Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 34

Mummenschanz in Peraines Garten

Wie ein einfacher Botenreiter, der keiner war, den Perainegeweihten zu Orondo aufsuchte. Wie er dort auf unerwarteten Widerstand traf. Wie eine Yaquirtaler Caballera mit Erzzwergen zechte. Wie ein Perainegeweihter, der keiner war, Orondo in Richtung Vivar verließ.

Baronie Taubental, 4. Travia 1033 BF

Im und um den Tempel Unserer Lieben Frau vom Paradiesgärtlein zu Orondo (1. Praiosstunde)

Autor: lindholz

Als Amaros Desidero von Lindholz bemerkte, dass er Orondo erreicht hatte, befand er sich schon fast zwischen den ersten der einfachen Gehöfte, deren obere Stockwerke aus dunklem Holz bestanden. Der schwere Regen hatte eingesetzt, nachdem der zum Botendienst verdonnerte Magier Santa Catalina knappe zwei Meilen hinter sich gelassen hatte. Die Wolkenfront schien auch Rahjas Einverständnis zu haben, hatte sie sich doch aus der Ihr zugewiesenen Himmelsrichtung über die dicht bewaldeten Hänge des Taubentales geschoben. Seitdem prasselte Efferds Segen allzu verschwenderisch auf den Lindholzer hernieder und nahm ihm die Sicht. Der dünne Überwurf aus schwarzer Wolle hatte schon lange kapituliert, das Hemd war mit Wasser durchtränkt und die Wildlederhose klebte unangenehm auf seiner Haut. Der versiegelte Brief des Leutnants, der wohlverwahrt in der ledernen Satteltasche ruhte, war als einziges vor den Unbillen des Wetters geschützt.

Notgedrungen hatte der Adept der arkanen Künste einen Flim Flam gesprochen. Die Kugel aus bläulichem Licht erlaubte es ihm, weiterhin den schlammigen Pfad zu erkennen, der am Ufer der langsam anschwellenden Inoscha das Tal hinauf führte. In der Ferne konnte Amaros die Wolken unter der Kraft der Blitze hell erstrahlen sehen und das Donnern folgte in immer kürzeren Abständen.

Amaros hatte Mühe, sich selbst dazu zu bringen, seinen duldsamen Falben Azúcar in jenem langsamen Gang zu halten, der dem Pferd nur geringe Anstrengung abverlangte und einen sicheren Tritt auf dem glitschigen Karrenweg ermöglichte. Nicht nur das stärker werdende Unwetter beunruhigte ihn; vielmehr war es der Ärger darüber, sich selbst in diese Situation gebracht zu haben, die ihm zu schaffen machte. Am Anfang war es noch ein nettes Spiel gewesen, doch nachdem der Leutnant angefangen hatte, seine zackigen Anweisungen zu geben, war Amaros wie von selbst wieder in die Unterwürfigkeit zurückgefallen, die er sich in Grangor hatte angewöhnen müssen: Abgeschnitten von der väterlichen Geldbörse, war er gezwungen gewesen, sich als Schreiber für diese selbstherrlichen Pfeffersäcke zu verdingen. Auch wenn es ihn mit Zufriedenheit erfüllte, seinen eigenen Weg beschritten zu haben, so nagte es bis heute an seinem Stolz, Bürgerlichen zu Diensten gewesen zu sein.

Von diesen düsteren Gedanken begleitet, erreichte er schließlich den zentralen Dorfplatz, an dem die steinernen Bauten von Vogtshaus und Perainetempel aufragten. Nur aus dem hier ebenfalls befindlichen Gasthaus drang noch das warme Gelbrot von Lampenlicht. Dunkle Stimmen grölten ein eingängiges Trinklied, das nur gedämpft durch den Regen drang. Ansonsten war von den einheimischen Orondini schon längst keiner mehr auf den Straßen. Mitternacht war bereits vorbei, das kräftigende Abendmahl eingenommen und in den Betten gaben sich Bauern, Hirten und alle anderen Borons, vielleicht auch Rahjas Segnungen hin.

"Nur mir, der ich wohl das edelste Blut hier habe, bleibt dieser einfache Wunsch versagt", dachte Amaros indigniert, als er absaß und Azúcar unter dem schützenden Blätterdach eines Apfelbaumes anband. Dann nahm der junge Mann die Satteltasche an sich und trat eilig an das Portal des Göttinnenhauses. Das nachgedunkelte Pinienholz des Tores war mit Schnitzereien von Feldfrüchten, Äpfeln und Schafen verziert, doch weckten sie nicht die Aufmerksamkeit des Adligen. Der Magier verharrte kurz, griff einer Eingebung folgend nach einem hellen Kiesel, der sich warm in seine Handfläche schmiegte, während die Wassertropfen die Erde davon abwuschen. Dann ließ er das bleiche Licht seines Zaubers verlöschen und klopfte vernehmlich an.

Zweimal noch musste Amaros sein Klopfen mit gesteigerter Lautstärke wiederholen und war schon dabei abzuwägen, sich in der Gaststätte nach dem Priester zu erkundigen, als endlich das Tor aufschwang. Ein Mädchen von vielleicht vierzehn Lenzen blickte ihn aus müden Augen an, die sich vor Überraschung weiteten, als sie in das Antlitz eines Unbekannten blickten. Die Halbwüchsige trug eine grüne mit gelben Ähren bestickte Schürze über dem einfachen Wollkleid, welches sie sich übergeworfen hatte. Ein kleines Öllicht in ihrer Rechten spendete ihr Licht. Amaros vermutete, dass es sich um eine Novizin handelte, ließ sich davon aber nicht abhalten, ungeduldig in das Innere des Tempels zu drängen, während er erläuterte: "Mein Name ist Amando Monzo. Ich bin mit einem Schreiben höchster Dringlichkeit von Santa Catalina geschickt worden, um es dem hiesigen Geweihten der Gütigen Göttin zu überbringen. Die Angelegenheit duldet keinerlei Aufschub."

Die Novizin nickte beeindruckt: "Ich werde Hochwürden sofort wecken.“

Schon wollte sie davon eilen, als der junge Mann sie noch einmal zurückhielt: "Warte!" Er schlug seinen Umhang zurück, öffnete die darunter verborgene Satteltasche und entnahm ihr das Schreiben. "Nimm das hier besser gleich mit." Er kannte den Inhalt des versiegelten Briefes nicht und vielleicht war es besser, wenn es dabei blieb.

Die Novizin stellte das Licht ab und nahm das Schreiben entgegen: "Soll ich Euch ein Tuch mitbringen und sehen, ob wir vielleicht etwas Trockenes haben, was Euch passen könnte?"

Amaros hätte sich am liebsten geschüttelt bei dem Gedanken, solch ärmlichen, kratzigen Stoff anzuziehen, wie das Mädchen ihn trug. "Da ich sofort wieder mit der Antwort seiner Gnaden aufbrechen werde, wäre das wohl vergebliche Liebesmüh. Ich werde es also noch eine Zeit lang hinnehmen müssen, mehr Wasser als Faser auf der Haut zu tragen", antwortete er und setzte noch hinzu, als er bemerkte, dass der Blick der Heranwachsenden nicht zu seinem Gesicht zurückgekehrt war: "So der Anblick nicht zu unerträglich ist."

In Windeseile und mit hochrotem Kopf eilte die Novizin aus dem Gebetsraum des Tempels.

Amaros musste nicht lange warten. Ein in das grüne Ornat der Perainepriesterschaft gekleidete Mann trat durch die gleiche Tür ein, durch die das Mädchen geflüchtet war. Der Geweihte war zur Überraschung des Adeptus kaum älter als er selbst. Das glatte schwarze Haar trug er im Nacken gebunden und Augen von so smaragdenem Grün blickten Amaros entgegen, dass dieser sich sofort fragte, ob Elfenblut durch die Adern seines Gegenübers floss.

"Ich bin Maestro Perinyo Salpena. Ich werde Euch nach Santa Catalina begleiten", verkündete der Mann mit gefasster Stimme.

"Hochwürden", gab Amaros zur Antwort, um sein Einverständnis zu signalisieren und verbeugte sich. Darum ging es also. Was wohl im Tempel vorgefallen war? Er hoffte, dass weder seine Schwestern noch seine Mutter darin verstrickt waren.

"Ich habe Loupe bereits losgeschickt, den Wirt zu bitten, mir sein Maultier zu leihen, damit wir ein wenig schneller vorankommen", ergänzte Perinyo, während er sich einen Mantel überwarf. Gemeinsam harrten sie der Rückkehr der Novizin.


Autor: vivar

Diese ließ, zu Amaros' stiller Freude, eine ganze Weile auf sich warten, so dass er die Zeit fand, an eine Feuerschale im Gebetsraum heran zu treten, die der barmherzige Meister Perinyo mit einem glimmenden Scheit entzündete, und sich ein wenig zu wärmen. Als die Novizin endlich wieder die Tempelhalle betrat, löste er sich nur unwillig von den Kohlen.

Umso erstaunter hörte er, was Loupe zu sagen hatte: "Meister, Nazir sagt, es tue ihm furchtbar Leid, aber er habe sein Muli bereits verliehen."

Der junge Geweihte runzelte die Stirn. "An wen den?"

Loupe blickte verlegen zu Boden. "An Väterchen Argmoschix, Meister."

Die Verwirrung auf dem Gesicht Meister Perinyos war komplett. "Väterchen Argmoschix? Wozu braucht er denn ein Maultier? Obendrein zu dieser nächtlichen Stunde? Väterchen Argmoschix ist der Sippenälteste der hier lebenden Zwergengemeinde, Herr Monzo."

Die Novizin zuckte mit den Schultern. "Ich habe Nazir ausgerichtet, dass Ihr unbedingt nach Santa Catalina reiten müsst, weil der Baron vergiftet wurde, und er wollte schon mit mir zum Stall gehen, da sagte der alte Zwerg, der wohl auf einen Becher Wein heraufgestiegen war: 'Entsinnst du dich nicht, Söhnchen, dass du mir für heute Abend dein Maultier geben wolltet für den neuen Stollen, den wir treiben wollen.' Darauf erinnerte sich der Wirt mit einem Male seines Versprechens und sagte, er könne sein Tier nicht herausgeben."

"Seltsam. Die Aurixim haben doch ihre guten Zwergenponies - wozu brauchen sie da Nazirs Rübenfresser? Ich rede besser selbst mit dem Alten. Nichts für ungut, Loupe, aber gewiss hat er dich aufgrund deines Alters nicht für voll genommen und den Ernst der Lage nicht begriffen. Kommt mit, Herr Monzo! Mit einem freundlichen Wort lässt sich auch ein Zwergenherz erweichen!"

Nach allem, was Amaros von den Erzzwergen gehört hatte, bezweifelte er dies zwar, trat aber dennoch mit dem Geweihten vor das Portal des Kirchleins. Ihr Gang zur Taberna endete jedoch bereits nach wenigen Schritten. Der Apfelhain war voll von kleinwüchsigen Bartträgern in schlichter dunkler Gewandung. Einige trugen hohe schwarze Hüte mit breiter Krempe. Hier und dort blinkten Beile und andere Waffen. Im Hintergrund standen auch einige Menschen.

"Väterchen Argmoschix!", rief der Geweihte verdutzt aus. "Welch seltener Besuch in meinem Hain! Ihr wollt Euch doch nicht etwa zur Herrin Peraine bekehren? Ein Scherz, nur ein Scherz, Väterchen. Gerade wollte ich mit Euch sprechen."

Einer der Hutträger, mit silbernem Bart und schwarzem Mantel, hakte die Daumen in seinen Gürtel und sprach mit ernstem Gesicht: "Angrosch ungarim ka romdraschmox![1] Auch wir müssen mit dir sprechen, Söhnchen. Wir haben gehört, dass du verreisen willst. Planst du etwa, zu diesem Sündenfest gehen, wo alle halbnackt und betrunken umhertanzen, Perinyo?"

Mit den Händen wehrte der Geweihte ab. "Der Herr von Vivar liegt vergiftet danieder. Die Comtessa von Ragath fordert mich auf, sofort nach Santa Catalina zu eilen. Sein Leben ist in Gefahr!"

Argmoschix stand im Regen und bewegte sich nicht. "Eile bringt den Tod. Deswegen sterbt ihr Gigrim auch so früh. Weil ihr immer rennt. Der Herr von Vivar hat mächtige Freunde. Er hat seit Hunderten von Jahren der Hilfe der Orondini nicht mehr bedurft. Warum sorgst du dich nicht um die Kranken hier, Söhnchen? Broschax Sohn des Bargrix' Grubenfieber ist nicht besser geworden."

Meister Perinyo war die Ungeduld förmlich anzusehen. "Broschax' Leiden ist langwierig. Er kann für einige Tage auf meine Fürsorge verzichten."

"Nein, nein", sagte der Sippenälteste bestimmt. "Er hatte erst vor zwei mal acht Tagen wieder einen Hustenanfall. Du solltest ihn dir unbedingt ansehen." Mit der Bestimmtheit eines bergab rollenden Felsbrockens fügte er hinzu. "Du kannst auf keinen Fall jetzt eine Reise antreten, Söhnchen."

Der Geweihte zuckte hilflos mit den Schultern und wandte sich zu dem vermeintlichen Boten an seiner Seite. "Ich weiß nicht, welche Steinlaus ihnen über die Leber gelaufen ist", raunte er leise. "Für gewöhnlich sind die hiesigen Zwerge recht umgänglich."


Autor: lindholz

"Werte Angroschim, hört mich an!", mischte sich Amaros daraufhin in das Gespräch ein und Argmoschix’ abweisender Blick heftete sich nun auf ihn. "Wollt Ihr tatsächlich jemandem, dem heimtückisch Gift verabreicht wurde, die Gnade der Gütigen verweigern? Sicherlich würde die Comtessa nicht um Euren Beistand bitten, wenn es nicht von Nöten wäre. Seine Hochgeboren könnte sterben!"

Abschätzig schnaubte der Zwerg und seine steingrauen Augen funkelten: "Und was ist mit Broschax? Ist sein Leben etwa weniger wert? Eins kann ich dir sagen, Jungelchen: Er hat zumindest noch viel mehr Jahre vor sich, die es zu bewahren gilt. Auch wenn er kein ach so edles Blut hat wie Seine Hochgeboren."

Ein zustimmendes Raunen ging durch die Zwerge.

Der Geweihte und Amaros blickten sich in einer Mischung aus Unglauben und Niedergeschlagenheit an, doch der Sippenälteste war noch nicht am Ende seiner Rede angekommen: "Außerdem ist diese Comtessa bestimmt völlig umsonst besorgt und lediglich auf eine List des Herrn von Vivar hereingefallen. Sicher hat er sich diese ganze Sache mit dem Gift nur ausgedacht, um sie auf sein Lager zu locken. Sogar bis in die Hallen von Aurom-Dûm“ – er deutete mit dem Daumen auf den Boden unter sich – „ist vorgedrungen, dass der Herr von Vivar hinter jedem Rock mit strammen Schenkeln her ist. Nur werden sich die dieser Comtessa nicht so einfach geöffnet haben.“

Doch wie sie ihm um den Hals fallen wird, wenn er von der 'Schwelle des Todes' zu ihr zurückkehrt! Kann mir schon vorstellen, was da noch so schwellt." Dröhnend lachte Argmoschix und winkte ab: "Reite einfach nach Hause oder wo auch immer du hin willst, Junge. Unser Heiler bleibt in unserem Dorf. Dem Herrn von Vivar mag es egal sein, wenn seine Launen unser Leben kostet, aber uns sicher nicht."

Der Lindholzer wollte etwas erwidern, doch Meister Perinyo hielt ihn zurück: "Es hat keinen Sinn, Herr Monzo. Wenn ein Erzzwerg etwas beschlossen hat, ist er unnachgiebig, wie das Erz, das er im Namen trägt. Gehen wir erst einmal wieder in die Halle der Göttin und überlegen, was nun zu tun ist."

Amaros schätzte es überhaupt nicht, sich einem Höhlenkriecher beugen zu müssen, doch ihm wollte kein Weg einfallen, den Diener der Gütigen Göttin von diesem Ort wegzubekommen, der von den Angroschim quasi belagert wurde. "Nun gut", beugte er sich schließlich, "steht das Angebot Eurer Novizin noch? Wenn ich es recht überlege, hätte ich doch gerne etwas Trockenes."

Geschlagen zogen sich die beiden in den Tempel zurück. „Einen Geheimgang hat dieser Tempel nicht zufällig zu bieten?“, fragte der vermeintliche Bote mit wenig Hoffnung in der Stimme, als sie das Tor hinter sich geschlossen hatten.


Autor: dalias

Geduckt saß Yppolita di Dalias y las Dardas auf der klapprigen Mähre, die ihr eigen war. Am Rande des Apfelhains harrte sie aus und verfolgte, was vor sich ging. Zwerge waren herangerückt – eine beachtliche Anzahl von ihnen – und hatten den kleinen Tempel umstellt, gerade als sie sich heranschleichen wollte. Ihr dumpfes Murren war kaum zu vernehmen. Zu dicht fiel der Regen herab. Das beständige Prasseln ertränkte die kaum zu hörenden Stimmen in seiner ewigen Gleichförmigkeit. Ihr Caldabreser und die ihn ansonsten schmückenden Federn hatten sich der Macht des Regens schon lange gebeugt. Nass bogen sie sich nach unten. Leise klapperten ihre Zähne. Enger schlang sie den nassen Umhang um sich. Doch Wärme vermochte er ihr schon lange nicht mehr zu geben. Sie fror. Sie, die sonst nie fror, die die Nivesenlande und Thorwal bereist hatte, bibberte. Kurz waren dieser merkwürdige Bote und der Geweihte aufgetaucht, das Licht aus der Tür des Tempels ließ Yppolita sie deutlich erkennen. Ein paar kurze, kaum verständliche Worte hatten sie mit den Zwergen gewechselt. Dann waren dieser Bote und der Geweihte auch wieder in das Warme und das Licht des Tempels zurückgekehrt. Ein warmer, trockener Raum – da wäre sie nun auch gerne. Wie war sie nur hierher gekommen?

Auf dem Markt in Santa Catalina hatte sich Yppolita treiben lassen – hatte natürlich alles genau im Auge und beobachtet… Dort war sie auch wieder mit ihrem versoffenen Vetter Lodovico di Dalias zusammengetroffen. Für den Weg vom Tempel herab hatte er eine geschlagene halbe Stunde gebraucht. In dieser Zeit war er dreimal von seinem Pferd gerutscht. Prustend vor Lachen hatte er verkündet, er wolle nun für Ruhe und Ordnung sorgen, was einiges an Unruhe und Argwohn bei den Feiernden um ihn herum ausgelöst hatte. Da Lodovico an seinem Plan festhielt, zunächst die strategisch essentiellen Weinstände zu sichern, hatten sie sich wieder getrennt: Yppolita wollte weiter nach Verdächtigen suchen. Unter den Feiernden war ihr zunächst keiner aufgefallen, doch dann war sie fündig geworden. Sie hatte einige höchst suspekte Gestalten ausgemacht: Ein Soldat hatte diesem Boten ein Schreiben gegeben und ihn losgeschickt. Und dieser zog gen Firun, in Richtung der Berge. ‚Warum’, so fragte sich Yppolita, ‚reitet ein Bote nachts in die Berge?’

Ihr Verdacht hatte sich bestätigt, als der fremde Bote einem unheimlichen bläulichen Licht zu folgen begann, das ihn schnurstracks weiter in das Dörfchen Orondo führte. Bald hatte es zu regnen begonnen, der Weg war rutschig geworden. Sie hatte ihr Pferd mehr geführt, als dass sie auf ihm ritt. Es war ein gefährlicher und weiter Weg des Nachts – doch ihre Intuition hatte sie nicht getrogen. Irgendetwas Merkwürdiges ging hier vor – und der Bote steckte, davon war sie nun überzeugt, in dieser ganzen Angelegenheit tief drin.


Autor: vivar

Yppolita richtete den Blick wieder auf das Göttinnenhaus. Die Zwerge bildeten einen Kreis und schienen murmelnd und auf den Fußballen vor und zurück wippend einige Absprachen zu treffen, was eine ganze Weile in Anspruch nahm. Schließlich marschierte das Gros von ihnen wieder in Richtung der Taberna ab, während ein halbes Dutzend sich strategisch günstig im Hain Aufstellung nahm, um sowohl das Tempelportal als auch die Tür zu der angebauten Sakristei samt Geweihtenhaus im Auge behalten zu können. Ein weiterer Bartträger bewachte – wenn auch in respektvollem Abstand – den Gaul des Boten. Der Perainetempel stand unter Belagerung!


Autor: dalias

„Angroschim haben Geduld… die bleiben am Ende die ganze Nacht hier“, sprach Yppolita di Dalias y las Dardas leise zu sich selbst. Die ganze Nacht, frierend und durchnässt auf einem Pferd sitzend zuzubringen, schien der Caballera keine allzu verlockende Aussicht zu sein. Behutsam führte sie ihre rechte Pranke zum Griffkorb ihres Raufdegens und zog die Klinge kurz eine Handbreite aus der Scheide. Linkhand und Dolch waren auch an ihren Plätzen. Ihren Kopf legte sie an ihren Nacken und hob ihre Augen für ein kurzes Gebet gen Alveran. „Heiliger Oheim, San Lumino, halte Fürsprache für mich bei Dom Praios und Domna Rondra! Herz, Hand, Klinge!“

Sachte drückte Yppolita mit ihren Schenkeln in die Flanken ihres Pferdes. Gemächlich und müde trottete es voran auf den warmen Lichtschein des kleinen Kirchleins inmitten des Apfelhains zu. Yppolita schob ihr Kinn nach vorne und legte ihren Kopf leicht schief, um den Eindruck Yaquirtaler Verwegenheit zu erwecken. Sie setzte ein leicht spöttisches Lächeln auf. Einzig um ihr Pferd machte sie sich ernsthaft Sorgen, eine zerschundene, klapprige Mähre. Ein trächtiges Zwergenpony, rund wie ein Puniner Fass im Weinmond, strahlte mehr Anmut aus.

In die Reihen der Angroschim, die sich um den Tempel postiert hatten, kam Bewegung. Sie hatten Yppolita und ihr Pferd bemerkt. Zwei kamen ihr entgegen, um ihr den Weg zum Kirchlein zu verstellen. Taxierend wogen die beiden ihre Äxte in den Fäusten. Ihre durchnässten Hüte hingen schlapp herab. Dicke Tropfen perlten aus ihren geflochtenen Bärten auf den Boden. Mit tiefer, wie ein Steinschlag grollender Stimme rief ihr der Vorderste entgegen: „Angrosch ka kagrosch! Kagarax xanaschna, Xomaschna?“[2]

Kurz vor den beiden Zwergen brachte Yppolita ihr Pferd zum stehen. Herablassend blickte sie auf die Angroschim herab. „Angrosch auch mit Euch und den Eurigen, ebenso Rondra und die anderen elf Zwölf, wenn’s Euch beliebt.“ Yppolita merkte, wie ihre Stimme leicht bebte; sie räusperte sich kurz und versuchte, sich zu beruhigen. Sie musste kühl sein wie Stahl. „Ich bin Alveranis Gloria Yppolita di Dalias y las Dardas, Erbjunkerin zu Dalias, Sherbeth und Malkethoza, Caballera zu Las Colinas. Die älteste Enkeltochter der Schwiegermutter des Bruders meiner Vaterschwester, eine tapfere und schier unbezwingbare Klingenjägerin, schickt mich nach Orondo. Sie“, Yppolita unterbrach ihren Wortschwall und machte eine kurze theatralische Pause, „sie hat mir aufgetragen, der hiesigen Geweihtenschaft der…“, Yppolita musterte den nur schemenhaft erkennbaren Tempel und Hain kurz, „der guten Göttin… Peraine…“, als sich kein Widerspruch in den Mienen der Angroschim regte, sprach sie weiter, „meine Reverenzen zu erweisen und dieselbe Geweihtenschaft gegen gute Opfermünzen zu ersuchen, zwölf Tage lang, zwölf Kerzen zu entzünden und unablässig, fest und fortgesetzt, für die Linderung des… kalten Fröstelns derselben, der hochgeehrten ältesten Enkeltochter der Schwiegermutter des Bruders meiner Vaterschwester zu beten.

Denn, Ihr werten Herren Angroschim, Ihr mögt dies glauben oder nicht, oder gar zum Fundament Eures Glaubens erheben oder auch nicht, und darin Trost und Zuversicht schöpfen in dunklen und regnerischen Tagen oder auch nicht, dass das Entzünden von zwölf Kerzen an zwölf aufeinander folgenden Tagen und das überaus kraftvolle Beten dieser tadellos frommen Geweihtenschaft hier zu Orondo, auch in ferner davon gelegenen Regionen der Berggrafschaft und auch der Talgrafschaft, des Öfteren und stets sehr erfreulich, die Linderung üblen, manches mal gar niederhöllischen Fröstelns zur Folge hatte; wie dies auch und gerade meine liebe holde und überaus streitbare Base erstrebt, weswegen ich hier bin und die Passage zum Tempel hiermit erbeten haben will… Gehabt Euch…“ Mit diesen Worten drückte Yppolita – stolz und zufrieden mit sich – in die Flanken ihres Pferdes und nötigte es so zum Weitergehen.


Autor: lindholz

Es kratzte. Er hatte es ja gleich gewusst. Mit einem Seufzen strich Amaros von Lindholz über das grobe Gewebe. Aber es half nichts: Es würde noch eine Weile brauchen, bis das wärmende Feuer, welches den Tempel in sein flackerndes Licht tauchte, seine Kleider getrocknet hatte. Zu allem Überfluss hatte der Geweihte – im Gegensatz zu der verschüchterten Loupe – nicht einmal den Anstand, den Raum zu verlassen, während er sich umzog. Wieder einmal eine von diesen Sachen, die Amaros seit seiner Ausbildung in Grangor nicht mehr hatte hinnehmen müssen. Für einen Heiler wie Meister Perinyo war es wohl einfach nicht der Rede wert, wenn sich jemand vor ihm entblößte. Darüber hinaus konnte der Orondino kaum ahnen, dass er auf einen adliges Hinterteil schaute. Dementsprechend nahm der blonde Magier das Verhalten klaglos hin. Statt sich in Selbstmitleid zu ergehen, suchte Amaros nach einem Ausweg aus ihrer vertrackten Lage, während er zuerst das Lendentuch anlegte und sich dann die grobe Tunika aus Nesseltuch überstreifte.

Für ihn selbst würde die Flucht keine große Herausforderung darstellen, falls man ihn überhaupt daran hinderte, alleine das Gotteshaus zu verlassen: Seine arkanen Kräfte würden ihn unerkannt an den Angroschim vorbeibringen. Eine zweite Person mit sich zu nehmen; das war allerdings schon ein kräfteraubendes Unterfangen und seine Tarnung wäre dahin. Ein Menschenleben sollte es jedoch durchaus wert sein, einen Vortrag seiner Mutter über Gehorsam und Pflichten über sich ergehen zu lassen. Auf der anderen Seite fragte sich der junge Adlige, ob das Überleben des León de Vivar überhaupt im Sinne ihrer Familie war. Gab es nicht einen Gegenbaron, der das Wohlwollen der Kaiserin in Gareth besaß? Seine Schwester Alisea hatte ihm von entsprechenden Gerüchten berichtet. War am Ende gar seine eigene Familie an diesem Anschlag beteiligt?

‚Nein, soweit würde Mutter nicht gehen. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Und ich wäre ebenso wenig dazu bereit‘, grübelte Amaros vor sich hin, während er sich ein kurzes Seil um die Hüfte band, damit die beige Tunika nicht unförmig an ihm hinabhing. Indigniert blickte er an sich herab. ‚Von einem tumben Dörfler nicht mehr zu unterscheiden‘, konstatierte er innerlich, bevor ihn ein Gedanke wie ein Geistesblitz traf.

Mit einem Funkeln in den meergrauen Augen, drehte Amaros von Lindholz sich dem Diener der Göttin der Äcker zu: „Hochwürden, wenn wir hier die ganze Nacht verbleiben, wird Seine Hochgeboren vielleicht nicht mehr zu retten sein. Was hieltet Ihr davon, wenn ich mich als Euch ausgebe? Wenn eine Gestalt in Eure grüne Robe gekleidet versucht, von hier zu entkommen, werden die Zwerge sie zweifelsohne verfolgen. Währenddessen könntet ihr mein Pferd nehmen und gen Santa Catalina eilen.“


Autor: vivar

Meister Perinyo wirkte überrascht. Offensichtlich war ihm dieser Gedanke selbst nicht gekommen. Er trat an den Magier heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihn an. „Herr Monzo, ihr seid sehr tapfer. Euer Einsatz für das Leben eines anderen, eines hochgeborenen Herrn zumal, ehrt Euch vor Unserer Lieben Frau, die in dieser Stunde gewiss von Alveran auf uns hernieder blickt. Allein, Euer Ansinnen ist auch gefährlich! Was, wenn die Zwerge völlig außer Rand und Band sind und Euch ein Leid antun? Dann würde ich mich an Euch schuldig machen. Das ist gewiss nicht der Wille der –“

Er unterbrach sich, als das Portal sich öffnete, und eine durchnässte Caballera, einen dünnen Klepper am Zügel führend, das Tempelschiff betrat.


Autor: dalias

Die Yaquirtaler Caballera kniff ihre Augen zusammen. Im Inneren des Tempels war es hell. Gegen das Licht zeichneten sich zwei Männer ganz deutlich ab. Sie standen eng beisammen: Ein Mann in grüner, bodenlanger Kutte – offenkundig ein Geweihter Peraines und ein junger Mann in der einfachen erdfarbenen Tracht eines Bauernlümmels – dies war wohl der Bote, dem sie gefolgt war. Der Geweihte zog seine Hand sachte von der Schulter des Boten. Wie zwei ertappte Liebende standen sie da und blickten sie erschreckt an – oder wie zwei ertappte Verschwörer.

Yppolita ließ ihr Pferd stehen und kam, ohne ein Wort zu sprechen, sporenklirrend näher an die beiden heran. In dicken Fäden tropfte das Wasser von ihrem Umhang und Hut auf den hölzernen Boden des Langhauses. Mit großer Geste warf Yppolita ihren Umhang zurück und gab den Blick auf ihr Wehrgehänge mitsamt Raufdegen und Dolch frei. Drei Schritt vor den beiden blieb sie schließlich stehen.

„Die Zwölfe Euch zum Gruß entboten, Hochwürden. Gestattet, dass ich mich vorstelle?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Ich bin Alveranis Gloria Yppolita di Dalias y las Dardas, Erbin von Dalias und Caballera von Las Colinas aus dem schönen Artésa, Nichte der wohlgeborenen Dame Fiona de las Dardas y las Dardas, die Euch, Hochwürden, wohl bekannt sein dürfte. Und du, Strolch“, mit diesen Worten wandte sich Yppolita von Hochwürden Perinyo Salpena ab und Amando Monzo zu, den sie mit zusammengezogenen Augenbrauen und steiler Falte auf der Stirn strafend musterte, „bist einer jener, die sich gegen Leib und Leben des hochgeborenen und rahjageliebten Dom León verschworen haben! Welches dunkle Handlangergeschäft führt dich hier her? Warum hast du dich nachts heimlich aus Santa Catalina geschlichen? – Triffst du hier etwa den Drahtzieher dieses finsteren Komplotts?“

Yppolita reckte und streckte sich drohend zu ganzer Größe und Breite. Ihre grauen Augen funkelten die beiden Männer kampfeslustig an. Eine nasse, dunkle Haarsträhne hing ihr ins Gesicht. Ihr Kinn war platt, die große Nase angewidert hochgezogen. Fingerdick schwollen die Adern an ihrem Hals an. Ihre Rechte legte sich an den Griff ihres Raufdegens.


Autor: lindholz

Während die Caballera aus dem Haus di Dalias y las Dardas drohend ihre Anschuldigungen vorbrachte, hatte es Amaros von Lindholz zuerst die Sprache verschlagen, während sein Kopf im Folgenden zunehmend an Farbe gewonnen hatte. Selbst der arange Schein der Flammen konnte das Rot in seinem Gesicht nicht übertünchen, als es aus ihm herausbrach: „Was? Strolch? Handlangergeschäfte? Diese Anschuldigungen sind –“ begann er und wurde wohl nur vom Eingreifen des Perainegeweihten daran gehindert, einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen.

Mit einer beschwichtigenden Geste trat Perinyo Salpena zwischen die beiden: „Hier muss es sich um ein Missverständnis handeln, hochverehrte Caballera. Dieser Bote hat mir ein Schreiben überreicht, in dem mir von den schrecklichen Vorkommnissen in den heiligen Hallen des Klosters zu Santa Catalina berichtet wurde. Weiterhin werde ich gebeten, sofort zum Rosentempel zu eilen, um dem Herren dieser Lande beizustehen. Dieser Mann, Amando Monzo, hätte mir den Brief sicherlich nicht überstellt, wenn ihm daran gelegen wäre, dem Baron zu schaden, meint Ihr nicht auch, Euer Wohlgeboren?“


Autor: dalias

„Oh!“ Betreten schlug Domna Yppolita ihre Augen nieder. Deutlich war zu erkennen, wie die Zornesröte in ihrem Gesicht der Schamesröte wich. Zerknirscht presste sie ein „Entschuldigt, Herr Emissario!“ zwischen schmalen Lippen hervor. Verlegen und etwas tapsig klopfte Yppolita Amando Monzo auf die Schulter. Rasch überflog die Caballera das Schreiben, das der Bote überbracht hatte und das Perinyo Salpena nun gewissermaßen wie zum Beweis des Gesagten vor die Nase der jungen Adligen hielt.

„Auch Euch, Hochwürden, bitte ich um Vergebung, ich wollte den Segen, der auf dem Heim der Gütigen liegt, mit meinen Worten nicht besudeln. Verzeiht, Hochwürden!“, sprach die Caballera immer noch sichtlich peinlich berührt zum Geweihten.

Dieser nickte ihr gnädig zu und hauchte ein kaum verständliches „Es sei Euch vergeben!“


Autor: lindholz

„Nur hindern uns leider diese zu kurz geratenen Sturköpfe daran, den Tempel zu verlassen. Sonst wären wir schon längst aufgebrochen“, ergänzte der noch immer verschnupfte Bote. „Ich bin deshalb auch der Meinung, dass wir meine Idee weiter verfolgen sollten, so es keinen besseren Vorschlag gibt. Sicherlich ist es nicht ungefährlich, doch sagtet Ihr ja selbst, Hochwürden, dass die Gütige Göttin auf uns herniedersieht. Ohne Zweifel wird sie unserer Tat Ihren Segen geben und uns Schutz gewähren.“


Autor: dalias

Nachdem Yppolita di Dalias y las Dardas auf ihre Nachfrage hin aufgeklärt worden war, dass der Plan Herrn Monzos aus einem gewagten Mummenschanz bestand, in dem der eine sich für den anderen und umgekehrt ausgab, nickte sie dem Pläneschmied anerkennend zu. „Welch‘ kluges Köpfchen sich unter diesem Haarschopf verbirgt. Phex selbst könnte keinen besseren Garadanzug ersinnen… und wir sollten nicht vergessen, es sind Angroschim: Für uns sieht einer von diesen Erdnuckeln wie der andere aus. Ich bin sicher ihnen ergeht es mit uns Xomaschim auch nicht eben anders. Wie kann ich Euch helfen?“


Autor: lindholz

“Ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr Hochwürden Eure Unterstützung angedeihen ließet, edle Domna. Selbst, wenn Hochwürden es sicher aus Orondo hinausschafft, steht ihm noch ein Ritt durch die finstere Nacht bis nach Santa Catalina bevor. Mit dem Wissen, dass Eure Klinge an seiner Seite ist, wäre mir wesentlich wohler“, antwortete der vorgebliche Amando Monzo, obwohl ein Teil von ihm wünschte, eben jene Klinge in seiner eigenen Nähe zu wissen. Doch ihm war klar, dass sie dort weit weniger nutzen, ihn möglicherweise sogar einschränken würde. Bedauerlich. Er hatte so wenig von einem Helden.

„Es gibt einen Weg, der in die östlichen Berge führt, Herr Monzo. Ihr könnt ihn leicht ausmachen, wenn ihr den Wehrturm von Montevivar im Auge behaltet. Wenn ihr diesem Pfad durch den Höhenzug folgt, werdet Ihr in keine Sackgasse laufen. Zudem werden Euch die Vivarese gegen die Angroschim beistehen, so es nötig wird“, erläuterte Perinyo Salpena eine mögliche Fluchtroute.

„Wieso seid Ihr da so sicher, Meister Perinyo?“, fragte der blonde, junge Mann misstrauisch.

„Oh, glaubt mir, es reicht völlig aus, dass sie Orondini sind und Ihr nicht“, seufzte der Geweihte schicksalsergeben.

"Aha...", antwortete Amaros lediglich und hatte das Gefühl, dass auch hier in der bergigeren Waldwacht das almadanische Temperament so heiß lodern konnte, wie in den Niederungen des Yaquirtals. "So will ich es auf jenem Pfad mit Peraines Segen und Phexens Beistand versuchen. Sobald alle Vorbereitungen getroffen sind, wäre ich Euch, hoch geschätzte Caballera, dankbar, wenn ihr für kurze Zeit vom vorderen Portal aus die Aufmerksamkeit der Zwerge auf Euch ziehen würdet, damit ich einen kleinen Vorsprung herausarbeiten kann. Schließlich soll die angebliche Flucht auch überzeugend wirken."


Autor: dalias

„Also gut, ich will’s wagen.“ Grübelnd kratzte sich die Caballera am Hinterkopf. In den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellte sie die Frage, wonach sie jetzt Verlangen tragen würde, wenn sie eine der Angroschim wäre und dort draußen im Regen stünde. Völlig durchnässt hing ihre Kleidung an ihr herab: Vom Hut bis zu den Stiefeln. Nun begann sie auch schon hier im Innern des Tempels, wo sie dicht am Feuer stand, zu frösteln. Sie mühte sich, die Gedanken an die Nässe, die Kälte und den ihr bevorstehenden Schnupfen abzuschütteln. Aber diese Gedanken waren hartgesottene Gesellen, die nicht aufhören wollten, sie zu plagen.

„Meint Ihr, meine Herren, eine Dame könnte hier ein trockenes Hemd und Wams und vielleicht einen wärmenden Umhang erhalten? – Zumal die Herren sich ja auch ohnehin noch umziehen müssen, wäre dies kein zusätzlicher Zeitverlust, nicht wahr?“ Yppolita legte ihren Kopf leicht beiseite und lächelte die beiden Männer geistesabwesend an. Perinyo nickte ihr zu und rief die Novizin herbei, der er auftrug, die begehrten Kleidungsstücke heranzutragen.

„Ach, Hochwürden. Habt Ihr einen kleinen Vorrat an Speis und Trank, womöglich ein kleines Fässchen Bier? Ich bin sicher, dass unsere Wachen sich in ihrer misslichen und verregneten Lage über eine kleine barmherzige Gabe freuen würden und einem Schluck oder zwei nicht abgeneigt wären.“

Der Perainegeweihte nickte ihr zu. „Ja, ich habe natürlich einen kleinen Vorrat im Haus. Dazu könnt ihr unseren kleinen sturen Freunden auch Orondischen Ziegenkäse reichen. Ein recht pikanter Vertreter seiner Art mit sehr ausgeprägter Duftnote“, bei diesen Worten rümpfte Perinyo milde lächelnd die Nase, „von den Angroschim wird dieser Käse wegen seiner Milde und dem feinen, zurückhaltenden Geschmack gelobt… nun ja.“

„Das klingt doch sehr gut. Welcher Zwerg, der bis auf die Knochen nass wird, würde sich nicht über etwas Feuchtes für seinen Gaumen freuen. Für Euch, Herr Monzo, sollte dies eine Möglichkeit geben, die vorgetäuschte Flucht zu wagen. Ist Euch dies Divertissement genug?“

Bei diesen Worten Yppolitas trug die Novizin Loupe die gewünschte trockene Kleidung heran, nickte der Caballera artig zu, überreichte Mantel, Hemd, Wams und Hose und ging gähnend zurück. Unversehens begann die Yaquirtaler Caballera vor den Augen der beiden Männer damit, Wams und Hemd aufzuknöpfen. „Ihr entschuldigt!“


Autor: lindholz

Mit einem anerkennenden Lächeln verfolgte Amaros von Lindholz, wie sich die Edeldame zu entkleiden begann. Ihre selbstbewusste, direkte Art imponierte ihm. Bevor er jedoch einen Blick auf ihren Körper werfen konnte, wiesen ihn ein deutliches Räuspern und der Zug einer Hand an seinem Arm darauf hin, dass ein weiterer Verbleib in der Nähe der Caballera nach Meinung Meister Perinyos nicht schicklich wäre. Widerstrebend folgte der junge, blonde Mann dem Diener der Peraine zu einer niedrigen Türe am linken Ende des Tempelschiffes. Nur schwach fiel der Schein des Feuers noch in diesen Winkel des Baus, doch aus dem wenigen, was er im Halbdunkel erahnen konnte, als der Geweihte die Tür öffnete, schlussfolgerte der ortsfremde Yaquirtaler, dass der dahinterliegende Raum als eine Art Sakristei diente.

Überrascht musste Amaros schmunzeln, als dem Geweihten vor ihm ein leiser Fluch entfuhr: „Bei der Gütigen! Ich habe die Öllampe am Feuer nicht mitgenommen!“ „Ich werde sie schnell holen“, schlug der junge Edle eilfertig vor und wollte sich schon umdrehen, als ihn erneut eine Hand des Geweihten am Oberarm umfasste.

„Das lasst Ihr schön bleiben, Herr Monzo, in Travias Namen!“, entrüstete sich der junge Meister des Tempels, in einem Tonfall, der einer verknöcherten Anstandsdame gut zu Gesicht gestanden hätte.

„Eigentlich sind dies eher die Tage der Rahja…“, wandte Amaros noch ein, während er weiter gezogen wurde.

„Und Ihr seht ja, was sie dem Baron eingebracht haben! Es wird auch so gehen“, erwiderte Perinyo Salpena zischend und beendete damit die Diskussion. Mit einem deutlich vernehmbaren Klacken schloss sich die hölzerne Tür hinter den beiden Männern.


Autor: dalias

Mit einem Vierzig-Maß-Fässchen auf der rechten Schulter und drei Krügen sowie einem Beutel mit Käse und Brot in der linken Hand trat Yppolita vor den Perainetempel von Orondo. Unablässig prasselte immer noch der Regen herab. Nass und bedröppelt standen die sieben Zwerge immer noch an den Aus- und Eingängen des Tempels. Unzufrieden und fröstelnd murrten sie über dieses für Angroschim unziemliche und nachgerade unnatürliche Wetter. Als zwei der Zwerge auf die Caballera aufmerksam wurden, kamen sie näher heran. „Kagarax xanaschna, Xomaschna?“[3], rief einer von beiden. Er trug einen langen roten Bart und einen nass herab hängenden schwarzen Hut.

„Hochwürden Perinyo Salpena hat mich zu Euch geschickt, während er seine Gebete für die Enkelin der Schwiegermutter des Bruders meiner Vaterschwester verrichtet, werte Herren Angroschim. Da sein Herz voll Gnade und Barmherzigkeit – kugraganax – für Euch erfüllt ist, konnte er nicht länger zusehen, wie Ihr hier bei diesem widerwärtigen Wetter nass werdet und friert.“

„Wer friert denn hier, Xomaschna? Hä, wer? – Ich bin Algrux Sohn des Algrix. Ich friere nicht, bei Angrosch. Selbst im höchsten Norden oder in den tiefsten Höhlen. Stimmt es nicht, Algram?“

Sein Kumpan, ein identisch aussehender Zwerg mit langem roten Bart und nass herab hängendem schwarzen Hut, nickte zustimmend.

„Tja, dann, wenn es so ist, nehme ich das Bier, das mir Hochwürden Perinyo für Euch gegeben hat, wieder mit… glaubt nicht, dass ich nicht durstig bin.“ Yppolita fasste das Fässchen mit der rechten Pranke wieder fester und drückte es gegen ihre Schulter. Die Caballera drehte sich um. Der Regen prasselte ungnädig auf sie, das Fässchen und die schwarz behüteten Zwerge herab.

„Ach, wenn du schon hier bist, Xomaschna. Stelle es ruhig ab, das Fässchen. Das muss doch schwer sein… Ich würde es nicht leiden können, wenn du das schwere Fass wieder in den Tempel schleppst und dich dabei… ähm, verletzt. Das könnte ich nicht leiden, Xomaschna. Komm schon, stell es lieber ab!“, brummte Algrux Sohn des Algrix.

Yppolita nickte lächelnd, reichte den beiden Zwergen die Krüge und den Beutel und setzte daraufhin das Fass auf eine Holzbank vor dem Tempel. „Aber nur, wenn Ihr mir auch einen Schluck lasst, oder? – Ach, in dem Beutel ist frisches Brot und ein Laib Orondischen Ziegenkäses – soll recht schmackhaft, zart und lieblich sein, habe ich gehört.“

„Der Käse ist gut“, brummte der bisher stumme Algram, zog den Beutel auf und sog den feinen Duft des Käses in seine Lungen.

Mit ein paar gezielten Schlägen war das Fässchen angezapft, das Bier floss in einem feinen Strahl aus dem Fass aus altem Waldwachter Eichenholz und lief in einen der Krüge. Gierig führte Yppolita den Humpen zu ihrem Mund und nahm als Erste einen kräftigen Zug, mit dem sie den halben Krug auf einmal leerte.

„Nicht schlecht, Xomaschna, aber so viel schaffst du nicht auf einmal…“ Algrux stürzte das Bier in seinen Schlund und setzte nach nur wenigen Augenblicken den völlig geleerten Humpen wieder ab. Der Zwerg steckte seinen Zeigefinger in den Krug hinein und leckte diesen genießerisch ab: „Köstliches Bier… wirklich!“

„Kagarax xanaschnox, Algrux?“[4], dröhnte eine tiefe Zwergenstimme. Drei Angroschim kamen mit grimmen Gesichtern heran. „Was glaubt ihr, was ihr treibt? Wir sollten darauf achten, dass die Grünrobe bleibt, wo sie ist, Algram, Algrux.“

„Hochwürden Perinyo schickt Euch dieses Bier.“ Mit diesen Worten klopfte Caballera auf das Bierfässchen, ließ einen Humpen voll flüssigen Goldes laufen und streckte ihn den drei hinzugekommenen Angroschim entgegen. „Und diesen Käse hier. Es dauert ihn, dass Ihr seinetwegen bei diesem Hundewetter hier draußen ausharren müsst. Er will nicht, dass Ihr ihm grollt… eine Versöhnungsgeste, gewissermaßen. Hier, trinkt!“

Diesem Angebot konnten die drei Angroschim nicht widerstehen. Yppolita genehmigte sich selbst einen Krug Bier und ein paar große Bissen Brot und Käse. Sie konnte es einfach nicht übers Herz bringen, die Angroschim beim Fressen und Saufen zu beobachten, ohne sich selbst etwas von Speis und Trank zu genehmigen. Das dröhnende Lachen, laute Schenkelklopfen und das ausgelassene Anstoßen von Bierkrügen lockten nach kurzer Zeit auch die letzten beiden zwergischen Wachen heran, die auf ihre Gefährten ausgesprochen wütend waren. Laut brüllten sie die anderen an, wie diese ohne sie trinken könnten. Es kam zu Gezeter und Geschrei. Die Yaquirtaler Caballera konnte die Lage mit geschickt verteiltem Bier und den letzten Stücken Käse wieder etwas beruhigen. Algram klopfte ihr anerkennend auf den Rücken: „Für eine Xomaschna gar nicht so übel. Bist vielleicht etwas groß und ein wenig dürr, aber ansonsten ganz in Ordnung.“


Autor: lindholz

Amaros wartete geduldig in der kleinen Sakristei. Der angebaute, halbrunde Raum war nur wenige Schritte von dem Nebengebäude entfernt, welches den Bewohnern des Tempels als Unterkunft diente. Deshalb hatte man in die Sakristei eine kleine Pforte eingelassen, durch die man bequem aus und in den Tempel schlüpfen konnte. Von hier aus konnte Amaros die Stimme der Edlen di Dalias y las Dardas nur leise durch den strömenden Regen vernehmen, doch sie schien ihre Sache vortrefflich zu machen: Schon nach kurzer Zeit konnte er durch den schmalen Türschlitz sehen, wie die Zwerge, die den Tempel umstellt hielten, ihre Posten verließen und sich nach und nach am Hauptportal sammelten.

Auch Meister Perinyo Salpena, der nahe neben ihm stand, um ebenfalls etwas sehen zu können, entspannte sich deutlich und die beiden jungen Männer nickten sich mit einem verschmitzten Grinsen zu. Langsam und vorsichtig öffnete der Geweihte die Pforte, während sich Amaros von Lindholz die Kapuze des grünen Überwurfs tief ins Gesicht zog. Mit leisen Schritten huschte der als Diener der Peraine verkleidete, vorgebliche Botenreiter durch den schmalen Durchlass, als die dunklen Zwergenstimmen sich in einer Auseinandersetzung erhoben.

Sein Weg führte ihn an der Seite des Nebenbaus entlang und durch den Hain. Die Bäume waren auf einer Streuobstwiese zwischen dem eigentlichen Ort und dem Lauf der Inoscha gepflanzt worden. Mit einem beherzten Sprung könnte er über den Wildbach setzen, der für die Mitglieder des kleinwüchsigen Volkes eine größere Hürde darstellen würde. Dummerweise führte dieser Weg genau in die falsche Richtung, wie ihm der Perainegeweihte mitgeteilt hatte. Er musste in einem weiten Bogen durch den in tiefstem Dunkel liegenden Apfelhain und dann den gesamten Ort durchqueren.

Inzwischen lag das Gewitter genau über Orondo. Regelmäßig zerrissen Blitze das Dunkel und beleuchteten Amaros Route durch das hoch stehende, nasse Gras. Mit seinen einfachen Lederschuhen sank der Magier tief in den Boden ein, doch wenigstens blieb es ihm erspart, über Wurzeln zu stolpern und die zahlreichen Stämme verbargen ihn vor den Angroschim, die er am Portal immer noch gemeinsam mit der hochgewachsenen Gestalt der Caballera plaudern hören konnte. Die Stimmung schien wieder bestens zu sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er endlich die nordöstliche Ecke des Dorfplatzes erreicht. Hier war er den Zwergen bedrohlich nahe. Mit Bedacht wählte er seine Schritte, als er sich an der Fassade des Herrenhauses entlangdrückte. Dann nahm er Deckung hinter einem abgestellten Handkarren seitlich des angrenzenden Hauses. Erneut erstrahlte der Himmel für einen Herzschlag, dann setzte Amaros seinen Weg fort. Das Unwetter schien einfach nicht nachlassen zu wollen. Der junge Adept der arkanen Künste ahnte, dass er schon sehr bald wieder die Nässe auf seiner Haut fühlen würde.

Wenig später hatte der Yaquirtaler Adlige die Veranda der Taberna erreicht und lugte hinter dem hölzernen Pfosten hervor. Die Zwerge am Perainetempel schienen den Fassinhalt inzwischen in ihre Bäuche überführt zu haben und die ersten schlenderten schon in Richtung ihrer Posten zurück. Es wurde Zeit, dass er auf sich aufmerksam machte. Im goldenen Licht, welches zwischen den Läden des Schankraums nach außen drang, suchte er nach einem Stuhl oder Eimer, der sich mit großem Lärm umkippen ließ, doch er wurde nicht fündig. Was jetzt? Gehetzt blickte sich Amaros um. Es konnte doch nicht sein, dass ihr Plan daran scheiterte, dass er nicht entdeckt wurde!

Genau in diesem Augenblick kam ihm die Kameradschaft der Angroschim zu Hilfe: Die Tür mit dem breiten Rücken aufdrückend, schob sich ein jüngerer Zwerg mit dichtem, braunen Bart durch den Eingang der Taberna. In beiden Händen trug er ein Tablett, bestanden mit Deckelkrügen, deren Inhalt leicht zu erahnen war. Ein Blitz tauchte alles in weißes Licht und für einen paradox lange anhaltenden Moment starrten sich der Adeptus und der Erzzwerg in der Bewegung erstarrt an. Amaros war der erste, der wieder zu Handeln fähig war. In einer Aufwärtsbewegung stieß er dem Angroscho das Tablett gegen die breite Brust. Der Zwerg stolperte vor Überraschung gegen die Tür, während die Humpen ihren Inhalt über ihm verteilten und danach dumpf auf den Boden aufschlugen.

„Drakka! DRAKKA!“, dröhnte die tiefe Stimme durch die Nacht und selbst die Zwerge am Tempel drehten sich sofort um. Doch Amaros hatte längst die Beine in die Hand genommen. Er sprang auf der anderen Seite der Veranda angekommen auf den verschlammten Weg, glitt, lief, rutschte die Straße gen Rahja entlang auf die Berge zu. Dort, noch Meilen entfernt thronte der Turm von Montevivar, dessen dunkel aufragende Silhouette das schwärzliche Grau der brodelnden Wolkendecke noch unterbat. „Ihr Götter steht mir bei!“, keuchte der Yaquirtaler, während schwere Stiefel hinter ihm immer näher zu kommen schienen.


Autor: dalias

Dumpf klang ein lauter Ruf an Yppolitas Ohr „Drakka! Drakka!“ Die Caballera, die gerade dabei war ihren Fuß auf die Tempelschwelle zu setzen, fuhr herum. Die Angroschim, die allesamt schon wieder ihre Posten eingenommen hatten, wandten sich ebenso wie die Yaquirtalerin zur Taberna hin. Fluchend warfen die Zwerge sich Befehle auf Rogolan zu, die so knapp und verschliffen waren, dass ein jemand, der kein Eisenwalder Erzzwerg war, sie unmöglich verstehen konnte. Unaufhaltsam kamen die Angorschim ins Rollen, wie ein Steinschlag. Mit den Äxten in ihren kräftigen Fäusten rannten sie los zur Taberna hinüber. Drei, vier, sechs, alle sieben Angroschim verließen den Apfelhain und stürzten ihrem angegriffenen Bruder zur Hilfe.

Yppolita schüttelte es. Sie wollte nicht, dass ein Dutzend Zwerge ihr nachhetzten. Nur ein einziger Fehler, ein einzelnes Straucheln oder Stürzen würde genügen und die Zwerge würden über diesen tapferen Boten kommen. Nein, seinen Platz würde sie wahrhaft nicht haben wollen. Mit gefalteten Händen wandte sie sich an den alveranischen Fuchs: „Herr Phex leite ihn sicher. Ich bitte Dich. Wenn Du ihm hilfst, und nur dann, und nur wenn Amando Monzo sicher in Montevivar ankommt, ohne dass ihm auch nur ein Haar – also gut, ohne dass ihm ernsthafter Schaden an Leib und Gliedern widerfahren ist, dann und nur dann, Herr Phex, will ich Dir ein Fünftel… also gut ein Drittel… ja, ja, die Hälfte eines Monatssoldes für eine Leutnantin gemäß Khunchomer Kodex opfern… ich gelobt es. Ich bitte Dich, Herr Phex, hilf dem guten Amando Monzo!“

Nach verrichtetem Stoßgebet blickte sich Yppolita angestrengt um, horchte in die Nacht und das Prasseln des Regens hinaus. Die Rufe der Zwerge und das Trampeln ihrer schweren genagelten Sohlen entfernten sich, wurden immer matter und waren schließlich hinter dem Schleier aus Dunkelheit und Efferdssegen kaum mehr zu vernehmen. „Pssst! Hochwürden, kommt, eilt Euch!“, zischte die Yaquirtaler Caballera in den Tempel hinein.

Schritte und Hufgetrappel waren zu hören. Wenig später trat ein unscheinbarer, junger Bauernbursche in grobem erdfarbenen Tuch aus dem Lichtschein des Tempels und führte den müden alten Kläpper der Caballera heraus. Knapp nickend reichte Perinyo Salpena ihr die Zügel ihres Reittieres. Gekonnt schwang sich die Yppolita in den Sattel und lenkte ihr Pferd neben das stattliche und kraftvolle Ross des Boten, einen schönen Falben, der laut dem Boten auf den Namen Azúcar hörte. Yppolita – die Stirn in Falten liegend – war sich mit ihr selbst einig, dass in Anbetracht dieses beschämenden Vergleichs ihr Ross, nein, ihr Gaul keinen Namen verdiene, der über just diese Bezeichnung Gaul oder Mähre hinausginge. Während Hochwürden Perinyo die Zügel Azúcars behutsam von einem Ast löste, streichelte er vertrauensvoll das Haupt des edlen Tieres und steckte ihm mit einem verschwörerischen Augenzwinkern ein kleines braunes Stück alanfanischen Zuckers zu. Yppolita, die der direkte und augenfällige Unterschied der beiden Pferde zu quälen schien, raunte dem Perainegeweihten zu: „Da fragt sich der Betrachter doch, wer hier der Rustical und wer die Noble ist… Señor Amando Monzo muss ein feiner Bote sein, wenn sein Herr oder seine Dame ihm ein derart kostbares Pferd geben…“ Prüfend warf die Caballera einen Blick nach dem Brandzeichen des Rosses.

Behutsam schwang sich Hochwürden Perinyo auf Azúcars Rücken. Nur widerwillig ließ sich das Tier von den etwas unbeholfenen Beinbewegungen des Perainegeweihten dirigieren. „Gebt gut acht, Hochwürden… wir brauchen Euren Nacken ohne Knick und in einem Stück in Santa Catalina“, flüsterte Yppolita dem Perainegweihten mit einem Lächeln leise zu. „Wenn’s keine allzu großen Umstände macht, wäre ich darüber auch sehr erfreut.“ „Dann sollten wir los und keine Zeit mehr verlieren. Wenn Ihr den Halt verliert… oder… nun ja, Euch der Ritt zu gefährlich wird, gebt Bescheid!“ Im Schritt bewegten sich die Pferde mit ihren Reitern zwischen den Häusern Orondos hindurch in Richtung Santa Catalina im Taubental. Nachdem sie die letzten dunkel und stumm daliegenden Behausungen passiert hatten, fielen die Pferde in einen leichten Trab.



  1. [rog.: „(Nur) Angrosch ist der Baumeister, er ist alt und ehrwürdig.“]
  2. [rog.: „Angrosch zum Gruße! Was suchst Du, Menschenweib?“]
  3. [rog.: „Was suchst Du, Menschenweib?“]
  4. [rog.: „Was treibst du, Algrux?“]