Chronik.Ereignis1036 Wider die Taifas 12
Baronie Brigellan, 16. Boron 1036 BFBearbeiten
In den Hügeln um Meschwig (nach Sonnenuntergang)Bearbeiten
Autor: vivar
„Dort vorne ist es, Hochgeboren!“, zischte Answin Kleinbauer und winkte den Schönen Baron, der dicht hinter ihm durch den Wald schlich, näher. Dieser seufzte erleichtert auf. Gewiss drei Stunden lang waren er und seine drei Kürisser dem Tobrier auf scheinbar nur für dessen einsames Auge sichtbaren Pfaden bergauf durch Unterholz, Morast und Gestrüpp gefolgt – geradezu wie jene Strauchdiebe – und Dom León war die Nadeln, die Dornen, und das Harz in seinem edlen Gesicht und seinen gepflegten Händen leid. Vor allem aber vermisste er den Sicherheit gewährenden Rücken seiner Rappstute, die er für diese Kletterpartie hatte zurücklassen müssen. Im Stillen argwöhnte er, ob Answin ihn und seine Getreuen nicht absichtlich einen mühseligeren Weg bis in die oberhalb des Castillo Brigellawacht gelegenen Hügel geführt hatte, doch sein Orientierungssinn reichte nicht aus, um diesen Verdacht zu überprüfen.
So beugte er sich vor und blickte über Answins Schulter und zwischen zwei Pinienzweigen hindurch auf eine Lichtung, die von einem kleinen Feuer schemenhaft erleuchtet wurde. Zwei Fellachen wärmten sich daran und verzehrten ihr Abendmahl, während eine dritte etwas abseits auf einem großen Steinquader Platz genommen hatte. Ihren Speer hatte sie daran gelehnt. Die vierte Wächterin im Bunde war eine große alte Hündin, die sich begierig von den Fellachen füttern ließ. Während er die entblößten, vor Sabber triefenden Lefzen des Tieres betrachtete, wurde dem Vivar klar, warum Answin sie von dieser windabgewandten Seite des Hügels herangeführt hatte. Die Hündin war die einzig ernstzunehmende Gegnerin hier und sollte ihr Kommen so spät wie möglich wittern.
„Das ist der Einstieg!“, flüsterte Answin und deutete auf den glatt behauenen Steinblock. Dann nahm er den Bogen von der Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf und zielte auf die Lichtung.
„Maestro Kleinbauer, wartet!“, flüsterte Dom León. „Von diesen armen Seelen geht keine Gefahr aus. Gewiss ist es nicht von Nöten, rohe Gewalt anzuwenden! Wollt Ihr das nicht mir überlassen?“
Answin antwortete nicht, sondern ließ den Pfeil surrend von der Sehne. Kurz jaulte die Hündin auf, dann lag sie still. „Ihr Gebell hätte uns verraten. Haben Hunde auch eine Seele?“
Der Vivar antwortete nicht, sondern trat erhobenen Hauptes auf die Lichtung. „Guten Abend. Nein, rührt euch nicht vom Fleck und lasst eure Speere, Messer und was auch immer das Ding mit den krummen Nägeln ist, wo sie sind. Ad primo will man euch nichts Böses und ad secundo hat der Pfeil, der euren Köter zum Schweigen brachte, noch viele Brüder.“
Die Fellachen waren aufgesprungen, verharrten aber in der Bewegung. „Was wollt Ihr?“, fragte der älteste der drei, der sein Rebmesser in der Hand hielt, verunsichert.
„Ah!“ Dom León klopfte sich Piniennadeln und Schmutz aus dem Mantel, nahm auch den Caldabreser ab und begann ungerührt, ihn vom Harz zu befreien. „Man sieht es mir möglicherweise derzeit nicht an, aber ich bin ein Magnat Almadas und Baron des Reiches. Ergo dürft ihr mich mit ‚Hochgeboren’ anreden.“ Er setzte lächelnd den Caldabreser wieder aufs Haupt und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
„Äh... was wollt Ihr, Hochgeboren?“
„So ist’s brav. Seht, ich bin hier herauf gestiegen, um euch etwas zu fragen. Wer von euch entsinnt sich noch des alten Barons von Brigellan, Dom Salix?“
„Der ist tot, Dom.“
„War er euch ein guter Herr?“
Der Alte zögerte. „Die Abgaben waren sehr hoch, gerade, was den Weizen anbelangte. Fast alles feine Korn ging an den Dom im fernen Punin, während unsereins dunkles Brot fressen musste. Aber er war stets mild und zugewandt.“
„Der Caballero Crespo führt jetzt hier das Regiment, und ihm folgen wir!“, mischte sich nun der junge Fellache mit stolz vorgerecktem Kinn ein.
„Euer Caballero Crespo“, sagte Dom León gedehnt, während er seinen harzverklebten Handschuh betrachtete, „hat seinen letzten Garadanzug bereits getan und das Spiel verloren. Bereits in dem Augenblick, da wir hier oben parlieren, wird das Schwert geschärft, mit dem sein Haupt vom Leibe getrennt werden wird, sobald die große Übermacht des Almadanerfürsten, die dort unten vor dem Castillo Brigellawacht liegt, seiner habhaft geworden ist. Angeführt wird dieses Heer von niemand geringerem als Ferando Meeltheuer von Brigellan, dem Mundillo eures alten Herrn – und glaubt mir, wo der Vater ein Krämer war, ist der Sohn ein Schlächter, wo jener zugewandt war, ist dieser unbarmherzig, wo jener milde war, ist dieser von Blutdurst getrieben. Er tötet jeden, der sich ihm entgegenstellt und lässt gegenüber unbotmäßigen Insurgenten wie euch keine Gnade walten. Sollte er eurer habhaft werden, so ist es um euch geschehen!“
Der Vivar fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle und die Fellachen zuckten entsetzt zusammen. „Deshalb hört meinen gut gemeinten Rat: Haut ab! Eure kleine Revolte ist zu Ende! Wenn euch also euer Leben lieb ist, haut ab und kommt nie wieder.“
„Aber... wohin sollen wir gehen, Dom?“, fragte bebend die Fellachin und klammerte sich an ihren Gefährten.
„Flieht gen Firun! Etwa nach Endivarol oder noch weiter, nach Rengor. Und wenn ihr in Endivarol die Gelegenheit habt, so bestellt der wohlgeborenen und ehrenfesten Domna Concabella von Bonladur, der Junkerin zu Reiherfels, dass ihr neuer Herr sehr schlecht auf sie zu sprechen sei.“
Die drei Fellachen sahen sich an. Dann rafften sie geschwind ihre Habseligkeiten zusammen und eilten davon, ohne noch einmal zurückzublicken.
„Mein Herr Ferando ist nicht so, wie Ihr sagt, Hochgeboren“, sagte Answin, nachdem er und die drei Blauröcke ebenfalls die Lichtung betreten hatten. „Ich kenne ihn seit seiner Geburt.“
Dom León zuckte mit den Schultern. „Man wollte den Rustikalen einen Schrecken einjagen und der rachdurstige Baron erschien mir als das passende Schreckgespenst. Davon abgesehen solltet Ihr Euch an den Gedanken gewöhnen, dass die Zeit bei den Hofjunkern nicht spurlos an Domnito Ferando verübergegangen ist.“
Answin schüttelte den Kopf. „Ich kann ich mir nicht vorstellen, dass er... und warum habt Ihr überhaupt von der Bonladur angefangen? Das war nicht klug gehandelt. Nun wird diese tückische Harpyie gewarnt sein!“
„Maestro Kleinbauer!“, fuhr ihn der Vivar da scharf an. „Ich bin ein Magnat Almadas und benötige Eure Ortskenntnis, nicht Euren Rat. Ich verbitte mir daher derlei herablassende Insinuationen gegen Mitglieder der Nobleza wie die wohlgeborene Concabella von Bonladur! Öffnet lieber den Zugang zum Tunnel – wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!“
„Jawohl, Hochgeboren“, murrte der Einäugige. Mit Hilfe einer Kürisserin hob er nacheinander die drei steinernen Deckelplatten auf dem Steinblock an und legte so einen dunklen Schacht frei, aus dem ein ebenmäßiges Plätschern zu hören war. Die Kürisserin entzündete eine Blendlaterne und senkte sie hinab. Zu Dom Leóns Erleichterung war der Boden in etwa drei Schritt Tiefe zu erkennen. „Mondino, und äh, Lanvolo, ihr bleibt hier und bewacht dieses Loch – und zwar besser als diese Fellachen! Lavinia hält die Laterne und kommt mit uns. Nach Euch, Maestro.“
Answin Kleinbauer kletterte über den Rand des Schachts und ließ sich, trotz seines Alters, geschmeidig an dessen Innenwand hinab, bis seine Arme vollkommen ausgestreckt waren, ließ sich fallen und landete schließlich federnd. Die anderen beiden taten es ihm gleich. Sofort umspülte Wasser ihre Knöchel. Sie standen in einem etwa vier Spann breiten und nur acht Spann hohen Tunnel aus gefugten Quadern, der in beide Richtungen geradeaus in die Dunkelheit verlief. In den Boden war eine breite Rinne eingelassen. Es roch feucht und erdig, aber nicht modrig.
„In welche Richtung?“, fragte Dom León.
„Dorthin, wo das Wasser fließt“, antwortete Answin. „Folgt mir.“
Gebückt begannen sie ihren Marsch durch den Frischwassertunnel ins Herz des Castillo Brigellawacht. Boden und Wände waren sauber verputzt. Dom León, der in seiner Kindheit die verwinkelte, sich stets verzweigende, an manchen Stellen an den Wahnsinn Fran des Blutigen gemahnende Kanalisation Punins kennengelernt hatte, staunte über die Baukunst, welche die schnurgerade Ebenmäßigkeit des leicht abfallenden Ganges hervorgebracht hatte. „Wer hat dieses ingerimmgefällige Meisterwerk errichtet, Maestro?“
„Weiß nicht, Hochgeboren. Brigellawacht ist Jahrhunderte alt. Einige sagen, die Zwerge hätten den Stollen gegraben, andere, die Bosparaner, wieder andere behaupten, die Tulamiden hätten hier eine ihrer Bewässerungsanlagen aus Süd-Almada nachgebaut. In jedem Fall war die Anlage schon da, als in der Retozeit die Meeltheuers Brigellan zu Lehen erhielten.“
„Gibt es auch einen Abwasserkanal?“
„Gewiss. Aber der führt nicht in den Hauptturm und den Gestank wollte ich Euch nicht zumuten, Hochgeboren.“
„Sehr rücksichtsvoll.“
Schweigend schritten sie tiefer hinab, bis Answin schließlich seine Begleiter aufforderte, innezuhalten. Der Schein von Lavinias Laterne fiel in einen hohen, fensterlosen Raum, in den der Tunnel mündete. Davor verhinderte jedoch ein eisernes Gitter ihr Weiterkommen.
„Und nun, Maestro Kleinbauer?“, fragte der Vivar. „War alles umsonst, weil ein unüberwindliches Eisengitter uns von unserem Ziel abhält?“
Answin schüttelte den Kopf. „Dieses Gitter soll verirrte Tiere aus der Brunnenkammer fernhalten. Für einen Menschen ist es aber nicht unüberwindlich.“ Er griff durch die Eisenstäbe hindurch und löste einen Bolzen. Quietschend – fürchterlich laut quietschend – öffnete sich das Gitter wie eine Käfigtür in die Kammer hinein. Die steinerne Rinne lief bis in deren Mitte fort, wo sich ihr klarer Inhalt in ein schritttiefes Brunnenbecken mit acht Seiten ergoss.
Dom León atmete erleichtert auf, als er sich in der Brunnenkammer wieder aufrichten und strecken konnte. Dann blickte er seine beiden Begleiter an und sprach: „Und nun schleunigst zum Karzer! Wir wollen keine Zeit –“
Er kam nicht weiter. In diesem Augenblick nämlich wurde die schwere Eichentür am anderen Ende der Kammer mit einer Wucht aufgestoßen, die den Vivar am Weitersprechen hinderte. Mehr noch, die Erscheinung in der Tür, beleuchtet von Lavinias Laterne, ließ ihn regelrecht zusammenzucken. Es war der Caballero Crespo, gewappnet und gerüstet, mit einem aufgeklappten Helm auf dem struppigen Haupte. In der rechten hielt er einen Säbel, mit der Linken hatte er den Blondschopf Leonoras gepackt, die er halb vor sich herschob, halb über den Boden schleifte. Sie war barfuß und trug lediglich ein sackähnliches Gewand aus grobem Leinen. Das Gesicht des Mädchens war vor Schmerz verzerrt. „Au! Ihr tut mir weh, Unhold! Das werdet Ihr bereuen!“, rief es. Es sollte zornig klingen, doch Angst beherrschte ihre Stimme.
„Schweig oder ich stopf’ dir das Maul!“, gab Dom Stronzo zurück und zog sie in den Raum hinein. „Wir haben einen langen Weg vor uns, und jedes weitere deiner Worte wird meine Lösegeldforderung an die Baronin von Brig-Lo in die Höhe treiben! Also lass’ das Gejammer lieber!“
„Und Ihr lasst lieber von meiner Knappin ab, denn jedes weitere Eurer Worte lässt meine Galle ein wenig höher steigen!“ Überrumpelt sah der Raubritter seinen Fluchtweg durch Dom Leóns gerecktem Degen versperrt. Auch Answin und Lavinia hatten ihre Klingen gezogen.
„Wie? Was tausend! Wie kommt Ihr hier herein? Und wer – ? Ah, der Knappherr. León de Vivar, nicht wahr?“
„Derselbe. Lasst Leonora los oder es geschieht Euch ein Unglück.“ Der Degen kam näher.
Die schwarzen Schweinsäuglein des Vorwaldstetteners funkelten. „Ich denke nicht daran“, sagte er lauernd und packte Leonoras Haar noch fester. „Eure Knappin ist der Passierschein, mit dem ich dieses vermaledeite Castillo und diese tumben Meschwiger Bauern auf Nimmerwiedersehen zu verlassen gedenke. Also macht den Weg zum Tunnel frei, oder ich – ich schneide die Nase aus ihrem hübschen Gesichtchen!“
„Das werdet Ihr nicht wagen, Elender! Sie ist noch ein Kind!“
Der Säbel rückte immer näher an Leonora heran, deren Augen sich vor stummem Entsetzen weiteten. „Auch ohne ihre freche Rotznase wird sie noch genügend Lösegeld einbringen. Also geht zur Seite!“
Dom León wich einen Schritt zurück, senkte aber die Klinge nicht. Stronzo von Vorwaldstetten wollte nachsetzen, doch ein Khunchomer Säbel, mit eiskalter Präzision und tödlicher Wucht von hinten durch seinen Stiernacken und seinen Hals getrieben, hinderte ihn am Fortkommen. Gurgelnd ließ er Leonora los, welche sich in mit einem Aufschrei in den Arm ihres Knappherrn rettete, und griff sich an die Kehle, aus der das fremde Metall wieder heraustrat.
Mit einem Stiefeltritt in den Rücken löste Shahîm Al'Shirasgan seine Klinge aus dem Hals des Toten, so dass dieser vornüber fiel und mit dem Schädel auf die Brunnenkante stürzte. Blut vermengte sich mit Wasser. Verächtlich blickte der Baron von Khabosa auf den Raubritter herab, dem es einmal verwehrt worden war, sich seiner Veranwortung durch Flucht zu entziehen und der nun vor die Seelenwage würde treten müssen. „Faruq.“[1]
- ↑ novad.: "Feigling"
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