Mark Ragathsquell, 6. Tsa 1036 BF

Castillo Ragath, am frühen Morgen

Autor: Der Sinnreiche Junker

"Und ich sage es noch einmal: wir sollten ein für alle mal mit diesen Aufrührern aufräumen!" Rondrigo vom Eisenwalde hieb mit grimmiger Miene die Faust auf den Tisch. "Euer Hochwohlgeboren haben in all den Jahren mehr als genug Nachsicht gezeigt. Beständig haben diese da Vanyas Eure gräfliche Autorität untergraben. Besonders jetzt, wo sich der Blick des Reiches auf Ragath richtet, müssen Euer Hochwohlgeboren durchgreifen!"

Graf Brandil strich sich über seinen beeindruckenden Kinnbart, wog nachdenklich die Worte seines Castellans zur Rechten. Schließlich wandte er sich an den Mann zu seiner Linken, seinen zukünftiger Schwiegersohn: "Hernán?"

Dem Angesprochenen war anzusehen, dass er nur wenige Stunden geschlafen hatte, nachdem er in aller Frühe mit leeren Händen von Burg Harmamund aufgebrochen war. Müde hob er die zuvor gefalteten Hände: "Wie gesagt, ich halte das Ganze für ein Missverständnis, das sich ob der Beteiligten und der Umstände hochschaukelt. Domna Morenas Vorwürfe der Brandstiftung sind eine Frage für ein Gericht. Das Gerücht, sie hätte Domna Rifada bereits aufgeknüpft, scheint falsch zu sein. Nicht nur Domna Morena hat mir dies versichert, sondern auch Domna Belisetha selbst. Sie und Domna Richeza wiederum scheinen wohlauf zu sein, wiewohl ich mich nur des Befindens Domna Belisethas versichern konnte."

"Freilich...", räumte er mit verdrehten Augen ein "...ein Missverständnis, welches sowohl Domna Morena wie auch Domna Rifada zustatten zu kommen scheint. Selbst wenn Domna Morena sie nicht der Brandstiftung verdächtigte, würde sie dennoch nicht ohne irgendeinen Gewinn aus der Sache gehen wollen, wenn sie anderthalb...zwei...", sann er kurz nach, dass Namen manchmal Schall und Rauch waren "...da Vanyas in ihrer Gewalt hat. Und Domna Rifada wartet doch seit Jahren auf eine Gelegenheit es den Harmamunds heim zu zahlen, und ihr Geschlecht wieder auf den Thron zu hieven." Auf welchen Thron ließ der Baron und Junker freilich offen.

"Na also!", mischte sich wieder der alte Ritter ein. "Wir sollten diese Unruhestifterin in ihrem Tal endlich ausräuchern! Vereinen wir unsere Macht mit der des Fürsten. Irgendein Gutes müssen gewisse Hochzeiten ja haben", knurrte der Waldwachter mit einem missgünstigen Blick zu seinem Gegenüber. Früher hatte sich Graf Brandil zuvörderst von seinem alten Vertrauten Rat geholt. Seit sich aber der Aranjuezer mit dessen Tochter Rahjada verlobt und darüber ein Bündnis zwischen Fürst Gwain und den Harmamundern auf der einen, und Graf Brandil auf der anderen Seite geschlossen worden war, trieb sich diese Söldnerseele allzu oft im Dunstkreis des Grafen herum.

Hernán von Aranjuez lächelte schmal. Mittlerweile war er die Angriffe des Castellans gewohnt, zumal er auch seinen guten Teil dazu beigetragen hatte. "Ein nur vordergründiges Signal der Stärke im Vorfeld des anstehenden Reichskongresses, wie ich finde. Gewiss würde man Fragen stellen, warum sich halb Ragatien in Fehde befindet oder befand, wenn..."

"Daher ja ein Präventivschlag!", fuhr ihm Rondrigo vom Eisenwalde dazwischen. "Als ob es noch jemand wagen würde, die Waffen gegen Graf und Fürst zu erheben, wenn mit den da Vanyas längst kurzer Prozess gemacht wurde."

"Möglich, aber dennoch riskant. So oder so würde wohl niemand irgendwelche Fragen stellen, wenn man diese Angelegenheit gütlich regeln könnte", wandte sein Konkurrent ein.

Der Alte aber schüttelte nur das graue Haupt. "Man zertritt die Glut, ehe sie zur Feuersbrunst wird. Ihr würdet das nicht anders sehen, hättet Ihr Euch in der Vergangenheit nicht ständig mit diesen da Vanyas herum getrieben, erklärten Feinden der Familia Eurer Verlobten, im Übrigen."

"Ein treffendes Exempel, Dom Rondrigo", nickte der Condottiere, der einstmals auch zu den eher ungeliebten Vasallen Graf Brandils gehört hatte. "Ihr seht, wie eine Heirat die Dinge von Grund auf verändern kann. Vielleicht sollte man versuchen die da Vanyas mit einer solchen an den Grafenthron zu binden. Soweit ich weiß seid Ihr doch noch unvermählt. Und wenn ich es recht bedenke, meint es das Schicksal gut mit Euch: Domna Rifadas vermisster Ehegatte wird wahrscheinlich erst nach einem Jahrzwölft für tot erklärt, und sie somit zur Witwe. Für Domna Belisetha hättet Ihr womöglich das rechte Alter, doch würde eine Fürstentochter wohl kaum einen Mann ehelichen, der sich wie Ihr von bescheidenem Stande nach oben gearbeitet hat. Bliebe also noch Domna Richeza, von drei Eisenbesen eindeutig der Ansehnlichste."

Rondrigo vom Eisenwalde war bei der feixenden Rede seines Rivalen rot angelaufen, und stand kurz davor ihm über die Tafel an die Gurgel zu springen. Ihr Graf aber mahnte mit einem leisen Pochen des Zeigefingers auf das Holz eben jener zur Ruhe. "Zur Sache bitte, Caballeros." Nachdem beide entschuldigend die Häupter geneigt hatten - gegenüber ihrem Grafen, nicht gegenüber dem jeweils anderen - fuhr ihr Lehnsherr fort: "Beide Szenarien haben ihr Für und Wider. Eine Durchgreifen vor dem Reichskongress würde gewisslich für unerwünschtes Aufsehen sorgen. Andererseits stiften Rifada da Vanya und die Ihren seit Jahr und Tag Unfrieden. Eine Gelegenheit diese Sache endgültig zu klären sollte man nicht leichtfertig aus der Hand geben. Da gilt's möglichen Schaden und Nutzen sorgfältig abzuwägen, insbesondere wenn die Aussicht besteht dabei den Fürsten auf seiner Seite zu haben. Keine Kleinigkeit...", hob er mahnend den Zeigefinger von der Tafel "...immerhin ist Rifada da Vanya nominell eine Vasallin der Kaiserin."

Kurz ließ der Graf seine Worte bei den beiden wirken, dann wandte er sich wieder nach Links: "Glaubt Ihr, dass eine Einigung kurzfristig möglich wäre, Hernán? Noch vor dem Reichskongress?"

"Langfristig nicht", räumte er unumwunden ein. Die da Vanyas würden ihre Ansprüche niemals aufgeben. "Aber wie der Novadi sagt: Wenn man nur lange genug am Fluss sitzt, schwimmt irgendwann die Leiche Deines Feindes vorbei. Domna Belisetha ist alt, Seine Exzellenz älter und außerdem der Kirche verpflichtet. Auch Domna Rifada ist nicht mehr die Jüngste...", kurz streifte sein Blick den Castellan, so als wolle er sagen: Aber immer noch jünger als Ihr. "...und wird zweifellos früher oder später von irgendeinem Ferkinabanditen erschlagen. Sind diese einmal tot, wird sich kein da Vanya mehr an die Zeiten erinnern, als sie auf diesem oder jenem Thron saßen. Bleiben noch Lucrann da Vanya...", der Graf zog eine Augenbraue hoch, aufmerksam registrierend, dass der eine Nachbar dem anderen in der Aufzählung das Dom verweigerte "...der froh um jeden Götterlauf sein muss, den er nicht als Felonist angeklagt wird, und Domna Richeza. In einigen Jahren wird sich der Spuk also ganz von selbst erledigen. Konzentrieren wir uns also darauf, das aktuelle Problem zu lösen, damit der Reichskongress ohne große Nebengeräusche über die Bühne gehen kann."

"Ihr habt bei Eurer kleinen Aufzählung Gujadanya da Vanya vergessen. Was ich bislang von ihr gehört und gesehen habe, schlägt sie ganz nach ihrer Mutter", bemerkte Rondrigo vom Eisenwalde spitz.

Ein geschnaubtes Lachen war die erste Antwort seines Gegenüber. "Eine Amazone? Nach dem vollkommenen Versagen Shahane Al'Kasims gibt doch hoffentlich keiner mehr..." Seine Rede wurde unterbrochen, als Graf Brandil seinem zukünftigen Schwiegersohn die Hand auf den Arm legte. Er wusste um schlechte Verhältnis, welches dieser mit der ehemaligen Gräfin der Südpforte gehabt hatte. Doch sollte der Baron und Junker auch um das gute Verhältnis wissen, welches das Haus Ehrenstein-Streitzig mit jener gehabt hatte, und sich demzufolge allzu großen Spottes in diesen Hallen enthalten.

"Vertagen wir uns einstweilen", verkündete der Hausherr schließlich. "Fürst Gwain wird heute noch eintreffen, wegen der Vorbereitungen für den Reichskongress. Ohne Rücksprache mit ihm werden wir ohnehin keine Entscheidungen treffen. Einstweilen ordne ich die Verstärkung der Patrouillen an den Grenzen der Mark an. Ich möchte keine unangenehmen Überraschungen erleben." Kurz sah er zu beiden Seiten, ob jemand Einsprüche anzumelden hatte. Der Castellan schien zufrieden, und Hernán von Aranjuez hatte zumindest für Aranjuez und auch für Dubios längst entsprechende Anweisungen gegeben.



Autor: Der Sinnreiche Junker

Später am Tage nahm der alte Castellan einen seiner jungen Zöglinge beiseite. "Servando, Eure Stunde ist gekommen.", griff er ihm an die Schulter, und sah ihm tief in die Augen. "Nehmt Euch zehn Ritter und ein Halbbanner Partisanieri und marschiert nach Quazzano. Wenn Rifada da Vanya sich noch in der Mark befindet, kann sie sich nur dort verstecken. Ich möchte, dass Ihr sie in Ketten nach Ragath verbringt. Seine Hochwohlgeboren zählt auf Euch. Habt ihr verstanden?"

Der junge Caballero machte große Augen. "Aber ist Quazzano nicht der Amtssitz des Großinquisitors?"

"Ja, aber lehnsrechtlich ist es Teil des Junkerguts Ragathsquell und im Besitz der da Vanyas. Seine Exzellenz residiert zwar dort, aber es ist kein Kirchengrund, sodass es unter die Jurisdiktion Eures Grafen fällt. Also lasst Euch nicht abwimmeln."

Ein hörbares Schlucken entlarvte die Nervosität Servando Cronbieglers. Sei es, weil es sich um den ersten großen Auftrag seiner jungen Karriere handelte, sei es, weil ihm nicht ganz wohl bei der Sache war. "Und sollte man uns den Einlass verwehren?"

"Dann erzwingt Ihr ihn eben", knurrte Rondrigo vom Eisenwalde nun etwas ungeduldig. "Quazzano ist alles andere als eine trutzige Festung. Lustschlösschen trifft es wohl eher. Und ich bezweifle, dass es stark bemannt ist. Wahrscheinlich habt Ihr mehr Leute, als sich dort gerade aufhalten. Von deren Wehrhaftigkeit ganz zu schweigen. Ihr verlasst Quazzano nicht, ohne den Bau auf den Kopf gestellt zu haben, ist das klar?"

"Und was soll ich als Grund angeben?"

Der Castellan pausierte einen vielsagenden Moment. "Hochverrat und Aufwiegelei."

Servando Cronbiegler nickte langsam, und zufrieden sah sein Lehrmeister in seinem Gesicht, dass das anfängliche Unwohlsein mehr und mehr beflissentlichem Diensteifer wich. Endlich eine Chance sich mit einem eigenen Kommando in bedeutender Sache zu bewähren! Der Caballero wollte sich schon an die Ausführung machen, doch hielt der Waldwachter mit einer Kraft, welche ihm viele in seinem Alter kaum noch zutrauten, den Griff an dessen Schulter. Obgleich niemand im Raum war, senkte der alte Ritter die Stimme: "Graf Brandil braucht hiervon nichts zu erfahren. Seine Hochwohlgeboren ist nun einmal nicht von hier, und tut sich manchmal noch immer schwer mit den hiesigen Sitten und Gepflogenheiten. Begegnet man diesen alteingesessenen Landadligen mit zu viel Nachsicht, hat man irgendwann einen Dolch im Rücken. Ihr wisst das, ich weiß das. Diese da Vanyas sind Aufrührer und erkennen die Autorität Seiner Hochwohlgeboren nicht auch. Es ist Zeit, dass sich diese Renegatin vor dem Marmorthron verantwortet."

Damit klopfte er dem jungen Mann aufmunternd auf die Schulter. "Und nun auf, auf! Ich habe noch eine Nachricht an Praiosmin von Elenta zu schreiben. Wäre ja gelacht, wenn wir diese elenden Störenfriede nicht klein kriegen würden!", rief er scheinbar gut gelaunt, eventuelle Zweifel seines Schützlings zu zerstreuen, falls dieser sich fragte, warum denn sein Graf so gar nichts von der Geschichte wusste.

Ein Wassermaß später sah Rondrigo vom Eisenwalde zufrieden von einem Turm Castillo Ragaths zu, wie die Kolonne gen Nordosten abrückte. Dann wandte er sich um, und gab einem Bediensteten ein winziges Röllchen. "Schickt dies umgehend per Brieftaube an die Reichsvogtin von Kaiserlich Selaque."



Autor: SteveT

Nachmittags, am Ufer der Harma

Eslam Inglessio von Ragathsquell, der Viertgeborene und älteste Sohn des Junkers aus dem ehemaligen Fürstengeschlecht derer von Ragathsquell, sah gelangweilt zu, wie zwei Eigenhörige seiner Familia mit Spaten und Spitzhacke ein Loch in die fingerdicke Eisschicht hackten, die das normalerweise schnell fließende Flüsschen Harma bedeckte - die Grenze zwischen der Dominie seines Vaters Talfan und der der verstorbenen Stierfürstin Aldea von Harmamund, der vor einigen Götterläufen ihre auch nicht viel freundlichere Tochter Morena nachgefolgt war. Eslam der Jüngere spuckte seinen Kautabak aus und begutachtete stirnrunzelnd wie der dicke Garobaldo - seines Zeichens zweiter Leibkoch seines Vaters mit überaus passendem Namen - einen Regenwurm aus einer kleinen Kiste mit Erde klaubte und ihn angeekelt auf einen zum Haken gebogenen dünnen Draht spießte.

"Ob das bei dieser Kälte etwas bringt?", fragte er den Koch skeptisch. "Die Fische sind doch alle längst erfroren oder rechtzeitig den Fluß und dann den Yaquir runter bis in die Südpforte oder ins Yaquirtal geschwommen. Nur ein kompletter Volllidiot von Fisch würde während der Tristeza in diesem efferdverlassenen Eisbad bleiben!"

"Das sehe ich ganz genauso!", nickte Garobaldo und gab den beiden hörigen Knechten ein Zeichen, dass das geklopfte Loch im Eis längst groß genug war. Er warf den Haken mit dem zappelnden Wurm befestigt an einer dünnen Schnur in das Eisloch und ging in die Hocke, um besser durch das trübe Eis schauen zu können. "Euer werter Vater ist aber der Überzeugung, dass die Silberflitzen auch während der Tristeza unter dem Eis am Grund der Harma leben. Und da er ebensolche - gedünstet auf Schalotten und Kürbispüree - Ihrer Majestät der Kaiserin höchststelbst während des kaiserlichen Hoftages zu Ragath servieren will und wir bis dahin noch an der genauen Rezeptur feilen müssen, brauchen wir eben auch bei diesem Firunswetter frische Silberflitzen."

"Dann seht zu, welche zu fangen!", befahl ihm der junge Eslam buchstäblich von oben herab, denn er saß auf dem Rücken seines Apfelschimmels, um den er den Vater und Soberan lange angebettelt hatte und den er in Vorgriff auf seine Schwertleite kurz nach seinem siebzehnten Tsafest erhalten hatte. Er glaubte, dass er das Lieblingskind von Talfan von Ragathsquell war, und so gab er sich Mühe, alles stets zu dessen vollsten Zufriedenheit zu erledigen, denn irgendwann einmal sollte all dies Land hier ihm gehören - und nicht irgendeines seiner zahlreichen Geschwister, ein Vetter oder eine Base. Er wollte sein Roß gerade über die schmale Holzbrücke gehen lassen, die hier über die Harma führte, um sich das Ganze auch einmal vom Harmamunder Ufer aus zu betrachten - doch die Frau unter den zwei Hörigen hielt ihn zurück. "Nicht, edler Domnito! De Brücke ist bloß für Menschen gemacht! Sie wird einstürzen unter dem Gewicht Eures Pferdes!"

Eslam Inglessio sah sie ungläubig an. Wer baute so einen schwächlichen Murks? Andererseits ... besonders stabil sah sie wirklich nicht aus. Er blieb also am eigenen Ufer und ließ sein Pferd dort auf und ab stolzieren, als er auf einmal am anderen Ufer aus dem Waldstück in etwa hundert Schritt Entfernung eine größere Anzahl Reiter näherkommen sah, der eine noch größere Anzahl marschierender Fußsoldaten folgte.

"Wer oder was zum Namenlosen ist das jetzt?", rief er. Der Koch zog vor Schreck schnell seinen Angelhaken aus dem Wasser, die beiden Hörigen bewaffneten sich wieder mit Spaten und Spitzhacke. Die Ankömmlinge waren durchweg bewaffnet und gerüstet - Eslams Mutter Efferdane hatte schon darüber gesprchen, dass es möglicherweise eine große Blutfehde geben werde in Ragatien und dem Bosquirtal, nachdem unlängst das irgendwie mit ihnen verwandte Mannweib Rifada da Vanya zur Unterredung beim Vater gewesen war. Eslam konnte kaum erwarten, dass es tatsächlich soweit kam, um sich im Kampf seine ersten Sporen zu verdienen. Vor allem nachdem er gehört hatte, dass es dann gegen die Harmamunds ginge, denen er nur zu gerne einiges von ihrem Land abknöpfen würde, um die eigenen Latifundias zu erweitern.

Eslam zog sein Rapier - eine bronzeverzierte Waffe aus der Schmiede der Gebrüder Sfazzio - und wartete am Brückenkopf, bis die Reiter heran waren, deren offensichtlicher Anführer auch ein junger Bursche zu sein schien, nur wenige Götterläufe älter wie er selbst. "HALT!", gebot er ihnen gebieterisch. "Ab hier beginnt unser Land und es wäre mir neu, dass wir einen Kriegshaufen angefordert haben. Was ist Euer Begehr?"

"Befehl des Grafen, Junge!", gab Servando Cronbiegler unwirsch zurück, dem aber der herablassende Tonfall, die Garderobe und vor allem das Pferd des jungen braunhaarigen Burschens verrieten, dass er von Stand sein musste - bei solchen Magnatensöhnen hieß es für ihn als Bürgerlichen immer vorsichtig zu sein. "Wir wollen nach Quazzano und die Karte weisst dies als den kürzesten Weg aus! Also lasst uns unseres Weges ziehen - alles andere braucht Euch nicht zu interessieren!"

"Ich rate Euch dennoch: Kommt keinen Schritt näher!", gab Eslam unbeeindruckt eine letzte Warnung zurück.

"Pfft!", schnaufte Servando höhnisch - kaum trocken hinter den Ohren, aber einem gräflichen Detachement den Durchzug verwehren wollen. "Vorwärts! Weiter!", drehte er sich zu den Gardisten des ihm anvertrauten Aufgebots um und ritt dann selbst auf die Holzbrücke. Die ersten zwei weiteren Gardereiter folgten ihm dichtauf - der junge Caballero aus höchstem Ragather Großbürgerhause hatte fast das Ragathsqueller Ufer erreicht, als die Brücke plötzlich mit lautem Krachen und Knarzen unter den drei Rössern und Reitern nachgab und sie allesamt ins eiskalte Wasser stürzten, die Eisdecke des Flusses zerschlagend.

"HAHAHAHAHA!", lachte Eslam und auch die beiden Hörigen, die mit dem Finger auf die drei Gestürzten deuteten und sich prustend auf die Schenkel schlugen. Nur der Koch Garobaldo reichte dem pudelnass ans Ufer schwimmenden Servando eine helfende Hand, um ihn ans Ufer zu ziehen.

"Und dabei habe ich Euch noch gewarnt!", schmunzelte der junge Ragathsqueller. Plötzlich aber wurde ihm der Ernst der Lage bewusst, da einer der gestürzten Geleitreiter offenbar unter sein panisch strampelndes Pferd geraten war. Er trieb blutend und besinnungslos im Wasser. Inglessio schnippste nach den beiden Eingehörigen. "Rapido! Rein mit euch! Zieht den Soldat aus dem Wasser!"

Die Hörigen gehorchten mit furchtsamen Blick. Einer von ihnen stieg ins eiskalte Wasser, sich am vorgereckten Spaten des Anderen festhaltend, und zog den ohnmächtigen Gardisten, der mit dem Gesicht nach unten getrieben war, am Wappenrock zum Ufer, wo ihn der Koch, Servando Cronbiegler und auch der hastig vom Pferd gestiegene Domnito mit vereinten Kräften hoch ans steile Ufer zerrten.

"Der Mann braucht einen Heiler und Ihr selbst und der Andere müsst aus den nassen Sachen raus!", stellte Eslam fest und hielt Servando die ausgestreckte Rechte zum Handschlag hin. "Ich schlage vor, Ihr begleitet uns nach Ragathsquell - es sind nur zwei Meilen! Eure Leute können ja so lange dort drüben rasten."


Autor: Der Sinnreiche Junker

Servando Cronbiegler nickte seinem Helfer dankbar zu und schlug einige Male klappernd die in Eisen gekleideten Arme um den rasch auskühlenden Leib. Schlotternd ergriff er die dargebotene Hand Eslams, mit freilich reichlich zerknirschtem Antlitz. Das war ja ein großartiger Beginn seines eigenen Kommandos. "Habt Dank", schüttelte er dann aber das Haupt, an welchem die nassen Strähnen seiner nackenlangen Haare wirr klebten. "Aber unser Auftrag duldet keinen Aufschub. Gerne jedoch nehme ich Euer Angebot im Namen Graf Brandils für unseren Verletzten an. Ihr ...", wandte er sich an den gleichfalls durchnässten Reiter, "... werdet ihn begleiten, und seht zu, dass Ihr in trockene Sachen kommt."

Trockene Sachen, ein prasselndes Kaminfeuer und erhitzter Wein schienen dem jungen Ritter zwar auch mehr als verlockend, doch was, wenn die Aufrührerin just in dem Moment entkam, in welchem er es sich wohl sein ließ? So öffnete er die Spange seines klatschnassen Umhanges und deutete auf die ersten Reiter am anderen Ufer: "Eure Umhänge, rapido!" Rapido! hatte er sich von mehreren Standespersonen abgeschaut, und seit auch er zum Schwertadel gehörte, verwendete der junge Ritter diese Vokabel geradezu inflationär.

Vorsichtig wurden ihm von einem der leichter gerüsteten Fußsoldaten drei Umhänge herüber gebracht, in welche sich der Caballero zähneklappernd hüllte. Einen davon um das Haupt, sodass er den Wickelköpfen am Ende nicht unähnlich sah. "Reitet zurück, wir treffen uns vor Quazzano", wies er schließlich seine Berittenen an. "Nahe Schwanweiher gibt es eine Steinbrücke, die auch Reiter aushält." Das klang schnippischer als er es beabsichtigt hatte, daher drehte er sich rasch zu dem Ragathsqueller um: "Verzeiht die Umstände, Dom. Seid gewiss, dass Seine Hochwohlgeboren von Eurer Hilfsbereitschaft erfahren wird. Gewiss wird die gräfliche Schatulle auch für den ... Schaden ... aufkommen."

Kurz sah er zu den Resten der Holzbrücke, dann winkte er dem Unteroffizier der Partisanieri. "Das Fußvolk zu mir!", rief er, woraufhin die Frauen und Männer des Grafen vorsichtig das Eis betraten. Weit auseinandergezogen und in mehreren Gruppen, wohlgemerkt. Offensichtlich war niemand sonderlich erpicht darauf das Schicksal ihres Anführers und der zwei Kameraden zu teilen. Servando Cronbiegler indes griff die Zügel seines Rosses, und schien, ganz der Anführer, für einen Moment versucht, sich in den Sattel zu schwingen. Dann aber ließ er es in Anbetracht von Firuns kaltem Hauch doch lieber bleiben. Es war auch so trotz der Umhänge kalt genug, und ein wenig eigene Bewegung würde sicherlich schaden.


Autor:SteveT

"Auf Garobaldo! Du hast den Caballero des Grafens gehört. Die beiden Eigenleute werden dir helfen, den Verletzten auf unsere Burg zu bringen. Die Heilerin Ippalita soll sich seiner annehmen!", befahl Eslam der Jüngere dem Koch seines Vaters. Dann saß auch er - im Gegensatz zu Servando Cronbiegler - wieder auf seinem Apfelschimmel auf. "Ich werde Euch selbstverständlich nach Quazzano begleiten, werter Dom!", klärte er den Ragather auf, der ihn überrascht und wenig begeistert anstarrte. "Schließlich befindet Ihr Euch ab jetzt auf dem Land meiner Familia, und auch Schloss Quazzano ist eigentlich eine unserer Besitzungen - hätte es nicht mein Großvater als Traviensgabe für einige Zeit an die Da Vanyas abgetreten. Da Euch als Diener unseres geschätzten Grafens hier an der Grenze zu unserem Grund und Boden dieses bedauerliche Malheur passiert ist, fühle ich mich verpflichtet, ab hier persönlich über Euer Wohlergehen zu wachen! Ich habe zwar meine Schwertleite bis jetzt noch nicht erhalten - aber ich versichere Euch, dass ich schon jetzt eine außerordentlich flinke Klinge führe und so nötigenfalls den Ausfall Eurer beiden Geleitreiter kompensieren kann!", fügte er stolz und etwas großspurig hinzu.

"Äh - falls Ihr aber zum Großinquisitor wollt, so kann ich Euch sogleich sagen, dass Ihr ihn nicht antreffen werdet. Er und die anderen da Vanyas haben Quazzano vor ein paar Tagen in allerlei verschiedenen Himmelsrichtungen verlassen. Die einen munkeln, sie suchen nach einem Ketzer, der das Noionitenspital niedergebrannt hat - die anderen behaupten, sie rüsten sich zur Fehde gegen die Harmamunds, die zwei da Vanyas auf ihrer Burg gefangen halten sollen. Na ja, ich hoffe auf das Letztere und schätze mal, dass Ihr auch wegen dieses bevorstehenden Fehdenkrieges hier sein werdet, oder?", schaute er Servando Cronbiegler forschend an.



Autor: Der Sinnreiche Junker

"Wie Ihr meint", brummte Servando Cronbiegler auf die Eröffnung hin, dass der junge Ragathsqueller sie nach Quazzano begleiten würde. Einen Moment grübelte er vielleicht noch darüber nach, ob dessen großspurige Rede am Ende gar eine Drohung war. Immerhin, das wusste er von Dom Rondrigo, nahmen sich diese alteingesessenen Geschlechter gegenüber ihrem tobrischen Grafen mit unschöner Regelmäßigkeit viel zu viel heraus. Beispielsweise, wenn ein gräflicher Kriegshaufen durch ihre Dominien zog, ganz so, als säßen sie allesamt noch selbst auf dem Marmorthron.

Überrascht, und man sah es ihm an: durchaus erfreut, hob er die Augenbrauen auf die Auskunft hin, dass Seine Exzellenz Dom Amando aktuell nicht auf Quazzano weilte. Das dürfte die Dinge wesentlich vereinfachen. Wer mochte schon dem Großinquisitor der Praioskirche eröffnen, dass man gedachte, seinen Amtssitz auf den Kopf zu stellen? Weniger gute Nachrichten waren freilich, dass die da Vanyas allesamt ausgeflogen waren. Angeblich. So ganz schien der junge Caballero seinem neuen Begleiter an der Spitze der Kolonne noch nicht über den Weg zu trauen. Entsprechend reserviert gab er sich: "Von solchen Dingen weiß ich nichts. Ich führe nur den Auftrag meines Grafen aus."