Chronik.Ereignis1032 Die Herren von Pildek 07
Baronie Pildek, Ende Ingerimm 1032 BF[Quelltext bearbeiten]
Im Lager der Cruento-Sippe nahe Carhag-Lo[Quelltext bearbeiten]
Autor: Von Scheffelstein
Die Mhanah[Quelltext bearbeiten]
„Suchst du mich, ja?“
Majuelo! Er musste in der oberen Koje gelegen haben. Der Zahori war kräftiger als er aussah. Brutal zog er Nados Kopf zur Seite. Der junge Mann zog sein Messer, aber der Fuß des Zahori krachte auf seine Hand, ehe er sie heben konnte. Nados Finger knackten, als sie auf den Boden schlugen. Das Messer wurde ihm aus der Hand gedrückt.
„Was ist los, Majuelo?“, kam eine verschlafene Stimme aus der Koje vor Nado.
„Hier ist der Mistkerl!“, rief der Zahori, der Nado noch immer an den Haaren gepackt hielt. „Hast du versucht, mich umzubringen, ja?“
Nado antwortete nicht. Der zweite Zahori war jetzt hellwach, hielt einen Dolch in der Hand und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Jetzt war Eile gefragt! Nado riss sich los, merkte, wie sich ein Büschel Haare von seiner Kopfhaut löste und stöhnte. Blind tastete er mit der schmerzenden Hand nach seinem Messer, schlug aber gleichzeitig mit der linken Faust hinter sich.
Majuelo schrie auf und stolperte gegen das linke Bett. Nado stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und rannte an ihm vorbei.
Ein Bein schob sich aus der unteren Koje, erwischte Nados Unterschenkel, und der junge Mann flog, flog und krachte gegen den Türrahmen, ruderte mit den Armen, ließ das Messer los, um nach der Tür zu greifen, fiel mit der Schulter – nicht schon wieder dieselbe Schulter! – auf die Treppe, überschlug sich und landete auf dem sandigen Boden vor dem Wagen.
„Halt ihn, Nadir!“
Er hatte keine Zeit, sich aufzurichten. Nadir – der Zahori mit dem Dolch – packte ihn am Kragen und drückte sein Gesicht in den Staub. Dann war auch Majuelo heran, trat ihm in die Rippen. Nado stöhnte.
„Mistsau!“
Sein Gesicht wurde tiefer in die Erde gedrückt. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Männer und Frauen kamen aus den anderen Wagen.
„Wer ist das Majuelo?“
„Der war in unserem Wagen. Mit ‘nem Messer. Vielleicht der gleiche Kerl, der heute morgen versucht hat, mich umzubringen.“
Wieder bekam Nado einen Tritt in die Rippen. Er biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien.
„Was machen wir jetzt mit ihm?“
„Machen?“ Noch ein Tritt, dann wurde Nado erneut an den Haaren hochgerissen. „Erst wird er reden, und dann wird er schwei... Ach! Ach? Du bist das? Dich kenne ich doch!“ Die Spitze von Majuelos Messer drückte Nados Kinn nach oben. „Aufstehen, Arschbacke!“
Nado rappelte sich auf, gefangen zwischen Majuelos Klinge und Nadirs Faust in seinen Haaren. Finster starrte er den Zahori an, der nun das Messer über sein Kinn streichen ließ, erst sacht, dann nachdrücklich. Warmes Blut lief Nado über den Hals.
„Hör auf, Majuelo, lass ihn!“ Der massige Mann aus dem Wagen legte dem kleineren Zahori die Hand auf den Arm. „Die Mhanah will ihn sehen.“
Majuelos Blick bohrte sich in Nados Augen, aber der junge Mann wich ihm nicht aus. Die Mhanah. So nannten die Zahori ihre Ältesten, die die Sippe anführten, soweit er wusste. Majuelo hatte hier offenbar nichts zu sagen.
Aber Nado blieb keine Gelegenheit zu triumphieren. Grob wurde er herumgerissen, dann stieß Nadir ihn vorwärts. „Nur keinen Unsinn!“, sagte er und verlieh seinen Worten mit der Dolchspitze Nachdruck. „Da lang!“ Der Zahori wies auf die andere Seite des Platzes. Die Männer und Frauen vor dem Feuer machten ihnen Platz, als sie vorbeigingen. Eine Frau spuckte ihn an. Nado ignorierte sie. In Gedanken suchte er nach einer Fluchtmöglichkeit. Aber fast dreißig Leute standen um ihn herum, und in den Wagen waren noch mehr. Welche Hoffnung durfte er sich machen?
„Cordovan?“ Plötzlich trat eine alte Frau aus der Menge und fasste nach seiner Hand. „Cordovan, seid Ihr das?“
„Geh wieder schlafen, Daya!“, sagte Nadir, drängte Nado aber nicht weiter.
Die Alte sah ihn an, aus kleinen dunklen Augen, dann ließ sie seine Finger los. „Ach!“, murmelte sie. „Zu jung, ja?“ Sie starrte ihn an und wackelte mit dem Kopf. „Bist sein Sohn, ja?“
„Mein Vater ist tot“, sagte Nado und biss sich auf die Zunge. Das war sicher keine gute Antwort gewesen. Vielleicht hätte er auf das Spiel eingehen sollen. Die Alte schien verwirrt. Vielleicht hätte er das nutzen können. Zu spät!
„Tot“, murmelte sie. „Das wusste ich nicht.“
Nado öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Majuelo kam ihm zuvor.
„Lass die Vergangenheit ruhen, Tante. Dein Laurenzio ist tot, und seine Freunde sicher auch. Und mit dem Verrugo hier hatten sie nichts zu tun.“
„Ich hätte schwören können ...“, murmelte die Alte.
„Weiter, los!“ Nadir stieß den jungen Mann auf den mit Schlangen und Eidechsen bemalten Wagen zu. Auf den Wagen mit den bunten Bildern an der Decke ...
„Das ist der Kerl, Mhanah“, sagte jemand zu der Frau, die auf der Treppe des Wagens stand. Nados Augen wanderten von dem Perlenband am Fußgelenk über die Röcke zu der hellen Bluse, die einen großzügigen Einblick zwischen die Brüste der Frau erlaubte. Dann hob er den Kopf und starrte die Zahori an. Mhanah? Das war die Sippenführerin?
Die Frau sah auf ihn herab. Nicht nur die Nase glich einem Falkenschnabel, auch ihr Blick hatte etwas Raubvogelhaftes. „Wer bist du?“
„Er heißt Maldonado“, sagte Majuelo. „Er ist derjenige, der beim Stierkönig ...“
„Dich hab’ ich nicht gefragt.“
„Er wollte mich umbringen! Ist mit ‘nem Messer in unseren Wagen.“
„Lass den Jungen reden, Majuelo!“, sagte die Mhanah scharf. Aber Nado kam noch immer nicht dazu, etwas zu sagen, denn nun trat die alte Daya an die Mhanah heran und nahm ihre Hand.
„Jadira, lass doch den Jungen. Weißt du, wer das ist, mein Kind? Das ist ...“
„Mutter! Geh schlafen!“ Jadira entzog ihr ihre Hand und nickte dem kräftigen Zahori zu, der die brabbelnde Alte behutsam beiseite führte.
„Also? Was hast du hier zu suchen?“
Nado musterte die Zahori. Waren sie und ihre Leute wirklich Mörder? Vielleicht schon. Aber würden sie einen Menschen so grausam hinrichten wie es mit Esperanzada geschehen war? Er griff in den Beutel an seinem Gürtel, holte Majuelos Amulett heraus und umschloss es mit der Faust. Majuelo! Er stand neben ihm, und endlich hatte er Gelegenheit, ihn näher anzusehen. Der Mann hatte viele Narben. Im Gesicht und auf seinem bloßen Oberkörper. Seine drahtigen Arme und die Schultern zierten Prellungen. Aber eine Verletzung am Hals konnte Nado im flackernden Licht des Feuers nicht entdecken.
„Bist du taub?“ Nadir versetzte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. „Die Mhanah hat dich was gefragt.“
Der junge Mann wandte sich wieder der Zahori zu. Dann fasste er sich ein Herz und hob die Faust, die noch immer das Amulett umschlossen hielt. „Ich bin hier“, sagte er mit fester Stimme, „um einen Mörder zu finden.“ Aufgeregtes Gemurmel breitete sich aus und auch manch verärgerter Ruf.
„Du glaubst also, unter meinen Leuten einen Mörder zu finden?“ Die Mhanah kniff die Augen zusammen.
„Phex verflucht, Jadira! Ich bring’ den Kerl um!“, rief Majuelo. „Ich habe niemanden getötet! Wer schickt dich, hä? Der Condottiere? Ich sag’s noch mal: Es war mein Becher! Valdez hat aus Versehen aus meinem Becher ...“
Jadira sah Majuelo nur an, und der Zahori brach ab und fluchte leise. „Geht es dir um Majuelo?“, fragte sie Nado.
„Es geht mir darum, den Mörder zu finden“, erwiderte der junge Mann. „Den Mörder von Esperanzada, der Tochter von Rafik dem Rinderzüchter.“
Wieder wurden Stimmen laut. „Immer sind es die Zahori!“, schimpfte eine Frau. Jadira hieß die Menge mit einer Geste schweigen. „Und wieso suchst du den hier?“ Die Stimme der Mhanah war schneidend.
„Weil der Mörder das hier verloren hat.“ Nado öffnete die Faust und ließ das Amulett an dem Lederband herabhängen. „Man hat es bei der Toten gefunden.“
Jadiras Blick ging zu Majuelo, ganz kurz nur, aber es entging Nado nicht. Andere waren weniger unauffällig. Sie starrten den drahtigen Zahori an.
„Majuelo?“, fragte Jadira, ohne den Blick von Nado zu lassen.
„Ich hab es verloren. Schon vor einer Weile. Ich weiß nicht, wo. Phex verflucht, ich hab’ weder ein Mädchen umgebracht noch Valdez. Aber mich, mich will wer umlegen. Wer schickt dich, du Sau?“ Majuelo legte Nado erneut die Klinge an die Kehle. Nado sah ihn nicht einmal an. Er ließ die Augen der Mhanah nicht los. Auf ihren Wink hin traten zwei Frauen heran und zogen Majuelo von dem jungen Mann fort.
„Majuelo ist nicht der Mörder deiner Freundin“, erklärte Jadira. „Ich habe von ihr gehört. Majuelo ist ein Hitzkopf. Aber kein Schlächter.“ Dann nickte sie den kräftigen Zahori heran, der zurückgekehrt war.
„Jamal, bringt ihn zum Condottiere. Soll der mit dem Burschen machen, was er will. Und nehmt Majuelo mit. Macht dem Condottiere klar, dass Majuelo diesen Valdez nicht vergiftet hat. Hier will uns jemand etwas anhängen.“
Jamal nickte und Nadirs Dolch setzte Nado in Bewegung.
|