Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 08
Im Raschtulswall, 25. und 26. Praios 1033 BF
Am Fuße des Djer Kalkarif im Raschtulswall
25. Praios
Autor: von Scheffelstein
Richeza lag bäuchlings zwischen zwei dornigen Sträuchern und blickte auf die Zelte hinab, die über das Plateau verstreut lagen wie Kieselsteine in einem ausgetrockneten Bachbett. Hundert oder mehr Zelte mussten es sein. Selbst in den angrenzenden Schluchten konnte die Edle Jurten entdecken, und wo immer ein paar Büschel Gras aus dem Boden ragten, waren Bergpferde oder Esel angebunden oder liefen Ziegen und Schafe umher und stritten mit mahlenden Kiefern um das karge Mahl. Hier also hatten die verfluchten Ferkinas ihr Lager aufgeschlagen! Richeza dankte dem Schicksal, dass sie ihnen nicht in die Hände gefallen war.
Mehr als eine Stunde, schätzte sie, hatte sie in ihrem Versteck ausgeharrt, ehe sie gewagt hatte, herauszukriechen und sich von den Handfesseln zu befreien. Der Strick hatte inzwischen so tief in ihr Fleisch geschnitten, dass ihre Finger ganz blau gewesen waren und ihre Gelenke wund und blutig. Schlimmer aber war, dass die Ferkinas ihre Ausrüstung mitgenommen hatten. Sie hatte nichts: keine Rüstung, keinen Umhang, keine Decke, und selbst ihre Waffe hatte sie auf dem Djer Kalkarif verloren. Am schmerzlichsten aber war, dass sie weder eine Feldflasche, noch etwas zu Essen hatte. Ihr knurrender Magen erinnerte sie zunehmend, dass sie, bis auf das aufgeweichte Brot am Morgen, an diesem Tag noch nichts gegessen hatte.
Seit einem guten Wasserlauf beobachtete Richeza das Lager der Ferkinas und wägte ab, ob sie es wagen konnte – oder musste? – hinab zu schleichen, um nach ihrer Ausrüstung zu suchen oder wenigstens etwas Essbares und ein Fell oder eine Decke zu stehlen. Viele Krieger entdeckte sie nicht auf den ersten Blick. Aber jede Frau, jedes Kind und jeder Greis konnten ihr ebenso gefährlich werden. Es reichte, dass auch nur ein Ferkina sie entdeckte – dann hätte sie keine Hoffnung mehr, zu entkommen. Andererseits: Wenn sie ohne Umhang und ohne Nahrung und ohne Waffe hinaus ins Gebirge liefe – wie groß wäre ihre Hoffnung, auch nur die Nacht zu überleben?
Die Edle kaute an ihre Unterlippe. Es war zum Verzweifeln! Was hatte sie nur geritten, allein auf den verdammten Berg zu klettern? Sie blickte hinüber zum Djer Kalkarif. Vielleicht konnte sie zurückkehren zu der Höhle, in der die anderen übernachtet hatten. Vielleicht hatten sie ja doch auf sie gewartet? Im selben Moment verfluchte Richeza sich für diesen Gedanken. Praiodor! Sie hatten versprochen, Praiodor zu suchen! Wie konnte sie sich nur wünschen, sie würden auf sie warten? Was auch immer sie tat: Die Hoffnung, lebend aus dem Gebirge zurückzukehren, war gering, die Hoffnung, den Ferkinas zu entkommen beinahe noch geringer, falls der Elentaner sie gegen sie aufhetzen sollte. Die Hoffnung, Praiodor und seine Mutter zu finden aber – zumal lebend –, schwanden von Stunde zu Stunde.
Richeza schob sich den Fingernagel in den Mund und fuhr sich über die Zähne. Was konnte sie tun? Sich auf die Suche nach den anderen begeben? Aber wenn die nicht mehr in der Höhle waren, so blieb ihr nichts, als der Rückweg nach Grezzano, in der Hoffnung, die Siedlung zu erreichen, bevor sie verhungerte oder von Berglöwen gefressen wurde oder entkräftet in eine Spalte stürzte. Noch aussichtsloser war es, sich allein auf die Suche nach Praiodor und seiner Mutter zu machen. Der Raschtulswall war zu groß. Ohne Ausrüstung wäre sie verloren. Und was, wenn die Ferkinas Domna Fenia und Praiodor gefangen hatten? Sollte sie zuerst im Lager der Wilden nachsehen? Vielleicht war dort auch das Grafentöchterlein und wusste mehr? Wie aber sollte Richeza das Zelt finden, in dem die Barbaren ihre Gefangenen unterbrachten? Unmöglich, hundert Zelte zu durchsuchen, ohne entdeckt zu werden!
Richeza schnippte eine Spinne fort, die über ihre Hand lief. Und wenn sie versuchte ... die Ferkinas ... für sich zu nutzen? Vielleicht ... konnten die Praiodor und Fenia für sie finden. Vielleicht ... Doch das würde bedeuten ...
Richeza schloss die Augen. Wie sie es drehte und wendete, es lief stets auf dieselbe unerfreuliche Wahl hinaus: Entweder, sie opferte sich. Oder Praiodor. Und höchstwahrscheinlich würden sie beide sterben – falls ihr Vetter und seine Mutter überhaupt noch lebten. Doch wenn sie nicht alles versuchte, was in ihrer Macht stand, war alles umsonst gewesen: Das Opfer ihrer Tante, die gefallenen Söldner des Aranjuezers, die Gefahr, in die sie Moritatio und den Yaquirtaler gebracht hatte, alle Mühen der letzten Jahre, als sie nach einem Heilmittel für Praiodor gesucht hatte.
Ein Sieg wird im Kopf entschieden, pflegte ihr Großvater zu sagen. Wenn sie versagte, würde sie sterben. So oder so. Aber wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, wenigstens das Leben ihres Vetters zu bewahren, so wollte sie sie nutzen. Richeza schluckte. Dann zog sie sich von der Klippe zurück und richtete sich auf. Sie hatte ihre Wahl getroffen.
Autor: von Scheffelstein
Richeza starrte in die Dunkelheit. Der Himmel hatte sich erneut zugezogen, Madamal und Sterne waren nicht zu sehen. Wie finster es hier war, so anders als in Punin, wo selbst nachts der Himmel von den Laternen und Wachfeuern widerschien und anders auch, als in Kornhammer, wo wenigstens die Fackeln am Burgtor und die Nachtkerzen am Traviatempel die Finsternis erhellten.
Die Edle wagte nicht, ein Feuer zu machen. Zu viele Ferkinas trieben sich in der Gegend herum. Ob der Bastard sie bereits gegen sie aufgehetzt hatte und sie nach ihr suchten? Richeza zog sich die muffige Decke fester um den Leib und kauerte sich gegen die harte Wand der Spalte, in der sie sich versteckt hielt.
Sie war ein großes Wagnis eingegangen, als sie in eines der abseits stehenden Zelte des Lagers eingedrungen war, in der Hoffnung, sich nicht darin zu täuschen, es leer vorzufinden. Es war leer gewesen. Gierig hatte sie eine Kalebasse mit Beerenwein geleert, der ihr rasch zu Kopf gestiegen war, hatte einen der Schinken losgeschnitten, die an Querstreben vom Dach der Jurte hingen, sich eine Decke geschnappt und eine steinerne Axt, die ihr schwer und unhandlich schien und ihr im Kampf kaum nützen würde. Dann war sie wieder aus dem Zelt gehuscht, vorbei an verräterisch blökenden Schafen, und hatte sich, so schnell sie konnte, vom Lager entfernt.
Wie sollte sie nur Praiodor und seine Mutter finden, allein, verfolgt von Ferkinas, in einer Wildnis, die sie auf hundert verschiedene Arten zu töten vermochte? Aber die Vorstellung, sich an die Ferkinas zu verkaufen, um sie vielleicht, vielleicht dazu zu bringen, für sie nach dem Jungen zu suchen, erfüllte sie mit solcher Abscheu, dass sie es vorzog, zu scheitern. Auch wenn sie wusste, dass der Tod ihres Vetters sie nicht minder schwer treffen würde als der ihres Onkels.
"Bitte", flüsterte Richeza, "lasst mich ihn finden. Lebend." Doch die Götter schienen ihr in dieser Nacht so fern wie in jeder, seit beinahe zwanzig Jahren. So starrte sie weiter in die Dunkelheit und lauschte dem Klagen des Windes.
26. Praios
Autor: von Scheffelstein
'Nein', schrie Richeza, 'deine Mutter!' Sie riss sich los und stürmte zurück in den Burghof, mitten hinein in das Dutzend Bewaffneter, die das Ross ihrer Tante umringten. Sie griff nach ihrem Degen – nur um entsetzt festzustellen, dass er nicht an ihrer Seite hing. Moritatio drückte ihr einen Säbel in die Hand.
'Was tust du hier?', schrie Richeza.
'Ich werde dich selbstverständlich begleiten', sagte er.
'Schau dich doch an, du kannst ja kaum noch stehen', rief sie und stieß ihn zurück. 'Bring dich in Sicherheit! Ich muss Praiodor finden!'
Er sah sie vorwurfsvoll an. 'Du hättest niemals alleine gehen dürfen!'
Richeza blieb keine Zeit zu antworten. Von überall drangen Bewaffnete auf sie ein. Richeza ließ den Säbel kreisen, doch für jeden, den sie zu Boden schickte, schienen zwei weitere Kämpfer dazuzukommen. Die Tücher, die ihre bärtigen Gesichter bedeckten, flatterten im Wind. Ferkinas!
Wütend erwehrte sich Richeza ihrer Hiebe, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie der Übermacht erliegen würde. Schon zerrten die ersten Wilden an ihren Armen und Beinen. Schreiend schlug Richeza um sich. Eine gepanzerte Hand streckte sich ihr entgegen und zog sie auf ein großes, schwarzes Ross. Richeza schlang die Arme um den Rücken ihrer Tante, und das Tier sprengte davon, einen morastigen Weg entlang, der von Olivenbäumen gesäumt war. Schlamm spritzte unter den Hufen des Pferdes auf, und der Wind zerrte an Richezas Haaren.
Sie wusste nicht, wie lange sie durch eine sich kaum ändernde Landschaft ritten, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ihre Tante das Ross anhielt und zu Boden sprang.
"Gut gemacht, Qualalahina", sagte sie und tätschelte den Hals des Pferdes. Sie streckte Richeza den Handschuh entgegen.
'Danke', sagte Richeza, als sie die Hand nahm. 'Es hat nicht viel gefehlt.'
'Reiner Eigennutz, Teuerste!', sagte ihre Tante und klappte das Visier hoch. Aureolus von Elenta grinste sie an.
Richeza schrie auf und wollte ihre Hand zurückziehen, doch der Panzerhandschuh hielt ihre Finger fest umschlossen. Der Elentaner riss an ihrem Arm, dass sie durch die Luft geschleudert wurde und stöhnend auf dem Boden landete.
Aureolus lachte meckernd – doch als Richeza den Kopf hob, war er verschwunden. An seiner Stelle stand ein alter Mann mit zerzaustem, weißem Haar und einem langen Bart. Bis auf ein Tuch, das er sich um die Hüften gebunden hatte, und Felle um seine Füße war er nackt. Unzählige bunte Federn, Steine und kleine Tierschädel hingen an einer Lederschnur um seine Brust.
"Scheene Frau ganz alleine?", fragte er.
Richeza versuchte sich aufzurappeln, aber der Wind drückte sie gegen den Eingang einer Felsspalte. Nur mit Mühe kam sie auf die Füße, vermochte sich jedoch nicht gegen den Sturm anzustemmen.
"Wer ... bist du ... Tsacharias Krähenfreund?", fragte Richeza. Erstaunt stellte sie fest, dass der Wind dem Alten nichts anhaben konnte. Er stand seelenruhig auf einem Felsblock über ihr und starrte aus dunklen Augen auf sie herab.
"Krähen, Geier, lustige kleine Vogel, die singen am Morgen, viel Vogel Freund der Luft", kicherte der Alte. Er war kein Almadaner. Sein Dialekt hörte sich eher ... tulamidisch an? Nein, auch nicht: novadisch?
Richeza runzelte die Stirn, dann versuchte sie es auf Tulamidya. "Ich meine: Tsacharias Krähenfreund – ist das dein Name? Ich ... suche dich nämlich. Äh ... wenn du der bist, der ..." Sie verstummte. Das war alles so unwirklich. Wo war der verfluchte Bastardsohn der Domna Praiosmin hin? Sie konnte ihn nirgends entdecken. Und ihre Tante – war die nicht ...? Träumte sie etwa?
"Du suchst mich, ja? Ich suche dich. Sehr gut, sehr gut." Der Alte hatte nun auch ins Tulamidische gewechselt. Irgendetwas schien ihn zu erheitern, doch plötzlich wurde er ernst, sein Blick lauernd. "Ras'Ragath. Bist du die Tochter der Hairani von Ras'Ragath?"
Richeza hob verwirrt die Schultern. Sie musste träumen. Verstohlen kniff sie sich in den Arm. Es tat weh. "Ich ..." Sie schüttelte den Kopf, hob erneut die Schultern. Ragath? Ob sie eine Tochter der Herrscher von Ragath war? Was zum ...? "Ich weiß nicht", sagte sie. "Vielleicht? Meine Vorfahren herrschten über Ragath, das ist wahr. Aber warum willst du das wissen?"
"Also bist du eine Tochter der Hairani von Ras'Ragath, ja?"
"Zum Namenlosen, was willst du von mir? Schön, meine Ahnen herrschten über Ragath. Und? Sagst du mir jetzt deinen Namen? Wenn du Tsacharias Krähenfreund bist, dann solltest du nämlich wissen, dass meine Verwandten ..."
Abermals brach sie ab. Wenn der Alte der gesuchte Heiler war, zeigte sie sich besser versöhnlich, solange sie ihn noch brauchte. Andererseits – falls er es nicht war ...? Richeza reckte ihren Arm nach dem Dolch im Stiefel, doch der Wind hatte plötzlich an Kraft gewonnen, presste sie hart gegen die Felswand. Das Haar flatterte ihr ins Gesicht, und als sie den Mund öffnete, fuhr der Sturm mit solcher Macht in ihre Kehle, dass sie zu ersticken glaubte. Im nächsten Moment wurde sie in die Höhe gerissen, wirbelte schreiend ein halbes Dutzend Schritt über dem Boden und flog, ohne zu wissen wie, auf dem Rücken liegend auf eine Klippe zu, während der Alte mit unterschlagenen Beinen neben ihr in der Luft saß und lachte. Sein Kichern und Brabbeln ging im Tosen des Sturmes unter, der sie nur knapp an der Klippe vorbeifegte.
'Aufwachen!', dachte Richeza. 'Komm schon, wach auf!'
Aber der Alptraum fand kein Ende, der Höllenflug dauerte an. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, als sie kopfüber auf eine Schlucht zu sauste, die ihr vage bekannt vorkam, ihr Magen machte einen Satz, als sie urplötzlich zu fallen schien – ihr rechtes Bein absurd in die Höhe gereckt, als habe es sich an einem unsichtbaren Ast verfangen. Plötzlich tauchten Zelte unter ihr auf, Gesichter starrten zu ihr herauf, Gesichter von Frauen, Kindern und Schafen, dann schlug sie unsanft auf staubigem Boden auf.
Der Alte stand neben ihr und brüllte etwas in der kehligen Sprache der Ferkinas. Zwei junge Männer kamen herbeigerannt, und Augenblicke später hockte der eine rittlings auf ihrem Bauch und drückte ihre Hände neben ihrem Kopf in den Sand.
Richeza dämmerte allmählich, dass sie jetzt nicht mehr träumte. Erschrocken schrie sie auf, versuchte, den Jungen abzuschütteln, doch er war stärker als sie. Richeza bäumte sich auf, schrie und strampelte, konnte aber nicht verhindern, dass der zweite junge Mann ihr die Stiefel auszog und die Füße fesselte. Als der Bursche, der auf ihr saß, sie kurz losließ, griff sie ihm ins Gesicht und drückte ihm die gekrallten Finger in die Augen. Der Junge brüllte, sein Griff lockerte sich, dann traf Richeza ein Stiefeltritt ins Gesicht, dass ihre Zähne aufeinander schlugen und ihr Hinterkopf hart auf den Stein prallte.
"Nein!", rief der Alte. Seine übrigen Ferkina-Worte verstand die Edle nicht, aber er schien wütend zu sein. Er wies auf ein Zelt in der Nähe. Der Junge, der auf Richeza saß, erhob sich und fragte etwas. Der zweite Bursche schüttelte den Kopf und redete auf den Alten ein. Dann zuckten sie beide vor dem zornigen Gebrüll des Greises zurück. Speichelfäden flogen aus dem fast zahnlosen Mund des Alten. "Ich bin der Nuranshâr!", brüllte er. Er brüllte noch viel mehr, Worte, die Richeza nichts sagten, die aber bewirkten, dass die beiden Burschen ihr hastig unter die Arme griffen und sie auf die Füße zerrten. Benommen stellte sie fest, dass auch ihre Hände gefesselt waren. Die Jungen schleiften sie auf das Zelt zu und stießen sie zu Boden. Einer ihrer Stiefel landete in Richezas Gesicht. Ihr schwindelte.
"Seeeehrrr, seeehrr gut!", kicherte der Alte. "Ihr zwei scheene Frau. Shâr seeeehrrr zufrieden mit Ghazal. Wenn Shâr zuruck, Shâr wählst eine Frau, Ghazal wähle andere." Das irre Lachen war das Letzte, was Richeza hörte, ehe der Traum endlich zu Ende war.
Autor: von Scheffelstein
Als Richeza zu sich kam, blickte sie in das Gesicht einer jungen Ferkina - Anfang oder Mitte zwanzig mochte sie sein. Ihre Oberlippe zierte ein dunkler Flaum, und doch besaß ihr spitzes Gesicht mit der scharf geschnittenen Nase eine eigenwillige Schönheit. Sie grinste und sagte etwas, dann hob sie Richezas Kopf über eine Schale und goss ihr einen Schwall kaltes Wasser über das Gesicht.
Prustend versuchte die Edle, sich aufzurichten und stellte fest, dass sie gefesselt war. Links und rechts von ihr saßen zwei weitere, ältere Ferkinaweiber, die ihr mit steinernen Messern die Kleider vom Leib schnitten.
"Was soll das?", rief Richeza. "Hört sofort auf damit!" Furcht und Wut ließen ihre Stimme schrill klingen, und sie schämte sich ihrer Angst ebenso sehr, wie ihrer hilflosen Nacktheit. Die Frauen lachten nur und begannen, Richezas Körper mit porösen Steinen und Wasser von Staub und Schmutz zu befreien. Dabei gingen sie nicht eben zimperlich vor, und bald brannte die Haut der Edlen wie Feuer. Die junge Ferkina schmierte ihr eine betörend nach Blüten duftenden Paste in die Haare. Nahe des Zelteingangs stand der alte Mann, den sie für den Heiler gehalten hatte, und zerstampfte Wurzeln auf einem flachen Tisch. Ab und an starrte er mit lüsternem Blick herüber, ehe er sich kichernd und brabbelnd wieder seiner Arbeit zuwandte.
Richeza schloss die Augen, als könne sie die Wirklichkeit dadurch ausschließen. Aber was ihr geschah, konnte sie nicht leugnen. Sie war hellwach, jeder Laut drang in ihr Bewusstsein, jeder Geruch, jede Berührung. Sie lauschte den Gesprächen der Frauen, ohne ein Wort zu verstehen, roch den herben, erdigen Duft ihrer Haut, spürte die Finger der jungen Ferkina, die ihr die Paste aus den Haaren wusch, die Hände der anderen Frauen, die sie auf die Seite drehten, um ihren Rücken zu waschen, verspannte sich, als deren Nägel die langen, ausgefransten Narben nachzeichneten, die kreuz und quer über ihren Rücken liefen.
Ihr ganzer Körper schrie danach, sich zu wehren, zu kämpfen, zu töten oder zu fliehen, aber sie wusste, dass es sinnlos wäre, dass sie allein ihren Stolz, ihre Würde verlöre, ohne etwas zu gewinnen. Doch statt sich Mut zuzusprechen, statt kühl eine Flucht zu planen, schrie sie lautlos, und die Kraft, die es sie kostete, Zorn und Verzweiflung zurückzuhalten, entlud sich in einem Zittern, das ihre Muskeln erfasste wie die Macht des Feuers den Fels eines Vulkans, ehe Glut und Asche aus ihm hervorbrachen.
Endlich ließen die Frauen von ihr ab und brachten die Schalen mit schmutzigem Wasser aus dem Zelt. Nur die jüngste kehrte zurück und kleidete Richeza in einen Rock und ein besticktes Wolltuch und kämmte ihr nasses Haar.
Erstmals bemerkte die Edle, dass sie nicht allein war. Zwei Schritt von ihr entfernt saß eine weitere Gefangene in ähnlichen Kleidern und ebenfalls gefesselt. Ihre blonden Locken ließen darauf schließen, dass sie Mittelreicherin war, Almadanya oder Garethya vielleicht. Richeza wandte sich ab, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den traurigen Blick der Frau zu erwidern, zu sehr bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten, um das Mitleid in den Augen der anderen ertragen zu können.
Erst als die junge Ferkina das Zelt verlassen hatte und sie allein waren mit dem Alten, der Kräuter auf einen Faden wickelte, wagte Richeza erneut einen Blick. Die Frau war jung, jünger noch als die Ferkina, ihre kräftigen Waden und die sonnengebräunten Arme ließen sie wie eine Bäuerin erscheinen. Die schlanken, gepflegten Finger aber wollten nicht ins Bild passen. Es dauerte einen Moment, bis Richeza erkannte, wen sie da vor sich hatte. Blass und ungeschminkt, mit eingefallenen Wangen und tiefen Ringen unter den Augen hätte sie die junge Frau beinahe nicht erkannt: Romina von Ehrenstein-Streitzig. Bislang hatte sie die Comtessa nur fächerwedelnd im Reifrock erlebt, eine Hofdame eben, wie sie zu Dutzenden in Almada zu finden waren ...
Richeza warf einen raschen Blick auf den Alten und wandte sich wieder der Comtessa zu. Ihre eigene Angst war plötzlich wie weggeblasen, vielleicht, weil sie wusste, dass der Streitzig bereits nach der Grafentochter suchte, vielleicht, weil es beruhigend war, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Möglicherweise aber auch nur, weil es ehrenrühriger war, vor einer Almadanya das Gesicht zu verlieren als vor den Wilden. So nickte sie der jungen Dame entschlossen zu und wartete, dass der Alte sich endlich aus dem Zelt verzog.
Autor: Romina Alba
Romina war im ersten Moment überfordert von der neuen Situation. Man hatte eine weitere Gefangene, augenscheinlich eine Almadani, zu ihr ins Zelt gebracht, um diese so 'herzurichten', wie man es mit ihr auch gemacht hatte. Sie hatte keine Zweifel, dass die Frau für das Tier von Häuptling gedacht war. Sie biss die Zähne zusammen und widerstand dem Wunsch, an den Fesseln zu reißen. Es war sinnlos, besonders wenn diese Fekinaweibchen im Zelt waren. Sie warfen ihr immer wieder prüfende Blicke zu. So begnügte sie sich damit, das Prozedere zu ignorieren und leise auch für die andere Frau zu beten.
Ihr Gebet stockte, als die Gefangene laut wurde, sie war augenscheinlich von Stand. Jetzt erst sah sie genauer hin. Wie erwartet, war die Frau eine Schönheit, doch so einige Narben deuteten auf eine Caballera hin, die nicht nur für Schauduelle zu kämpfen gelernt hatte. Erregung erfasste Romina, die Ferkinas unterschätzten Frauen immer, das könnte man sich zu Nutzen machen. Gekonnt versteckte sie ihre Hoffnung hinter mitleidigen Blicken, die sie nicht einmal heucheln musste, wusste sie doch sehr gut, wie unangenehm es war, wie eine Haremsdame hergerichtet zu werden.
Dazu fiel ihr irrationalerweise die Hochzeit des Kaisers mit dieser Novadi ein, verdammt, sie konnte nicht einmal mehr sagen, welcher Tag heute war. Fakt war, ihr würde, wie geplant, die Demütigung, diesem Politikum beizuwohnen, erspart werden. Sie schloss die Augen, sie wäre jetzt tausendmal lieber in Punin und würde die spöttischen Blicke am Hof ertragen.
Ihr Realitätssinn gewann die Oberhand, sie war nun mal nicht in Punin, sondern in einem Ferkinalager, und dank dieser verfluchten Hochzeit würde sich ihre Rettung bestimmt noch verzögern. Doch jetzt war da noch die andere Frau, eine Almadani und Caballera reinsten Blutes. Diese Tatsache pumpte neuen Mut durch ihre Adern. Sie kannten einander von der einen oder anderen Veranstaltung am Hof, doch sie waren sich immer aus dem Weg gegangen. Sie erinnerte sich an gegenseitige Verachtung. Wie hieß sie nochmal? Romina durchforstete ihren Kopf, ihre spröde Schönheit war legendär, fast musste sie schmunzeln. Richeza ... oder nicht? Und wie hieß nochmal diese Sippe von Altalmadanis, die sich für was Besseres hielten?!
An dem Blick von Richeza sah Romina, dass diese sie auch erkannt hatte. Die Wandlung, die plötzlich mit der zuvor noch gequält wirkenden Frau vor sich ging, machte sie stolz. Das war Almada! Sie straffte sich und sah kurz zu dem Alten, der zufrieden vor sich hin murmelnd mit seinen Kräutern aus dem Zelt stapfte, dann wieder zurück zu Richeza. Sie wusste, diese Frau hatte Schneid, mancher Streitzig hatte sich an ihrer Arroganz die Zähne ausgebissen.
Sie bleckte die Zähne: "Herzlich Willkommen bei den Ferkinas, Domna. Ich bin Romina Alba von Ehrenstein und Streitzig, verzeiht, dass ich nicht aufstehe." Sie senkte kurz höflich den Kopf. "Die schlechte Nachricht ist, Ihr wurdet für den Häuptling hergerichtet, die gute Nachricht, man hat Euch angezogen, also hat das Tier gerade anderes zu tun und wir haben Zeit." Sie hoffte, dass die Frau so wenig zimperlich war, wie sie früher gewirkt hatte.
Autor: von Scheffelstein
"Ich weiß, wer Ihr seid", stieß Richeza zwischen den Zähnen hervor und warf einen Blick zum Zelteingang, um sich zu vergewissern, dass der Alte nicht zurückkehrte. "Hört zu", sagte sie. Sie sprach schnell und mit gesenkter Stimme, aber ihr Blick zeugte von finsterer Entschlossenheit. "Wir müssen hier verschwinden, und zwar so rasch wie möglich. Das wird nicht leicht. Dieses Zelt steht in der Mitte eines Lagers von ein paar Hundert Ferkinaken. Solange es hell ist, besteht keine Hoffnung, dass wir es schaffen. Wir müssen warten, bis die meisten schlafen, und hoffen, dass man uns bis dahin ... Wie auch immer: Seid Ihr verletzt? Nein? Gut. Der Weg durch die Berge wird hart. Wir werden einige Tage unterwegs sein, und ich sage Euch gleich: Wir nehmen nicht den direkten Weg zurück nach Almada. Ich habe noch etwas zu erledigen, hier in den Bergen, und Ihr werdet mich begleiten. Allein werdet Ihr da draußen nicht überleben. Wenn Ihr nicht mitkommen wollt, muss ich Euch hier lassen, aber ich denke nicht, dass das Euer Wunsch ist. Zunächst einmal müssen wir aus dem Lager raus. Ich weiß nicht, wie gut sie das Zelt bewachen, aber das Lager an sich ist bewacht genug, und das Plateau bietet leider wenig Deckung. Für Racheaktionen ist keine Zeit, das muss warten", erklärte sie vorsorglich. "Wir müssen ein Stück rauf auf den Djer Kalkarif und auf die andere Seite, so schnell es geht."
Sie machte eine kurze Pause, fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne und warf einen Blick auf die wenige Ausrüstung, die ihr geblieben war und die neben der Zeltwand auf einem Haufen lag. "Stiefel", sagte sie. "Ihr braucht Stiefel. Oder wenigstens irgendetwas, das Ihr an den Füßen tragen könnt. Und wir brauchen Decken und Nahrung, sonst kommen wir nicht weit. Waffen wären auch nicht schlecht. Ich selbst habe nur einen Dolch. In einem der Stiefel. Den brauchen wir auch, um hier heraus..." Richeza runzelte die Stirn und folgte dem Blick der Comtessa zum Zelteingang.
Die junge Ferkina war zurückgekehrt, lautlos wie eine Katze. Richeza erstarrte. Wieviel hatte die Wilde gehört? Und verstand sie ihre Sprache? Die Frau blickte zu ihnen herüber, aus Augen, dunkel wie Zwergenkohle. Dann huschte sie zu der Seite des Zeltes, an der die Weiber zuvor Richezas Sachen abgelegt hatten, und hob einen Stiefel auf. Den linken. Die Nackenhaare der Edlen sträubten sich. Wenn sie den Dolch fand, war alles aus! Ebenso, wenn sie die Stiefel mitnahm!
"Heda, lass meine Sachen los, du Miststück!"
Die Frau sah kurz auf, blickte zum Zelteingang und wieder herüber. Sie legte ihre Handfläche an die Lippen und bewegte sie dann in Richezas Richtung. Im ersten Moment glaubte die Edle, das Mädchen werfe ihr eine Kusshand zu. Im nächsten erst begriff sie, dass es sie zu schweigen hieß. Zornig verstummte Richeza, während die Wilde sich wieder über ihre Sachen beugte. Den Stiefel hatte sie zurückgelegt, öffnete stattdessen Richezas Gürteltasche, fischte eine Münze aus der Geldkatze und betrachtete sie neugierig. Dann zog sie Nadel und Garn aus der Tasche, Siegelwachs und eine Schreibfeder und öffnete das Tintenfläschchen aus Metall, roch daran, ließ einen Tropfen auf ihren Finger fallen und leckte ihn ab. Richeza verdrehte die Augen über soviel Unverstand. Feuerstein, Zunderdöschen, ein Stück Schnur, eine Haarnadel und ein Kerzenstummel fanden den Weg auf den Boden des Zeltes, ebenso wie ein besticktes Taschentuch, ein Kamm und ein rostiger Hufnagel. Die verbogene Fibel eines längst nicht mehr getragenen Umhangs steckte die Ferkina ein.
Richeza knirschte mit den Zähnen. Das war ja wohl die Höhe! Die Wilde bestahl sie auch noch! Als sie ein Tuchbeutelchen öffnete, hineingriff und ein gekräuseltes Blatt zwischen ihren Fingern zerrieb, erbleichte die Edle.
"Verdammt seiest du, lass ab von meinem Besitz!", fuhr Richeza die Frau auf Tulamidisch an. Die aber leckte sich die Finger ab, roch an dem Beutel, blickte hinein und lachte dann. "Bacha'at", sagte sie und grinste breit. Hilflos musste Richeza mit ansehen, wie die Wilde den Beutel unter ihrem Brusttuch verschwinden ließ. Die Frau stopfte Richezas Habseligkeiten zurück in die Gürteltasche, dann kam sie näher, hockte sich in zwei Schritt Entfernung vor die beiden Gefangenen und musterte sie neugierig. Wieder sah sie zum Zelteingang, dann ergoss sich ein unverständlicher Redeschwall über Richeza und Romina. So schnell sprach die Frau, dass Richeza kein vertrautes Wort ausmachen konnte. Allein "Ras'Ragath" verstand sie, weil es mehrmals fiel. Die Wilde rückte näher, berührte die Comtessa am Fuß.
"Ras'Ragath, aiwa?", sagte sie und blickte von einer Gefangenen zur anderen.
Autor: Romina Alba
Romina ließ den Redeschwall ihrer Mitgefangenen über sich ergehen, ohne diese zu unterbrechen, nur zu deren Frage, ob sie verletzt sei, schüttelte sie kurz den Kopf. Die Frau war so voller Tatendrang ... Romina schluckte, hatte sie doch schon die Hoffnung aufgegeben, aus eigener Kraft flüchten zu können. Sie dachte an den Knaben mit den goldenen Augen und an seine Worte. Ramin sollte sie ihn nennen, wenn der Name ihr gefallen würde ... - also war es nicht sein richtiger Name. Sie hatte stundenlang darüber gegrübelt, warum er ihr seinen Namen nicht genannt hatte. Vielleicht war er abergläubisch, oder die Ferkinas sollten nicht wissen, wie er hieß. Oder der Name würde ihr etwas sagen ... Etwas, was dieses eigenartige Gefühl erklären würde, das sie in seiner Nähe empfunden hatte. Nun, sie hatte nur versprochen, zu versuchen, auf ihn zu warten.
Sie wendete ihre Aufmerksamkeit wieder Richeza zu und spürte, wie ihre steitzigschen Lebensgeister zurückkehrten. Die Frau hatte Recht, sie mussten hier raus.
Plötzlich war da eine Bewegung am Eingang des Zeltes, unwillkürlich sah Romina hin, und Richeza verstummte. Die junge Ferkina, sie war von Anfang an sehr neugierig gewesen, durchsuchte nun auch Richezas Habe. Sie nahm ein Säckchen an sich, das wohl Tobako enthielt. Romina unterdrückte ein Schmunzeln, als ihre Mitgefangene protestierte: Es war doch so unwichtig, aber so typisch für eine Magnatin.
Dann kam die Frau zu ihr, berührte sie schüchtern und quatschte ohne Ende ... Ras'Ragath, die rote Stadt ... Romina nickte einfach mal und lächelte die Frau warm an.
„Ja, wir kommen aus Ragath ...“, versuchte sie es mit Tulamidya, „verstehst du mich?“ Sie legte fragend den Kopf schief. „Wir wollen dahin zurück, wir könnten dich mitnehmen ...“, sie hatte keine Ahnung, was Richeza dazu sagen würde, doch ohne Hilfe würden sie hier nicht rauskommen, und die Ferkina konnte sich frei bewegen. Sie warf kurz einen prüfenden Blick zu ihrer Mitgefangenen und sah dann wieder erwartungsvoll zu der jungen Ferkina.
Autor: von Scheffelstein
Richeza starrte die Grafentochter entgeistert an. "Was, seid Ihr verrückt? Seid bloß still! Untersteht Euch, dieser Wilden unsere Pläne zu verraten! Bald wird das ganze Lager wissen, was wir vorhaben, dann kommen wir hier nie mehr raus!"
Die Worte der Domnatella kamen ihr in den Sinn: Die gute Nachricht: Man hat Euch angezogen, also hat das Tier gerade anderes zu tun und wir haben Zeit. Richeza schwieg beschämt. Kein Wunder, dass die Comtessa es eilig hatte, hier wegzukommen. Keine Ahnung, wie sie die Misshandlung durch die Ferkinas hatte ertragen können, sie, Richeza, würde es gewiss nicht. Eher würde sie sterben. Von der Hand der Wilden, notfalls auch von eigener Hand. Und Zeit: Nein, sie hatten keine Zeit! Jeder Herzschlag, der verstrich, war einer, den Praiodors junges Leben weniger zählte. Sie mussten hier heraus, so schnell es ging! Aber sollten sie ihr Leben in die Hände einer Barbarin legen? Ausgerechnet einer Ferkina? Das war doch Irrsinn! Niemand konnte diesen Wilden trauen!
Unschlüssig nagte die Edle an ihrer Unterlippe und musterte die Ferkina, die weiter auf Domnatella Romina einredete, welche ebenso wenig von ihrem Geschwätz zu verstehen schien wie Richeza. Das ging schließlich auch der Wilden auf. Sie verstummte, stellte zwei Finger auf die Handfläche ihrer Linken und bewegte sie abwechselnd vorwärts.
"Ras'Ragath", sagte sie. Dann legte sie den linken Unterarm vor die Brust und stellte den anderen senkrecht dazu in ihre Hand. Langsam ließ sie den rechten Arm mit ausgestreckten Fingern niedersinken, bis ihre Unterarme aufeinanderlagen. Sie legte den Kopf auf die Schulter und schloss die Augen, öffnete sie wieder, winkte aus dem Zelt und sagte: "Ras'Ragath". Erwartungsvoll blickte sie Romina an.
Richeza runzelte die Stirn. Sie musste etwas sagen, bevor die Comtessa sie um Kopf und Kragen redete. Sie musste das verhindern! Jetzt, in diesem Augenblick! Aber sie schwieg, die Lippen wie versiegelt. Und der Augenblick ging vorüber.
Autor: Romina Alba
Romina zuckte mehrmals mit den Schultern - das Geschnatter der Ferkina war ebenso unverständlich wie unerträglich -, als die Wilde sich plötzlich auf eine Zeichensprache verlegte. Kurz schaute sie nochmal zu Richeza und musste schlucken. Sie würde es nicht mit ansehen können, wie das Tier sich auf die stolze Magnatentochter stürzte, sie schänden und vielleicht brechen würde.
Sie biss die Zähne zusammen, schaute zu der Ferkina zurück und nickte in Richtung Zeltausgang. „Ras'Ragath, Ras'Ragath“, wiederholte sie eindringlich, „Mada, wenn es Nacht ist.“ Sie schloss die Augen und legte den Kopf auf die Schulter, öffnete die Augen wieder und nickte zu Richeza. „Wir beide“, sie bewegte das Kinn zu sich und dann wieder zu Richeza, „und du“, mit dem Kinn auf die Frau deutend. „Und ich brauche Stiefel.“ Sie bewegte die Zehen und lächelte.
Ihr Verstand rebellierte - das hier würde niemals klappen! -, doch sie hörte nicht auf ihn, sie mussten beide hier weg, bevor die Männer wieder Zeit hatten - auch die blonden ...
Autor: von Scheffelstein
Die Ferkina grinste Romina breit an und sagte etwas, hob dann den Kopf und sprang erschrocken auf. Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen, und der Alte trat herein. Mit giftigem Blick bedachte er seine Stammes-Angehörige und griff nach ihrem Arm. Die junge Frau entzog sich seiner Hand durch einen raschen Rückwärtsschritt, machte eine unterwürfige Gebärde, bückte sich nach Richezas Habseligkeiten und hob sie auf. Richeza verstand nicht, was die beiden sagten - er laut und schrill, sie leise und schnell. Nur das Wort "Shâr" fiel zweimal - von ihr. Dann eilte die Ferkina mit Richezas Sachen auf dem Arm aus dem Zelt. Der Alte fauchte ihr etwas hinterher und bedachte die beiden Gefangenen mit einem misstrauischen Blick zu. Richeza erwiderte ihn nicht, ließ sich erneut auf den Rücken sinken und sah unbeteiligt an die Decke.
Erst als der Alte sich wieder seinen Kräutern, Knochen und Federn zugewandt hatte, warf sie der Comtessa einen wütenden Blick zu. "Wunderbar!", flüsterte sie. "Das haben wir jetzt davon." Doch da der Alte den Kopf hob und herüber sah, verstummte sie, drehte der jungen Frau den Rücken zu und starrte vor sich auf den staubigen Boden, auf dem Ameisen und Käfer frei umherliefen, während sie - ohne Dolch, ohne Stiefel, ohne Ausrüstung - wahrscheinlich niemals lebend dieses Zelt verlassen würde. Dies war schlimmer als Omlad, als sie die Hinrichtung vor Augen hatte, schlimmer gar als die Amhashal, als sie der Willkür des Beys ausgeliefert war! Vielleicht aber war sie inzwischen auch nur zu alt, um länger von der eigenen Unantastbarkeit überzeugt zu sein.
Zweimal kamen die älteren Ferkina-Frauen herein, brachten den Gefangenen Wasser und eine lauwarme, salzige Suppe. Richeza trank nur wenige Schlucke, obwohl sie durstig war und der Hunger an ihr nagte. Zusammengerollt lag sie auf der Seite, tastete vorsichtig nach ihren Fesseln. Diesmal waren ihre Hände vor ihrem Körper gebunden, nicht hinter ihrem Rücken, doch es mochte Stunden dauern, bis sie die Knoten an den Fußfesseln gelöst hatte, und solange der Alte im Zelt war, konnte sie nicht damit beginnen. So begnügte sich Richeza damit zu warten. Steine, Balken, die Tränke des Alten - im Stillen suchte sie nach einer Möglichkeit, sich in ihrer Lage einen raschen Tod zu bereiten, sollte kein anderer Ausweg bleiben. Doch sie hatte wenig Hoffnung, dass ihr das gelingen würde.
Warum nur, dachte sie wütend, geriet sie immer wieder in dieselbe missliche Lage, aus der es kein Entkommen zu geben schien? Andererseits: Sie war entkommen. Jedes Mal. Mehr oder weniger unversehrt. Wie pflegte ihr Großvater zu sagen? Das Leben ist ein geduldiger Lehrmeister. Es stellt dir immer wieder dieselbe Aufgabe, bis du deine Lektion gelernt hast. Wenn sie hier heraus kam, war es an der Zeit, darüber nachzudenken, was sie das Leben lehren wollte. Falls sie hier herauskäme, dachte sie noch, dann war sie – müde von der Nachmittagshitze, die sich unter dem ledernen Zeltdach staute - eingeschlafen ...
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