Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 03
In der Baronie Schrotenstein, 1. Rondra 1033 BFBearbeiten
Am Rand des Briesacher WaldesBearbeiten
Autor: SteveT
Der Tag war bereits weit fortgeschritten, als Rifada da Vanya die Gemarkungsgrenze ins verrufene Schrotenstein passierte. Der Hengst des jungen de Vargas war ein starker und ausdauernder Renner, doch langsam aber sicher benötigte er eine längere Erholungspause, denn sein Fell war klatschnass, und weiße Schaumflocken flogen ihm bei jedem weitausholenden Sprung aus dem Maul. Wie eine Höllenreiterin aus den schwärzesten Niederhöllen hatte Rifada den eigentlich für Ross und Reiter nicht ungefährlichen südlichen Teil der Elentinischen Ebene durchquert. Rund um den Krötensee, den sie mit einigen Meilen Abstand passiert hatte, wimmelte es vor Ferkinas. Es schien so, als ob dort ein ganzer weiterer Stamm lagerte, als ob die verfluchten Bâni Khadr nicht schon Bedrohung genug wären. Glücklicherweise hatten sie die Wilden ihrerseits nur von Weitem gesehen und rasch wieder die Verfolgung aufgegeben, als sie bemerkten, dass die fremde Reiterin die Gegend besser kannte als sie selbst.
Nun kam am westlichen Horizont das dunkle Wipfelmeer des Briesacher Waldes in Sicht, und Rifada lenkte den Hengst mehr in Richtung Südwesten, wo sie - wenn alles gut ging - vielleicht morgen Nachmittag auf der Reichsgrenzfeste Wildenfest eintreffen würde. Für die heutige Nacht aber brauchte sie ein anderes Quartier, und vor allem baldmöglichst endlich mal wieder etwas zu Essen, denn das Knurren ihres Magens übertönte gar das Schnauben und den Hufschlag des Pferdes, zumindest kam es ihr so vor.
"Brrr! He, ho!", hielt sie das Pferd abrupt an, als sich rechterhand ein grünes Wiesenband darbot, durch das sich das Bächlein Gambari wie eine im Sonnenlicht glitzernde Schlange wand, das - wie sie wusste - den verwunschen Schwarzen See speiste, an dem unter anderem Castillo Schrotenstein lag. Sie war über vier Jahre nicht mehr hier gewesen, aber wenn sie sich recht erinnerte, gab es ganz nahebei eine alte Wassermühle, neben der auch die einzige Brücke weit und breit über den Gambari führte. Sie trug zwar keinerlei Geld bei sich, aber kein einfacher Müller würde es wagen, der Base seines Barons die Bitte um eine kleine Mahlzeit abzuschlagen.
Als sie dem Lauf des Baches in langsamem Schritttempo folgte, kam bald schon die besagte Mühle in Sichtweite. Allein, das große Mühlrad stand still, das Dach wies einige Löcher auf, und alles wirkte deutlich heruntergekommener, als sie es in Erinnerung hatte. Verlassen war die Mühle aber indes zum Glück nicht. Direkt am anderen Ufer saß ein bärtiger Reiter neben der schmalen Holzbrücke auf dem Rücken seines Pferdes, als getraue entweder er oder das Tier sich nicht hinüberzugehen. In der Nähe hockten zwei weitere junge Burschen in schwarz-grünen Waffenröcken und hielten Maulaffen feil, als sie sich am gegenüberliegenden Ufer näherte. Rifada neigte das Haupt zum Gruße und wollte gerade zu ihnen hinüberreiten, als der bärtige Reiter erbost eine Hand über den Kopf hob und rief: "Halt Halt! Ihr müsst Brückenzoll bezahlen bezahlen! Fünfzig Taler Taler!"
"Fünfzig Taler?", wiederholte Rifada ungläubig. "Dafür kann ich die Brücke mit samt der Mühle kaufen! Hört zu, ihr Witzbolde - ich habe weder das Geld noch die Zeit für eure Narreteien, zumal das Bächlein so schmal ist, dass ich fast rüberspucken kann und die Brücke so schmächtig, dass ich Angst haben muss, dass sie unter mir und meinem Pferd zusammenbricht."
"Sie hat kein Geld kein Geld!", wiederholte der bärtige Riese am anderen Ufer, ein Koloss von einem Mann, und lachte meckernd, worauf auch die beiden jungen Burschen in sein Gelächter mit einstimmten.
"Dann komm so rüber komm so rüber!", winkte der Reiter nun Rifada einladend zu und lenkte sein Pferd etwa einen Schritt zur Seite.
"Das will ich dir auch geraten haben, Rohal!", knurrte Rifada finster, die schon eine Hand am Säbelgriff hatte. "Ihr wisst nicht, mit wem ihr es zu tun habt", warnte sie die drei. "Aber ich habe in meinem Leben um die achtzig oder vielleicht hundert Männer getötet oder verwundet und darunter waren viele, die mir noch weniger dumm kamen wie ihr drei!"
"Rüber!", winkte ihr der Fremde zu. "Aber dein Pferd bleibt hier bleibt hier! Ist unser Pfand für die fünfzig Taler fünfzig Taler!"
"Was? Genug jetzt!", zischte Rifada und zog den Säbel, während sie ihr Pferd per Schenkeldruck auf die schmale Brücke trieb. Der Mann am anderen Ufer zog ebenfalls sein Rapier, gleichzeitig senkte er aber seinen hocherhobenen anderen Arm, worauf die beiden jungen Burschen offenbar nur gewartet hatten und aufsprangen. Sie zogen an etwas, und Rifada erkannte es erst, als es schon zu spät war. Ein Seil schnellte plötzlich unter der Wasseroberfläche hervor und wurde straff gezogen - ein Seil, das um den rechten Haltepfosten der Brücke geknotet war, der diese (zumindest provisorisch) bis eben aufrecht gehalten hatte.
"Ihr sollt verflucht sein!", brüllte Rifada, als ihr Pferd wiehernd das Gleichgewicht verlor und mit ihr seitlich in den Bach kippte, als die Holzbrücke unter ihnen zusammenbrach. Der Gambari war kaum einen dreiviertel Schritt tief, aber trotzdem schlug sein eiskaltes Wasser über ihr zusammen, und Rifada bekam einen knallharten Tritt ihres eigenen Pferdes ab, das unglücklich im Wasser aufgekommen war und panisch strampelte.
In dem kurzen Moment, in dem sie unter Wasser war, fiel Rifada ein, um wen es sich bei dem dreisten Brückenräuber mutmaßlich handelte. Ihr Vetter Lucrann hatte ihnen einst lachend von einem seiner Untertanen erzählt, einem Caballero namens Gasparo von Sebeloh, der als Kind fast im Schwarzen See ertrunken wäre. Weil sein Kopf bei diesem Unglück zu lange ohne Luft zum Atmen geblieben war, galt dieser Gasparo seither als ziemlich sonderbar und geistig umnachtet, was sich unter anderem darin äußerte, dass er seine Satzendungen immer zweimal sagte, weshalb man ihn in Schrotenstein auch scherzhaft Doppel-Gasparo nannte.
All dies hatte ihn freilich nicht daran gehindert, zu einem Kerl wie ein Baum heranzuwachsen, und da er nichts vom Weinbau und der Ochsenzucht verstand, wovon das Caballerogeschlecht derer von Sebeloh früher gelebt hatte, schlug er sich als Schnapphahn und Raubritter durch, der den wenigen Händlern das Leben schwer machte, die ihre Waren überhaupt im wilden Bosquirtal feilzubieten wagten.
'Für die kostbare Zeit, die du mir stiehlst', dachte Rifada, als sie auftauchte, 'tue ich ein gutes Werk und befreie die Gegend von diesem Haderlumpen! Lucrann wird mir dankbar sein - wenn er sich denn mal wieder irgendwann auf seinen Landen blicken lässt ...' Sie prustete eine Fontäne grünes Wasser heraus und tastete nach dem Griff ihres Säbels in dem schlammigen Bachbett. Als sie ihn endlich zu fassen bekam und die Uferböschung hinaufblickte, sah sie mit Schrecken eine dicke Holzstange auf sich hernieder sausen, die sie krachend auf der Stirn traf. Dann wurde es dunkel um sie.
"Wollt ihr sie totschlagen totschlagen?", brüllte der besagte Doppel-Gasparo wütend seine Diener an. "Fischt sie raus raus! Tote bringen kein Lösegeld kein Lösegeld!"
Die zwei jungen Burschen sprangen ins Wasser und packten die Ohnmächtige links und rechts unter den Achseln. "Lösegeld? Ich weiß nicht, Herr ... das ist doch nur eine Landstreicherin oder vielleicht eine Söldnerin. Puh, schwer ist sie jedenfalls - ich habe selten ein Weib mit so harten Muskeln gesehen."
Gasparo von Sebeloh stieg ebenfalls vom Pferd und kam zur Uferböschung, um die nasse Bewusstlose entgegenzunehmen. "Ich weiß nicht ich weiß nicht. Ihre hässliche Fresse kommt mir irgendwie bekannt vor irgendwie bekannt vor! Eine Verwandte der Vogtin von Selaque vielleicht von Selaque vielleicht? Sie kommt ja von da kommt ja von da!"
"Hm, das kann sie uns selbst verraten, wenn sie wieder zu sich kommt", schlug einer der beiden Domnitos vor. "Aber bis dahin sollte sie lieber sicher in unserem Karzer sitzen, denn mit der möchte ich keinen Ringkampf wagen."
"Haha! Und das sagt einer, der normalerweise keinen Weiberrock vorüber gehen sehen kann!", frotzelte sein Mitstreiter.
"Bringen wir sie zur Burg zur Burg!", befahl Ritter Gasparo und warf Rifada grob wie einen Sack Kartoffeln über den Rücken seines Pferdes.
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