Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 26: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 12. Juni 2012, 17:43 Uhr
In Kaiserlich Selaque, 4. Rondra 1033 BF
Auf dem Castillo da Vanya
4. Rondra, morgens
Autor: von Scheffelstein
Dulcinea schwang ihre langen Beine über die Bettkannte und quälte sich in die Stiefel. Sie hatte in Kleidern geschlafen, da sie am gestrigen Abend zu müde gewesen war, sie auszuziehen. Die arrogante Domna Yegua hatte ihnen nach einigem Hin und Her doch noch ein Quartier auf ihrer Burg angeboten. Immerhin, denn Dulcinea hätte um nichts auf der Welt in einer der erbärmlichen Hütten im Dorf übernachten wollen.
Das Zimmer, das man ihr zugewiesen hatte, hatte allerdings auch schon bessere Tage gesehen, dachte Dulcinea. An einer der dunkel vertäfelten Wände zeichnete sich ein großes helles Rechteck ab, wo offenbar mal ein Bild gehangen hatte. Der Rahmen war fort, das Gemälde selbst lag auf dem Boden neben der Tür, als hätte es jemand achtlos dort hingeworfen. Die Leinwand war an den Rändern unsauber abgeschnitten, und das Bild warf Falten, die die Körper der gemalten Personen verzerrten. Zwei Kinder, ein Mann und eine Frau waren abgebildet, der Mann in Gelehrtentracht, die Frau in Rüstung.
Dulcinea betrachtete die Frau eine Weile mit gerunzelter Stirn, bis ihr auffiel, was an dem Gemälde seltsam anmutete. Es war die Tatsache, dass die Frau wie eine gestandene Kriegerin aussah und nicht wie eine schlecht verkleidete Jahrmarktdarstellerin. Dabei hatte ihr Großvater immer wieder betont, dass Frauen zu gar nichts in der Lage wären, am Wenigsten dazu, Haus und Hof mit der Waffe zu verteidigen. Entweder, das Bild war falsch, oder Großvater Rigoroso hatte vielleicht doch nicht ganz recht gehabt.
Einen Moment lang brütete Dulcinea über diesem Gedanken, dann bekam sie Durst und wandte sich den halbhohen Schränken an den Wänden zu. Irgendwo musste es doch einen Krug oder gar eine verstaubte Flasche geben! Jeder normale Mensch hatte Schnaps oder Brand in seinem Schlafzimmer, denn wer wollte schon bis in die Küche hinuntergehen, wenn ihn der Durst überkam, erst recht in einer so großen Burg?
Doch beim Durchsuchen der Schränke überkam Dulcinea der Gedanke, dass hier offenbar keine normalen Menschen wohnten, ja, mehr noch, dass diese verdammte Yegua sie in einer unbenutzten Abstellkammer untergebracht hatte. Nichts als Nutzloses Zeug lag in den Regalen: Mädchenkleider, ein paar schwarz angelaufene Schmuckstücke, eine Stoffpuppe, ein Holzpferd, ein paar Stickereien, eine Fiedel – alles angestaubt und offenbar seit vielen Jahren nicht mehr benutzt.
Eine eisenbeschlagene Kiste weckte ihre Neugier, auch wenn sie die Hoffnung, etwas Trink- oder wenigstens Essbares zu finden, bereits aufgegeben hatte. In der Kiste lag allerlei Tand, der noch sinnloser war als der Rest und jede Ordnung vermissen ließ: Eine getrocknete Rosenblüte, von der einige Blätter abfielen, als Dulcinea sie berührte, eine andere Blüte, die offenbar zwischen Steinen getrocknet worden und daher platt war, einige Tierzähne von Bär oder Wolf, eine tote Schlange, eine verrostete Pfeilspitze, verschiedene bunte Vogelfedern an einer Schnur, die kunstvolle Schnitzerei eines Schwans und eine etwas abstraktere von einer Eule, eine Kette aus glatten Steinen an einem Lederband, ein Tierschädel ...
Unwillkürlich musste Dulcinea an die hässliche Trommel denken, die ihr Vater aus Ragath mitgebracht hatte. Ein riesiges, furchtbares Ding aus dunklem Holz, in das an den Seiten echte Menschenschädel eingebaut waren. Der Schlägel war noch abstoßender. bestand er doch aus dem aufgespießten Schädel eines menschenfressenden Ungeheuers.
"Das ist die Schädelpauke des Kanishkar", hatte Ordonyo di Alina stolz verkündet, als er mit ihr auf dem Junkergut Valenca aufgetaucht war.
"Wo sind die Söldner?", hatte Dulcinea gefragt und sich dafür eine Ohrfeige eingehandelt. Söldner waren offenbar rar in Ragath dieser Tage, und eine Audienz beim Grafen hatte Ordonyo nicht erhalten. Stattdessen war er in das Haus irgendeines Ritters eingebrochen und hatte dieses hässliche Instrument gestohlen. Wozu das gut sein sollte, konnte Dulcinea sich nicht ausmalen. Ein paar wackere Söldner erschienen ihr nützlicher als eine Schädelpauke. Aber ihr Vater hatte gesagt, sie werde schon sehen, mithilfe der Pauke würden ihre Feinde schon bald zu Brei geschlagen werden. Dulcinea hatte sich vorgestellt, wie ihr Vater mit dem Schlägel auf gerüstete Caballeros losginge und sich die Frage verkniffen, wie er denn alleine gegen ein Söldnerbanner angehen wolle, denn das hätte nur weitere Ohrfeigen bedeutet.
Es passte ihr gar nicht, wieder in Selaque zu sein, denn es hatte gerade angefangen, ihr in Valenca zu gefallen, wo die Junkerin Aldea de Vargas sie nach allen Regeln der Gastfreundschaft bewirtete und ihr Sohn Ramón sich sogar zu dem einen oder anderen Boltanspiel hatte bewegen lassen, auch wenn er ein hoffnungsloser Spieler war, gegen den sie sogar dann gewann, wenn sie nicht mogelte.
Gerade wollte Dulcinea die Truhe wieder schließen, als ihr ein Stück Büttenpapier ins Auge fiel. 'Für meine geliebte Schwester' stand darauf. Die Schrift war ein wenig kindlich und furchtbar krakelig – so wie sie nur von einem Jungen stammen konnte, dachte Dulcinea.
Für meine geliebte Schwester. Ob Dulcineo Rigoroso ihr ebensolche Worte geschrieben hätte? Ihr Zwillingsbruder hatte nie das Mannesalter, ja nicht einmal das Knabenalter erreicht. Dulcinea nahm das Papier in beide Hände, faltete es zusammen und stopfte es in ihren Geldbeutel. Vor ihrem inneren Auge sah sie den tapferen Dulcineo, der ihr zuzwinkerte. Was er ihr wohl geschenkt hätte? Dulcinea betrachtete das Sammelsurium in der Kiste und entschied sich schließlich für die Kette aus Steinen. Manche schienen einfache Flußkiesel mit einer schönen Zeichnung zu sein, andere waren durchscheinend wie Kristall: blau oder grün oder violett, und zwei waren aus geschliffenem Vulkanglas.
"Für meine geliebte Schwester", sagte sie mit Dulcineos Stimme, schloss die Augen und legte sich die Kette um den Hals. Einige Herzschläge lang spürte sie dem Gewicht der Steine nach und der zarten Berührung der Finger an ihrem Hals – und lächelte. Dann öffnete sie die Augen, schob die Kiste zurück in den Schrank und griff nach ihrem Umhang.
Der Durst war nicht kleiner geworden, der Hunger größer, und sicher wartete ein unerfreulicher Tag auf sie. Höchste Zeit, sich zu stärken, ehe ihr Vater noch auf die Idee käme, vor einem ausgiebigen Frühstück abzureisen.
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