, um die verloren gegangene Tochter seines Herrn wiederzufinden, war ich in Ragath in seinem Haus und verschaffte uns die Trommel! Habt Ihr denn nicht in den letzten Tagen und Nächten ihren dumpfen Klang gehört?" | |||
"Doch schon!", nickte Praiosmin und kräuselte die Stirne über so viel unglaubwürdiges Geschwätz. "Das waren eben die ganz normalen Kriegstrommeln der Blutsäufer, mit denen sie uns mürbe machen und einschüchtern wollen. Aber das ist ihnen nicht gelungen! Wie ihr bei Eurer Ankunft bemerkt haben werdet, ist Selaque wieder frei! Wir haben ihrer Belagerung tapfer standgehalten!" | |||
Ordonyo verdrehte die Augen. ''Tapfer'' nannte es dieses Weib tatsächlich, sich wie eine Ratte in ihrem Bau zu verkriechen, während draußen ihr Volk abgeschlachtet wurde. Da war er selbst zum Glück aus anderem Holz geschnitzt! | |||
"Auch wenn Ihr meinem Bericht offenbar keinen Glauben schenkt, Euer Hochgeboren, so ist er doch Wort für Wort wahr! Dank der Trommel ist es uns gelungen, Oger – riesige, haushohe Ungetüme – aus dem gesamten [[Raschtulswall]] nach Selaque zu locken, die sich an den Vasallen der da Vanyas und an besagtem Landsknechtsheer schön satt fressen, während wir hier gerade sprechen. Alles was wir tun müssen, ist noch ein paar Tage hier im Schutze unserer Mauern auszuharren, dann haben diese Ungeheuer all unsere Feinde bis zum letzten Knäblein aufgefressen. Wenn ihr Hunger dann gestillt ist, ziehen sie von alleine wieder fort oder sie verstreuen sich wieder in alle Winde zurück in ihre ursprünglichen Jagdreviere. Das Beste daran: " – er warf dem vögtlichen Kämmerer einen triumphierenden Blick zu – "Diese unbesiegbare Streitmacht aus Riesen kostet uns keinen roten Heller, und sie macht auch vor den Wilden nicht Halt. Auch diese werden sich geschwind aus Angst vor den Monstren wieder auf ihre hohen Berge zurückziehen!" | |||
Capitan Urbino von Krötensee trat neben Praiosmins Stuhl und raunte seiner Herrin halblaut zu: "In den letzten Tagen häufen sich tatsächlich Berichte unserer Zuträger, dass sie riesige, menschenfressende Ungetüme mit bleicher Haut gesehen haben. Viele sind so verängstigt, dass sie sich gar nicht mehr in die Ebene und ins Vanyadaler Land hinab trauen und hier oben Zuflucht gesucht haben." | |||
Praiosmin vernahm die Worte ihres Capitans mit versteinerter Miene und zunehmend größer werdenden Augen. Schließlich zischte sie Ordonyo feindselig an: "Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ich bin bekanntermaßen eine götterfürchtige Frau, die die Gebote unserer segensreichen Zwölfe – allen voran die unseres Himmelsfürsten Praios! – in allerhöchsten Ehren hält. Praios steh uns bei! Ich vermag kaum zu glauben, was für ein niederträchtiger Kerl Ihr seid, Junker Ordonyo! Sollte es wahr sein? Habt Ihr Unglücksseliger uns tatsächlich Kreaturen der Hölle ins Land gelockt, die unsere unschuldigen Untertanen mit Haut und Haar auffressen, nur um unseren Feinden eine Niederlage beizubringen? Die hätten sie auch gegen mich und die meinigen erhalten! Dafür brauche ich keine Menschenfresser!" | |||
"Ach ja?", ätzte Ordonyo zurück. "Und wie? Hättet Ihr sie ausgehungert, dadurch dass Ihr dick und fett auf Eurem Castillo hockt, während sie draußen die ganze Wildbahn zur Verfügung haben, um sich zu ernähren? Hahaha, da lachen ja Wilden!" | |||
"Das reicht jetzt!", sprang Praiosmin so schnell und wütend aus ihrem Stuhl auf, wie man es ihr kaum zugetraut hätte. "Wachen! Eisen auf den Kerl! In den Kerker mit ihm! Sollte sich diese Trommel finden und Eure Erzählung mit den Menschenfressern als wahr erweisen, so könnt Ihr sicher sein, dass ich Euch dafür der Suprema überstellen werde! Das ist Wegbereitung für niederhöllische Praktiken!" | |||
Ordonyo griff reflexartig an seine Seite nach seinem Säbel – zu spät dämmerte ihm, dass er diesen ja draußen vor der Türe hatte abgeben müssen. Diese widerliche Kebse hatte es von Anfang an vorgehabt, ihn festzunehmen! So knallte er der ersten der drei Wachen, die auf ihn einstürmten, die Faust ins Gesicht, dass diese rückwärts taumelte und benommen zu Boden ging. Die anderen beiden Wachen senkten ihre Hakenspieße gegen ihn, und auch Capitan Urbino zog sein Schwert und deutete mit dessen Spitze auf seine Kehle. "Gebt auf, Junker Ordonyo – oder ich stech' Euch nieder! Ihr habt die Worte der Reichsvogtin vernommen. Ihr steht unter Arrest!" | |||
"Nein! Vater! – Lasst meinen Vater in Frieden, Ihr gemeines Weib!", kreischte nun auch Dulcinea di Alina in Richtung Praiosmins. | |||
"Hinaus mit ihr! Schmeißt sie raus!", befahl Praiosmin von Elenta, deren Gesichtszüge puterrot geworden waren. "Lass dich nie wieder in Selaque sehen, Mädchen, oder ich schwöre dir, es geht dir genauso an den Kragen wie deinem irrsinnigen Vater!" | |||
*''Die Geschichte um Domnatella Dulcinea wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ragath 08|Schauplatz: Ragath, Teil 08]].'' | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: | '''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | ||
"Halt! Da hinein mit ihm!" | |||
Urbino von Krötensee, der Burgcapitan von Castillo Albacim, blieb vor einer dicken eisenbeschlagenen Eichentür stehen, die in der Mitte eine Klappe aufwies, die hier vom Gang aus mit einem Riegel zu verschließen war. Er kramte klimpernd in seiner Gewandtasche nach einem dicken Schlüsselbund, der offenbar sämtliche Schlüssel der gesamten Burg umfasste. Die beiden penetrant nach Zwiebeln und Knoblauch stinkenden Kerkerknechte, die Junker [[Ordonyo di Alina]] links und rechts gepackt hielten, obwohl seine Arme ohnehin noch mit einer Eisenkette gefesselt waren, als sei er ein gemeiner Marktdieb, blieben auf den Befehl ihres Vorgesetzten ruckartig stehen. | |||
Es dauerte lange, bis Dom Urbino den richtigen Schlüssel gefunden hatte, dann aber stieß er die Tür quietschend auf. "Tretet ein in Euer neues Gemach, Dom Ordonyo! Es ist unsere beste Zelle, die Ihr Euch nur mit einem anderen teilen müsst. Drüben in der anderen hättet Ihr mit einem halben Dutzend Hexen, Ketzern und Dämonenanbetern zusammengesessen. Nachdem, was Ihr der Vogtin gerade berichtet habt, wäre das vielleicht sogar der passende Umgang für einen Kerl wie Euch gewesen – aber ich behandle Euch immerhin noch Eures Standes eingedenk!" | |||
"Das will ich Euch auch geraten haben, mein lieber Urbino, denn ich bin kein Mann, der seinen Feinden irgendwann verzeiht und sie vergisst!", warnte ihn der Aliner in geringschätzigem Tonfall. "Das gilt auch für Euch zwei Orkfressen! Lasst mich los!" | |||
Der Burgcapitan nickte. "Tut was der Junker sagt!" | |||
Statt ihnen fasste er Ordonyo nun selbst sacht am Arm und schob ihn fast behutsam ins Dunkel der Zelle, die nur vom Fackellicht draußen auf dem Gang erhellt wurde. | |||
"Bedenkt besser, dass meine Tochter geradewegs nach Punin reiten wird, um Seine Majestät höchstselbst oder zumindest die Hofkanzlei darüber in Kenntnis zu setzen, welches Unrecht uns hier und heute geschehen ist!", warnte ihn Ordonyo flüsternd. "Die Tage Praiosmins sind gezählt, Dom Urbino! Sie wird auf dem Schafott des Henkers enden! Für Euch aber besteht noch Hoffnung – wenn Ihr mir zur Flucht verhelft, so werde ich vor dem Grafen und Kaiser erwirken, dass Euch nicht nur Euer Leben, sondern sogar Euer Stand erhalten bleibt." | |||
"Wie überaus großzügig von Euch!", entgegnete Urbino von Krötensee ironisch und verdrehte im Dunkeln die Augen. "Ich fürchte aber, dass Ihr weit eher als sie Euer Haupt auf das Schafott werdet legen müssen – und darum stehe ich einstweilen treu zu meiner Vogtin! Hinein jetzt!" Der Stoß, den er dem eigentlich höherstehenden Junker von Alina nun verpasste, war schon härter. | |||
"Das wird Euch noch sehr leid tun!", knurrte Ordonyo und stolperte in die dunkle Karzerzelle. Beim Eintreten wäre er um ein Haar über einen Berg von knochentrockenen Brotlaiben gestolpert, die direkt hinter der Tür lagen. Wütend schoss er die Brote mit einem Stiefeltritt kreuz und quer durch den Raum. "Und lasst Euch gar nicht erst einfallen, mich hier dann auch mit einem Haufen altem Brot abzuspeisen! Ich erwarte für die Dauer meines Aufenthaltes dasselbe zu speisen, was auch an der Tafel der Jungfer aufgetragen wird!" | |||
"Ja, ja", wog ihn der Burgcapitan in Sicherheit und betrachtete stirnrunzelnd die herumliegenden Brotlaibe. "Was ist das für eine Schlamperei, ihr Canaillen? Ich hatte ausdrücklich befohlen: Einen Krug Wasser und einen Kanten Brot pro Gefangener und Tag! Wollt ihr den Kerl darin noch mästen, zur Belohnung dafür, was er ausgefressen hat?" | |||
"Nein nein! Wir schwören beide, er bekam nur ein Brot pro Tag!", verteidigten sich die zwei Kerkerknechte kleinlaut. | |||
Ordonyo feixte, da er jetzt draußen im Licht des Ganges erst die potthässlichen Visagen der zwei erkennen konnte – als ob sie die zwei jüngeren Brüder von Praiosmin wären! | |||
"Was haltet Ihr von der Idee, ihr Schwachköpfe, dass der arme Tropf sein täglich Brot einfach schon seit Tagen nicht mehr gegessen hat?", fragte der Junker höhnisch und deutete mit einem Kopfnicken auf die zusammengekauerte Gestalt, die unter einer groben Wolldecke auf einem Strohlager in der hintersten Ecke des Raumes lag. Angewidert zerstampfte er eine riesengroße Kakerlake, die gerade aus der Richtung des Strohlagers in Richtung des Lichtkegels der Tür krabbelte. | |||
"Wann habt ihr das letzte Mal nach dem Gefangenen gesehen?", schrie Capitan Urbino die beiden an, die trotz ihrer immensen Körpergröße nun scheinbar immer kleiner wurden. | |||
"Gesehen? Hm, gar nicht ... wir werfen ihm immer nur das Brot durch die Luke und das war's!" Die zwei tauschten einen verlegenen Blick. | |||
Kopfschüttelnd ging Urbino auf den Gang hinaus, holte eine der Pechfackeln herein und leuchtete damit die Kerkerzelle mit orangem Licht aus. "Und die Wasserkrüge? Habt ihr ihm die vielleicht auch durch die Luke geschmissen?" | |||
"Das Wasser für den Kerl!", klatschte sich einer der beiden an die Stirn. "Und ich sage noch letzte Woche zu dir: Irgendetwas haben wir vergessen ... und du hast dann gesagt: Was sollen wir hier drunten im Verlies schon vergessen?" | |||
Der Burgcapitan beleuchtete den regungslosen Gefangenen, drehte ihn dann mit einem Stiefeltritt auf den Rücken. Sein Gesicht war bereits bläulich verfärbt, die Nase spitz. Seine glasigen Augen und sein Mund standen weit offen. | |||
"Mausetot!", stellte Urbino von Krötensee mitleidlos fest und warf dann den beiden Knechten einen giftigen Blick zu: "Idiotas! Hornochsen! Jetzt weiß ich, warum Euch die Vogtin verboten hat, jemals den Kerker zu verlassen! Hat man jemals von solchen Trotteln gehört? Los, los, schafft den Mann hier raus! Und dann will ich das Kerkerbuch haben! Wie hieß der Mann?" | |||
"Das kann sogar ich Euch sagen", streute Ordonyo di Alina mit pervalischem Lächeln ein, "denn dafür brauche ich kein Kerkerbuch! Dom Urbino – vor Euch seht Ihr den ehrenwerten Dom [[Berengar von Schlehen]], Bruder des Caballeros Pinhal von Schlehen, den Ehegemahl der verräterischen [[Rifada da Vanya]] und zudem ehemals Beamter der Krone als kaiserlicher Straflagerbeaufsichtiger zu Grezzano. Es ist Euch ja wohl klar, dass ich unter diesen Umständen keinen Augenblick länger in dieser Zelle in der Obhut von Euch und diesen beiden Selemiten bleibe ..." | |||
"Es wird Euch aber leider nichts anderes übrigbleiben!", antwortete Dom Urbino gereizt und stieß den Aliner hart rückwärts, sodass er ins faulige Stroh auf seinen Allerwertesten stürzte. "Und ihr zwei Unglücksseligen schafft den Mann hier raus!", brüllte er seine Helfer an. Sobald diese den dicken Leichnam halb tragend, halb schleifend hinaus auf den Gang geschleppt hatten, warf er wuchtig von außen die Zellentür zu, und Ordonyo blieb alleine im Dunkeln zurück. | |||
Er | "Aufmachen! Ihr habt gehört, was ich gesagt habe! Hier bleibe ich nicht!", brüllte er, quälte sich wieder hoch in den Stand und trat wuchtig gegen die Tür. Er presste dann lauschend sein Ohr gegen das kühle Holz der massiven Tür, und es beruhigte ihn zumindest ein klein wenig, als er den Capitan draußen sagen hörte: "Um den Gefangenen hier kümmere ich mich fortan selbst! Sobald es dunkel wird, schafft ihr unauffällig den Toten auf den Boronanger und vergrabt ihn ohne Boronsrad in der hintersten Ecke, dort wo die Verfemten und Gehenkten begraben liegen! Boron sei euch gnädig, wenn die Herrin davon erfährt! Ich glaube, dieser Gefangene war ihr wichtig ..." | ||
"Oje, oje!", murmelte einer der beiden Schwachköpfe, dann wurde es still, sowohl draußen als auch in der Zelle, wo sich Ordonyo di Alina zu Boden gleiten ließ, den Kopf verzweifelt in den noch immer gefesselten Händen wiegend. | |||
{{Chronik.Ereignis|Zurück=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 35|Teil | |||
35]]|Chronik:Jahr=Chronik:1033|Ereignisname=Der Ferkina-Feldzug|Teil=Teil | |||
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[[Kategorie:Chronik.Ereignis1033]] |
Aktuelle Version vom 5. Dezember 2012, 09:40 Uhr
In Kaiserlich Selaque, 12. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Wappensaal und in den Kerkern des Castillo Albacim[Quelltext bearbeiten]
12. Rondra 1033 BF, abends[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
"Seid gegrüßt, hochgeborene Frau Vogtin! Hier sind wir wieder!"
Der ihr reichlich zerlumpt, zerloddert und unrasiert vor die Augen tretende Junker von Alina vollführte die vage Andeutung einer Verbeugung vor der feisten Reichsvogtin, die ihn mit kaltem, feindseligen Blick von Kopf bis Fuß musterte. Seine spindeldürre Tochter Dulcinea hinter ihm rang sich immerhin so etwas ähnliches wie einen ungelenken Kratzfuß als Respektsbekundung ab.
"Wo in der Götter Namen habt Ihr gesteckt, als Selaque und ich Euch brauchten?", schnauzte ihn Praiosmin auf der Stelle an, ohne zuvor irgendwelche müßigen Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Sie hatte dem windigen Kerl ohnehin noch nie recht über den Weg getraut, der sie und das Haus Elenta ohne Frage sofort hintergehen und verraten würde, wenn ihm nur eine andere Parteiung ein besseres Angebot unterbreitete, das seinem eigenen Vorteil und Fortkommen dienlich war.
"Mit Verlaub", antwortete Dom Ordonyo in ebenso barschem und gereiztem Tonfall, "meine Tochter und ich waren in den wildenverseuchten Bergen unterwegs – und dies nicht umsonst, sondern letztlich zu unser aller Rettung! Da es Euer Hochgeboren ja für richtig hielt, das Castillo da Vanya nach der von mir in die Wege geleiteten Eroberung der völlig unbeteiligten Familia von Harmamund in den Schoß zu legen, gab es dort für mich nichts mehr weiter zu tun, sodass ich die Zeit nutzte, um andere Unterstützer für unsere Sache zu gewinnen."
"Für unsere Sache?", wiederholte Praiosmin ungläubig und winkte ungläubig ab. "Für Eure eigene Sache meint Ihr wohl? Eure Aufgabe wäre es gewesen, mit Euren Leuten Eure Dominie und damit die Straße zwischen Alina und Elenta zu verteidigen. Stattdessen aber lasst Ihr von dort vollkommen unbehelligt ein fremdes Söldings-Terzio heranziehen, das bis vor die Mauern des gerade erst gewonnenen Castillos zog! Nur dem Geschick und der List meiner dortigen Burgcapitana haben wir es wohl zu verdanken, dass die Burg nicht sogleich wieder verloren ging, während Ihr und Eure missratene Tochter Euch in der Wildnis herumgetrieben habt! Was sollen das überhaupt für Verbündete sein, mit denen Ihr Euch zu rechtfertigen sucht?"
"Ich habe keinerlei Anlass, mich zu rechtfertigen!", schnauzte Ordonyo zurück, so laut und patzig, dass die beiden Wachen, die links und rechts von Praiosmins erhöhtem Stuhl standen, schon die Hände an ihre Schwertknäufe legten. "Ihr selbst, Euer Hochgeboren, habt es tatenlos zugelassen, dass die eben von Euch angesprochene Soldateska, die aus Ragatien – also aus dem Land Eurer geliebten Harmamunds – anrückte, meine Latifundias und mein Hofgut bis zu den Grundmauern niederbrannte. Ich selbst reiste zu dieser Stunde durch den Valencagrund, wo ich die Junkerin Aldea de Vargas als unsere Verbündete gewinnen konnte. Sie streckte mir die Goldmittel vor, um in Ragath ein schlagkräftiges Söldlingsheer zu unserem Entsatz anwerben zu können. Zumindest war dies meine Intention gewesen, meine Tochter hier kann bezeugen, dass all dies der Wahrheit entspricht."
Er stupste seine Tochter an, die blöd zum Fenster hinaus gaffte, wo man von hier oben auf dem Berg Albamonte eine kolossale Fernsicht von über vierzig oder fünfzig Meilen hatte.
"Wie? Was?", schrak Dulcinea zusammen und wurde puterrot, als sie bemerkte, dass Praiosmin und ihr Gefolge sie anstarrten. "Äh, ja ja, genau so war es! Ich lernte dort den Sohn der Junkerin kennen, Ramón de Vargas, und brauchte ihm das Boltanspielen bei ..."
"Ja, ja, wie auch immer!", schnitt Ihr ihr Vater das Wort ab und warf ihr einen giftigen Blick zu. "Leider musste ich in Ragath feststellen, dass der treulose Ludovigo Sforigan nicht unserer Sache dienlich war, sondern – im Gegenteil! – der unserer Feinde!"
"Sforigan?", wiederholte Priaosmin abermals ungläubig und tauschte einen Blick mit ihrem Burgcapitan Urbino von Krötensee. "Der Lump war schon damals bei der Beschießung Selaques involviert. Was aber hat er nun mit unseren inneren Angelegenheiten hier zu schaffen? Mischt er sich jetzt etwa auch noch ein?"
"Na, was glaubt Ihr, von wem die Mercenarios stammen, die mein und Euer Land verwüsten? Die nichts als Brandschatzen, Plündern und Morden im Sinn haben? Es sind seine Hakenspieße, keine anderen – wenn sie auch nicht von ihm selbst, sondern von dem Hund Hernán von Aranjuez angeführt werden."
Praiosmins Miene wurde zu Eis. "Dass der elendige Sforigan dahintersteckt, wusste ich nicht, aber den Namen des besagten Hernán von Aranjuez höre ich in den letzten Tagen und Wochen viel öfter, als mir lieb ist. Ich will, dass dieser Canaille das Handwerk gelegt wird und dass er aus meinem Land verschwindet, wo er aus eigenem Antrieb und gegen meinen Willen handelt! Ich bin die Herrin von Selaque! Ob er nun für die da Vanyas, Sforigan oder für sich selbst kämpft, ist mir egal! Ich will den Mistkerl in Ketten vor mir sehen, dass er um Vergebung fleht, die ich ihm nicht gewähren werde!"
Der letzte Satz hatte wohl mehr ihrem Burgcapitan als Dom Ordonyo gegolten. Zumindest neigte ersterer das Haupt, dass ihm der Wunsch seiner Herrin Befehl sei.
"Da wir also nicht mit Entsatz durch Sforigans Mietlinge rechnen konnten, sondern diese plötzlich sogar als unsere Antagonistas ansehen mussten, habe ich in Ragath einen noch besseren und vor allem kostengünstigeren Plan ersonnen, wie wir eben diese feindlich gesonnene Söldlingsschar und die da Vanyas gleich mit dazu ein für allemal rasch loswerden können", fuhr Ordonyo di Alina fort, sichtlich nicht ohne Stolz.
"Fahrt fort!", forderte ihn die Reichsvogtin energisch auf und strich sich nachdenklich über ihr Doppelkinn. Auch wenn ihr Vermögen dank des Marmors ohnehin beträchtlich und durch die beschlagnahmten Besitztümer der da Vanyas noch weiter angewachsen war, entsprachen kostengünstige Lösungen doch immer ihrem Naturell. Auch ihr vögtlicher Kämmerer Phexdano der Wucherer, der neben der Tür am anderen Ende des großzügigen Wappensaales stand, horchte mit einem Mal mitten in der leisen Unterhaltung mit einem anderen Hoflakaien auf und spitzte die Ohren, was der Aliner ersonnen hatte.
"Sagt Euch der Name Kanishkar etwas? Auch Kanishkar der Weissager oder Kanishkar der Graue Bär genannt?", fragte Ordonyo nach einer Kunstpause.
Praiosmin zog eine Augenbraue in die Höhe und rümpfte ihre breite Nase: "Ein Wilder, nicht? Abergläubische Narren erzählen, dass er es war, der meinen Onkel Radmon mit einem obskuren Fluchzauber tötete. Aber das ist Unsinn, mein Onkel wurde krank wegen seines ausschweifenden Lebenswandels, der dem Herrn Praios am Ende nicht mehr gefällig war. Die Wilden sind viel zu dumm, als dass sie die elende Hexerei erlernen könnten. Sie können ja nicht einmal lesen!"
Ordonyo schüttelte leicht den Kopf. "Da bin ich aus eigener Erfahrung anderer Ansicht. Jedenfalls erschuf jener Kanishkar eine Trommel, ein ekelhaftes Ding aus Menschenhaut, auf das mit einem durchbohrten Ogerschädel geschlagen wird. Diese Trommel oder Pauke ist zaubermächtig und vermag menschenfressende Oger von überall her aus ihren Verstecken anzulocken. Seit dem Tode Khenubaal Paschas und Kanishkars Verhüllung vor über zwanzig oder dreißig Jahren wurde diese Pauke im Haus des gräflichen Castellans Rondrigo vom Eisenwalde in Ragath aufbewahrt, der – anders als seine Herren, die Grafen – um die Wirkung der Trommel wusste und an sie glaubte."
"Rondrigo vom Eisenwalde?" Praiosmin tauschte einen amüsierten Blick mit Capitan Urbino. "Eure Geschichte ist ja abstrus! Der weilte vor ein paar Tagen hier als mein Gast auf eben dieser Burg!"
"Ich weiß!", nickte Ordonyo unbeirrt. "Und während er sich hier in Selaque herumtrieb, um die verloren gegangene Tochter seines Herrn wiederzufinden, war ich in Ragath in seinem Haus und verschaffte uns die Trommel! Habt Ihr denn nicht in den letzten Tagen und Nächten ihren dumpfen Klang gehört?"
"Doch schon!", nickte Praiosmin und kräuselte die Stirne über so viel unglaubwürdiges Geschwätz. "Das waren eben die ganz normalen Kriegstrommeln der Blutsäufer, mit denen sie uns mürbe machen und einschüchtern wollen. Aber das ist ihnen nicht gelungen! Wie ihr bei Eurer Ankunft bemerkt haben werdet, ist Selaque wieder frei! Wir haben ihrer Belagerung tapfer standgehalten!"
Ordonyo verdrehte die Augen. Tapfer nannte es dieses Weib tatsächlich, sich wie eine Ratte in ihrem Bau zu verkriechen, während draußen ihr Volk abgeschlachtet wurde. Da war er selbst zum Glück aus anderem Holz geschnitzt!
"Auch wenn Ihr meinem Bericht offenbar keinen Glauben schenkt, Euer Hochgeboren, so ist er doch Wort für Wort wahr! Dank der Trommel ist es uns gelungen, Oger – riesige, haushohe Ungetüme – aus dem gesamten Raschtulswall nach Selaque zu locken, die sich an den Vasallen der da Vanyas und an besagtem Landsknechtsheer schön satt fressen, während wir hier gerade sprechen. Alles was wir tun müssen, ist noch ein paar Tage hier im Schutze unserer Mauern auszuharren, dann haben diese Ungeheuer all unsere Feinde bis zum letzten Knäblein aufgefressen. Wenn ihr Hunger dann gestillt ist, ziehen sie von alleine wieder fort oder sie verstreuen sich wieder in alle Winde zurück in ihre ursprünglichen Jagdreviere. Das Beste daran: " – er warf dem vögtlichen Kämmerer einen triumphierenden Blick zu – "Diese unbesiegbare Streitmacht aus Riesen kostet uns keinen roten Heller, und sie macht auch vor den Wilden nicht Halt. Auch diese werden sich geschwind aus Angst vor den Monstren wieder auf ihre hohen Berge zurückziehen!"
Capitan Urbino von Krötensee trat neben Praiosmins Stuhl und raunte seiner Herrin halblaut zu: "In den letzten Tagen häufen sich tatsächlich Berichte unserer Zuträger, dass sie riesige, menschenfressende Ungetüme mit bleicher Haut gesehen haben. Viele sind so verängstigt, dass sie sich gar nicht mehr in die Ebene und ins Vanyadaler Land hinab trauen und hier oben Zuflucht gesucht haben."
Praiosmin vernahm die Worte ihres Capitans mit versteinerter Miene und zunehmend größer werdenden Augen. Schließlich zischte sie Ordonyo feindselig an: "Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ich bin bekanntermaßen eine götterfürchtige Frau, die die Gebote unserer segensreichen Zwölfe – allen voran die unseres Himmelsfürsten Praios! – in allerhöchsten Ehren hält. Praios steh uns bei! Ich vermag kaum zu glauben, was für ein niederträchtiger Kerl Ihr seid, Junker Ordonyo! Sollte es wahr sein? Habt Ihr Unglücksseliger uns tatsächlich Kreaturen der Hölle ins Land gelockt, die unsere unschuldigen Untertanen mit Haut und Haar auffressen, nur um unseren Feinden eine Niederlage beizubringen? Die hätten sie auch gegen mich und die meinigen erhalten! Dafür brauche ich keine Menschenfresser!"
"Ach ja?", ätzte Ordonyo zurück. "Und wie? Hättet Ihr sie ausgehungert, dadurch dass Ihr dick und fett auf Eurem Castillo hockt, während sie draußen die ganze Wildbahn zur Verfügung haben, um sich zu ernähren? Hahaha, da lachen ja Wilden!"
"Das reicht jetzt!", sprang Praiosmin so schnell und wütend aus ihrem Stuhl auf, wie man es ihr kaum zugetraut hätte. "Wachen! Eisen auf den Kerl! In den Kerker mit ihm! Sollte sich diese Trommel finden und Eure Erzählung mit den Menschenfressern als wahr erweisen, so könnt Ihr sicher sein, dass ich Euch dafür der Suprema überstellen werde! Das ist Wegbereitung für niederhöllische Praktiken!"
Ordonyo griff reflexartig an seine Seite nach seinem Säbel – zu spät dämmerte ihm, dass er diesen ja draußen vor der Türe hatte abgeben müssen. Diese widerliche Kebse hatte es von Anfang an vorgehabt, ihn festzunehmen! So knallte er der ersten der drei Wachen, die auf ihn einstürmten, die Faust ins Gesicht, dass diese rückwärts taumelte und benommen zu Boden ging. Die anderen beiden Wachen senkten ihre Hakenspieße gegen ihn, und auch Capitan Urbino zog sein Schwert und deutete mit dessen Spitze auf seine Kehle. "Gebt auf, Junker Ordonyo – oder ich stech' Euch nieder! Ihr habt die Worte der Reichsvogtin vernommen. Ihr steht unter Arrest!"
"Nein! Vater! – Lasst meinen Vater in Frieden, Ihr gemeines Weib!", kreischte nun auch Dulcinea di Alina in Richtung Praiosmins.
"Hinaus mit ihr! Schmeißt sie raus!", befahl Praiosmin von Elenta, deren Gesichtszüge puterrot geworden waren. "Lass dich nie wieder in Selaque sehen, Mädchen, oder ich schwöre dir, es geht dir genauso an den Kragen wie deinem irrsinnigen Vater!"
- Die Geschichte um Domnatella Dulcinea wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ragath, Teil 08.
Autor: SteveT
"Halt! Da hinein mit ihm!"
Urbino von Krötensee, der Burgcapitan von Castillo Albacim, blieb vor einer dicken eisenbeschlagenen Eichentür stehen, die in der Mitte eine Klappe aufwies, die hier vom Gang aus mit einem Riegel zu verschließen war. Er kramte klimpernd in seiner Gewandtasche nach einem dicken Schlüsselbund, der offenbar sämtliche Schlüssel der gesamten Burg umfasste. Die beiden penetrant nach Zwiebeln und Knoblauch stinkenden Kerkerknechte, die Junker Ordonyo di Alina links und rechts gepackt hielten, obwohl seine Arme ohnehin noch mit einer Eisenkette gefesselt waren, als sei er ein gemeiner Marktdieb, blieben auf den Befehl ihres Vorgesetzten ruckartig stehen.
Es dauerte lange, bis Dom Urbino den richtigen Schlüssel gefunden hatte, dann aber stieß er die Tür quietschend auf. "Tretet ein in Euer neues Gemach, Dom Ordonyo! Es ist unsere beste Zelle, die Ihr Euch nur mit einem anderen teilen müsst. Drüben in der anderen hättet Ihr mit einem halben Dutzend Hexen, Ketzern und Dämonenanbetern zusammengesessen. Nachdem, was Ihr der Vogtin gerade berichtet habt, wäre das vielleicht sogar der passende Umgang für einen Kerl wie Euch gewesen – aber ich behandle Euch immerhin noch Eures Standes eingedenk!"
"Das will ich Euch auch geraten haben, mein lieber Urbino, denn ich bin kein Mann, der seinen Feinden irgendwann verzeiht und sie vergisst!", warnte ihn der Aliner in geringschätzigem Tonfall. "Das gilt auch für Euch zwei Orkfressen! Lasst mich los!"
Der Burgcapitan nickte. "Tut was der Junker sagt!"
Statt ihnen fasste er Ordonyo nun selbst sacht am Arm und schob ihn fast behutsam ins Dunkel der Zelle, die nur vom Fackellicht draußen auf dem Gang erhellt wurde.
"Bedenkt besser, dass meine Tochter geradewegs nach Punin reiten wird, um Seine Majestät höchstselbst oder zumindest die Hofkanzlei darüber in Kenntnis zu setzen, welches Unrecht uns hier und heute geschehen ist!", warnte ihn Ordonyo flüsternd. "Die Tage Praiosmins sind gezählt, Dom Urbino! Sie wird auf dem Schafott des Henkers enden! Für Euch aber besteht noch Hoffnung – wenn Ihr mir zur Flucht verhelft, so werde ich vor dem Grafen und Kaiser erwirken, dass Euch nicht nur Euer Leben, sondern sogar Euer Stand erhalten bleibt."
"Wie überaus großzügig von Euch!", entgegnete Urbino von Krötensee ironisch und verdrehte im Dunkeln die Augen. "Ich fürchte aber, dass Ihr weit eher als sie Euer Haupt auf das Schafott werdet legen müssen – und darum stehe ich einstweilen treu zu meiner Vogtin! Hinein jetzt!" Der Stoß, den er dem eigentlich höherstehenden Junker von Alina nun verpasste, war schon härter.
"Das wird Euch noch sehr leid tun!", knurrte Ordonyo und stolperte in die dunkle Karzerzelle. Beim Eintreten wäre er um ein Haar über einen Berg von knochentrockenen Brotlaiben gestolpert, die direkt hinter der Tür lagen. Wütend schoss er die Brote mit einem Stiefeltritt kreuz und quer durch den Raum. "Und lasst Euch gar nicht erst einfallen, mich hier dann auch mit einem Haufen altem Brot abzuspeisen! Ich erwarte für die Dauer meines Aufenthaltes dasselbe zu speisen, was auch an der Tafel der Jungfer aufgetragen wird!"
"Ja, ja", wog ihn der Burgcapitan in Sicherheit und betrachtete stirnrunzelnd die herumliegenden Brotlaibe. "Was ist das für eine Schlamperei, ihr Canaillen? Ich hatte ausdrücklich befohlen: Einen Krug Wasser und einen Kanten Brot pro Gefangener und Tag! Wollt ihr den Kerl darin noch mästen, zur Belohnung dafür, was er ausgefressen hat?"
"Nein nein! Wir schwören beide, er bekam nur ein Brot pro Tag!", verteidigten sich die zwei Kerkerknechte kleinlaut.
Ordonyo feixte, da er jetzt draußen im Licht des Ganges erst die potthässlichen Visagen der zwei erkennen konnte – als ob sie die zwei jüngeren Brüder von Praiosmin wären!
"Was haltet Ihr von der Idee, ihr Schwachköpfe, dass der arme Tropf sein täglich Brot einfach schon seit Tagen nicht mehr gegessen hat?", fragte der Junker höhnisch und deutete mit einem Kopfnicken auf die zusammengekauerte Gestalt, die unter einer groben Wolldecke auf einem Strohlager in der hintersten Ecke des Raumes lag. Angewidert zerstampfte er eine riesengroße Kakerlake, die gerade aus der Richtung des Strohlagers in Richtung des Lichtkegels der Tür krabbelte.
"Wann habt ihr das letzte Mal nach dem Gefangenen gesehen?", schrie Capitan Urbino die beiden an, die trotz ihrer immensen Körpergröße nun scheinbar immer kleiner wurden.
"Gesehen? Hm, gar nicht ... wir werfen ihm immer nur das Brot durch die Luke und das war's!" Die zwei tauschten einen verlegenen Blick.
Kopfschüttelnd ging Urbino auf den Gang hinaus, holte eine der Pechfackeln herein und leuchtete damit die Kerkerzelle mit orangem Licht aus. "Und die Wasserkrüge? Habt ihr ihm die vielleicht auch durch die Luke geschmissen?"
"Das Wasser für den Kerl!", klatschte sich einer der beiden an die Stirn. "Und ich sage noch letzte Woche zu dir: Irgendetwas haben wir vergessen ... und du hast dann gesagt: Was sollen wir hier drunten im Verlies schon vergessen?"
Der Burgcapitan beleuchtete den regungslosen Gefangenen, drehte ihn dann mit einem Stiefeltritt auf den Rücken. Sein Gesicht war bereits bläulich verfärbt, die Nase spitz. Seine glasigen Augen und sein Mund standen weit offen.
"Mausetot!", stellte Urbino von Krötensee mitleidlos fest und warf dann den beiden Knechten einen giftigen Blick zu: "Idiotas! Hornochsen! Jetzt weiß ich, warum Euch die Vogtin verboten hat, jemals den Kerker zu verlassen! Hat man jemals von solchen Trotteln gehört? Los, los, schafft den Mann hier raus! Und dann will ich das Kerkerbuch haben! Wie hieß der Mann?"
"Das kann sogar ich Euch sagen", streute Ordonyo di Alina mit pervalischem Lächeln ein, "denn dafür brauche ich kein Kerkerbuch! Dom Urbino – vor Euch seht Ihr den ehrenwerten Dom Berengar von Schlehen, Bruder des Caballeros Pinhal von Schlehen, den Ehegemahl der verräterischen Rifada da Vanya und zudem ehemals Beamter der Krone als kaiserlicher Straflagerbeaufsichtiger zu Grezzano. Es ist Euch ja wohl klar, dass ich unter diesen Umständen keinen Augenblick länger in dieser Zelle in der Obhut von Euch und diesen beiden Selemiten bleibe ..."
"Es wird Euch aber leider nichts anderes übrigbleiben!", antwortete Dom Urbino gereizt und stieß den Aliner hart rückwärts, sodass er ins faulige Stroh auf seinen Allerwertesten stürzte. "Und ihr zwei Unglücksseligen schafft den Mann hier raus!", brüllte er seine Helfer an. Sobald diese den dicken Leichnam halb tragend, halb schleifend hinaus auf den Gang geschleppt hatten, warf er wuchtig von außen die Zellentür zu, und Ordonyo blieb alleine im Dunkeln zurück.
"Aufmachen! Ihr habt gehört, was ich gesagt habe! Hier bleibe ich nicht!", brüllte er, quälte sich wieder hoch in den Stand und trat wuchtig gegen die Tür. Er presste dann lauschend sein Ohr gegen das kühle Holz der massiven Tür, und es beruhigte ihn zumindest ein klein wenig, als er den Capitan draußen sagen hörte: "Um den Gefangenen hier kümmere ich mich fortan selbst! Sobald es dunkel wird, schafft ihr unauffällig den Toten auf den Boronanger und vergrabt ihn ohne Boronsrad in der hintersten Ecke, dort wo die Verfemten und Gehenkten begraben liegen! Boron sei euch gnädig, wenn die Herrin davon erfährt! Ich glaube, dieser Gefangene war ihr wichtig ..."
"Oje, oje!", murmelte einer der beiden Schwachköpfe, dann wurde es still, sowohl draußen als auch in der Zelle, wo sich Ordonyo di Alina zu Boden gleiten ließ, den Kopf verzweifelt in den noch immer gefesselten Händen wiegend.
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