Chronik.Ereignis1033 Feldzug Falado 05
In der Baronie Falado, 9. Travia 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Heerlager des Kaisers an der Straße von Yasamir nach Falado[Quelltext bearbeiten]
9. Travia, am späten Abend[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
Die Farben des Tages waren den Farben der Nacht gewichen. Das violette Heidekraut, das rotgelbe Herbstlaub, die grünen Hügel südlich des hier noch jugendlichen Yaquir-Flusses, das zarte Blau des Himmels waren verschwunden. Golden und schwarz war die Nacht: schwarz die schattenhaften Umrisse des Sumiswaldes nördlich des Yaquirs, schwarz die Ebene zwischen Falado und der Reichsstraße, schwarz das Firmament und golden die Sterne in der mondlosen Dunkelheit, golden aber auch die hundert Lichter des Heerlagers, das sich zu beiden Seiten der Straße von Yasamir nach Falado erstreckte.
Trommeln und Flötenspiel klangen von den Lagerfeuern herüber, und eine helle Frauenstimme sang eine tragende tulamidische Weise. Es roch nach gebratenem Fleisch und Würzbrot, aber auch nach Schweiß und Leder und Asche.
Es war nicht schwer zu erkennen, welches der Zelte dem Kaiser gehörte. Fast doppelt so groß wie die Zelte der Offiziere und Magnaten, geschmückt mit blau-weiß-roten Wimpeln und dem steigenden roten Fuchs des Hauses Gareth vor silberner Scheibe auf schwarz , stand es in der Mitte des Lagers nahe der Straße.
Aureolus stieg ab und klopfte dem Schimmel beruhigend den Hals. Das Pferd schnaubte, als er die Zügel an einem Wachholderbusch festmachte. "Bis bald, meine Gute", sprach er dem Tier zu, dann zog er die silberbestickte Kapuze seines dunklen Umhangs tiefer in sein Gesicht, löste seinen Stab aus der Halterung am Sattel und schritt auf das Lager zu. Niemand beachtete ihn, als er, in einigem Abstand zu den Feuern, ohne Eile und ohne sich um Heimlichkeit zu bemühen zwischen den Zelten hindurch ging.
Vor einem der Zelte wich er einem betrunkenen Söldner aus, der sein Wasser an einem Pfosten abschlug, aus einem anderen drangen die Geräusche rahjagefälliger Lust. Kurz musste Aureolus an Romina von Ehrenstein-Streitzig denken, und er fragte sich, wo sie sich gerade befand und ob sie irgendwo in den Armen eines anderen ähnliche Laute von sich gab. Doch dann verbannte er die Gedanken an die schöne Comtessa aus seinem Geist. Eines Tages würde sie von selbst an ihn denken, wenn er einen Namen hatte, der nicht mehr nur der des Bastards eines Verfehmten war. Und in der heutigen Nacht würde er einen entscheidenden Schritt wagen, um Macht und Einfluss zu gewinnen.
Er lächelte, als er an den Feuern vorbeiging, ein Unbekannter, ein Unbedeutender – noch. In einigen Jahren aber würde man von ihm sprechen, und statt der Zoten, die die Soldaten an den Feuern austauschten, würden sie sich Geschichten erzählen, Geschichten über ihn, die wahr sein mochten oder Legenden, die aber – so oder so – beweisen würden, dass er kein Niemand mehr war.
"Halt!" Die Männer, die vor dem Zelt des Kaisers Wache standen, kreuzten ihre Hellebarden und versperrten ihm den Weg. Zumindest glaubte Aureolus, dass es Männer waren, sicher aber war er sich nicht, denn ihre Gesichter versteckten die beiden hinter silbernen Masken und ihr Haar unter dunklen Kapuzen, schlichter als seine eigene. "Wohin?"
Aureolus lächelte, blickte von einem zum anderen und verbarg ein gehauchtes "bian bha la da'in" hinter einer angedeuteten Verneigung. "Der Kaiser erwartet mich, meine Freunde."
Die Wachen blickten sich an und dann ihn. Ihre Mienen waren hinter den Masken nicht zu erkennen. "Er hat nicht gesagt, dass ...", begann der eine Mann, brach ab und zuckte mit den Schultern.
Aureolus sah noch einmal von einem zum anderen, das breiteste Lächeln auf dem Gesicht. "Würdet ihr mich nun vorbeilassen, meine Freunde?", fragte er und fürchtete doch, der Zauber könne nicht wirken.
Der zweite Mann, der bisher geschwiegen hatte, kratzte sich am Hinterkopf, zuckte dann ebenfalls mit den Schultern. "Sicher doch", sagte er und nahm die Waffe zurück. Die beiden machten einen Schritt zur Seite, und Aureolus schlug die Zeltplane zurück und trat ein.
Das Zelt war noch geräumiger, als es von außen geschienen hatte. Schwere Brokatvorhänge teilten das Innere in mehrere Räume. Die Wände des Zeltes waren mit Seidenbahnen verkleidet, den Boden bedeckten dicke Khom-Teppiche und niedrige Hocker mit bestickten Seidenkissen; Silbergeschirr und Porzellan standen auf Mohagonitischchen, im hinteren Teil des Raumes gab es ein Podest mit fellbedeckten Truhen und eslamidischen Schmucklaternen.
Der Kaiser stand über einen Tisch mit einer Landkarte gebeugt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Kleine Feuerschalen, Karaffen mit Wein und ein silberner Teller mit Streifen blutigen rohen Fleisches standen auf den Ecken der Karte und verhinderten, das sie sich zusammenrollte. Ein rubinbesetztes Schwert aus Schwarzstahl lag offen auf dem Tisch.
Als Aureolus den Raum betrat, drehte der Kaiser sich um. Er trug ein schwarzes Brokatwams, Pluderhosen und glänzende schwarze Reiterstiefel. Statt der Almadinkrone bedeckte ein schmaler Goldreif mit vier Rubinen sein blondes Haupt. Der flackernde Schein des Feuers ließ sein Gesicht bleich erscheinen und betonte die dunklen Ringe unter den Augen des Herrschers. Er war ein paar Jahre älter als Aureolus und ein wenig größer, aber von ebenso schlanker Statur.
Einige Herzschläge lang betrachteten die beiden jungen Männer sich schweigend. Die dunklen Augen des Kaisers bohrten sich in Aureolus' überschattetes Gesicht. Der Zauberer trat einige Schritte in das Zelt hinein und verneigte sich tief. "Eure Kaiserliche Majestät."
"Wie seid Ihr an den Wachen vorbei gekommen?", fragte der Herrscher Almadas. Seine Linke lag nur wenige Handbreit vom Griff der Enduriumklinge entfernt auf dem Tisch, aber seine Haltung drückte weder Furcht noch Anspannung aus.
"Ich habe sie um Einlass gebeten", erwiderte Aureolus lächelnd und neigte leicht den Kopf.
"Wir haben gehört, was Ihr gesagt habt", entgegnete Selindian Hal von Gareth. "Ihr seid ein Magier." Eine Feststellung. "Wer seid Ihr?"
"Ein Freund", antwortete Aureolus, noch immer lächelnd.
Schweigen.
"Der Brief, den Unsere Wachen Uns in der Residencia übergaben, stammt von Euch."
Abermals neigte Aureolus huldvoll den Kopf.
"Für Eure Unverfrorenheit könnten Wir Euch an den Strang bringen."
"Das könntet Ihr wohl", sagte Aureolus. "Eure Majestät."
Das Gesicht des Kaisers war unbewegt. "Nennt Uns einen Grund, warum Wir es nicht tun sollten!" Aureolus lächelte weiterhin. "Eure Kaiserliche Majestät wissen, wann Eurer Majestät die Fähigkeiten eines Menschen dienlich sind."
"Und welche Eurer Fähigkeiten sollten Uns überzeugen, dass Euer Leben Uns etwas wert ist?" Hal Secundus goss sich schweren, dunklen Wein in einen Pokal und trank daraus, ohne Aureolus ohne einen Moment aus den Augen zu verlieren.
Aureolus zeigte sich unbeeindruckt von der Drohung. "Eure Majestät haben bemerkt, wie leicht es einem begabten Menschen ist, sich Zugang zu Eurer Majestät Gemächer zu verschaffen. Der Rat einer arkan bewanderten Person mag Eurer Majestät nützlich ..."
"Wir haben bereits eine fähige Hofmagierin", unterbrach ihn der Kaiser scharf.
Aureolus verneigte sich. "Sehr wohl, Eure Kaiserliche Majestät. Doch besitzt Eurer Majestät Hofzauberin auch Kenntnis von den Ritualen und Zaubern jener Barbaren, die Eure Kaiserliche Majestät ausgezogen sind zu besiegen? Ist Eurer Majestät Hofmagierin der Sprache jener Barbaren mächtig? Weiß sie um die Besonderheiten der Kultur der Bergvölker und ist sie fähig, einen Stamm der Ferkinas von einem anderen zu unterscheiden?"
Der Kaiser sah ihn an, schweigend, mit einem Blick, der bis in die Seele des jungen Zauberers zu dringen schien. Aureolus hatte das ungewohnte Gefühl, selbst durchschaut, analysiert und erkannt zu werden. Er durfte den Kaiser nicht unterschätzen! Der Mann war gefährlich und barg mindestens ebenso viele Geheimnisse wie Aureolus selbst!
Schließlich bedeutete Hal Secundus ihm mit einer knappen, herrischen Geste, sich auf einen der Hocker neben dem Podest zu setzen. Aureolus streifte die Kapuze zurück, weil ihm plötzlich bewusst wurde, dass allzu selbstherrliche Unhöflichkeiten ihm wohl zum Nachteil gereichten, und setzte sich. Der Kaiser blieb stehen, leerte bedächtig den Pokal und stellte ihn auf dem Tisch ab. Mit zwei Fingern bedeutete er Aureolus, zu sprechen.
"Die Bân Gassârah", begann Aureolus langsam, "sind ein größerer Ferkina-Stamm, der seine Lager im zentral-westlichen Raschtulswall hat. Sie sind Nomaden, die als Hirten und Jäger leben. Mit anderen Ferkina-Stämmen der Gegend sind sie verfeindet, wenngleich sich ihnen in jüngerer Zeit mehrere kleinere Stämme angeschlossen zu haben scheinen. Wenn ich das richtig sehe, ist es in den vergangenen Jahren auch immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen mit dem Adel garetischer Grenzprovinzen gekommen. Derzeit werden die Bân Gassârah von einem Nu... Schamanen namens Mharbal iban Azad angeführt. Ich glaube, die Menschen in Caldaia nennen ihn Rostbart aufgrund seiner Haarfarbe."
Fieberhaft überlegte Aureolus, was ihm noch zu den Bân Gassârah einfiel, aber er musste sich eingestehen, dass er über den Stamm fast nur das wusste, was die Bâni Khadr sich erzählten, und das waren sehr vorbelastete Behauptungen, die nicht unbedingt in jeder Hinsicht der Wahrheit entsprechen mussten. Er wusste nichts über die Motivation des anderen Stammes und konnte nur Vermutungen anstellen.
"Eure Kaiserliche Majestät sollten wissen, dass die Ferkinas in sehr patriarchalischen Stammesverbänden leben, in denen das Recht des Stärkeren gilt. Körperliche Kraft, Tollkühnheit und Todesverachtung, ein eiserner Wille, aber auch Führungsstärke sind Eigenschaften, die sie schätzen. Nichts verachten sie mehr als Furcht und Schwäche. Großen Respekt hingegen haben sie vor den Naturgewalten, Geistern und jeglicher Zauberei. Sie glauben, dass sie nach dem Tod ein Leben erwartet, das dem auf Dere entgegengesetzt ist. Je mehr sie Gefahren und Leid meiden, desto mehr würden sie davon nach dem Tod erfahren."
Der Kaiser hörte ihm zu und musterte ihn. Seine unbewegliche Miene aber irritierte Aureolus, den sonst wenig aus der Ruhe zu bringen vermochte. Bemüht, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen, fuhr er fort.
"Das Heer Eurer Kaiserlichen Majestät ist den Bân Gassârah in der Ebene deutlich überlegen, in den Bergen aber wird die Kavallerie nicht weit kommen. Gewöhnliche Pferde finden oft keinen sicheren Tritt auf den steilen Bergpfaden, und die Wege sind eng, die Schluchten tief, die Möglichkeiten für einen Hinterhalt mannigfaltig."
"Was ist mit den Ogern?"
"Die Oger." Aureolus strich sich über das Kinn. Ja, das war die spannende Frage! "Es scheint, als hätten die Bân Gassârah Macht über die Oger, als lenke ihr Schamane die Kreaturen. Es gibt Rituale, die es den Schamanen der Ferkinas erlauben, einzelne Tiere oder vielleicht auch ... nun ja ... intelligentere Wesen zu kontrollieren. Allerdings scheint es den Bân Gassârah in den letzten Wochen durch irgendeinen Zauber möglich, weit mehr Oger als durch diese Rituale zu erklären wäre ..."
"Was für ein Zauber ist das?"
"Ah ... hm ... Genau das beabsichtige ich herauszufinden", erklärte Aureolus.
Die Augen des jungen Herrschers verengten sich unmerklich. "Ihr wollt diesen Zauber also an Euch bringen."
'Verdammt!', dachte Aureolus. 'Der Mann ist weitaus klüger und aufmerksamer, als ich gedacht hätte. Ich muss vorsichtig sein.' Abwehrend hob er die Hände. "Oh nein, Euer Kaiserliche Majestät! Ich habe für einen derartigen Zauber keinerlei Verwendung", log er. "Allerdings", wandte er rasch ein, "interessiert mich durchaus, wie die Bân Gassârah das bewerkstelligen. Aus rein wissenschaftlicher Sicht. Ein solcher Zauber ist sehr mächtig. Vielleicht mag er auch Eurer Kaiserlichen Majestät dienlich sein."
"Könnt Ihr herausfinden, was den Bân Gassârah Macht über die Oger verleiht?"
"Wenn ich Zugang zu ihrem Lager erhielte."
"Wir verstehen." Ein dünnes Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Herrschers. "Ohne den Schutz des Heeres dürfte Euch das kaum gelingen."
"So ist es", sagte Aureolus, dankbar für diese Hilfestellung.
"Wie ist Euer Name?"
"Ramin al'Dahab ay Zul'Djerim", antwortet Aureolus, ohne mit der Wimper zu zucken und neigte das Haupt. "Zu Euren Diensten."
"Zul'Djerim? Transbosquirien?"
"Ja, Euer Kaiserliche Majestät."
Der Kaiser musterte ihn scharf. "Transbosquirien liegt nicht in Almada."
"Sehr wohl, Euer Kaiserliche Majestät. Bedauerlicherweise nicht." Aureolus hielt dem prüfenden Blick des Herrschers stand. "Aber meine Familie stammte von hier. Mein Lehrmeister allerdings lebte zurückgezogen in den Bergen, wo ich beinahe mein gesamtes Leben verbrachte. Nichtsdestotrotz sehne ich mich danach, in die Heimat meiner Vorfahren zurückzukehren. In die Zivilisation." Er lächelte leicht.
Selindian Hal von Gareth wandte sich der Landkarte auf dem Tisch zu, strich sacht über das Pergament. Aureolus wartete. Fast schien es, als habe der Kaiser ihn vergessen. "Ihr werdet Uns als Übersetzer in die Berge begleiten und herausfinden, was den Barbaren Macht über die Oger verleiht." Der Herrscher Almadas studierte noch immer die Karte.
"Sehr wohl, Euer Kaiserliche Majestät."
"Wir erwarten Euch morgen zur ersten Peraine-Stunde in Unserem Zelt. Ihr werdet schweigen, solange Wir Euch keine Frage stellen."
"Wie Euer Kaiserliche Majestät befehlen."
Ein Wink mit der kaiserlichen Hand gab Aureolus zu verstehen, dass er entlassen war. Er stand auf und verneigte sich tief, aber Hal Secundus schenkte ihm keine Beachtung. Nachdenklich verließ Aureolus das Zelt und kehrte zu seinem Pferd zurück. Er war sich keineswegs sicher, ob der Kaiser seiner Geschichte Glauben geschenkt hatte. Er würde sich beweisen müssen! Und vorsichtig sein! Möglicherweise hatte der Kaiser nur vor, sich seiner zu bedienen, solange er ihm nutzte. Nun war es an ihm, sich unersetzlich zu machen.
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