Chronik.Ereignis1032 Die Herren von Pildek 06

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Baronie Pildek, Ende Ingerimm 1032 BF[Quelltext bearbeiten]

Im Lager der Cruento-Sippe nahe Carhag-Lo[Quelltext bearbeiten]

Autor: Von Scheffelstein

Die Zahori[Quelltext bearbeiten]

„Und was willst du tun?“, flüsterte Rinaldo.
„Keine Ahnung. Ich gucke mich mal um“, flüsterte Nado zurück.
Sie lagen am Waldrand, zwischen den Büschen versteckt, und blickten hinaus auf die Lichtung. Mehr als ein Dutzend bunt bemalter Wagen stand kreisförmig um einen Lagerplatz angeordnet. In der Mitte brannte ein Feuer. Etliche Männer und Frauen standen dort, diskutierten mit erhobenen Stimmen und unterstrichen ihre Worte mit hitzigen Gesten. Einer von ihnen war der Zahori, gegen den Nado beim Kälberfangen angetreten war.
„Mir galt es“, rief er und klopfte sich mit allen Fingern gegen die Brust. „Mir!“
„Ja, schon gut, Majuelo“, erwiderte eine Frau. „Aber es hat diesen ...“
„Gaftaro. Gaftaro Valdez.“
„Ihn hat es getroffen. Nun reg dich nicht auf.“
„Nicht aufregen?“, rief der Stierreiter-Majuelo. „Du verstehst nicht. Der Condottiere hat mich im Verdacht!“
„Was streitest du dich auch mit den Mercenarios?“, mischte sich ein anderer Mann ein.
„Ich lasse mir nichts gefallen“, erklärte Majuelo finster. „Von den Verrugos am wenigsten.“
„Ich verstehe ohnehin nicht, wieso wir nicht weiterziehen“, sagte eine weitere Frau, die der ersten ähnlich sah. „Wir machen uns viel zu abhängig von den Soldknechten. Als Laurenzio noch die Sippe geführt hat, hätte er sich von den Mistkerlen nichts sagen lassen.“
„Wir brauchen sie“, sagte der Mann, der vorher gesprochen hatte. „Noch nie haben wir so gut gelebt wie im Moment. Keine Adligen, die uns von ‚ihrem‘ Land verscheuchen.“
„Na, wunderbar, Miguel!“, schimpfte die Frau. „Als wenn die Mercenarios besser wären. Ich werde mit der Mhanah reden, wenn sie wiederkommt. Wir geben unsere Freiheit auf, das ist es nicht wert ...“
„Komm!“, flüsterte Nado seinem Freund zu. „Ich will mir die Wagen ansehen. Solange sie streiten, sind sie abgelenkt.“
„Du bist verrückt, Mann! Die werden dich umbringen! Wenn sie die Espe wirklich getötet haben, was meinst du, was sie mit dir machen?“
„Das werden wir sehen“, sagte Nado. Rinaldo fluchte, folgte Nado aber, als dieser im Schatten der Büsche näher an die Wagen heran kroch.
„Was glaubst du, was du finden wirst?“, fragte Rinaldo.
„Beweise?“ Nado zuckte mit den Schultern. Er wusste es selbst nicht. Wenn die Zahori Mörder und Hexer waren, was erwartete ihn dann? Blutige Mordwaffen? Eine Strähne von Esperanzadas kurzem Haar und Hühnerknochen an einer Dämonenpuppe? Gar das Herz des Mädchens in einer Zauberschale? Der Gedanke ließ Nado schaudern. Es war tollkühn, herzukommen. Tollkühn und aussichtslos. Aber irgendetwas musste er tun. Er konnte nicht untätig auf dem Hof herumhocken, in der Gewissheit, dass Esperanzadas Mörder frei – und unerkannt – herumlief. Er wollte ihn stellen. Er wollte Rache!
„Und was wirst du tun, wenn du dir sicher bist, dass er es war?“, wollte Rinaldo wissen. „Wirst du ihn umbringen?“ Er deutete auf Nados Hosenbein. Unter diesem, knapp über dem rechten Knie, hatte Nado sich sein Messer um das Bein gebunden.
Nado fuhr mit der Zunge die Zähne nach. Er war ein guter Ringkämpfer, auch im Faustkampf nicht schlecht, und als sie jünger waren hatten seine Freunde und er mit Stöckern gefochten und sich vorgestellt, dass es Schwerter waren. Im Messerwerfen machte ihm keiner was vor, er traf ein Ziel auf zehn Schritt Entfernung. Aber gegen einen erfahrenen Kämpfer, der Säbel oder Rapier zog, war er verloren, das wusste er.
„Wenn ich Beweise finde, wenn ich wirklich Beweise finde, dann sagen wir den anderen Bescheid. Dann können sie nichts mehr gegen einen Angriff sagen.“ Es gab so einige im Dorf, die sich weigerten, offen gegen die Zahori zu ziehen. Manche hatten Angst vor Hexerei, andere aber hielten die Zahori für Wohltäter, die nur von den reichen Reisenden nahmen, ihnen aber gaben, was sie erbeuteten.
„Ich bleibe hier“, flüsterte Rinaldo. „Einer muss schließlich Wache halten. Wenn wir beide gehen ...“
„Schon klar“, sagte Nado. „Dann ruf wie ein Kauz, wenn wer kommt.“
„Wie immer“, entgegnete Rinaldo.
Geduckt huschte Nado an den ersten Wagen heran. Es war ein Planwagen, der nach vorne hinaus offen war. Der junge Mann warf einen Blick auf die Zahori. Sie stritten immer noch. Gebückt schlich Nado um die Ecke des Wagens, hob langsam den Kopf und spähte hinein. Kisten und Truhen standen im hinteren Teil des Wagens, vorn waren Felle auf dem Boden ausgebreitet. In einem Weidenkorb schlief ein Säugling. Von der Decke und den Wänden des Wagens hingen Vihuelas, Trommeln und eine Harfe. Zu gerne hätte Nado einen Blick in die Truhen geworfen, aber er wagte nicht, den Wagen zu betreten, aus Angst, das Kind zu wecken.
Nado schlich zurück in den Schatten und gab Rinaldo ein Zeichen, dass alles gut sei. Er konnte den Freund nicht sehen, aber er wusste, dass dieser warten und ihn warnen würde.
Langsam näherte sich Nado dem nächsten Wagen, einem Kastenwagen, der mit Schlangen, Eidechsen und tanzenden Menschen bemalt war. Vielleicht würde er hier fündig werden.
Ein Treppchen führte zu einer Tür in der Seite des Wagens hinauf, doch die stand offen. Die Zahori konnte Nado von hier aus nicht sehen. Er lauschte. Er hörte ihre aufgeregten Stimmen. Hoffentlich hörte er auch, wenn sie kamen. Vorsichtig lugte Nado um die Ecke in den Wagen hinein. Eine Laterne hing von der Decke. Ihr Licht spiegelte sich in einer Kristallkugel, die auf einem Dreifuß auf einem runden Tischchen stand. Gegenüber der Tür stand ein Schrank, rechterhand, zur Vorderseite des Wagens hin und durch einen Vorhang abgetrennt, war eine Schlafkoje zu sehen. Sie war leer.
Leise stieg Nado die Stufen hinauf und trat ins Licht. Ein Zauber ging von dem Raum aus, er konnte nicht sagen, weshalb. Fremd wirkte er und doch vertraut. Als sei er schon einmal hier gewesen ... In einem Traum? Nado streckte die Hand nach der Kristallkugel auf dem Tisch aus, ließ seine Finger über ihr schweben, ohne sie zu berühren. Vor dem dunklen Holz des Tisches wirkte die Kugel wie ein Spiegel. Er sah seine Hand und ganz klein sein Gesicht. Matt, konturlos, die Augen konnte er nicht erkennen.
Nado öffnete die Schranktür. Kleider hingen darin: Röcke, Blusen, Untergewänder und ein Umhang. In der anderen Hälfte des Schrankes gab es Regalbretter, die vollgestopft waren mit allerlei Dingen: Kerzen, Essbesteck, eine Flöte, ein Kamm, ein Spiegel, Tiegelchen mit Puder und Lippenrot, eine Schnur, Spielkarten, Schmuck, Fläschchen mit Duftwässern – so rochen sie jedenfalls. Nichts sah nach Hexenwerk aus.
Ein wenig enttäuscht schloss Nado den Schrank und wandte sich der Bettstatt zu. Mit zwei Fingern schob er den Vorhang beiseite. Decken und Seidenkissen lagen in der Schlafkoje, die kniehoch an der Wand angebracht war. Darunter standen zwei Korbtruhen. Nado bückte sich, um eine der Truhen unter dem Bett hervorzuziehen, als sein Blick an die Decke des Wagens fiel. Fasziniert hielt er inne. Ein ungläubiges Grinsen legte sich auf sein Gesicht.
Menschen waren dort abgebildet: Männer und Frauen. Männer, die mit Frauen tanzten. Frauen, in den Armen anderer Frauen. Männer, die es mit Männern trieben. Frauen, die sich von mehreren Männern verwöhnen ließen. Frauen und Männer in den merkwürdigsten Stellungen, von denen Nado bislang nicht zu träumen gewagt hatte. Alle Zeichnungen farbig, detailgetreu, fast greifbar. Dazwischen Bilder von Blumen, springenden Hunden, Pfauen, Schlangen und tanzenden Äffchen. Bilder bunt bemalter Wagen und lustiger Musikanten, die den Liebenden aufspielten. Eine verbotene Welt. Eine verboten schöne Welt.
Er hörte den Ruf des Käuzchens zu spät. Schon knarrten die Stufen, die zum Wagen heraufführten. Mit klopfendem Herzen zwängte sich Nado an den Kisten vorbei unter das Bett. Eine Frau betrat den Raum. Sie war barfuß, trug mehrere Röcke und ein Lederband mit Holzperlen und bunten Steinen um den linken Knöchel. Sie kam direkt auf ihn zu. Nado hielt den Atem an. Die Zahori stand vor dem Bett. Ob sie ihn gehört hatte? Sie legte etwas auf dem Bett ab und dann – ließ sie ihre Röcke fallen. Nados Herz schlug schneller. Er schob ein wenig den Kopf nach vorne, konnte aber nur ihre Beine sehen. Wohlgeformte, sonnenbraune Beine. Nado dachte an die Bilder an der Decke des Wagens und hätte gern mehr gesehen.
Das Bett über ihm knarrte, die Beine verschwanden. Nado atmete aus. Plötzlich stand die Frau wieder auf und zog die Truhe unter dem Bett hervor. - Sie hatte ihn gehört! - Die Zahori wühlte in der Kiste, nahm etwas heraus, das er nicht sehen konnte. Dann schob sie die Truhe zurück. - Nein, doch nicht! - Sie legte sich wieder aufs Bett.
Nado wartete. Ob sie schlief? Sie hatte das Licht nicht gelöscht. Vielleicht ... las sie etwas? Wenn sie lesen konnte. Oder wartete sie auf ihren Liebsten? Die Zeit verstrich, die Stimmen draußen wurden leiser. Er konnte den Atem der Frau nicht hören. Nado wurde unruhig. Er konnte nicht die ganze Nacht hier liegenbleiben. Er beschloss, es zu wagen. Vorsichtig kroch er unter dem Bett hervor. Hielt immer wieder inne, um zu horchen. Nichts. Er berührte den Vorhang. Erstarrte. Keine Reaktion. Er richtete sich auf Hände und Füße auf, hob den Kopf. Da lag sie, die Augen geschlossen. Nackt, bis auf das Band an ihrem Fuß. Ihr Bauch hob und senkte sich. Lautlos stand Nado auf. Betrachtete die Frau. Sie war nicht mehr ganz jung. Hatte kein hübsches Gesicht. Zu kantig, zu spitz, mit einer Falkennase. Aber ihr Körper, so fest, ihre Brüste ...
Plötzlich musste Nado an Esperanzada denken. Ihr Lächeln war in seinem Kopf, die lang bewimperten Augen. ‚Alle Träume sind schön‘, sagte sie. Nado riss sich vom Anblick der Zahori los und trat an die Tür. Er spähte hinaus, dann kletterte er aus dem Wagen, ohne zurückzublicken.
Das Feuer war verwaist, die Zahori in ihren Wagen verschwunden. Nado ging zum Waldrand, wo er Rinaldo zurückgelassen hatte. Der Freund war noch da.
„Götter, was machst du nur? Ich dachte, sie kriegt dich jeden Moment.“
„Ich musste warten, bis sie schläft.“
„Hast du ein Glück, Mann! Komm, lass uns verschwinden!“
Nado schüttelte den Kopf. „Ich muss den Mann finden, diesen Majuelo. Ich will wissen, ob sie ihm das Band vom Hals gerissen hat.“ Er klopfte auf den Beutel, den er am Gürtel trug und in dem er das Amulett des Zahori verwahrte. „Ich will wissen, ob er’s war.“
„Du hast Phex schon genug herausgefordert, Mann!“
„Phex, steh mir bei!“, grinste Nado. „Weißt du, wo dieser Majuelo hin ist?“
„Vergiss, es, Alter! Ich geh’ schlafen.“ Rinaldo gähnte.
„Tu, was du willst. Also, weißt du es?“
Rinaldo furchte die Stirn und schob das Kinn vor. Dann schüttelte er den Kopf. „Scheiße!“ Er wies auf einen Wagen auf der anderen Seite des Platzes. „Da. Da ist er rein. Aber pass bloß auf, er ist nicht alleine. Ich warte da drüben, da seh’ ich besser, falls wer kommt.“
„Danke, Mann!“ Nado legte dem Freund die Hand auf die Schulter.
„Schon gut“, brummte der. „Ich will doch auch wissen, wer sie umgebracht hat.“
Schweigend umrundeten sie den Lagerplatz der Zahori. Die letzten Schritte ging Nado allein. Der Wagen, den der Freund ihm gewiesen hatte, war ein Kastenwagen. Der Einstieg ging diesmal nach hinten raus. Wieder führte ein Treppchen zur Tür hinauf, auch diese stand offen.
Nado spähte von der Seite durch die Öffnung, wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Der Wagen war weniger aufgeräumt als die beiden, die er zuvor gesehen hatte. Kisten und Fässer mit Werkzeug standen herum, an den Wänden hingen Waffen, eine Vihuela und einige bemalte Masken. Von der Decke baumelten Würste und Trockenfleisch, auf dem Fußboden lagen Hemden und Schuhe durcheinander. Gegenüber der Tür hingen zwei Schlafkojen übereinander, an der linken Wand zwei weitere. Alles wirkte eng und ein wenig schmutzig. Bis auf das Licht, das von der Tür hereinfiel, war es dunkel.
Die obere Schlafstatt gegenüber der Tür war leer, in jeder der anderen lag jemand. Wie sollte er im Dämmerlicht etwas erkennen? Aber welche Wahl hatte er? Umkehren wollte er nicht. Licht machen konnte er nicht.
Nado kroch in den Wagen, auf allen Vieren, damit sein Schatten nicht auf die Schlafenden fiel. Behutsam tastete er sich vorwärts, um nicht an Schuhe oder Gürtel zu stoßen, die vor den Betten lagen. In der Koje links unten lag ein Mann. Er hatte sich auf die Seite gerollt und schnarchte leise. Nado konnte sein Gesicht nicht sehen, aber der massige Körper war eindeutig nicht Majuelos. Die Gestalt im anderen Bett kam schon eher infrage. Lautlos schlich der junge Mann hinüber, kniete sich neben den Schlafenden. Der Zahori lag auf dem Rücken, hatte aber einen Arm über sein Gesicht gelegt. War er es? Nado war sich nicht sicher.
Das Schnarchen in seinem Rücken endete abrupt. Nado stockte, sah zu dem anderen Bett zurück und tastete nach seinem Messer. Gegen drei Männer war er verloren, aber er würde sich nicht kampflos abstechen lassen. Der massige Mann wälzte sich auf die andere Seite und grunzte. Dann setzte das Schnarchen wieder ein.
Erleichtert wandte sich Nado wieder dem Mann vor ihm zu. An seinem Hals konnte er nichts erkennen, aber es war so dunkel, so verdammt ...
Eine Hand griff in Nados Haar und riss seinen Kopf zurück. Der junge Mann gab einen erschrockenen Laut von sich.
„Na, suchst du mich?“, fragte eine Stimme an seinem Ohr.

Chronik:1032
Die Herren von Pildek
Teil 06