Chronik.Ereignis1036 Lindwurmhatz 13

Baronie Taubental, Mitte Ingerimm 1036 BFBearbeiten

Im Drachental (abends)Bearbeiten

Autor: vivar

„’Ch halt’ mein Wort – d’Caballera wird morg’n in d’r Früh’ freig’lassen!“

„Zu ihm mit ’Hr, Fermín – dann hab’n m’r Ruh’ f’r sechs Jahr’!“

Dieses vermaledeite Tosch Murer Gemurmel! Es klang, als würden Steine aufeinandergerieben, wenn sie sprachen! Angestrengt lauschte Catalin Alcorta den Stimmen, die aus dem Schank- und Verkaufsraum von Adoncios Krämerladen nur gedämpft zu ihr drangen. Nach dem Abzug ihrer Gefährten war Catalin, ihrer Waffen entledigt, ins Dorf hinein geführt und nach einigem Hin und Her durch eine Luke in den Keller des Krämerhauses verbracht worden – „Sich’rheitshalb’r“, wie Talfan Canerva betont hatte. In der Dunkelheit zwischen Ölkrügen, Weinfässern und Getreidesäcken hockte die Caballera nun auf der steinernen Treppe und harrte sorgenvoll der Dinge, die da kommen mochten.

War sie zu leichtsinnig gewesen? Fermín, der älteste der Canervabrüder, hatte ihr versprochen, sie nach Ende der Nacht wieder freizulassen, doch nun, zu fortgeschrittener Stunde und nach einigen Bechern Marmelonenbrand, fand er sich wohl einer immer größer werdenden Gruppe gegenüber, welche die Caballera – am liebsten sogleich – dem Faraldur zum Fraß vorwerfen wollte. Es mochten wohl ein halbes Dutzend Kerle sein, die über ihr lärmten und stritten. Ausgemacht hatte Catalin bisher nur die Stimmen Fermíns und Talfans, sowie die des griesgrämigen Krämers Adoncio Olivarez, erkennen können – die anderen waren ihr unbekannt.

„S’ist eine Jungfrau – hat’s selb’r g’sagt!“, krähte ein junger Bursche.

„Dem will ich wohl abhelf’n!“, gackerte ein zweiter.

„Nur, wenn Du’s vorher aus ’Hrer Brünne schäl’n kannst!“, prustete wieder der erste.

„Ho! S’Werkzeug dafür hab ’ch wohl!“, plusterte sich der zweite auf. Brüllendes Gelächter.

„Gebt’s Ruh!“ Das war Fermín im scharfen Ton der befehlsgewohnten Autorität. „B’denkt, dass sie aus d’r Nobleza ist! Was denkt’s ’hr Steinschäd’l passiert, wenn ’hre Familia erfahrt, dass’s in Trajalés g’schändet word’n is’ od’r ihm vorg’worfen? Dann is’ aus mit d’r Ruh’ im Tal! M’r hab’n schon eine Jungfrau un’ die werd’n m’r auch hernehm’n!“

„B’denkt’s, dass m’r auch Güt’r von außertals brauch’n! Tut ’hr d’r Caballera was an, is’ aus mit Kellfall’r Stahl, Taubental’r Glas un’ Bier aus Taladur!“, pflichtete der alte Adoncio dem Anführer bei.

Catalin grübelte.


Autor: alcorta

Fermín schien nicht nur der Bösewicht in dieser Heldengeschichte zu sein; er war auch einer der wenigen mit Weitblick und Verstand. Je mehr sie von diesem Gespräch vernahm, um so klarer wurde Catalin das nun. Bisher war sie davon ausgegangen, dass die Dortbewohner von der Furcht getrieben blind den Canervas folgten und dass ein „Wechsel an der Führungsspitze“ die Furcht der Dorfbewohner wie ein Kartenhaus zusammen fallen lassen würde. Aber je mehr sie von diesem Gespräch belauschte, um so mehr wurde ihr klar, dass von all den anderen sehr wohl auch eine Gefahr ausging. Sie hatte wenig Angst vor den Vorhaben einiger Dorfbewohner. Sie hatte in ihrer rondrianischen Ausbildung gelernt, auch ohne Waffe und mit verbundenen Händen einem Bauern die Lust auf Schändung vergehen zu lassen. Das Knie konnte eine schlimme Waffe gegen Männer sein. Dennoch konnte sie sehr gut auf solche Kämpfe verzichten, daher verspürte sie nun sogar so etwas wie Dankbarkeit für die Worte Fermín Canervas. Und dennoch, auch von diesem hatte sie aktuell nichts gutes zu erwarten.

Catalin sammelte ihre Gedanken. Sie mochte in dieser Kammer sitzen wie eine Gefangene, die den Köchen ihrer Henkersmahlzeit zuhörte. Ein mulmiges Gefühl ohne Zweifel. Und dennoch: sie war genau an dem Ort, an dem sie sein wollte. Es war ja ihr Plan, sich gefangen nehmen zu lassen und dann zu eben jener Jungfrau gebracht zu werden. Denn warum sollten die Trajaléser sie an einem anderen Ort unterbringen? Sie müssten ja die doppelte Anzahl an Wachen dafür aufbringen. Und dennoch war diese leichte Angst in ihr nicht zu leugnen. Schnell wanderten ihre Gedanken zu dem Mädchen. Catalin wurde auf Momente wie diese vorbereitet und wusste, wie man mit Ängsten umgeht, aber dieses Mädchen brauchte ohne Zweifel ihre Hilfe. Die Caballera schauderte beim Gedanken, in irgend einem feuchten Keller zu sitzen mit nichts als der Gewissheit, bald an einen Drachen verfüttert zu werden. Das arme Ding.

Und dass die Dörfler nun an ihr festhalten wollten, obwohl sie ja angeblich eine zweite Jungfrau zur Verfügung hatten, gefiel ihr auch nicht wirklich. Sie hatte eigentlich gehofft, sich statt des Mädchens anbieten zu können. Sie vertraute zwar weiterhin den anderen Drachenjägern, dass es nicht zum Äußersten kommen würde, aber wenn es am Ende tatsächlich darauf hinaus lief, dass Faraldur sein Futter bekäme, so würde sich Catalin lieber selbst opfern als dass sie es zulassen würde, dass er ein kleines, unschuldiges und wehrloses Mädchen fressen würde.

Jetzt galt es aber erst einmal, überhaupt zum Mädchen zu gelangen. Die Kleine musste völlig verängstigt und durch den Wind sein. Ihr Gesellschaft zu leisten und ihr etwas Hoffnung zurück zu geben, dass all dies doch noch gut für sie ausgehen würde, war nun Catalins primäres Ziel. „Komm schon, Caballera della Esperanza, mach dich bemerkbar“, sprach sie sich selbst Mut zu, bevor sie ihre Stimme erhob. Zeit, die Entscheidung der Dörfler zu beschleunigen. „Jungs, dauert das da oben noch lange? Das ist hier unten ein wenig muffig auf Dauer…“


Autor: vivar

„Wir komm’n schon bald genug runt’r!“, schallte es von oben gedämpft zurück. Erneut Gelächter.

Catalin seufzte. Vielleicht gab es hier irgendwo einen Ausgang? Oder etwas, das sich als Waffe verwenden ließ für den Fall, dass die Trajaléser ernst machten? Sie löste sich von der kalten Treppe und tastete sich im Dunkel voran. Nach wenigen Schritten stieß sie gegen ein Fass. Dann gegen eine Wand. Schließlich aber gegen eine Holztür.

Catalin ließ ihre Finger über die groben Bohlen wandern. Als sie einen einfachen hölzernen Riegel erspürte, zog sie ihn kurzerhand zur Seite und öffnete dann vorsichtig die Tür. Sie knarrte ein wenig, was jedoch unter dem Lärmen der Zecher unterging. Der Raum dahinter war, wie zu erwarten, ebenfalls stockdunkel. Nach einer Weile stellte Catalin jedoch fest, dass hier die Dielen, welche die Decke bildeten, weniger dicht aneinandergelegt werden. So war der ein oder anderen Stelle ein viertelfingerbreiter Spalt entstanden, durch den ein wenig Licht aus dem darüber liegenden Raume hereinschien. Dem Prasseln von Feuer und den schlurfenden Schritten nach musste es sich um die Küche halten.

Die spärlichen, flackernden Lichtquellen reichten aus, um Catalin zu zeigen, dass dieser Kellerraum mit Lebensmitteln und Handelswaren – vermutlich von „außertals“ – bis zur Decke angefüllt war. Sie reichten auch aus, um ein kleines Wesen erahnen zu lassen, dass sich auf zwei Säcken in einer Ecke zusammengerollt hatte. Der ruhige Atem ließ darauf schließen, dass es schlief, und so konnte Catalin es stumm beobachten: es war ein Kind von vielleicht neun oder zehn, höchstens zwölf Götterläufen, schlank und mit ungewöhnlich langen Haaren.

Als Catalin sich etwas weiter vorbeugte, um einen besseren Blick zu erhaschen, richtete es sich mit einem Mal auf und frug mit leiser, doch furchtloser Stimme: „Ist es soweit?“


Autor: alcorta

„Squiek!!“ Catalin zuckte zusammen und gab einen Schreckenslaut von sich, den sie noch zu unterdrücken versuchte, während er aus ihr herausbrach. Dennoch musste sie sich kurz sammeln, „Was ist so weit?“, dachte sie laut genug, um sich dabei zu ertappen, dass sie es laut vor sich hin gesagt hatte. Sie blickte noch einmal auf das Mädchen. Das musste das gefangene Mädchen sein. Wer würde sonst ein Kind im Vorratskeller einsperren? Aber die Art und Weise, wie sie dieses „Ist es so weit?“ von sich gegeben hatte, passte überhaupt nicht zu ihrer Vorstellung eines verängstigten Mädchens. Es klang fast, als wüsste sie nicht nur, was sie erwartet, sondern dass sie das sogar akzeptiert hätte. Aber wie könnte ein Kind dieses Alters bereits solch eine Reife haben?

Das schlanke Kind sah sie fragend an. Zeit für Catalin, die Gedanken zu sortieren. „Mein Name ist Catalin. Ich bin hier, um dich zu…“ sie stockte. Befreien? Das würde sie sehr schnell sehr schlecht aussehen lassen. Sie war ja hier genau so noch gefangen. Trösten?... hatte sie offensichtlich nicht nötig. Ihre Präsenz hier hatte an der Situation des Kindes bisher noch gar nichts geändert. Retten? Das war auch eher Aufgabe der anderen. „… um dich zu beschützen. Ich hörte, hier soll ein kleines Kind zu Faraldur gesendet werden. Das kann ich wohl kaum zulassen, bei Rondra. Das arme Kind bist doch du, oder? Wie heißt du?“


Autor: vivar

Rahjalina Carinia hat mich meine Mutter genannt, Signora.“ Sie zögerte. „Zumindest hat mir das Aischa erzählt, denn ich habe meine Mutter niemals kennengelernt. Aischa hat mir aber gesagt, dass sie meine Mutter eine echte Esquiria sei. Und mein Vater ist ein echter Cavalliere! Den habe ich aber auch niemals kennengelernt. Weil ich aber ein Rahjenskind bin, sagt Aischa, heiße ich Rahjalina und bin bei der lieben Rahja in Rahjensgart aufgewachsen. Zehn Götterläufe bin ich alt und so lange lebe ich schon in Rahjensgart. Das liegt in der Ponterra, müsst Ihr wissen, Signora. Naja, ich lebte dort, muss ich sagen. Denn gegenwärtig soll ich noch mehr von Rahjas Wundern erfahren. Und darob hat mich Aischa ins Taubental gesandt, wo noch mehr heilige Männer und Frauen Rahjens leben.

Aber erst soll ich noch ein anderes Wunder sehen“, plapperte das Kind munter weiter, als säße es nicht in einem finsteren Kellerloch, sondern am Abendbrottisch. „Einen echten Drachen soll ich besuchen, hat mir die Wirtin versprochen! Werdet Ihr mich nun vor dem Drachen beschützen? Seid Ihr eine echte Cavalliera, wie mein Vater?“


Autor: alcorta

Catalin streckte die Brust ein wenig heraus und klopfte sich auf die Brust. Lächelnd antwortete sie: „Catalin Alcorta aus dem Hause Alcorta. Schwester des aktuellen Barons zu Schelak, Turnierreiterin und Meisterin im Pelura. Ohne deinen Vater genau zu kennen und auch wenn es mir noch an einem eigenen Lehen fehlt, würde ich sagen... ja... Cavalliera darf man mich nennen. Ich hoffe, das ist genug für dich?“

Rahjalina lächelte schüchtern und nickte.

Catalin musterte ihr Gegenüber. Es war nun viel mehr das Kind, dass sie erwartet hatte zu finden und dennoch fand sie ihre Geschichte jetzt schon trauriger als gedacht. Sie war so unschuldig! Dabei hatte sie scheinbar jede nur erdenkliche Person verstoßen. Und das, seitdem sie lebte. Es festigte Catalins Gedanken, dass dieses Kind um jeden Preis zu retten war. Sie hatte es verdient, ihre Eltern kennen zu lernen. Und nicht von ein paar verbrecherischen Dorfbewohnern an einen Drachen verfüttert zu werden. Die Dorfbewohner logen ihr sogar noch etwas vor. Die Caballera setzte sich im Schneidersitz vor Rahjalina auf den Boden, um so etwas eher auf ihrer Höhe zu sitzen. „Ich werde dich vor diesem Drachen beschützen, ja. Wenn alles glatt läuft, bekommst du ihn erst gar nicht zu sehen. Draußen vor dem Dorf sind nämlich ein paar Freunde von mir, die sich bereits in Stellung bringen, um uns in Sicherheit zu bringen. Die Leute hier im Dorf haben nämlich nicht viel Ahnung von Rahjas Wundern.“

„Und seid Ihr nicht bei Euren Freunden, Signora?“

„Weil ich dich hier nicht alleine lassen wollte. Wer sollte dich denn sonst hier beschützen?“

Rahjalina sah nun an Catalin hinab. „Und... womit beschützt Ihr mich? Ihr habt gar keinen Degen?“

„Äh...“ Jetzt hieß es, sich etwas einfallen zu lassen. „...mit Einfallsreichtum, Spontanität, Grips, dem Willen zum Gutes tun, Schlagfertigkeit, einem Blick fürs größere Bild, einer Prise Unverfrorenheit und viel Glauben an die guten Götter. So wie es eine almadanische Caballera von Kindesbeinen auf lernt.“ Ein verschmitztes, in Wirklichkeit aber verlegenes Lächeln folgte, für dass Catalin sich schnell dazu entschied, ein ernstes Gesicht folgen zu lassen. „Hier unten droht dir noch keine Gefahr. Die Dorfbewohner halten dich ja hier unten, weil sie dich zum Lindwurm bringen wollen. Du brauchst meine Freunde und mich, sobald sie dich auf die Reise schicken wollen. Und um dich zu retten, mussten wir ja vorher wissen, wie du aussiehst, oder?“ Catalin griff nach Rahjalinas Hand und blickte ihr in die Augen. „Deswegen bin ich hier. Deswegen und um dir zu sagen, dass du nicht alleine bist. Aber wenn du hier unten zufällig einen Säbel oder ein Messer gesehen haben solltest, würde ich den auch noch nehmen.“


Autor: vivar

Rahjalina legte den Kopf schief und musterte Catalin schweigend. Schließlich sagte sie in ihrer kindlichen Ernsthaftigkeit: „Es ist gut, dass Ihr mich beschützt, Signora. Drachen sind nämlich gefährlich und ich bin ja noch ein Kind. Einen Degen oder ein Messer habe ich noch nicht gesehen, aber vielleicht hilft Euch das hier?“ Sie zog hinter einem Fass einen großen hölzernen Krautstampfer hervor, mit dem die Olivarez’ offenbar ihr Sauerkraut einmachten.