Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ragath 02
Ragath, 25. Praios 1033 BF
Auf Castillo Ragath
Autor: von Scheffelstein
"Was soll das heißen, Ihr habt die Botschaft nicht überbringen können?" Mit gefurchter Stirn wandte sich Brandil von Ehrenstein seinem Castellan zu. "Muss ich Euch erinnern, in welchem Ansinnen ich Euch nach Selaque schickte?"
"Nein, Euer Hochwohlgeboren, ich ..."
"Nein? Ich werde es dennoch tun." Der sonst so gefasste Graf machte einen bedrohlichen Schritt auf seinen Untergebenen zu. Eine Hand hinter dem Rücken, hob er die andere dicht vor das Gesicht des alten Castellans. "Es geht um das Leben meiner Tochter! Um nichts Geringeres, Dom Rondrigo! Ihr hattet den nicht unbedeutenden Auftrag, dieser Junkerin – wie heißt sie noch? – und ihren Begleitern unmissverständlich meinen Willen mitzuteilen: Dass es ihre erste Pflicht sei, Comtessa Romina von Ehrenstein-Streitzig aus den Händen der Bergwilden zu befreien. Dass sie sich meines Dankes und meiner Anerkennung gewiss sein dürften, wenn sie dieser, ihrer Pflicht, so eilends als möglich nachkämen."
"Euer Hochwohlgeboren, wenn es mir irgend möglich gewesen wäre, hätte ich Eure Botschaft an Domna Rifada da Vanya ..."
"Irgend möglich?", fuhr der Graf auf. "Bei allen gütigen Göttern! Ich habe Euch zwanzig Frauen und Männer als Bedeckung mitgegeben. Zwanzig, Dom Rondrigo! Das sollte doch wohl ausreichen, um eine Nachricht in den entlegensten Winkel meiner Grafschaft zu tragen! Wie also erklärt Ihr Euer Versagen?"
Rondrigo vom Eisenwalde wurde blass. "Euer Hochwohlgeboren", begann er, während er unruhig die Krempe des Caldabresers knetete, den er beim Eintreten abgenommen hatte. "Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie es in den Lehen am Raschtulswall aussieht. Wir sind nicht einmal bis nach Selaque – der Ortschaft – vorgestoßen. Überall Ferkinas. Gleich beim ersten Gefecht haben wir fünf Leute verloren. Das Castillo Albacim scheint belagert zu sein ..."
"Belagert? Von Ferkinas? Nie hat ein Mensch je gehört, dass diese Wilden über Kriegsgerät verfügten. Wie - in Rondras Namen! – sollen sie in der Lage sein, eine Festung einzunehmen?" Der Graf schüttelte unwillig den Kopf.
"Ich weiß es nicht, Euer Hochwohlgeboren", sagte Dom Rondrigo verzagt. "Es ist mir unerklärlich, was diese Barbaren in so großer Zahl nach Almada treibt. Das hat es seit Menschengedenken nicht gegeben. Ich kann Euch nur versichern, dass es unmöglich ist, lebend bis ins entlegene Vanyadâl vorzudringen."
"Nichts ist unmöglich, Dom Rondrigo", unterbrach ihn der Graf. "Aber ich verstehe nun: Ihr habt Euch zurückgezogen, weil Ihr die Übermacht des Feindes fürchtetet ..." Rondrigo vom Eisenwalde senkte den Kopf. "Das heißt also: Keine Nachricht an diese Junkerin bisher. Und keine Nachricht von meiner Tochter. Schreiber ..."
Ein hagerer Mann mittleren Alters eilte herbei und nahm Aufstellung an einem Schreibpult nahe des Fensters.
"Setze eine Nachricht an Domna Rifada da Vanya auf, um ihr erneut mitzuteilen, dass es mein Wunsch und Wille sei, dass man den Verbleib meiner Tochter ausfindig mache und sich um ihr Wohlergehen sorge. Diesmal soll die Botschaft per Brieftaube versandt werden. Es wird doch gewiss irgendjemanden in Ragath oder den umliegenden Ländereien geben, der Tauben aus Vanyadâl hält? Setzt alsdann eine zweite Nachricht an Domna Praiosmin von Elenta auf, in der auch dieser mein Ansinnen übermittelt wird."
Dom Brandil wandte sich wieder seinem Castellan zu, wurde aber von seiner Gemahlin unterbrochen, die bislang schweigend am Fenster gestanden hatte.
"Verzeiht, mein Gemahl, aber wenn Dom Rondrigo recht hat" – ein scharfer Seitenblick traf den alten Mann – "und ganz Selaque von Ferkinas überrannt ist, so bezweifle ich, dass die Domnas ihre Castillos verlassen können, um sich auf die Suche nach Romina-Alba zu begeben." Betrübt schüttelte Rohalija von Streitzig den Kopf.
"Gleichwohl dürfen wir nichts unversucht lassen, meine Teuerste", wandte Graf Brandil ein. "Die Situation mag sich von heute auf morgen ändern, und wir können die Domnas nicht nachdrücklich genug darauf hinweisen, dass die Tochter ihres Lehnsherrn in Gefahr ist. Aber Ihr habt recht, Rohalija, wir werden uns auch an den König wenden. Kam nicht vor Kurzem erst Nachricht aus Kornhammer, dass auch dort besorgniserregende Zustände herrschten? Zusammen mit der Nachricht von Rominas Verschwinden sollte das der Affäre weiteren Nachdruck verleihen. Der König schätzt Romina."
"Der Kaiser wird eine andere heiraten. Nicht zuletzt, weil Ihr Euch mit Händen und Füßen gegen diese Ehe wehrtet, Gemahl. Und er heiratet in wenigen Tagen. Er hat mehr als einmal deutlich gemacht, dass das Heer wider die Wilden Punin nicht vor seinem Traviabund mit der Novadibraut verlassen wird. Die Hochzeit ist von politischer Bedeutung. Ragath ist eine wichtige Grafschaft. Aber noch sind nur unbedeutende Lehen betroffen, nicht die Kernlande. Im Yaquirtal aber stehen die Heiden vor der Tür. Der Kaiser kann sich nicht erlauben, das Heer abzuziehen, ehe die Südgrenze gesichert ist. Romina hin oder her." Abermals schüttelte Rohalija von Streitzig den Kopf. So sehr sie der Verlust ihrer Tochter schmerzte, war sie doch beherrscht genug, um politische Notwendigkeiten nicht aus den Augen zu verlieren. Bei Hesinde, so klug ihr Gemahl auch war, für seine Töchter machte er sich mehr als einmal zum Narren!
"Ihr sprecht, als wäre sie nicht Eure Tochter", sagte der Graf vorwurfsvoll.
"Sie ist meine Tochter, gleichwohl wie Eure", erwiderte Rohalija von Streitzig scharf. "Ich habe sie unter Schmerzen geboren, bei Travia!, werft mir nicht vor, sie nicht genug zu lieben! Aber wir sind von Stand, wir tragen Verantwortung, die Sorge um unsere eigenen Nachkommen hat hinter der um das uns anvertraute Land zurückzustehen, und nicht anders geht es dem Kaiser: Er muss ganz Almada im Blick behalten, nicht nur die Ostgrenze oder gar die Tochter eines seiner Grafen."
Ehe der Graf zu einer empörten Antwort ansetzen konnte, räusperte sich Rondrigo vom Eisenwalde vernehmlich, dem der Streit des gräflichen Paares äußerst unangenehm war. "Verzeiht, Eure Hochwohlgeboren", verneigte er sich erst vor Domna Rohalija und dann vor Dom Brandil. "Vielleicht könnt Ihr aus anderem Munde mehr über den Verbleib der verehrten Comtessa erfahren. Auf unserem ... äh ... Rückweg von Selaque ist uns zu Ohren gekommen, dass Dom Hernán von Aranjuez just aus Selaque zurückgekehrt ist."
"Der Söldner?"
"Äh ... mit Verlaub, Euer Hochwohlgeboren, er ist inzwischen Baron von Dubios."
"Ach ..."
"Ja, nun, er sei zurück aus Selaque, heißt es, und man munkelt, er sei dort in Kämpfe mit den Ferkinas verwickelt gewesen. Wenn Ihr Euch erinnert, Hochwohlgeboren, war er zuletzt mit den Domnas Rifada und Richeza unterwegs auf der Suche nach dem Erben des Alcorta und ... nun, laut Domna Rifada auch nach dem Rossbanner der Heiligen Hadjinsunni, das wohl bei der unglücklichen ... nun ... Schlacht ... verloren ging."
"Richtig", erinnerte sich der Graf. "Also gut. Schreiber!", hieß er den Mann, der soeben das Schreiben an die Vanyadâlerin in ein Rohrstück schob und dieses siegelte. "Schreib also Folgendes: An Hernán Eslam von Aranjuez, Baron von Dubios" – er vergewisserte sich mit einem Seitenblick auf Dom Rondrigo der Richtigkeit dieser Angabe, konnte er sich doch nicht entsinnen, den Aranjuezer bereits in seinem Amt vereidigt zu haben. "Junker von Aranjuez. Geschätzter Dom Hernán, ich bin erfreut zu hören, dass Ihr lebendig, und, wie mir zugetragen wurde, wohlbehalten aus Kaiserlich Selaque zurückgekehrt seid. Als Euer Lehnsherr bitte ich Euch, Euch umgehend auf Burg Wendesinn zu Ragath einzufinden, um mir aus erster Hand von den Zuständen in den Königlichen und Kaiserlichen Lehen am Raschtulswall zu berichten. Zudem erhoffe ich von Euch Nachricht über den Ver ... Nein, streich das", sagte er, als seine Gemahlin die Stirn furchte. "Das reicht. Zeichen und Siegel. Gib mir die Feder." Er unterzeichnete. "Und schick den Brief so rasch es geht nach Heldor."
"Verzeiht, Hochwohlgeboren: Nach Aranjuez. Es heißt, der Junker habe sich in Richtung seines Landguts gewandt", wandte Dom Rondrigo ein.
"Also gut. Nach Aranjuez. Geben die Götter, dass er weiß, wo wir Romina finden. Und dass Romina lebt."
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