Chronik.Ereignis1041 Das Kaiserturnier 02
Reichsstadt Gareth, 1. Praios 1041 BF
Die Alte Residenz, Abends
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Ihre Hochwohlgeboren, Comtessa Rahjada von Ehrenstein-Streitzig, Landedle zu Valpoglück und zu San Therbun, mit Ihrem Gemahl, Seiner Hochgeboren Hernán von Aranjuez, Baron von Dubios und Junker von Aranjuez!“
Ernsthaft? Wenn Blicke töten könnten, wäre der Ausrufer jetzt fällig gewesen. Gewisslich bot es Stoff für eine ausschweifende Disputation in Fragen der Etikette, ob nun die noch edlere Familienabkunft und Geburt als Grafentochter eine Nennung vor einem amtierenden Baron rechtfertigte, doch hätte man es ohne vorherige hesindegefällige Erörterung wohl eher umgekehrt gehalten. Zweifellos hatte irgendeiner der alten neuadeligen Speichellecker Seiner Allergöttlichsten Magnifizenz, die sich noch immer um den Greifenthron herumdrückten und dem Reich und ganz besonders Almada das Blut aussaugten, diese Zurücksetzung unter allergrößtem Vergnügen auf seinem Lokus ersonnen.
Sei’s drum, das Kaiserturnier hatte gerade erst begonnen, und irgendeine Gelegenheit würde sich schon finden, es diesem Parvenu heim zu zahlen. Außerdem verspürte der Baron und Junker den sanften Zug an seinem rechten Arm, mit dem seine Gemahlin ihm bedeutete vor die Kaiserin zu treten. So vernahmen die Umstehenden nur einen leichten Bruch im ansonsten gleichmäßigen Takt der bei jedem Schritt klingelnden Silbersporen an den Stiefeln des Condottieres.
Ohnehin war nun der Augenblick der Wahrheit, denn während die Grafentochter an seiner Seite vor Rohaja von Gareth einen vollendeten Knicks vollführte, brachte Hernán von Aranjuez nur einen reichlich lieblosen Kratzfuß zustande. Und – darüber war in entsprechenden Kreisen in Almada in der Vergangenheit viel spekuliert worden – setzte sich hernach prompt den ausladenden Caldabreser mit der wippenden Reiherfeder wieder aufs schwarzgelockte Haupt!
Denn während man am Kaiserhof dieser Frage wenig Bedeutung bemessen mochte, wäre es zu Zeiten des Mondenkaisers in Punin völlig undenkbar gewesen, dass ein Untertan vor seinen Kaiser nicht unbedeckten Hauptes trat. Es sei denn, es wurde einem explizit dieses Privileg verliehen. Wie eben dem Baron von Dubios ob seiner Verdienste im Kampf wider Oger und Ferkina, und der dieses Privileg seither, Sturz Selindian Hals hin und her, gegenüber noch jedem Höhergestellten exerziert hatte.
Nur ob er es auch vor der Kaiserin wagen würde, darauf lief im Fürstentum so manche Wette. Am ersten Tage des Jahres 1041 nach dem Fall des hunderttürmigen Bosparans war diese Frage nun endgültig entschieden. Ob Rohaja von Gareth davon freilich überhaupt Notiz nahm, stand auf einem anderen Blatt. Mit unergründlichem Blick sah sie die Grafentochter an: „Unsere Empfehlung an Euren Hohen Vater, Comtessa. Die Streiterinnen und Streiter Ragaths haben Uns in Tobrien wacker gedient.“
Natürlich. Insbesondere für die Erste Welle hatte es hernach Almadas Reben und Kaiser-Rauls-Schwerter in allen Legierungen geregnet. Dazwischen hatten gar ein oder zwei Greifensterne geblitzt. Nur derjenige, der die Erste Welle über die Tobimora und gegen Burg Talbruck geführt hatte, schien auf wundersame Weise vergessen worden zu sein. Nicht, dass sich Hernán von Aranjuez etwas aus derlei Tand machte. So konsequent und von Zeit zu Zeit gar provokant, wie er sein Caldabreserprivileg zelebrierte, bedeuteten ihm, der seiner Meinung nach viel zu lange hinter irgendwelchen dahergelaufenen Rescendientes hatte zurückstehen müssen, solche Zeremonie offensichtlich deutlich mehr. Denn was war die Rebe Almadas noch wert, wenn jeder elfisch-mohisch-novadische Emporkömmling sie am Revers trug?
Seine Gemahlin freilich blickte für einen Augenblick nur wenig verdrießlicher drein. Wahrscheinlich wäre es ihr lieber gewesen, von der Kaiserin ein Lob für ihr Kleid zu bekommen, denn für die Waffentaten der Gefolgsleute ihres hochwohlgeborenen Vaters. Immerhin hatte sie keine Kosten und zumindest ihre Bediensteten auch keine Mühen für diesen besonderen Anlass gescheut. Denn während ihre blonde Schwester Romina sich mit ihrem in Ehrenstein’schem grün-goldenem Kleid sowohl auch in Sachen Schnitt eher an der tobrischen Heimat ihres Vaters orientiert hatte, hatte sich die dunkelhaarige Rahjada mit Nachtblau und Silber eher an die Farben ihrer Streitzig’schen Mutter und beim ungleich weniger züchtigen Schnitt an deren almadanische Heimat gehalten.
Im Gegensatz zu ihrem Gatten allerdings gelang es ihr die Enttäuschung augenblicklich zu überspielen und ein Lächeln in die schönen Züge zu zaubern. „Habt Dank, Eure Kaiserliche Majestät. Gewisslich werden Eure freundlichen Worte das Herz meines Hohen Vaters erfreuen“, schnurrte sie, und zog schon sanft am Arm ihres Gemahls, um die ja doch recht glimpflich verlaufende Episode rasch zu beenden.
Doch da fiel der Blick Rohaja von Gareths doch noch einmal auf den Baron und Junker: „Auch Euren Namen hat Unser treuer Fürst Gwain lobend erwähnt, Hernán von Aranjuez.“ Miles quem dux laudat Almadanus est. Der Soldat, den der Feldherr lobt, ist Almadaner. Es sprach für den alten Haudegen, dass er seinen Vertrauten und ehemaligen Adjutanten nicht unerwähnt gelassen hatte, obwohl der Klang dessen Namens nicht in jedem Loyalistenohr den allerbesten Klang hatte.
Instinktiv nahm der solchermaßen Angesprochene jene Haltung ein, wie sie Generationen von zumeist renitenten Aranjuezern einzunehmen pflegten, wenn sie vor ihre zumeist ungeliebten Herren zu treten hatten: das Standbein leicht zurückgezogen, die linke Hand auf Höhe des Bauchnabels auf der Rechten, den Körper durchgestreckt bis ins leichte Hohlkreuz, sodass das Kinn in die Höhe gereckt schien, ohne dass dazu der Kopf in den Nacken gelegt werden musste. Geier sind sie allesamt - doch niemals Vasallen! Zumindest hatte das der Kaiserin Urgroßvater dereinst über seine almadanischen Untertanen gesagt.
„Viele haben sich in jenen Tagen bewährt, Eure Kaiserliche Majestät“, entgegnete er unbestimmt.
„In der Tat“, nickte Rohaja von Gareth.
Damit war die Begrüßung beendet, und die Stimme des Ausrufers ließ die nächsten Gäste vor die Kaiserin treten. Doch wirkten die wenigen Worte bei Hernán von Aranjuez noch lange Zeit nach. Wollte die Kaiserin ihm, dem seinerzeit nur die Fürsprache seines fürstlichen Freundes Amt und Würden rettete, eine goldene Brücke zurück bauen? Und wenn ja, wollte er überhaupt darüber gehen? So sah man ihn an diesem Abend lange gedankenverloren seinen Blick auf den in den Händen gedrehten Weinkelch gesenkt.
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