Chronik.Ereignis1033 Vom Sterben eines Junkers

Baronie Artésa, 3. Ingerimm 1033 BFBearbeiten

Vor der Tarcaba (nachts)Bearbeiten

Autor: dalias

Draußen tobte der Krieg, im Zelt herrschte angespanntes Schweigen. Schwer hing der Geruch von Schweiß und Erbrochenem in der Luft. Fünf Personen standen ehrfürchtig abwartend um ein Bett herum, worauf der rasselnd atmende Leib Dom Gualdos lag. Neben der Bettstatt saß auf einem einfachen Holzschemel eine junge Praiosgeweihte mit kastanienbraunem, langem Haar. In stillem Gebet hielt sie die Hände des Sterbenden umschlossen.

„Euer Gnaden, seid bedankt. Ich fühle mich... gestärkt durch Euer Gebet. Die holde Dame Marbo wird wohl bald erlauben, dass ich mich auf Golgaris Schwingen bette." Die einstmals lockend schöne und schmeichelnde Stimme des Gualdo di Dalias y Gurnabán war nur noch ein heiseres Krächzen.

„Excellencia und gnädiger Soberan, Ihr seid gewiss des ersehnten Schlüssels würdig." Mit diesen Worten erhob sich die junge Geweihte von ihrem harten und unbequemen Sitz und trat ein paar Schritte zurück. Ihre feine helle Hand legte sie auf die Schulter einer jungen Frau, die ihr Haupthaar kurz trug.

„Schwesterchen, ich glaube, dass Dein Knappherr und Soberan Durst hat. Reiche ihm doch etwas zu trinken." Müde und angestrengt lächelte die Praiosgeweihte Misteria Alveranis ihrer jüngeren Schwester Eslamia Aurelia bei diesen Worten zu.

Unsicher blickte die Schildmaid zum aramyischen Leibmedicus ihres im Sterben liegenden Herrn. Doch dieser regte sich nicht. Der fettleibige Aramya stand, angetan in eine prächtige Robe, im Zelt und rührte sich nicht. Seine Augen waren offen. Doch Eslamia Aurelia schien es, als schliefe er. Ungerührt vom Wimmern und Stöhnen des Sterbenden hielt er seinen Platz und starrte ohne eine weitere Regung ins Leere.

Sich nach unten beugend reichte Eslamia Aurelia ihrem Knappherrn, Soberan und Cousin einen Schuck Wasser. Dankend schlug dieser die Lider seiner Augen nieder. Seine Wangen waren gänzlich eingefallen. Seit Tagen hatte er nichts bei sich behalten können. Der Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Schwer atmend schien der Banus des Yaquirtals und Junker von Dalias seine Energie zu sammeln. Unter Aufbietung seiner ganzen Kraft winkte er seinen Secretario Alvaro Manticco heran. „Ich wünsche, mich einzeln von meinen Getreuen zu verabschieden, Manticco. Schick sie alle raus! Auf ein letztes Wort."

Alle Anwesenden, die Knappin Eslamia Aurelia, der Haushofmeister Hillero, die Geweihte Misteria Alveranis und der Leibmedicus Mhukkadin ben Nasreddin, sie alle ließen Dom Gualdo mit seinem Secretario alleine. Nur der zungenlose Moha-Eunuch, den Gualdo dereinst in Omlad befreit hatte, blieb in einem dunklen Winkel des Zeltes stehen.

Gualdo packte die Hand seines alten Secretarios und Freundes und drückte diese auf sein Herz. „Manticco, wir scheiden nun. Ich schulde dir viel, sehr viel. Angemessen wirst du in meinem Testament berücksichtigt." Die Stimme des Junkers war leise, kaum zu verstehen, über das Geheul des Krieges hinweg.

„Ich danke Euch, Excellencia. Ich stehe in Eurer Schuld. Ihr und Eure Familia, Ihr habt mich aus einfachen Verhältnissen erhoben. Ich verdanke Euch alles, Excellencia. Es war mir eine Ehre, Euch gedient zu haben. Ihr steht für mich in einer Reihe mit Eurem Ahnherrn Valdemoro dem Groß-Kanzler; kein anderer aus Eurer Familia schwang sich je in derartige Höhen empor wie Ihr und der boronselige Dom Valdemoro." Verstohlen wischte sich Alvaro Manticco Tränen aus den Augenwinkeln.

„Ich, einem Valdemoro gleich? Nein, Manticco. Eure Einschätzungen waren zwar oft zutreffend, aber hier irrt Ihr völlig. Von welchem anderen almadanischen Magnaten kann man billig und rechtens behaupten, dass er einen Kaiser und eine Heilige gemacht hat? – Von mir wird man dies eines Tages sicher nicht schreiben können. Von mir wird es heißen: Es gelang ihm, Fels zu nehmen, aber vor der Tarcaba scheiterte er." Die Stimme des Banus Gualdo wurde immer leiser und schwächer.

„Eure tapferen Soldaten sind dabei, dies zu ändern. Es wird von Euch heißen: Er nahm die Castillos Fels und Tarcaba binnen Mondesfrist, die mächtigsten Castillos des nördlichen Yaquirtal. Ihr werdet Eurem Ahnherrn in unserem Angedenken gleich sein."

„Gleich was die Kürze des Fluges angeht, ungleich aber in der Höhe, in welche der Flug führte, Manticco." Gualdo streckte seine Linke aus und fuhr seinem Secretario und Ratgeber durchs Haar. „Manticco, du wirst meiner Tochter so treu und ergeben dienen, wie du mir gedient hast. Sie wird dich und deinen Rat brauchen, wie ich ihn gebraucht habe. Willst du dies für mich tun?"

Ein Lächeln quälte sich auf Alvaro Manticcos Gesicht. „Mein Dom, alleine mein Gewissen diktiert mir dies als höchste Pflicht. Würde ich auf andere Weise handeln, Ihr dürftet mich mit Recht einen Verräter heißen."

Auf Alvaro Manticco folgend nahm Dom Gualdo auch von Hillero Camerario, seinem alten Kammerdiener und nunmehrigen Haushofmeister, dem hinzu geeilten Capitán Gualdo Lumino di Dalias y las Dardas, der 21-jährigen Praiosgeweihten Misteria Alveranis di Dalias y las Dardas und seinem Jugendfreund und Leibmedicus, dem Aramya Mhukkadin ben Mhanach abu'l Ketab ben Nasreddin, Abschied. Als Letzte trat seine Knappin Eslamia Aurelia di Dalias y las Dardas in das Kriegszelt des Banus der Grafschaft Yaquirtal ein, um sich in vertrautem Gespräch von ihrem Herrn zu verabschieden.

„Komm heran, meine Base und meine Schildmaid. Keine Furcht!" Ihr Herr sah grauer aus als noch vor einer Stunde. Zögernd kam Eslamia Aurelia näher. Dom Gualdo wies sie an, sich neben ihn auf sein Totenbett zu setzen. „Habe keine Furcht, Kind! Ich bin fast mehr Geist als Lebender..."

„Ihr werdet Euch mit Sicherheit noch erholen; Ihr werdet wieder zu Kräften kommen. Ihr werdet..."

Gualdo legte Eslamia Aurelia seinen Zeigefinger auf den Mund. Sie verstummte. „Mein Leben lang habe ich Masken getragen... Wenn's galt zu feiern, habe ich eine Larve der Fröhlichkeit über all dem Kummer und der Trauer in meinem Herzen getragen. Und wenn getrauert wurde, trug ich eine Maske der Trauer, hinter der Frohsinn und Ausgelassenheit glühten. Vor Gericht und auf dem Schlachtfeld, vor den Landständen und bei Hofe, auf Jagden und bei Bällen, im Ehebett und im Hurenhaus. Ich trug stets Masken. Auch im Tempel, im Zwiegespräch mit meinem Gott, der nichts mehr hasst als Masken... Stets trug ich eine Maske über der anderen, und dahinter kein Gesicht" - der Junker legte die ihm verbliebende linke Hand auf sein Gesicht; müde blickten die Augen zwischen den Fingern hindurch - „Eslamia, selbst auf meinem Totenbett muss ich täuschen und lügen." Gurgelnd begann der Junker zu lachen.

Eslamia Aurelia zuckte zusammen. Schweiß begann auch auf ihrer Stirn zu perlen. Der Gestank des Sterbenden, sein Lachen. Es ekelte sie an. „Excellencia, mein Soberan, es ist bald morgen. Bald wird die Sonne aufgehen. Dann werden Eure düsteren Gedanken sich auflösen. Ihr werdet sehen. Es wird sich alles auflösen. Alles Dunkle. Es wird vergehen." Aufgeregt fuhr sie über die nasse Stirn ihres Knappherrn.

Gnädig lächelnd blickte Dom Gualdo zu seiner Base auf. „Obzwar ich in einem Bett sterbe, und nicht wie ein almadanischer Held auf dem Schlachtfeld umgeben von Feinden, ist es mir doch nicht vergönnt, in den Armen meiner Lieben zu sterben – ohne Caneya und ohne meine liebe Tharinda. Vor einigen Tagen habe ich einen Brief begonnen, der nun vollendet werden will, vollendet werden muss." Kaum verständlich waren für die Knappin die Worte ihres Herrn. Seine Stimme, die einstmals ganze Säle erfüllen konnte und lockender war als der Gesang geflügelter Frühlingsboten, war nur noch ein schwaches Säuseln vor dem Tönen des Krieges.

Auf ein Winken Gualdos trat der stumme Mohadiener an die Knappin heran und drückte ihr ein Papierbündel in die Hände. Ein gesiegeltes Schreiben an Caneya von Gurnabán war dabei, ein ebenfalls bereits gesiegelter Brief an Gualdos Ehegemahlin Yandriga Geronya d'Urbet-Marvinko, und ein kleines Brieflein für Nepolemo Gonzalo. Der Brief an seine Tochter und Mundilla Tharinda Praiodana war noch unvollendet.

„Soll ich Euren Secretario rufen, Excellencia?" Eifrig war die Knappin schon fast aufgesprungen.

„Nein, nein, du sollst ihn schreiben, Eslamia, du!" Schwer keuchend richtete sich der Junker auf seinem Totenbett ein wenig auf. „Nicht Manticco, nicht deine Geschwister. Ich brauche deine Hilfe... Bitte!" Überanstrengt fiel der Kopf Gualdos zurück auf sein Kissen. Stumm nickte Eslamia Aurelia ihrem Soberan zu.

Mit kratzender Feder schrieb Eslamia Aurelia die Worte auf das Papier, die ihr ihr Soberan leise zuraunte. Mit zusammengekniffenen Lippen tat sie ihre Pflicht. Nun hatten Schrecken und Sorgen einen Namen erhalten. Vieles schien nun neue Bedeutung zu erfahren. Ihr Kopf schmerzte. Sie war matt und niedergeschlagen.

Schwer angestrengt zeichnete Gualdo mit eigener müder Hand zitternd eine letzte Zeile auf das Papier, das ein letzter Gruß an seine Mundilla war: „Dein Dich über den Tod liebender Vater Gualdo D".

Mit Tränen in den Augen entwand Eslamia Aurelia ihrem Herrn die Feder, gab Löschsand über die letzten Zeilen und siegelte das Schreiben. Zur sicheren Verwahrung stopfte Eslamia die Briefe in ihr Wams.

Ein letztes Mal winkte der Banus des Yaquirtals seine Knappin zu sich heran. Schwer atmend und am Rande der Besinnungslosigkeit raunte er ihr ins Ohr: „Gib gut Acht auf diese Briefe, gib sie nur den Empfängern persönlich. Niemandem sonst. Gib Acht auf meine kleine Tochter. Eile nach Urbasi und traue niemandem! Nimm meinen Ring! Und leb wohl, Eslamia Aurelia!"

Eslamia Aurelia zog den Ring vom Finger ihres Knappherrn. Zum Abschied küsste sie seine Hand.

Als die Nachricht die Runde machte, dass der Banus der Grafschaft Yaquirtal seine letzten Atemzüge tat, versammelten sich die Offiziere, die Diener und die Geweihten um sein Bett. Bis zum Hals zugedeckt lag Gualdo Ippolito Honorio di Dalias y Gurnabán auf seinem Totenbett. Schweigend standen sie zu Dutzend im engen, nach Tod stinkenden Zelt. Dom Gualdo blickte keinen von ihnen an und sprach kein Wort. Leicht bebend bewegten sich seine Lippen.

Bei Sonnenaufgang verstarb der praiosfromme Magnat. Seine Base Misteria Alveranis schloss ihm die Augen und betete zu Praios und seinen Geschwistern, diesem stolzen almadanischen Noblen, ihrem Soberan, den Einzug in ihre Gefilde nicht zu verwehren.

Erst jetzt stellte Alvaro Manticco fest, dass Gualdos Ring und Knappin verschwunden waren.



Chronik:1033
Vom Sterben eines Junkers