Chronik.Ereignis1045 Die einsame Rose von Culming 23

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Junkergut Blumenau, Travia &20000010450000 1045 BF

spät in der Nacht

Autoren: BBB, Eliane

Das Madamal stand hoch über dem Haus und beleuchtete durch die großen Fenster Flure und Räume, sodass es ein Leichtes war, sich zu orientieren und umzusehen. Es war Ruhe eingekehrt ins Junkergut Blumenau. Die Herrschaften waren lang zu Bett gegangen, die Dienerschaft noch nicht wieder aktiv. Außer dem Geräusch seines eigenen Atems und bisweilen dem ruhigen Schnarchen aus einer der Kammern, die er passierte, drang kein Laut an Keshlans Ohren. Die dicken Teppiche schluckten jeden Schritt. Er folgte dem Weg, den er heute am frühen Nachmittag bereits gegangen war, als er selbstlos und überaus hilfsbereit einer jungen und vollkommen überlasteten Dienstmagd angeboten hatte, sie beim Austausch der Blumenarrangements in den herrschaftlichen Gemächern zu unterstützen. Die Einblicke, die er im Gegenzug erhalten hatte, auch wenn die junge Asha peinlich genau darauf geachtet hatte, dass er die Räume nicht betrat, waren unbezahlbar gewesen.

So hatte er auch von der Tür kurz vor dem Ende des Flurs erfahren. Der einzigen Tür, die verschlossen blieb, hinter der es keine Blumen auszutauschen gab, und zu der nur die Junkerin selbst und ihr Vater, Dom Ramon, Schlüssel hatten, wollte man Ashas durchaus ehrlichen Worten glauben. Was dahinter lag, hatte Asha nicht sagen können. Niemand außer den beiden Genannten wisse das so genau, die Dienerschaft sei dort nicht erwünscht. Sie selbst hatte die Tür noch nie geöffnet gesehen, und es hieß, dass sie seit dem Tod der vorherigen Junkerin in der Schlacht auf dem Mythraelsfeld nicht mehr geöffnet worden sei. Aber ob das wirklich stimmte, konnte sie nicht sagen. Sie war ja noch recht neu. Unter den neueren Mitgliedern der Hausdienerschaft war nicht mehr zu erfahren gewesen, als dass es sich um das ehemalige Kinder- und Jugendzimmer Dom Algerios, des heutigen Edlen vom Selkethal handelte. Der eigentliche Grund, warum Keshlan sich dafür interessierte.

Dieser mysteriöse Edle hatte von Anfang an ungewöhnlich viel Interesse für seine Azîla gezeigt. Und irgendetwas getan, um außergewöhnlich schnell und umfassend ihr Interesse an seiner Person und allem, was mit ihm zusammen hing, zu wecken. Seit sie ihn getroffen hatte, verhielt sie sich zunehmend seltsam. Anders als sonst seit ihrer Rückkehr, wenn sie die Domna von Stand spielte. Eine Rolle, die Keshlan einschätzen konnte. Er hatte versucht, mehr über diesen Algerio zu erfahren. Aber es endete immer wieder vor einer Wand, diesem angeblichen Gedächtnisverlust. Der Mann hatte seine Legende unglaublich gut gewoben, auf Details und lose Enden geachtet. Es gab zwar noch einige Ansätze, die er mit großer Geduld verfolgte. Aber Keshlan musste neidlos anerkennen, wie gut dieser Algerio war. Der Vater der hiesigen Junkerin hatte zumindest seine Zweifel an der Herkunft ausgeräumt. Augenscheinlich hatte sich der Edle nicht den Namen eines Toten gekauft. Heute würde Keshlan eine Gelegenheit haben, mehr zu erfahren. Und die würde er zu nutzen wissen.

Nun stand er erneut hier, vor dieser unscheinbaren Tür, im Licht des Madamals. Das Schloss war deutlich sichtbar. Es kostete ihn kaum Mühe, es zu öffnen. Es war nicht dazu gemacht, Einbrecher fernzuhalten – nur neugierige Augen. Mit einem gut hörbaren Klicken fiel der Riegel zurück. Die Klinke ließ sich bewegen. Die Tür öffnete sich nach innen, und sofort gewann Keshlan zwei neue Erkenntnisse: Erstens: die Scharniere der Tür waren seit einer Ewigkeit nicht mehr geölt worden. Die Tür normal zu öffnen würde ein lautes Kreischen nach sich ziehen, potenziell laut genug, um die in den Nebenräumen schlafenden Herrschaften zu wecken oder zumindest in ihrem Schlaf zu stören. Ein Problem, auf das er vorbereitet war, schließlich war er kein Anfänger. Auch wenn er der Legende nicht glaubte, Ashas Worte und sein forschender Blick heute Mittag hatten ihn damit rechnen lassen, dass die Tür klemmen oder quietschen könnte. Zweitens: der Geruch, der Keshlan entgegenschlug. Er bestätigte die Aussage Ashas, dass dieser Raum seit langem nicht mehr betreten worden war. Das kleine bisschen Luft, das durch den schmalen Spalt drang, roch abgestanden, staubig und… alt. Umso interessierter war der Aranier, was er finden würde, welche Geheimnisse hier verborgen lagen. Oder war begraben das bessere Wort? Auf jedes Geräusch in der nächtlichen Stille lauschend, sah er ein letztes Mal den vom Madamal erhellten Gang hinunter. Dabei zog er das Fläschchen hervor, in das er beim Essen unauffällig etwas Olivenöl gefüllt hatte. Schließlich schadete es nie, bei Vorhaben wie dem seinen vorbereitet zu sein. Im Korken steckte der Kiel einer kleinen Elsterfeder. Geschickt tropfte Keshlan etwas Öl auf die Scharniere, wartete einen Moment, dass es sich verteilte. Dann wischte er mit einem Lappen überschüssiges Öl ab. Warum mehr Spuren als nötig hinterlassen. Vorsichtig, mit einem stummen Gebet zu Feqz, öffnete er die Tür weit genug, um hindurchzuschlüpfen, immer bereit inne zu halten, sollte die Angeln quietschen. Doch alles blieb ruhig.


Im Innern angekommen schloss er die Tür, hielt einen Moment inne, um sich zu orientieren. Zu lauschen, ob er allein war. Die muffige Luft legte es nahe. Erst nachdem einige Momente verstrichen waren, er sicher sein konnte, allein zu sein, steckte er das Öl weg und zog aus einer Tasche im Innern seines Gürtel einen wohlgehüteten Schatz. Als er das mit efferdgefälligen Symbolen bestickte, lichtdichte Tuch zurück schlug, erhellte das grünlich-blaue Licht der Gwen Petryl Splitter, verstärkt und gelenkt durch die mit höchster Kunstfertigkeit geschliffene Phiole aus Bergkristall, den Raum in seiner Nähe. Wie er im Laufe des Tages herausgefunden hatte, waren die schweren Vorhänge an den Fenstern zugezogen. Einen Moment hatte er das irritierende Gefühl, an einem Ort zu sein, den Satinav vergessen hatte. Den zugleich die seltsame Aura eines Schreins für geliebte, aber verlorene Menschen umgab. Stumm begann Keshlan zu zählen.

Der Raum war weder sonderlich groß, noch bemerkenswert klein - ähnlich wie die anderen herrschaftlichen Räume, die er zumindest durch die offenen Türen bereits gesehen hatte. Das Zimmer war eher funktional eingerichtet - ein abgedecktes Bett in einer Ecke, daneben ein Nachttisch und ein Kleiderschrank. An der gegenüberliegenden Seite stand ein großer, massiver Sekretär mit einem Stuhl davor. Neben der Tür, in Keshlans Rücken, befand sich zudem eine kleine Garderobe, an der noch eine lederne Reitjacke hing. So, als sei ihr Besitzer gerade erst aufgebrochen und würde jeden Moment zurück sein. Über allem lag eine dicke Schicht Staub. Es war offensichtlich, dass Asha Recht gehabt hatte: dieser Raum wurde kaum betreten, geschweige denn genutzt.

Die einzige Ausnahme war eine große Landkarte, die in einem Rahmen über dem Sekretär an der Wand hing. Eine vage Schneise im Staub führte dorthin, ohne dass Abdrücke von Stiefeln oder Schuhen zu erkennen gewesen wären. Es handelte es sich um eine grobe politische Karte Aventuriens, schlicht und eher grob gezeichnet, mehr zur allgemeinen Orientierung denn zur genauen Planung geeignet. Jemand hatte mit kleinen Nägeln, die durch die Karte in das dahinter liegende Holz getrieben worden waren, verschiedene Stellen markiert. Gut ein Dutzend dieser Nägel befanden sich in almadanischen Landen, in und um Ragath herum, nahe Punin, sowie vorrangig im Culminger Land und nahe des [[[:avwik: Raschdulswall|Rashdulswall]]s. Weitere, wenngleich deutlich vereinzelter, waren in den Tulamidenlanden eingeschlagen, ein paar in Aranien und einer sogar im Bornland. Zudem hatte jemand einen dünnen, im schwachen Licht der kleinen Lampe violett farbenen Wollfaden zwischen einigen, aber nicht allen Nägeln gespannt. Auch dieser hatte bereits Staub angesetzt - wenngleich deutlich weniger als die Oberfläche beispielsweise des Bettes oder des Fußbodens. Auf dem Sekretär lagen, etwas verstreut, einzelne Dokumente - auch sie bereits alt und von Staub bedeckt, aber noch immer gut lesbar.


Keshlan schob die erste Perle seines Armbandes weiter und begann von vorn zu zählen, während er überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Es würde unmöglich sein, keine Spuren zu hinterlassen, nicht ohne einen von Akis Runensteinen oder andere Hilfe. Andererseits - der Raum wurde selten betreten. So der Mungo es wollte, würde es dauern, bis das nächste Mal jemand hereinkam. Und dann musste demjenigen ersteinmal auffallen, dass jemand hier gewesen war. Die Vorhänge waren geschlossen, also würde ein Besucher erst zum Fenster müssen, um sie aufzuziehen. Oder eine Lampe mitbringen, deren begrenzter Schein es schwieriger machen würde, Spuren zu bemerken. Vor allem, wenn man nicht damit rechnete. Und zu aller Letzt: die Junkerin und ihr Vater waren Asha zu Folge die einzigen, die diesen Raum betraten. Nach allem, was er gesehen hatte, stand nicht zu erwarten, dass sie sich viel austauschen. Vielleicht würde jeder der beiden unterstellen, dass der andere den Raum betreten hatte, ohne es anzusprechen.

Mungo steh mir bei, denn ich widme dieses nächtliche Wagnis dem Dienst an Deinen Werten. Daher schärfe meinen Blick, meinen Geist, segne meine Hände. Breite Deinen Mantel der Heimlichkeit über dieses Unterfangen, segne es. Ich gelobe, Dir ein Opfer zu bringen, das der heutigen Nacht angemessen ist.‘ Von außerhalb, aus den Gärten oder Wäldern um das Anwesen, drang leise ein Schrei an sein Ohr, fast wie ein Bellen, doch kratziger und höher. Der Ruf eines Fuchses in der Nacht - ein Zeichen, das Keshlan Mut gab.


Der Aranier schob die nächste Perle zur Seite, begann neu zu zählen. Vorsichtig griff er nach der Reitjacke. Tastete sie aus reiner Gewohnheit ab, ohne wirklich einen Fund zu erwarten. Dann drapierte er sie hinter sich, die Ärmel an seinem Gürtel, dass die Spur im Staub der eines etwas zu langen Rockes ähneln würde. Leise und ruhig bewegte er sich auf die Vorhänge zu, wie jemand, der Licht brauchte. Dann wandte er sich zum Schreibtisch und der Karte, schien diese doch das Ziel vorheriger Besucher gewesen zu sein. Mit etwas Glück nahm er den gleichen Weg wie sonstige Besucher, versuchte er doch, den vagen Spuren im Staub zu folgen.

Er verschob die dritte Perle, begann erneut mit dem Zählen, während er die Karte studierte, sich die Positionen der Nägel einprägte, besonders jener, die durch die Fäden verbunden waren. Gab es ein Muster hinter den Verbindungen? Steckte auch dort, wo das Selkethal liegen musste, ein Nagel? Nein, in der Gegend fand sich kein einziger. Aber alle Fäden befanden sich innerhalb der Grenzen Almadas. Viele gingen von der Gegend der Baronie Culming aus, folgten den Reichsstraßen entlang der Achse zwischen Rahja und Efferd. Wer die Markierungen wohl angebracht hatte? Der Streuner Al‘Sariq selbst? Oder seine Familie? Standen diese Orte im Zusammenhang mit ihm? Er stammte aus dem Culminger Land, die Familie teilweise aus der Gegend um Selaque am Raschtulswall. Er hatte mit Ragath und Punin zu tun, hatte Verbindungen mit Araniern und Handelsverbindungen in tulamidische Gefilde. Auch ins Bornland? Oder war es zu offensichtlich, übersah er etwas?

Nachdem er sicher war, die Karte wiedergeben zu können, begann Keshlan, den Rahmen und die Karte selber, das Holz darunter abzutasten. Sah vorsichtig dahinter, vielleicht war hier etwas verborgen. Doch er wurde enttäuscht.

Die vierte Perle war verschoben, als Keshlan inne hielt, in die Stille des Hauses lauschte. Dann widmete er sich dem Schreibtisch. Überflog die Schriftstücke darauf. Alle waren an die vorherige Junkerin Isiamera gerichtet, drückten Mitgefühl ob des Verschwindens ihres Sohnes aus. Bei vielen schien es sich um Antworten zu handeln. Die meisten waren rasch erledigt, boten nichts weiter. Einige wenige erwähnten ein letztes Treffen mit dem Gesuchten. Es dauerte, bis Keshlan auffiel, dass die Absender dieser Briefe aus den auf der Karte markierten Orten stammten! Die Fäden nur Orte verbanden, an denen man den Gesuchten noch gesehen hatte! Seine Spannung wuchs. Ganz im Entdeckerfieber vergaß er für einen kurzen Moment zu zählen. Als es ihm auffiel, schob er zur Sicherheit zwei Perlen weiter, widmete sich erneut den Briefen, bemüht, sie nicht durcheinander zu bringen.

Doch es fand sich nicht viel mehr. Tröstende Worte, Verweise auf den Dickkopf, die Wehrhaftigkeit des Gesuchten. Einige der hilfreicheren Zeilen waren in recht vertrautem Ton gehalten. Die persönlichsten stammten von der Familia da Selaque. Und… rasch überflog Keshlan einige ausgewählte Briefe erneut. Tatsächlich. Und von der Familia einer Verlobten des Gesuchten. Einer verschwundenen Verlobten. Es schien, als sei der vermisste Sohn auf der Suche nach dieser verschollen. Diese Frau und Familia, er würde sie sich genauer ansehen. Und die Orte, die der Streuner aufgesucht hatte, bevor sich seine Spur verlor. Er würde schon noch hinter das Geheimnis kommen, dass der Al’Sadiq so eifrig versuchte zu verbergen. Und dann würde auch seine Azîla die Wahrheit erkennen.

Keshlan legte die Schriftstücke sorgsam zurück, wie er sie vorgefunden hatte. Dann öffnete er geschickt Schubladen und Türen des Schreibtischs, jederzeit bereit, das Öl zum Einsatz zu bringen. Wieder prägte er sich ein, was er wo vorfand, bevor er den Inhalt durchsah. Zunächst war da nichts Unerwartetes: Schreibutensilien, Kerzen, Siegelwachs, ein Federmesser. Vorsichtig sah er die leeren Seiten durch, fand erst ganz am Ende zwei Seiten: die erste eine begonnene, aber nie beendete Korrespondenz. Ein Brief, unvollendet, gerichtet an einen gewissen Duardo, war datiert auf den Phex &20000010260000 1026 BF. Der Ton war vertraut, die Zeilen verrieten, dass dem Autor die Zeit bei der Truppe fehle. Es musste um Ragath gehen. Doch seine Familie habe Pläne, zunächst wohl eine Heirat. Der Satz endete mitten im Wort, als sei der Schreiber unterbrochen worden. Bei dem zweiten Blatt handelte es sich um Orte, hinter jedem standen Namen, fast alle durchgestrichen. Keshlan prägte sich Zeile für Zeile ein. Einige Orte erkannte er als Gestüte, zu den anderen würde er Nachforschungen anstellen. Die Namen waren teils etwas seltsam, vielleicht Pferde. Auch das würde sich herausfinden lassen, es passte zu einem Kavalleristen.

Als er sicher war, nichts übersehen zu haben, arrangierte Keahlan seine Fundstücke, wie er sie vorgefunden hatte. Ein rascher Blick auf die Perlen des Armbandes, das Horchen in die Tiefen des Hauses bestätigten ihm, dass er noch Zeit hatte.

Sorgfältig tastete er nach verborgenen Druckschaltern, Fächern, doppelten Böden, etwas, das von unten unter Schubladen, Einlege- und Unterböden oder der Tischplatte angebracht war. Auch den Stuhl inspizierte er genau, doch er fand nichts Auffälliges.

Als Keshlan der Meinung war, sich dem Sekretär mit genügend Sorgfalt gewidmet zu haben, hielt er erneut inne, prüfte die Perlen. Ihm blieb noch Zeit, die letzten Tage hatten ihm ein gutes Gefühl dafür vermittelt, wann die hiesige Dienerschaft ihr Tagewerk begann. Er versicherte sich, alles so zurückzulassen, wie er es vorgefunden hatte. An einer Stelle bemerkte er einen Streifen im Staub. Vorsichtig und geduldig blies er sacht über die umliegende Staubschicht, bis die Fläche gleichmäßiger bedeckt war. Wenn sich der Staub in der Luft gelegt hatte, würde nichts mehr auffallen.

Nachdenklich musterte er den restlichen Raum. Wo würde es sich lohnen, sich umzusehen? Wo würde ein junger, auf Freiersfüßen wandelnder Adeliger, Absolvent der Kaiserlichen Lehranstalt für Reiterei und Pferdezucht zu Ragath, Dinge aufbewahren oder verbergen, die ihm wichtig waren? Weder Bett noch Schrank waren sonderlich gute Orte, zu groß das Risiko, dass neugierige Bedienstete durch Zufall etwas fanden. Ein Bild kam in Frage, doch außer der Karte hing nichts an den Wänden. Auch Wandverkleidungen oder verborgene Dienstbotentüren gab es keine.

Nach kurzem Zögern und einer weiteren Perle kehrte Keshlan zum Fenster zurück, wandte sich von dort gen Tür, die übliche Spur hinterlassend. Doch wählte er seinen Weg so, dass er den Nachttisch passierte. Die Position war nicht perfekt, da er nicht zwischen sein Ziel und das Bett treten wollte. Doch es musste reichen. Vorsichtig beleuchtete er den Spalt zwischen Nachttisch und Wand. In halber Höhe hing etwas, ein Stück Papier. Der Staub auf dem Eselsohr ließ keinen Zweifel, dass es seit Jahren dort steckte. Vorsichtig, um keine Spuren zu hinterlassen, angelte Keshlan es hervor. Der Zettel war schwer zu lesen, wirkte wie Notizen zu Manöverübungen. Der Aranier steckte seinen Fund sorgfältig ein, er würde ihn sich später in Ruhe ansehen. Dann begann er seine vorsichtige Untersuchung des restlichen Möbelstücks, ließ auch die Unterseite nicht aus.

Doch wieder fand er enttäuschend wenig: einen kleinen Dolch, nichts besonderes, wenn auch hochwertig. Eine Kette mit einem Symbol Rahjas als Anhänger, nicht übermäßig wert- oder kunstvoll. Eine Öllampe, erneut etwas zum Schreiben. Sorgfältig blätterte er die Seiten durch, prüfte Lampe, Dolch, Anhänger und Schreibzeug. Nichts davon war auffällig, passte nicht in das Zimmer eines jungen Mannes. Eher der Form halber prüfte Keshlan, ob eienr der Bettpfosten hohl sein mochte, doch wie erwartet waren alle massiv, trugen kein Baldachin, das als Versteck für etwas hätte dienen können. Der Boden des Raumes würde im Sitz einer Junkerin keine losen Teile aufweisen, die sich ohne weiteres finden ließen. Also verzichtete er auf die Suche nach losen Teilen.

Unzufrieden musterte Keshlan den Raum. Es gab nichts, das er nicht untersucht hatte. Er würde sich also wohl oder übel anderswo Informationen beschaffen müssen. Vielleicht an Orten, an denen sich der Al’Sariq häufiger aufhielt. Im Selkethal würde er beim nächsten Besuch die vorsichtig begonnen Nachforschungen fortsetzen.


Es blieb noch deutlich über eine halbe Stunde bis die Dienstboten ihr Tagewerk beginnen würden, als Keshlan zurück an die Tür trat. Sorgfältig platzierte er die Jacke, wie er sie gefunden hatte. Er versicherte sich, auch sonst keine vermeidbaren Spuren hinterlassen zu haben. Dann lauschte er zum Flur hin. Sah durch das Schlüsselloch. Nichts. Vorsichtig öffnete er die Tür einen winzigen Spalt. Noch immer nichts. Er schlüpfte auf den Flur, schloss die Tür. Gerade, als er abschließen wollte, hörte er Geräusche. Rasch verbarg er sich hinter einem der die Fenster einrahmenden Schals. Eine schlaftrunkene Magd schlurfte vorbei, begrüßte am Ende des Gangs müde einen anderen Bediensteten. Und zog weiter. Keshlan huschte zur Tür, verriegelte sie.

Dann schlich er höchst alarmiert und aufmerksam zurück in den Gästeflügel. Es dauerte länger als gedacht, musste er mehr als einmal dem langsam erwachenden Leben zu Blumenau ausweichen.

Erleichtert atmete er aus, als er die Tür zu seiner Unterkunft hinter sich zuzog. Er hatte das Wagnis überstanden. Unbemerkt. Er schlug das Zeichen des Mungo, im Begriff, ein ausführliches Dankesgebet zu beginnen.


„Wo warst du?“, klang Fabiolas leise Stimme aus der Dunkelheit. „Wir sind hier zu Gast. Deine Verfehlungen fallen auf mich zurück. Auf meine Familia! Gefährden unter Umständen die Verbindung zwischen Usanza und Tariano!“ Ihre Ungehaltenheit wurde mit jedem Satz deutlicher, während sie sich von Keshlans Bett erhob.

Seine Gedanken rasten, um bloß kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. „Später, Azîla. Denk an die Gerüchte, sollte jemand sehen, wie du im Nachtgewand mein Zimmer verlässt…“ Wütend funkelte sie ihn an. Er wusste, dass sie nachgeben würde. Für jetzt. „Darüber reden wir noch. Sieh nach, ob die Luft rein ist.“ Keshlan tat, wie ihm geheißen. Das Wissen um die Auseinandersetzung, die unausweichlich folgen würde, verursachte ein flaues Gefühl in seinem Magen.