Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ragath 01
Ragath, 17. Praios 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Rittersaal des Castillo Ragath[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Heiß und gülden fächerten sich die sengenden Strahlen des Praiosrunds über die dürstende Senke des Ragatischen Kessels. Die dunklen Regenwolken über dem Bosquirtal, die zur gleichen Zeit den Himmel über den Köpfen der wackeren Magnaten verdunkelten, waren hier, in der ziegelrot leuchtenden Grafenstadt Ragath im Herzen der ragatischen Kernlande nur eine dunkle Ahnung am Horizont. Während sich die fleißigen Handwerker und ihre Kunden drunten in den Gassen der Stadt den Schweiß mit Tüchern von der Stirn wischten, saßen im schattigen, aber dennoch stickig-heißen Rittersaal, am höchsten Punkt des Burgberges von Ragath, Graf Brandil und seine engste Familia mit einigen Räten und Kanzlisten beisammen, um über die Einladungsliste für den kommenden Herbstball hier auf dem Castillo zu debattieren.
"Kommen wir zu Dom Amos Nazir Eglamour von Jurios", las einer der gräflichen Schreiber aus einer vor ihm liegenden Liste vor. "Wie belieben es Euer Hochwohlgeboren ihm gegenüber zu halten?"
Der erschöpft auf dem harten Marmorthron sitzende Graf strich sich durch seinen zweispitzigen Kinnbart. "Hm, schwierig, sehr schwierig - wenn ich ihn einlade, wird er wahrscheinlich trotzdem demonstrativ fernbleiben, um mich zu kompromittieren - aber wenn er doch einmal erscheint, wird er wieder jedem, der es hören mag oder nicht, den ganzen Abend mit seinen Hirngespinsten von einer wiederauferstehenden Landgrafschaft Caldaia in den Ohren liegen. Ich mag diesen Feuerkopf nicht!"
"Auf keinen Fall werden wir ihn einladen!", pflichtete ihm seine Gemahlin Rohalija von Streitzig ä. H. bestimmt bei. "Mag seine Tante zehnmal die Gemahlin meines Bruders sein - dieser hinterlistige Ziegenbaron kommt mir nicht mehr ins Haus!"
Der Schreiber verneigte sich und strich den Namen von der Liste. "Der nächste wäre Dom Talfan von Ragathsquell, Euer Hochwohlgeboren!"
Graf Brandil zuckte mit den Schultern: "Ich muss ihn leider einladen, ich kann es mir nicht leisten, den seltsamen alten Kauz zu vergrätzen!"
"Oh nein, Papa!", beschwerte sich seine schöne Zweitgeborene Rahjada Mera und zog einen Schmollmund, während sie sich mit dem Fächer Kühlung zufächelte. "Der alte Lustmolch wird mir nur wieder den halben Abend hindurch mit seinen öligen Augen ins Rahjasfenster zu schielen versuchen und die ganze Festgesellschaft mit seinen derben Zoten zum Erröten bringen."
"Ersteres kannst du selbst durch tugendhafte Kleidung verhindern und gegen letzteres ist leider kein Kraut gewachsen. Soll ich einem von Ragathsquell den Mund verbieten? Dann habe ich ja gleich die halbe Grafschaft gegen mich! Also einladen! Weiter - wer kommt als nächstes?"
"Euer Hochwohlgeboren! Euer Hochwohlgeboren! Auf ein Wort!", kam im selben Moment der altgediente gräfliche Castellan Rondrigo vom Eisenwalde mit schweißbedecktem Gesicht in den Rittersaal gestürmt, in dessen hinteren Bereich Lakaien noch damit beschäftigt waren, die im Sechseck aufgestellten fünfeinhalb Edlenbänke der erst kürzlich just an diesem Ort zu Ende gegangenen Landständeversammlung abzubauen. Der alte Castellan beugte sich dicht zum Ohr seines Herrn und flüsterte Brandil von Ehrenstein ä. H. einige Sätze ins Ohr, worauf sich dessen Augen ungläubig und schreckerfüllt weiteten. Dann reichte ihm Dom Rondrigo einen kleinen, zusammengerollten Zettel - offenbar eine Nachricht, wie sie gewöhnlich am Fuß einer Brieftaube verschickt wurde.
Graf Brandil las den Zettel einmal, zweimal, dann schlug er die Hand vor's Gesicht um die Tränen zu verstecken, die ihm in die Augen traten. Der Graf war weiß wie die gekalkte Wand hinter dem Marmorthron geworden.
"Was ist mit Euch? So sprecht doch, mein Gemahl!", begehrte Gräfin Rohalija zu wissen, nachdem sie einen bestürzten-rätselnden Blick mit ihren beiden Töchtern Concabella und Rhajada-Mera getauscht hatte.
Da der Graf nach wie vor nur heftig schluckend den Kopf schütteln konnte, antwortete Rondrigo vom Eisenwalde an seines Herrn statt. Er senkte das Haupt tief vor der Gräfin und den beiden Comtessas, um ihnen dabei nicht in die Augen sehen zu müssen: "Soeben erreichte uns per Botentaube die Nachricht aus dem Bosquirtal, dass unserem Hausorden vom wundersamen Rossbanner der heiligen Hadjinsunni von Blutfels von Wilden aufgelauert und....und...und er bis auf den letzten Mann ausgemordet wurde."
"Um Alverans Willen! NEIN! Gütige Zwölfe! Das darf nicht sein!" Die Gräfin hatte ebenfalls die Hände vor's Gesicht geschlagen, aber sie blieb dennoch äußerlich gefasster, als ihr Gemahl. Keine Träne entwich ihren Auge. "Romina Alba? Was ist mit meiner Tochter? Und mein Bruder Gendahar? Was steht dort über ihn?"
Der alte Castellan schüttelte bedauernd den Kopf. "Über Euren tapferen Bruder, meine Gräfin, wird in dieser Nachricht leider kein Wort verloren. Aber unsere geliebte Comtessa soll sich entweder in der Hand der Wilden befinden, was die Verfasserin dieser Nachricht noch in Erfahrung bringen will, oder....", er schluckte mehrmals und fuhr dann mit gebrochener Stimme fort, "...oder ebenfalls bereits tot sein, so wie die wackeren Caballeros des Rossbanner-Ordens."
"Romina, unsere kleine Romina - sie war noch so jung!", heulte die erstgeborene Tochter Concabella, die ihrer jüngsten Schwester sehr nahe stand, hemmunglos, so dass ihr ihre Augenschminke über beide Wangen lief.
"Ach, der passiert schon nichts!", winkte Domnatella Rahjada Mera beschwichtigend ab. "Unser Wildfang kratzt jedem Mann die Augen aus, der sie auch nur anzufassen versucht! Unkraut vergeht nicht! Und Onkel Gendahar ist die schnellste Klinge weit und breit - selbst zehn Wilde könnten nicht gegen ihn bestehen!"
"Halt den Mund, Rahjada!", befahl ihr ihre Mutter streng. "Das ist keine ehrenhafte Djosta und kein Duell! Das ist tödlicher Ernst!"
"Wie....wie steht es um die Vertrauenswürdigkeit dieser Nachricht?", frug der Graf, der sich langsam wieder fasste. "Ich kenne diese Person nicht, die uns diese schlimme Mitteilung sendet. Gehört sie überhaupt zu meinen Vasallen? Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mir hier jemals ihre Aufwartung gemacht hätte."
Der Castellan trat verlegen und unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, so als müsse er seine Worte genau abwägen: "Nun ja, ihr Lehen gehört schon hier zur Grafschaft Ragath...äh, aber als Eure Vasallin würde ich die Frau nicht unbedingt bezeichnen." Er tippte sich an die Stirn. "Das ist eine völlig übergeschnappte Junkerin, deren Castillo irgendwo hinter den Bergen in einem abgeschiedenen Tal mitten im Ferkinaland liegt. Ich hatte das Missvergnügen, sie vor vielen Jahren, noch unter der Herrschaft Eures Amtsvorgängers Julka Tilma, persönlich kennenzulernen. Die Bosquirier führten damals auf eigene Faust eine Strafexpedition gegen die Wilden durch, die von diesen ebenso bis zum letzten Mann ausgemordet wurde, wie nun offenbar unser tapferer Hausorden. Ich führte einige Monde darauf im Auftrag Graf Julka Tilmas einen Waffenzug in die Berge Selaques an, der das Schicksal der vermissten Lehnsleute des Mamorthrones klären sollte.
Im Gebirge stießen wir auf die nämliche Junkerin Rifada als einzige Überlebende - zu Fuß und am ganzen Körper aus grässlichen Wunden blutend, die den Herrn Grafen aber trotzdem sogleich in meiner Gegenwart als 'Hornochsen' und 'Hosenscheißer' verunglimpfte. Sie sparte, das muss ich zugeben, auch uns gegenüber nicht mit den schlimmsten Flüchen und Verwünschungen, weil wir ihr angeblich nicht dabei geholfen hatten, den zu dieser Zeit im ganzen Land gefürchteten Kriegshäuptling Khenubaal Pascha zu töten und das Winterlager der Ferkinas nieder zu brennen, was sie dadurch allein vollbringen musste. Wir hielten das damals für lächerliche Aufschneiderei - aber tatsächlich verriet uns einige Wochen später ein gefangener Ferkinajunge auf der Streckbank, dass der Khenubaal Pascha von einem schrecklichen Mannsweib erschlagen worden sei." Der alte Castellan schüttelte den Kopf, als er sich nochmals an die damaligen Geschehnisse erinnerte. "Kurz gesagt, ich halte es leider durchaus für möglich, das dieses Schreiben der Junkerin an Euch der Wahrheit entspricht, auch wenn es natürlich wenig respektvoll ist und ich hoffe, dass ihre Vermutungen bezüglich des Schicksals unserer geliebten Comtessa unzutreffend sind."
"Gebt mir dieses Schreiben!", befahl Gräfin Rohalija streng und streckte verlangend die zitternde Hand nach dem kleinen Zettel aus, den ihr der Castellan nur zögerlich überreichte. Die Gräfin überflog kopfschüttelnd das Gekritzel. "Was sollen wir diesen letzten Satz verstehen?", zischte sie böse, nachdem sie ihre Lektüre beendet hatte. Sie las laut vor: "Wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte, werden wir bei unserer Suche nach dem heiligen Rossbanner und dem kleinen Praiodor auch in Erfahrung bringen, was mit Eurer Tochter geschehen ist und dieser zur Freiheit verhelfen, sofern dies unseren vorgenannten Zielen nicht zuwider läuft." Ihre Stimme wurde schrill: "Vorgenannte Ziele? Ich vermag es kaum zu glauben! Was ist ein dummes Stück Stoff oder dieser unwichtige Junge wert gegen das Leben unseres Kindes? Sofort befehlt Ihr dieser unverschämten Person, sowie dem mit ihr reitenden Baron und der Landedlen ihre törichte Suche einzustellen und alle Kraft auf die Auffindung und Befreiung der Tochter ihres Herrn und Grafen zu verwenden!"
"Mein Liebes", hob Graf Brandil beschwichtigend die Hand und erhob sich vom Thron, um seine Frau in die Arme zu nehmen. "Das Rossbanner ist eine heilige Reliquie, deren Wert unermesslich ist und der arme Knabe scheint ein Anverwandter der besagten Domnas zu sein, dessen Verlust sie genauso schmerzt, wie uns der Verlust Romina Albas schmerzt. Bestimmt war es nur die Trauer, durch die ihrem Schreiben in unseren Augen der rechte Ton und die rechte Gewichtung fehlt."
Dom Rondrigo, der respektvoll zurückgetreten war und zu Boden schaute, während sich sein Herr und seine Herrin umarmten, hatte an dieser Mutmaßung des Grafen durchaus Zweifel. Domna Rifada wäre der letzte Mensch auf Deren, dem Trauer die Sinne verklären würde - der Brief war ihr ganz normaler Umgangston und sie hielt offenbar von diesem Grafen genauso wenig wie vom vorherigen.
Er räusperte sich, worauf ihn die gesamte gräfliche Familie gespannt anblickte. "Wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet, Euer Hochwohlgeboren - möglicherweise haben es die allmächtigen Zwölfe mit Bedacht so gefügt, dass ausgerechnet diese Personen zu jener Zeit durch das Gebirge streifen, ihnen denen wir um das Leben Eurer Tochter und Eures Schwagers bangen. Domna Richeza, die Enkelin Eures treuen Vasallen Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein, gilt als eine der besten Fechterinnen Ragatiens - ja gar ganz Almadas - und ihr Schneid wird von den Barden landauf landab besungen! War sie es nicht auch, die Vogtin Praiosmin von Elenta aus der Hand der Ferkinas errettete? Oder nehmt den Baron von Dubios, Hernán von Aranjuez, einer der gefürchtesten Condottieri und Landknechtsführer weit und breit! Wenn einer weiß, wie den Wilden selbst in großer Zahl das Fell zu gerben ist, dann doch er. Und von Domna Rifada habe ich ja bereits berichtet. Wer seit vielen Jahrzehnten Kopf an Kopf mit den Ferkinas lebt und sogar von diesen gefürchtet wird, dem ist auch nicht bange, Eure Tochter notfalls sogar aus einem bewachten Ferkinalager herauszuholen. Wir müssen nur beten, dass die Comtessa nach wie vor am Leben ist und zugleich Euren Lehnsvasallen in wohlgesetzten Worten klarmachen, dass es nicht ihre kleinste, sondern ihre erste Pflicht ist, die Tochter ihres Lehnsherrn zu befreien!"
Der Graf nickte. "Ihr habt Recht, meiner guter Dom Rondrigo! Ihr habt wie immer Recht! Schreiber! Spitz die Feder und weg mit diesen Einladungen! Ich werde dir nun Wichtigeres diktieren! Aber nicht gleichsam per Botentaube will ich meine Befehle an die nämlichen Magnaten senden, sondern ein stattlicher Herold im gräflichen Rock mit einer bewaffneten Eskorte soll sie überbringen! Dom Rondrigo! Wollt Ihr als Überbringer meiner Botschaft zum Castillo dieser übergeschnappten Junkerin reiten?"
Der alte Castellan wurde blass. "Zuviel der Ehre, Euer Hochwohlgeboren! Aber ich bin alt - dorthin soll besser ein Jüngerer reiten..."
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