Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 01
Kaiserlich Selaque, 29. Firun 1036 BF
Auf dem Castillo da Vanya im Vanyadâl
Autoren: von Scheffelstein, SteveT
"Lucrann ist zurück in Almada."
Rifada da Vanya warf das abgenagte Hühnerbein auf ihren Teller, auf dem sich Knochen, Haut und Sehnen des Tieres häuften und leckte sich das Fett von den Fingern. "So? Lässt der sich auch mal wieder blicken!"
Belisetha da Vanya nickte und war kurz abgelenkt durch den Versuch, das Fleisch mit Messer und Gabel vom Brustkorb des Hähnchens zu säbeln. Ihre Manieren hatte die alternde Domna einstmals am Kaiserhof gelernt, wo sie als Pagin und Hofdame gedient hatte, ehe sie Caldaios di Quirod-Bosquiria geehelicht und als Junkerin von Wildenfest in die almadanische Heimat zurückgekehrt war. Rifada hatte sich nie um solch höfischen Firlefanz gekümmert. Ein Huhn mit der Gabel zu essen, das mochte den pimpeligen Yaquirtalern einfallen oder den tuchwedelnden Horasiern, nimmer aber einer Bosquirierin! Reine Zeitverschwendung!
"Ich mache mir Sorgen um ihn", sagte Belisetha, die das Huhn sezierte, als wolle sie es in seine Einzelteile zerlegen, das Fleisch heraus stocherte und Haut und Sehnen verschmähte, als hätte das Haus da Vanya dieser Tage irgendetwas zu verschenken.
Rifada schnaubte, schob ihren Teller schwungvoll über den Tisch, dass er gegen den ihrer Tante stieß und winkte ungeduldig. "Gebt mir die Haut, wenn Ihr sie nicht wollt! Und was soll mit Lucrann sein? Treibt sich seit Jahren bei den Weidenern herum auf irgendeinem zugigen Rittergut und macht wer-weiß-was, während die fette Elenterin auf unserem Gold sitzt wie eine Legehenne – und, bei Rondra!, ich will nicht wissen, was die schon wieder ausbrütet!"
Belisetha bedachte ihre Nichte mit einem tadelnden Blick, häufte die Haut auf Rifadas Teller und den Brustkorb des Tieres dazu und bat den Diener, der schweigend im Hintergrund wartete, Rifada den Teller zurückzubringen. "Lucrann hat sich verändert", sagte sie. "Er lässt sich gehen. Es wird Zeit, dass er eine Frau findet."
Rifada grunzte abfällig. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie nie geheiratet. Jedenfalls keinen Mann. Und erst recht nicht so einen dummen Trottel wie Berengar von Schlehen, der nun schon seit Jahren verschollen und vermutlich tot war. Und der Blitz sollte sie treffen, wenn nicht die dicke Reichsvogtin Praiosmin von Elenta an seinem Verschwinden Schuld war! Ebenso wie am Tod ihres Erstgeborenen, dessen Leiche man nah der Straße nach Schrotenstein gefunden hatte, entstellt und weggeworfen, Opfer, so hatte man geglaubt, der wilden Ferkinakrieger aus den Bergen. Rifada wusste es besser. Sein Körper hatte die fürchterlichen Male aufgewiesen, die allein Streitkolben, Spieße und scharfe Klingenwaffen zu schlagen vermochten. Alles keine Waffen, die die Barbaren aus den Bergen trugen.
Rifada winkte nun ihrerseits dem Diener, und er brachte Holzschüssel und Leinentuch. Die Junkerin von Vanyadâl tauchte die Hände ins Wasser und trocknete sie ab, fuhr mit dem Handtuch auch über ihr Gesicht, vorgeblich, um sich das Fett vom Mund zu wischen, doch auch, um ihre Tränen zu trocknen, ehe sie ihre Augen verließen und verräterische Spuren auf ihren Wangen hinterlassen konnten.
Wer hätte gedacht, dass sie einmal um ihren Bastard weinen würde? Um den Knaben, der nie hätte geboren, ja, der nie hätte empfangen werden sollen. Empfangen! Welch zynisches Wort für die Qualen, die Rifada hatte erleiden müssen, als sie zum zweiten Mal in ihrem Leben in die Gefangenschaft des Kriegsshârs Khenubaal Pascha geraten war. Qualen, die kaum weniger geworden waren, nachdem sie Khenubaal und seine Brut erschlagen hatte und geflohen war, Qualen, die sie an jedem Tag ihrer götterverfluchten Schwangerschaft verspürt hatte und an jedem Tag, an dem sie dem erbarmungswürdigen Knaben ins Gesicht hatte sehen müssen. Moritatio! Bis heute zürnte sie Belisetha, ihrer inzwischen verstorbenen Mutter und ihrem Großonkel Amando Laconda, dem Oberhaupt der Familia, dass diese sie so rasch in eine Heirat gedrängt hatten. Trotz des Wissens, dass diese keine Wahl gehabt hatten! Ein Bastard und noch dazu das Balg eines Ferkinas, ein Kind der Schande, wäre der Enkelin einer almadanischen Fürstin und rechtmäßigen Erbin des gräflichen Marmorthrons nicht würdig gewesen.
Rifada warf das Handtuch auf den Tisch. "Genug gejammert!", rief sie. "Ob sich Lucrann nun ein Weib sucht oder nicht, es wird Zeit, dass er sich auf die Pflichten der Familia besinnt! Es kann nicht angehen, dass er sich im Weidenschen verlustiert, während die Harmamunds auf dem Fürstenthon sitzen und dieser Tobrier es sich auf meinem Grafenthron bequem macht! Ganz zu schweigen von der Elenterin, die ..."
"Genug, Rifada!", unterbrach sie Belisetha, tupfte sich mit einem Taschentuch über den Mund, trank ihren Weinkelch aus und hob streng das Kinn. "Um das Haus da Vanya zu stärken, bedarf dieses neuer Mitglieder. Sonst werden wir irgendwann einfach aussterben. Wir können von Glück sagen, dass diejenigen Harmamunds, die etwas zu sagen haben, bisher erbenlos sind, aber andere Häuser gewinnen in Almada an Einfluss und Macht und nicht zuletzt ob ihrer Heiratspolitik. Lucrann geht auf die fünfzig zu – er muss heiraten! Und nun, da Moritatio tot ist, ist Gujadanya deine einzige Erbin. Sie ist fünfundzwanzig und war lange genug bei den Achmad'sunni. Ich möchte, dass du ihr nahelegst, sich schon bald einen geeigneten Gemahl zu nehmen und Kinder zu gebären! Ich habe mich bereits ein wenig umgehört und ..."
Rifada hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Hühnerknochen zu allen Seiten von dem Teller spritzten. "Das mag mir Amando sagen, nicht Ihr! Gujadanya ist meine Tochter und Ihr nicht Soberana unseres Hauses!"
Belisetha erholte sich rasch von ihrem ersten Schrecken. "Das ist ungehörig! Du kannst gewiss sein, das ich stets in meines Bruders bestem Ansinnen spreche und handle." Sie stellte den Weinkelch ab und erhob sich. "Und nun entschuldige mich, ich werde mein Boronstündchen halten. Ich möchte nicht den Niedergang dieses Hauses erleben, vielmehr noch vor meinem Tode sehen, wie es ein zweites Mal erblüht!"
Leise schloss der Diener die Tür hinter der alten Junkerin und ließ Rifada in ihrem Zorn allein zurück. Das Kinn auf die geballte Faust gestützt, spielte die Vanyadâlerin mit ihrem unbenutzten Messer, drehte die Klinge auf dem Tisch, blickte aus dem Fenster. Verlassen stand das Gerüst um den Bergfried da, den vor Jahren ein Blitzschlag in Brand gesetzt hatte. Rondras Zorn war auf die Verräter herabgekommen, als die Bankert-Base der Reichsvogtin das Castillo besetzt gehalten hatte! Die oberen Stockwerke des trutzigen Turmes waren eingestürzt, jetzt aber fehlte es an Geld, den Wiederaufbau voranzutreiben. Auch hier wieder: Praiosmin von Elenta! Sie hatte damals das Castillo ausgeraubt, bis auf den letzten Kupferheller und hatte sich erdreistet, zu behaupten, sie treibe nur überfällige Steuern ihrer säumigen Vasallin ein.
Rifada goss sich einen weiteren Becher Wein ein und leerte ihn, ehe der Diener heran war, um ihr behilflich zu sein. Tizino betrat den Rittersaal, ein junger Torwächter, und neigte das Haupt. "Euer Wohlgeboren: Ihr habt Besuch! Domna Richeza von Scheffelstein y da Vanya. Sie sagt, sie sei Eure Nichte."
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