Chronik.Ereignis1043 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1043 BF 26
Edlengut Selkethal, 22. Rahja 1043 BF
Autoren: vivar & Sabine
Auch wenn Nihal schon müde war von der wochenlangen Reise, beobachteten ihre dunkelbrauen Augen die Umgebung aufmerksam. Das Selketal zog sich sanft in Richtung Ambossgebirge aufwärts. Wenn die Temperaturen und die Vegetation nicht so eindeutig südländisch gewesen wären, hätte der Anblick des Gebirges Nihal durchaus an Weiden erinnert.
Entlang des Flusses prägten Wassermühlen und versprengte Gehöfte das Bild. Schließlich aber nahm die Zahl der Häuser zu und unterhalb einer Burgruine kam das Ziel ihrer Reise in Sicht. Das Dorf und das Edlengut Selketal.
Die langen, schmalen Beine der 32 Winter zählenden Aranierin setzten sich in den langen, schmalen Pferdebeinen fort. Nihals langes, schwarzes Haar fiel offen bis zum Sattel herab. Die goldbraune Hautfarbe harmonierte perfekt zu der gleichfarbigen Reitbekleidung. Alles war in Braun- und Beigetönen gehalten. Einzig die Satteldecke sprang mit den Farben des Gutes Natternhag, Grün und Gelb, hervor. In der unteren, hinteren Ecke prangte das Wappen der Familie Blautann, Silber und Blau, darauf ein Tannenkreuz in gekonterten Farben. Die Stute Cassia trottete gleichmütig vor sich hin. Der Hals wippte entspannt, die Ohren spielten.
Cassia war ein ausgesprochen schönes Pferd. In der Stute verbanden sich die Vorteile des robusten Firnponys mit der Größe und Eleganz eines Araniers. Mit etwa 1,60 Schritt Schulterhöhe und etwa 2,20 Schritt Länge, langen, schlanken Beinen, einem glänzenden honigfarbenen Fell und heller langer Mähne war sie wahrhaftig der Stolz der noch kleinen Zucht der Weidener Ritterin Gormla von Blautann. Nihal und Gormla hatten beschlossen, der neuen Kleinpferdrasse den Namen „Urkuzi“ zu geben, benannt nach der Baronie Urkentrutz, in der sie gezogen wurden. Das Gut Natternhag war eine kleine Zucht. Kein Gestüt, sondern einfach ein Rittergut, bewohnt von einem ambitionierten, pferdeliebenden Paar, das Spaß an den schönen, schnellen und robusten Kleinpferden hatte, die aus dieser interessanten Paarung entstanden waren.
Ganz abgesehen von den anderen Tieren, die auf Gut Natternhag ihr Zuhause gefunden hatten. So hatten Gormla und Nihal nach den Kämpfen gegen Helme Haffax einige Tobimora aufgenommen, deren Reiter im Kampf gefallen waren. Doch neben Pferden tummelten sich größere und kleinere Tiere auf dem weitläufigen Gutshofgelände: Schweine, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen und verschiedene Geflügelarten. Mit einem Blick erkannte Nihal das Edlengut und die Koppeln, die extra für die Gäste des Pferderennens angelegt worden waren. Sicher würde es auch einen Platz für ihr Zelt geben.
Da vernahm Nihal Hufgetrappel hinter ihr. Die Aranierin wandte den Blick zurück auf das kleine Wäldchen, das sie gerade gemeinsam mit der sanft mäandernden Selke verlassen hatte. Ein Reiter, der nur wenige hundert Schritt hinter ihr geritten sein musste, trabte zwischen den Bäumen hervor. Er war mit Kürass und Morion gerüstet, seine Gewandung war blau. Über seinem Kopf wehte ein ebenso blaues Banner, auf dem die silberne Schwertlilie der Familia Vivar prangte.
Bald darauf erschienen drei weitere Reiter am Waldesrand. Zur Linken ritt ein kleiner, drahtiger Mann mit markantem Gesicht und scharf gebogener Nase, der aufgrund der Machart seines sandfarbenen Kaftans, seiner Reithosen, seiner Lederstiefel, seines Turbans und seines Krummsäbels unzweifelhaft als Novadi zu erkennen war. Das Silber, das reichlich in seinen einst wohl schwarzen Bart verwoben war und die tiefen Furchen in seinem sonnengegerbten Antlitz wies darauf hin, dass er bereits auf die 60 Götterläufe zuging. Die Person zur Rechten schien das komplette Gegenteil zu sein. Es handelte sich um eine junge Frau mit schlankem Leib und strohblondem Haar, welches ihr glatt und offen über die Schulter fiel und ein ovales Gesicht mit zierlicher Nase und grauen Augen umrahmte. Neben einzige Kleidungsstück der ausnehmend ansehnlichen Dame war der etwa schulterbreite, aus rotem Leinen gewirkte, rot gefärbte und mit weißen Lilien bestickte Überwurf der Catalinenser, welcher an der Hüfte mit einer breiten weißen Schärpe (ebenfalls aus Leinen) zusammengehalten wurde. Inmitten der beiden winkte, aufrecht und respektlos lässig zugleich auf seiner schwarzen Shadifstufe sitzend, der Baron im Taubental voll Huld der Aranierin zu, die es deuchte, Khabla selbst sei ihr erschienen.
Jeder Spann seines männlichen Körpers schien wie von einem göttlich beseelten Künstler gemeißelt. Kraftvoll spannte sich seine Brust unter dem Wams aus cremefarbenen Leder, das wohl eigens für ihn geschnitten worden sein musste, denn auch die breiten Schultern und die kräftigen Arme zeichneten sich vorteilhaft darunter ab. Auch die ledernen Beinlinge, die Stulpenstiefel und die Handschuhe waren von heller Farbe, welche den bronzefarbenen Teint seiner reinen Haut betonte. Selbst der lederne Reitmantel, offen getragen und innen mit blauem Samt gefüttert und mit Lilien bestickt, war außen cremefarben, so dass nur der schwarze Caldabreser mit den beiden Federn (in blau und weiß) einen Kontrapunkt setzte.
So kraftvoll der Leib des Barons war, so fein und edel waren seine Gesichtszüge. Die hohen Wangenknochen und die großen, tiefschwarzen Augen ließen eine entfernte Ahnung von elfischer Schönheit aufkommen. Der säuberlich gestutzte Bart und die vollen Lippen, gemeinsam mit der geraden Doppelreihe strahlend weißer Zähne, der geraden bosparanischen Nase und dem Eslamszopf jedoch rundeten den Gesamteindruck wieder zu einem menschlichen Idealproportionen entsprechenden Bild ab.
Obwohl er mit Degen und Linkhandklinge gerüstet war, strahlte León Said Dhachmani de Vivar y Vivar, der sechste seines Namens, eine Freundlichkeit und Schönheit aus, wie sie eher von einem Geweihten Rahjens denn von einem streitlustigen almadanischen Magnaten zu erwarten gewesen wäre, dem zwei weitere blauberockte Kürisser mit hochgereckten Lanzen und gegürteten Säbeln folgten. Hinter denen wiederum tauchte alsbald rumpelnd ein offener Zweispänner auf, der bis oben hin beladen und mit gewachsten Tuch gegen schlechtes Wetter und neugierige Blicke geschützt war und dem wiederum zwei Kürisser hinterher ritten.
Mit dem cremefarbenen Reitmantel hatte es - was Nihal, die aus Mittnacht und nicht aus Punin kam, freilich nicht wissen konnte - eine besondere Bewandtnis. Dom León hatte ihn sich in jenen düsteren Tagen anfertigen lassen, in denen Schwarz die einzige Modefarbe an der Puniner Residencia gewesen war. Er war darin zuletzt beim Sturmtreffen auf dem Blitzacker im 1036ten Jahre gesehen worden, als er im Gefolge der Marschallin Gerone vom Berg dem Taifado Galeazzo Fortezza mit seinen Aguerridos eine Abreibung verpasst, dabei das edle Stück jedoch unrettbar mit Blut besudelt und es einem Pildeker Fellachen überlassen hatte. Der Mantel, den er nun trug, war dem verlorenen Stück auf kunstvollste Art nachempfunden und ihm wie jenes auf den Leib geschneidert - brandneu aus dem Hause Knabenschuh zu Punin.
Freilich hatte Maestro Ramwald dafür nicht mehr selbst Maßband und Nadel zur Hand genommen - schließlich ging der alte Knabenschuh inzwischen auf die 100 Götterläufe zu und hatte nach des Vivar Meinung die Schwingen Golgaris nur deshalb nicht rauschen gehört, weil er inzwischen schwerhörig war. Nein, das Regiment in der Schneiderei hatte inzwischen seine Enkeltochter Eslamida übernommen. Diese entwarf nicht nur atemberaubende Gewänder für die Domna und den Dom von Stand - sowie für Inhaber einer Geldbörse, die prall genug gefüllt war. Sie war obendrein, wie Dom León zu seiner Freude bemerkt hatte, recht hübsch und geradezu versessen darauf gewesen, ihre Fingerfertigkeit bei der Vermessung aller seiner Gliedmaßen unter Beweis zu stellen.
Zum Leidwesen beider hatte der Alte sie gerade im ungünstigsten Moment unterbrochen. Die Beziehungspflege zu seiner Kundschaft nahm Ramwald Knabenschuh offenbar ernst, auch wenn es Dom Léon lieber gewesen wäre, er hätte diese Aufgabe seiner reizenden Enkeltochter überlassen, welche in der Lage und offenbar auch mehr als willens war, diese zu seiner vollsten Zufriedenheit zu erfüllen.
Der Alte hatte es sich aber nicht nehmen lassen, Seine Hochgeboren in höflicher Unterwürfigkeit nach dem Anlass zu fragen, zu dem der neue Reitmantel getragen werden solle. Das Selkethal hatte dem Alten nichts bedeutet, und die Namen Culming und Selaque hatten ihn zusätzlich verwirrt, so dass Dom León seine liebe Mühe damit gehabt hatte, ihm auseinanderzusetzen, dass es sich um das Taladurer Umland handelte. Die Erwähnung des Puniner Erzfeindes aber musste irgendeine langvergessene Erinnerung in dem vermaledeiten Alten geweckt haben. Dom León musste nun solange unter seinen Fragen nach Datum, Ort und Anlass leiden, bis Eslamida ihren greisen Großvater zur Einnahme seines Nachmittagstees und des regelmäßig nachfolgenden Boronsstündchens überredete und so eine ganze rahjagefällig ungestörte Stunde der vollständigen Vermessung ihres Kunden von Kopf bis Fuß widmen konnte.
Waren es also jene reizvollen Erinnerungen, die den Schönen Baron bei seiner Ankunft im Selkethal und der Aussicht auf weibliche Gesellschaft kaum merklich mit der behandschuhten Linken an das Revers greifen und den Mantel kam merklich zurechtrücken ließen? Waren es seine ihm angeborene Gutherzigkeit und vollendet eingeübte Höflichkeit, die ihn beim Erreichen der Aranierin auf ihrer honigfarbenen Stute das Haupt neigen und mit der Rechten an den Caldabreser tippen ließen? Waren es schließlich seine Menschenkenntnis und sein Schalk, die ein gewinnendes Lächeln auf sein Gesicht zauberten und ihn mit volltönender Stimme im khômischen Dialekt des Tulamidya zu Nihal sprechen ließen?
„Sei gegrüßt, o Herrin der schlanken Fesseln! Wir mussten uns bereits für verirrt und verloren betrachten, als wir diesem Flüsschen da folgten und folgten und dennoch Stund und Stund kein Edlengut auftauchte. Dein Anblick aber und der deiner herrlichen Honigstute lassen mich hoffen, dass wir wieder auf den rechten Pfad zurückgefunden haben. ‚Wo diese Frau hinreitet‘, so sprach ich zu meinem braven Sadiq“ - er wies auf den Novadi zu seiner Linken - „‚und zu Ihrer Gnaden’“ - er neigte das Haupt zu der Rahjageweihten - „‚dort wird Rahja in Ehren gehalten, denn Anmut an Ross und Reiterin ist der Rosenherrin ein Wohlgefallen.‘ Nun sag mir, ich bitte dich, o goldschwarz Glänzende: Ich habe mich doch nicht getäuscht? Ist diese Ansammlung bescheidener Katen das Selkethal?“
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