Archiv:1046 PRA Dom León an Domna Romina
León VI. Cariñoso Djerid Saíd Dhachmani de Vivar y Vivar, Baron im Taubental und Junker von Vivar, grüßt Romina Alba von Ehrenstein-Streitzig, Comtessa von Ehrenstein und Streitzig und Caballera zu Ragath.
Mögen die gütigen ZWÖlfe, die liebfeine Herrin RAHja zuvörderst, Ihren Segen über Euch und Euer Haus ausschütten.
Wenn Euch dieses Brieflein erreicht, so hat Phex es vor neugierigen Augen verhüllt und Aves die Schwingen dieser Taube segnend begleitet. Ich schreibe euch von einem mir selbst unbekannten Ort, verbotenerweise und unter höchster Geheimhaltung. Man hält mich unter höchst nichtigen Vorwänden hier in finsterem Kerker fest. Das Licht des Herrn PRAios ist mir zu einem Fremden geworden und Speis und Trank sind zwar ausreichend, doch eintönig, als stünde man tagein tagaus mit dem Holznapf am TRAvientempel Schlange.
Nichts davon hält mich davon ab, den Versuch zu unternehmen, meine Schulden bei Euch zu begleichen, die ich in Form einer unterlassenen Antwort auf Euer Schreiben zu meiner Vermählung angehäuft habe. Nach neun Jahren hat Euer Brief einiges an Zinsen angehäuft, die ich nicht abzutragen wage, von denen ich jedoch hoffe, dass Ihr sie mir mit diesem bescheidenen Brieflein noch etwas stunden möget.
Ihr wisst so gut wie ich, dass mir die Liebreizende in Ihrer Gnade die Gabe der Gefälligkeit gewährt hat. Oft habe ich gerätselt, aus welcher göttlichen Laune heraus gerade mir diese Gabe zuteilgeworden ist - denn niemals beschenken uns die Alveranier, ohne etwas von uns zu fordern - und eine Antwort darauf gesucht, was die Rosenherrin von mir fordert. Als ich ein Kind war und wie ein Kind dachte, hielt ich es noch für die natürliche Ordnung der Dinge, dass alle um mich herum mich mit einem wohlgesinnten Lächeln bedachten und mir freundliche Worte und Zärtlichkeiten schenkten und so begann ich, zurückzulächeln. Es wurde mir schnell bewusst, dass es vor allem die Frauen, egal ob hohen oder niederen Standes, egal ob aus Haferyaquirien oder Tulamidistan, sind, die von meinem wohlgefälligen Äußeren angezogen werden. Und so war ich für lange Zeit überzeugt, dass es meine fürnehmste Aufgabe, ja mein göttlicher Sendauftrag sei, die von kleinauf empfangene Liebe insbesondere den Frauen zuteilwerden zu lassen, um so die Harmonie RAHjens in diesem von Streit und Zorn zerrütteten Land zu mehren.
Doch in meiner Hybris verkannte ich, dass die Göttin mir nicht nur Schönheit, sondern auch ein Herz gewährt hatte. Das Herz ist wie ein Brunnen der Liebe: es kann bis zu seinem obersten Rand gefüllt werden und muss dann überfließen. Wohin die Liebe fließt, wird aber nicht von uns Sterblichen bestimmt. Vielmehr ist es RAHja selbst, die mit IHREN sanften Fingern in unser Herz greift und die Ströme der Liebe dorthin lenkt, wo es IHR - und IHR allein - gefällt. Dabei schert sich die Göttin nicht um PRAios' strengen Blick auf Recht und Gesetz, um TRAviens mahnende Worte der Zucht und der Sittlichkeit, um PHExens ökonomischen Verstand oder um TSAs Sehnen nach Nachkommenschaft. Schon gar nicht kümmert sie BORons Gleichmäßigkeit, die uns alle am Ende unseres Weges zum gleichen Ziel führt.
Und so hat RAHja auch die Ströme meines Herzens nicht gleichmäßig zu allen Frauen fließen lassen, wie ich es in meiner jugendlichen Unwissenheit gedacht hatte. Vielmehr hat sie in meinem Leben viermal den Strom der Liebe derart anschwellen lassen, dass ich die Herrschaft über meine Gefühle und bald auch über meinen Verstand verloren habe.
Zum ersten Mal floss mein Herz in Punin zu Madalena de Fuente, jener jungen Rose im Garten des alten Felipe di Lacara, in die ich wie närrisch verliebt war, die ich aber nur im Geheimen aufsuchen konnte. Nacht für Nacht kletterte ich zu ihrem Fenster empor und störte mich nicht an den Rosenranken an der Mauer, die mich warnend stachen. Als ihr Gemahl davon erfuhr - und davon, dass ich von seinen geheimbündlerischen Machenschaften als Hüter des Almadin wusste -, riss er diese Rose brutal aus und begann eine Hetzjagd gegen mich, die mich ins Exil zwang. Ihr Bruder Vesijo schwor gar, meine ganze Familia mit Stumpf und Stiel auszurotten, was ihm unter den Mondenkaiserjahren beinahe gelungen wäre. Madalena wurde mir geraubt.
Zum andern Mal floss mein Herz in Vinsalt zu Ariana de Redorán, einer Yaquirtaler Kriegerin mit flammend rotem Haar. Ebenso feurig waren ihr Gemüt, ihre Lust und, gütige RAHja, ihre Eifersucht! Mit ihr stritt ich, dass die Funken flogen. Mit ihr teilte ich Lager, Mahlzeiten und Gedanken auf einer Reise, die uns vom Lieblichen Feld über das weite Meer bis nach Khunchom und in die khômische Wüste führte. Dort, inmitten eines gewaltigen Sandsturms, entführte sie ein Djinn der Winde, mit dem sie getändelt hatte, um mich eifersüchtig zu machen. Eifersucht ist mir fremd. Ich habe sie nie wieder gesehen.
Zum dritten Mal floss mein Herz in Punin zu Madalena Galandi, der Weinkönigin, die mich zu sich in die Gloriole RAHjens zog und in deren Augen und Schoss ich versank wie ein Ertrinkender. Sie errettete mich aus der Verwirrung, indem sie den göttlichen Tharf mit mir teilte, und schmückte sich anschließend mit mir, wie man sich eine Lilie ans Revers steckt oder einen edlen Hengst ausreitet. Ich fraß ihr aus der Hand und trank von all ihren Lippen. Sie war mir, der ich mich in den Angelegenheiten der Liebe erfahren geglaubt hatte, eine kenntnisreiche Lehrerin in den tieferen Geheimnissen des Glaubens - und als sie meinte, mich genug gelehrt zu haben, legte sie mich ab wie einen alten Rock. Ich ließ mich ausbürsten und glaubte mich nun gewappnet.
Doch dann führtet Ihr in Ragath gnaden- und gedankenlos einen Säbelstoß gegen mein Herz und dieses floss zum vierten Mal über. Ich floh zurück ins Taubental, verschanzte mich im Castillo Chellara und ging in Santa Catalina den Pflichten eines Soberans nach. Doch Ihr, die Ihr mich bereits besiegt hattet, verfolgtet mich dorthin und holtet mich unter Einsatz Eures eigenen Lebens vom Strand des Nirgendmeeres zurück, nur um mich dann wieder mir selbst zu überlassen. Wieder in Ragath, wohin ich, Euch im Sinn, gefahren war, schenktet Ihr mir zuerst vor aller Welt und Eurem Verlobten zum Trotz ein Tüchlein und dann eines Nachts verstohlen und heimlich Eure Gunst. Mit der Ankunft der Morgenröte verschwandet Ihr wie der Morgennebel.
Seitdem habe ich mich in die Pflichten eines Soberans ergeben, habe Land und Ehre mit dem Degen in der Hand verteidigt, habe mich an eine Frau aus edlem Hause gekettet, ohne sie zu lieben, habe ihr Kinder geschenkt - die ich sehr wohl liebe - und mich all die Jahre nach Freiheit gesehnt. Ich will nicht verschweigen, dass ich diese heute hier, morgen dort gesucht und für einige Augenblicke auch gefunden habe. Doch all die Jahre habe ich mich gefragt, weshalb ich nicht den Mut gefunden habe, Hochwohlgeboren höflichst zu ersuchen, ob Ihr nicht ein Stück Eures Weges mit mir teilen mögt.
All dies hätte ich Euch schon viel früher und in personam sagen wollen. Doch erst nun, da ich tatsächlich in Ketten liege, traue ich mich mir selbst einzugestehen, wie sehr ich mich nach Eurer Gegenwart sehne. Doch obwohl eiserne Ketten, dicke Mauern und verriegelte Türen meinen Leib hier eingesperrt halten, können sie meinen Geist nicht fesseln. So kann ich wenigstens in Gedanken bei Euch sein.
Stets der Eure
León de Vivar.-auf unbekanntem Wege zu Comtessa Romina von Ehrenstein-Streitzig überkommener Brief des als verschwunden geltenden Barons León Dhachmani de Vivar