Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 01: Unterschied zwischen den Versionen

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Rifada da Vanya wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als der junge Tizino erneut den Raum betrat: "Verzeiht, Euer Wohlgeboren, aber eine Nachricht für Eure Nichte ist eingetroffen und der Bote besteht darauf, die Botschaft persönlich zu überreichen. Er sagt sein Name laute Dom [[Amaros von Lindholz]]."
Rifada da Vanya wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als der junge Tizino erneut den Raum betrat: "Verzeiht, Euer Wohlgeboren, aber eine Nachricht für Eure Nichte ist eingetroffen und der Bote besteht darauf, die Botschaft persönlich zu überreichen. Er sagt sein Name laute Dom [[Amaros Desidero von Lindholz|Amaros von Lindholz]]."


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Der Torwächter verbeugte sich gen Domna Rifada, trat ebenfalls durch die Tür des Saales und schloss diese, bevor er Domna Richeza den Gang hinab folgte. Er musste sich eilen, zu der raschen Schrittes der Treppe zustrebenden Scheffelsteinerin aufzuholen. Niemand kam ihnen entgegen oder ließ sich blicken. In so einer weitläufigen Wehranlage verlor sich offenbar das Wenige, was die da Vanyas an Dienerschaft benötigten. Domna Richeza beachtete ihn nicht weiter und so nutzte der junge Mann die Zeit, bis die Landedle ihren Fuß auf die ersten Stufen gesetzt hatte, um der Rückansicht der ebenso schönen wie stolzen Adligen einen genaueren Blick zu gönnen. Sie mochte die Dreißig bereits hinter sich gelassen haben, doch im Gegensatz zu manch anderer edlen Dame, die mit den Jahren in die Breite ging, war die Scheffelsteinerin, dem tagtäglichen Umgang mit der Waffe geschuldet, noch immer schlank, wenn auch nicht zierlich. Sicherlich wäre die für Ihre Schönheit so viel gerühmte Domna in der Lage, so manche frisch erblühte Rose in die Eifersucht zu treiben, wenn sie es darauf anlegen würde.
Während er sich schmunzelnd seinen Gedanken hingab, hatten die beiden schon fast das Erdgeschoss erreicht und so eilte er sich anzumerken: „Ich bitte um Vergebung, Domna, aber es ist nicht nötig, dass Ihr Euren Weg fortsetzt: Ich trage das Schreiben hier bei mir.“ Er blieb einige Stufen über ihr stehen, zog mit flinken Fingern ein gefaltetes und versiegeltes Papier hervor und streckte es Richeza von Scheffelstein entgegen.
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Version vom 9. Juni 2014, 12:19 Uhr

Kaiserlich Selaque, 29. Firun 1036 BF

Auf dem Castillo da Vanya im Vanyadâl

Autoren: von Scheffelstein, SteveT, Lindholz


"Lucrann ist zurück in Almada."

Rifada da Vanya warf das abgenagte Hühnerbein auf ihren Teller, auf dem sich Knochen, Haut und Sehnen des Tieres häuften und leckte sich das Fett von den Fingern. "So? Lässt sich der pflichtvergessene Taugenichts auch mal wieder blicken?"

Belisetha da Vanya, in Abwesenheit ihres Bruders Amando Laconda greises Familienoberhaupt der da Vanyas, nickte verkniffen und mit missbilligendem Blick und war kurz abgelenkt durch den Versuch, das Fleisch mit Messer und Gabel vom Brustkorb des Hähnchens zu säbeln. Ihre Manieren hatte die alternde Domna einstmals am Kaiserhof gelernt, wo sie als Pagin und Hofdame gedient hatte, ehe sie Caldaios di Quirod-Bosquiria geehelicht und als Junkerin von Wildenfest in die almadanische Heimat zurückgekehrt war. Ihre hartgesottene Nichte Rifada hatte sich nie um solchen Firlefanz wie höfische Tischsitten gekümmert. Ein Huhn mit der Gabel zu essen, das mochte den pimpeligen Yaquirtalern einfallen oder den tuchwedelnden Horasiern, nimmer aber einer Bosquirierin! Reine Zeitverschwendung!

"Ich mache mir Sorgen um ihn", sagte Belisetha, die das Huhn sezierte, als wolle sie es in seine Einzelteile zerlegen, das Fleisch heraus stocherte und Haut und Sehnen verschmähte, als hätte das Haus da Vanya dieser Tage irgendetwas zu verschenken.

Rifada schnaubte, schob ihren Teller schwungvoll über den Tisch, dass er gegen den ihrer Tante stieß und winkte ungeduldig. "Hierher mit der Haut, wenn Ihr sie nicht wollt! Und was soll mit dem Nichtsnutz sein? Treibt sich seit Jahren bei den Weidener Waldschraten herum, auf einem armseligen Rittergut, und macht wer-weiß-was, während die fette elentinische Pottsau auf unserem Gold sitzt wie eine brütende Henne – und, bei Rondra!, ich will nicht wissen, was das vermaledeite Aas weiter gegen uns ausbrütet!"

Belisetha bedachte ihre Nichte mit einem tadelnden Blick, häufte die Haut auf Rifadas Teller und den Brustkorb des Tieres dazu und bat den Diener, der schweigend im Hintergrund wartete, Rifada den Teller zurückzubringen. "Lucrann hat sich verändert", sagte sie. "Er lässt sich gehen. Es wird Zeit, dass er eine Frau findet."

Rifada stieß höhnisch die Luft aus und machte eine wegwerfende Handbewegung. Wenn es nach ihrem eigenen Willen gegangen wäre, hätte sie selbst auch niemals geheiratet. Zumindest keinen Mann. Und erst recht nicht so einen verweichlichten dummen Trottel wie ihren Gemahl Berengar, der nun schon seit Jahren verschollen und vermutlich tot war. Und der Blitz sollte sie treffen, wenn nicht die Bosquirsche Jungfer Praiosmin von Elenta an seinem Verschwinden Schuld war! Ebenso wie am Tod ihres Sohnes, dessen Leiche man nah der Straße nach Schrotenstein gefunden hatte, entstellt und weggeworfen, Opfer, so hatte man geglaubt, der wilden Ferkinakrieger aus den Bergen. Rifada wusste es besser. Sein Körper hatte die fürchterlichen Male aufgewiesen, die allein Streitkolben, Spieße und scharfe Klingenwaffen zu schlagen vermochten. Alles keine Waffen, die die Barbaren aus den Bergen trugen.

Rifada winkte nun ihrerseits dem Diener, und er brachte Holzschüssel und Leinentuch. Die Junkerin von Vanyadâl tauchte die Hände ins Wasser und trocknete sie ab, fuhr mit dem Handtuch auch über ihr Gesicht, vorgeblich, um sich das Fett vom Mund zu wischen, doch auch, um eventuelle Tränen wegzuspülen, noch ehe sie ihren Augen überhaupt entrinnen konnten. Rifada hatte seit über fünfundzwanzig Götterläufen nicht mehr geweint.

Wer hätte gedacht, dass sie einmal beinahe um ihren Bastard weinen würde? Um den Knaben, der nie hätte geboren, ja, der nie hätte empfangen werden sollen. Empfangen! Welch zynisches Wort für die Qualen, die Rifada hatte erleiden müssen, als sie zum zweiten Mal in ihrem Leben in die Gefangenschaft des Kriegsshârs Khenubaal Pascha geraten war. Qualen, die kaum weniger geworden waren, nachdem sie Khenubaal und seine ganze verdammte Brut eigenhändig erschlagen hatte und geflohen war, Qualen, die sie an jedem Tag ihrer götterverfluchten Schwangerschaft verspürt hatte und an jedem Tag, an dem sie dem erbarmungswürdigen Knaben ins Gesicht hatte sehen müssen. Moritatio! Bis heute zürnte sie Belisetha, ihrer eigenen Mutter Leonida und ihrem Großonkel Amando, dass sie sie seinerzeit so rasch in eine Ehe gedrängt hatten. Trotz des Wissens, dass diese keine Wahl gehabt hatten! Ein Bastard und noch dazu das Balg eines Ferkinas, ein Kind der Schande, wäre der Enkelin einer almadanischen Fürstin und rechtmäßigen Erbin des gräflichen Marmorthrons nicht würdig gewesen.

Rifada warf das Handtuch auf den Tisch. "Genug gejammert!", rief sie. "Ob sich Lucrann nun ein Weib sucht oder nicht, es wird Zeit, dass er sich auf die Pflichten der Familia besinnt! Es kann nicht angehen, dass er sich im Weidenschen verlustiert, während die Harmamunds auf dem Fürstenthon sitzen und dieser Tobrier es sich auf meinem Grafenthron bequem macht! Ganz zu schweigen von der Elenterin, diese miese stinkende dreckige zwölfmal verfluchte ..."

"Genug, Rifada!", unterbrach sie Belisetha, tupfte sich mit einem Taschentuch über den Mund, trank ihren Weinkelch aus und hob streng das Kinn. "Um das Haus da Vanya zu stärken, bedarf dieses neuer Mitglieder. Sonst werden wir irgendwann einfach aussterben. Wir können von Glück sagen, dass diejenigen Harmamunds, die etwas zu sagen haben, bisher erbenlos sind, aber andere Häuser gewinnen in Almada an Einfluss und Macht und nicht zuletzt ob ihrer Heiratspolitik. Lucrann geht auf die fünfzig zu – er muss heiraten! Und nun, da Moritatio tot ist, ist Gujadanya deine einzige Erbin. Sie ist fünfundzwanzig und war lange genug bei den Achmad'sunni. Ich möchte, dass du ihr nahelegst, sich schon bald einen geeigneten Gemahl zu nehmen und Kinder zu gebären! Ich habe mich bereits ein wenig umgehört und ..."

Rifada hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Hühnerknochen zu allen Seiten von dem Teller spritzten. "Das mag mir Amando sagen, nicht Ihr! Gujadanya ist meine Tochter und Ihr nicht Soberana unseres Hauses!"

Belisetha erholte sich rasch von ihrem ersten Schrecken. "Das ist ungehörig! Du kannst gewiss sein, das ich stets in meines Bruders bestem Ansinnen spreche und handle." Sie stellte den Weinkelch ab und erhob sich. "Und nun entschuldige mich, ich werde mein Boronstündchen halten. Ich möchte nicht den Niedergang dieses Hauses erleben, vielmehr noch vor meinem Tode sehen, wie es ein zweites Mal erblüht!"

"Gujadanya ist den Mannsbildern ja zugeneigt!", rief Rifada. "Sehr sogar! Wegen ihr braucht Ihr Euch keinerlei Sorgen machen! Aber ehe Ihr mir sie unter die Haube zu bringen versucht – bekehrt besser erst einmal Euren eigenen Stammhalter, der für unser Haus bislang Zeit seines Lebens mehr als nutzlos war!"

Leise schloss der Diener die Tür hinter der alten Junkerin und ließ Rifada in ihrem Zorn allein zurück. Das Kinn auf die geballte Faust gestützt, spielte die Vanyadâlerin mit ihrem unbenutzten Messer, drehte die Klinge auf dem Tisch, blickte aus dem Fenster. Verlassen stand das Gerüst um den Bergfried da, den vor Jahren ein Blitzschlag in Brand gesetzt hatte. Rondras Zorn war auf die Verräter herabgekommen, als die Bankert-Base der Reichsvogtin das Castillo besetzt gehalten hatte! Die oberen Stockwerke des trutzigen Turmes waren eingestürzt, jetzt aber fehlte es an Geld, den Wiederaufbau voranzutreiben. Auch hier wieder: Praiosmin von Elenta! Sie hatte damals das Castillo ausgeraubt, bis auf den letzten Kupferheller und hatte sich erdreistet, zu behaupten, sie treibe nur überfällige Steuern ihrer säumigen Vasallin ein.

Rifada goss sich einen weiteren Becher Wein ein und leerte ihn, ehe der Diener heran war, um ihr behilflich zu sein. Tizino betrat den Rittersaal, ein junger Torwächter, und neigte das Haupt. "Euer Wohlgeboren: Ihr habt Besuch! Domna Richeza von Scheffelstein y da Vanya. Sie sagt, sie sei Eure Nichte."

Rifada furchte die Stirn. Richeza? So gerne sie ihre Nichte hatte, die ihrem Herzen nah wie eine Tochter war. Sie jetzt wiederzusehen, würde nur Erinnerungen an jene schreckliche Zeit des Ferkinasturms im Hochsommer 1033 zurückbringen, die ihr ganzes vorheriges Leben binnen weniger Wochen auf den Kopf gestellt hatte. Andererseits mochte es ein Wink oder kleiner Ansporn der guten Götter sein, dass Richeza ausgerechnet jetzt auftauchte, wo sie in so niedergeschlagener und griesgrämiger Stimmung war, wie nie zuvor in ihrem Leben. Ihre Nichte war eine gute Fechterin, inzwischen fast so gut oder sogar besser als sie selbst, nun da sie sich seit der Dämonenattacke mit einem halblahmen Bein herumquälte. Der Zeitpunkt war längst überfällig, ihre geraubten Besitztümer und Schätze wieder aus Albacim herauszuholen und dabei der fetten Elenterin – wenn sich die Gelegenheit bot – am besten gleich zusammen mit ihrem Zauberer-Bankert die Kehlen durchzuschneiden. Ein schöner Säbel im Wanst, zur Sicherheit noch ein paar Mal herumgedreht, war das Einzige, was diese beiden Canaillen von ihrer grenzenlosen Bösartigkeit kurieren konnte.

Rifada blickte auf, als ihre Nichte eintrat. "Schön dich zu sehen, Kind! Setz dich!", deutete Rifada auf den freigewordenen Stuhl ihr gegenüber, wo bis vor kurzem noch Belisetha gesessen hatte. Der Diener verließ den Raum, vermutlich um Richeza einen frischen Weinpokal zu holen. Rifada wartete aber gar nicht seine Rückkehr ab, sondern ließ einfach den nur noch spärlich gefüllten Weinkrug über den Tisch zu ihr hinüber rutschen. Richeza sah auch nicht gerade aus, wie das blühende Leben – sicher, ihre Nichte hatte immer schon landauf, landab als eine der schönsten Frauen Almadas gegolten. Aber jetzt lagen auch bei ihr dunkle Schatten unter den Augen und auch ihre Miene verhieß nichts sonderlich Gutes.

"Du kommst vielleicht genau zur rechten Zeit, mein Kind, denn hier liegt seit deinem letzten Besuch einiges im Argen, das du mit mir gerade rücken musst! Aber davon werde ich später reden! Jetzt erstmal heraus damit, was dich zu uns führt – ist etwas mit dem alten Hesindian oder mit dem kleinen Praiodor? Oder droht Kornhammer eine Gefahr?"


Richeza von Scheffelstein y da Vanya ließ sich langsam auf dem Stuhl nieder. Falls sie überrascht war von der direkten Ansprache ihrer Tante, ließ sie es sich nicht anmerken. Mit der Linken strich sie sich über das bleiche, etwas aufgedunsene Gesicht, griff nach dem Weinbecher, hob ihn an, ließ ihn dann aber unverrichteter Dinge wieder sinken und drehte ihn zwischen ihren Fingern.

Sie schwieg einen Moment, gerade so, als sei sie nicht seit Jahren erstmals auf die Burg ihrer Vormütter zurückgekehrt, vielmehr, als mache sie nur eine kurze Pause in einem Gespräch, das die beiden Frauen seit Längerem geführt hätten.

"Großvater geht es gut", sagte sie. "Er hat das Blut seiner Mutter, scheint es, und trotzt dem Alter mit unverminderter Kraft."

Richezas Augen wanderten über das Gesicht der Junkerin, nachdenklich, mit einem kurzen Aufflackern von Sorge, doch sie fragte nicht, schien sich zu erinnern, dass Rifada da Vanya Gespräche über ihr eigenes Wohlergehen nicht schätzte, ohnehin nur schnauben oder abwinken würde, sollte die Jüngere sie darauf ansprechen. Sie leckte sich über die Lippen, stellte den Pokal ab, fuhr bedächtig über die Tischplatte, glatt poliert von Fett und Wein und Blut, zerfurcht von Messerschnitten, vielleicht, in all den Jahrhunderten, gar Hieben scharfer Waffen.

"Ihr habt gesagt", begann sie langsam, "ich sei eine Kriegerin. Von Eurem, dem da Vanya-Blute." Sie schien zu zögern, blickte unschlüssig auf das speckige Holz, den Weintropfen, der über den Rand des Bechers gelaufen war und einen schmalen, roten Ring an dessen Fuß bildete. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, mit dem Daumennagel kratzte sie ein Stück Haut von ihrem Finger, dann hob sie plötzlich den Blick, sah die Junkerin grimmig an.

"Es ist Zeit, Tante, dass Ihr das aus mir macht, was ich bin: eine da Vanya. Eine Kriegerin. Nehmt Eure Waffe und lasst uns hinaus gehen auf den Hof und die Lehrstunden fortsetzen, die wir vor Jahren unterbrechen mussten."

Sie stand auf und schob ihren Stuhl zurück, blass, aber entschlossen lächelnd.


"Ha! Solche Worte gefallen mir! Gut gesprochen, mein Kind!", nickte Rifada anerkennend, deutete dann aber mit verbissener Miene auf ihr linkes Bein, das sie unter dem Tisch auf einem dreibeinigen Schemel hochgelegt hatte. "Ich fürchte nur, die Zeit hat deiner alten Tante einen Strich durch die Rechnung gemacht, dir im Kampfe noch irgendetwas beibringen zu können, es sei denn, wir würden auf dem Pferderücken streiten – da bin ich nach wie vor ganz die Alte!"

Sie hieb sich selbst auf das hochgelegte Bein, dass seit ihrem Kampf mit dem Dämon auf einer Insel im Schwarzen See von Schrotenstein leider viel zu oft taub wurde und unter ihr einfach wegknickte, als sei es aus Schilf und nicht aus Fleisch und Knochen.

"Das dumme Ding hier lässt mich leider allzu oft im Stich, wenn es darauf ankommt – aber was soll's, jammern ist unsere Art nicht. Dann kämpfe ich ab jetzt eben nur noch einhändig, auf einen Gehstock gestützt. Wie man hört, ist das unter den Yaquirtaler Laffen sogar in Mode – sie verstecken ihre Stricknadeln darin auf Festen, zu denen man eigentlich keine Waffen mit sich führen darf."

Sie schüttelte den Kopf über derartige neumodische Erlässe, die sich bestimmt ein Sesselfurzer hatte einfallen lassen, der noch nie unbewaffnet in einem Kampf auf Leben und Tod gestanden hatte.

"Vielleicht kommst du genau zur rechten Zeit, mein Kind, denn deine alte Tante hat schon zu lange in Schwermut und Trübsal hier herumgesessen und die leeren Kammern und Räume angestarrt. Es ist an der Zeit, dass wir uns unsere Schätze wiederholen! Da – genau hinter dir! – hing das Bild von mir und deiner Mutter, auf dem auch meine Mutter und dein Großvater zu sehen waren, stolz lächelnd ob ihrer glücklichen Tage! Ich will mir gar nicht ausmalen, wie ihr Bildnis jetzt in einem dunklen Keller auf Albacim zwischen lauter Unrat in der Ecke liegt und die Mäuse, Asseln und Kakerlaken darüber kreuchen! Du und ich, wir beide gehen getarnt und unerkannt nach Selaque, nach Albacim, und holen uns unser Eigentum zurück, dass du und deine Nachmaligen einmal erben wirst. Vorher aber rechnen wir ab mit der fetten Elenterin und ihrem Dämonenbastard, die sich lange genug über uns ins Fäutschen gelacht haben."

Sie warf ihren Weinpokal scheppernd gegen die Wand, als sie sich das bildlich vorstellte.

"Dein Großvater – Hesindian meine ich! – würde uns jetzt sicher mahnende Worte sagen wie: 'Vergeben ist ein Zeichen von Stärke!' – aber darauf pfeif' ich! Jedes Unrecht, das einem angetan wird, dem Missetäter mit zehnfacher Wucht heimzuzahlen – das ist ein richtiges Zeichen von Stärke! Die Elenterin und ihr Zaubererbastard müssen vor mir ins Gras beißen – das ist alles, was ich heute noch vom Leben verlange. Und gemeinsam können wir das bewerkstelligen, wenn wir es nur gut genug planen. Ich habe eine ihrer Handlangerinnen in meiner Gewalt ..."


Mit unbewegter Miene sah die Landedle von Eslamsstolz auf das versehrte Bein der Vanyadâlerin, ihr Gesicht glich einem verschlossenen Buch, gab nichts von seinen Geheimnissen preis. "Ihr könnt nicht kämpfen", bemerkte sie trocken. "Außer zu Pferd?"

Sie machte einige Schritte im Raum auf und ab, blieb dann stehen und musterte die Junkerin schweigend. "Wie sollen wir dann in Albacim irgendetwas ausrichten? Albacim ist eine Festung, hoch über dem Markt Selaque gelegen. Sich dort einzuschleichen – nun, wie sollten die Männer der Vettel uns nicht erkennen? Ihr und ich seid hier bekannt wie bunte Hunde und der Alten verhasst wie niemand sonst." Richeza atmete mehrmals tief ein und langsamer wieder aus, wirkte einen Augenblick lang mit ihren Gedanken anderswo, ehe sie ihren Blick wieder auf ihre Tante richtete.


"Ich kann kämpfen – nach wie vor!", stellte Rifada unwirsch klar. "Ich bin nicht mehr so schnell wie früher – aber immer noch schnell genug, um jedem Speichellecker des Goldfasses tüchtig das Fell zu gerben!" Etwas leiser fuhr sie fort: "Nur um dich zu unterrichten, fehlt mir die Gewandtheit – aber unser Hab und Gut zurückzuholen, das wird mir schnell neue Kräfte und neuen Schneid verleihen. Ich tauge nicht für die Rolle des Jammerlappens in unserem Hause!"

Sie musterte Richeza mit zusammengekniffenen Augen, die wie ein nervöser Berglöwe im Raum auf- und ab marschierte. Nach einem kurzen Moment des Schweigens, als ihre Nichte zu ihr herüber sah, fuhr sie fort: "Hm, irgendetwas anderes drückt doch auch dir aufs Gemüt! Ehe wir also über Selaque reden – was führt dich wirklich zu uns?"

Unten im Burghof begann in diesem Augenblick ein Hund zu heulen, vermutlich Raffzahn, dessen Geheule und Gefipse Rifadas letzte Worte fast übertönten. Mit einer Geschwindigkeit, die Richeza doch überraschte und die ihre letzten Worte Lügen strafte, war Rifada aufgesprungen und hatte das schmale Fenster der Kammer aufgerissen.

Ihr gebrülltes: "HAAAAAAAALLLLLT'S MAUL!!!" ließ den Hund im Burghof auf der Stelle verstummen. "Also?", drehte sie sich dann wieder zu ihrer Nichte herum und schloss das Fenster, als wäre nichts gewesen.


Richeza von Scheffelstein y da Vanya sah ihre Tante unverwandt an. "Ihr wollt mich also nicht unterrichten? Das ist schade. Ich denke, ich könnte noch einiges von Euch lernen. Zu Pferd vielleicht?" Sie blickte an der Junkerin vorbei in den Burghof, in dem der große, schwarzgraue Hund sich träge vor einem der Türme niederließ.


Rifada blickte ihre Nichte zweifelnd an. Wer oder was hatte ihr bloß diesen Floh ins Ohr gesetzt, sie bedürfe noch weiterer Fechtstunden? Für so etwas gab es Schwertmeister, die ihr Geld damit verdienten. Über den eigentlichen Grund ihres Hierseins schien sie dagegen nicht sprechen zu wollen – gerade so, als wäre die Frage gar nicht zu ihr durchgedrungen.

So also winkte Rifada beiläufig ab: "Später einmal gerne – und ja, dann am besten zu Pferde. Jetzt aber haben wir erst einmal viel wichtigere Dinge zu tun! Begreifst du, dass entweder die Wiederherstellung unserer Reputacion oder aber unser kompletter Untergang auf dem Spiel stehen? Selbst der Wendehals Aranjuez hat der Elenterin vor uns einen Schlag versetzt! Er ließ die Brücke über die Selaqua zerstören, sodass das Aas eine Zeit lang keinen Marmor mehr an diejenigen liefern konnte, die ihn für teures Geld bei ihr bestellt hatten. Inzwischen haben sie die Brücke aber fast wieder aufgebaut – aus dem Marmor, der lange liegen geblieben war! Eine Zeit lang hatte ich den Aranjuez darob – als Feind meiner Feindin – fast als eine Art Verbündeten angesehen – aber das war bevor er sich die Tochter des Tobriers ins Ehebett geholt hat! Der rückgratlose Kerl katzbuckelt also vor deren Papa, wahrscheinlich ist er mittlerweile so etwas wie des Tobriers Lieblingssohn."

Sie lachte höhnisch. "Aber sei dem wie dem sei – durch unsere Schätze musste Praiosmin in der Zwischenzeit sicher nicht am Hungertuch nagen! Allein meine arme Waffensammlung oder Amandos güldene Monstranz sind jeweils weit über tausend Dukaten wert! Und wenn wir uns nicht beeilen, wird sie diese bald zu Geld machen! Jeden Tag kommen Dutzende oder gar Hunderte Leute nach Selaque, um dort ihre Ware feilzubieten oder um als Speichellecker irgendeine Gunst vom Goldfass zu erbetteln. Da wird es zwei armen Marketenderinnen wie uns – Mutter und Tochter! – ebenfalls gelingen, in den Markt zu kommen – wenn Gujadanya rechtzeitig hier eintreffen sollte, dann hat die Marketenderin sogar zwei Töchter ...

Albacim ist auch nicht stärker befestigt als diese Burg hier – und genau wie diese hat sie einen Fluchttunnel, durch den man im Angriffsfall hinunter ins Dorf fliehen kann. Du wirst dich erinnern, dass wir vor einigen Jahren zweimal in diese Burg hinein- und hinaus spaziert sind, obwohl sie jeweils in Feindeshand war. Und ich glaube, das kann uns noch ein weiteres Mal an einem anderen Ort gelingen.

Wie ich schon erwähnte, ist die Base oder was-weiß-ich-was der alten Vettel meine Gefangene drunten im Turmkerker – jedenfalls ist sie ein Kegelsproß vom alten Lustmolch Radmon von Elenta und gehört damit auch zur Dreckssippschaft der Elenterin. Anfangs zeigte sie sich natürlich schön verstockt und wollte mit keinem Wort herausrücken – aber seit ich ihr ein paar Mal gehörig die Schnauze poliert habe, wurde sie immer redseliger, sodass ich jetzt weiß, nach welchem Haus in Selaque wir suchen müssen, um das andere Ende des Albacimer Fluchttunnels zu finden."

Rifada war zum Tisch zurückgekehrt und setzte sich wieder und bedeutete Richeza, sich ebenfalls niederzulassen. "Im übrigen gebe ich dir den guten Rat, morgen früh Belisetha nicht unter die Augen zu kommen! Deine Großmuhme ist im Moment von der Angst befallen, unsere Familia könnte aussterben und wird dir deshalb ganz sicher Vorwürfe machen, wieso du noch keinen Gemahl und keine Kinder hast. Ehe du dich versiehst, bist du schon irgendeinem weiblosen Magnaten als zukünftige Ehegemahlin versprochen – ob es dir gefällt oder nicht!"

Rifada verdrehte die Augen, warf einen Blick in den leeren Weinkrug und schubste ihn seufzend von sich.


Richeza, die während der Rede ihrer Tante, dieser halb zugewandt, weiter aus dem Fenster auf den dösenden Hund gesehen hatte, wandte sich zu der Junkerin um.

"Belisetha?", fragte sie, und ihre Wangen nahmen eine plötzliche Farbe an. Fast wirkte sie erschrocken. "Ist sie hier? Wieso, was hat sie Euch gesagt? Was will sie denn?"


Rifada da Vanya wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als der junge Tizino erneut den Raum betrat: "Verzeiht, Euer Wohlgeboren, aber eine Nachricht für Eure Nichte ist eingetroffen und der Bote besteht darauf, die Botschaft persönlich zu überreichen. Er sagt sein Name laute Dom Amaros von Lindholz."


Rifada zog eine Augenbraue in die Höhe, dass der Bursche einfach so mir nichts dir nichts das Zwiegespräch zweier Magnatinnen unterbrach. "Sie ist schon seit sechs Tagen hier!", beantwortete sie Richezas Frage. "Mein nichtsnutziger Vetter Lucrann ist zurück im Lande, und Belisetha ist nun der festen Überzeugung, für den verlotterten Waldschrat eine Ehegemahlin finden zu müssen. Gujadanya will sie ebenfalls so schnell wie möglich unter die Haube bringen – eine Achmad'sunni, die einen Mann heiratet – hahaha! Wann hat man so einen Unsinn schon gehört?" Ihr Gesicht wurde ernst. "Leider befürchte ich aber, dass sich meine Tochter tatsächlich von ihr beschwatzen lässt. Guja hat schon als Mädchen jedem Gockel hinterher geschaut, der sich am Wegesrand aufgeplustert und ihr kecke Blicke zugeworfen hat. Sie ist den treulosen Mannsbildern leider durchaus zugetan."

Jetzt wandte sie sich an Tizino: "Was ist das für ein Bote, der seine Nachricht nicht wie ein normaler Mensch beim Portikus abgeben kann? Noch dazu gibt er vor, von Stand zu sein? Sein Name klingt schon so typisch verweichlicht – Amaros von Lindholz." Sie schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase. "Du hast doch nicht etwa was mit Yaquirtalern zu schaffen, mein Kind? Diesen heuchlerischen Gecken ist nicht weiter zu trauen, als deine Säbelspitze reicht!" Mit Schaudern dachte sie an diesen Gendahar von Streitzig oder an ihren eigenen einzigen Besuch in Punin vor über fünfunddreißig Jahren zurück.


Richeza presste die Lippen zusammen, rieb sich über das Kinn, noch immer einen erschrockenen Ausdruck in den dunklen Augen. Dann straffte sie sich, zuckte mit den Schultern. "Lindholz?", fragte sie grimmig. "Mit denen hat meine Familia nichts mehr zu schaffen, seit mein Urgroßonkel irgend so eine Caballera aus deren Geschlecht geheiratet hat." Nochmals hob sie die Schultern. "Besser, ich gehe runter und höre mir an, was der Kerl zu sagen hat." Allein ein leichtes Zittern ihrer Hand strafte ihre rauen Worte Lügen, als sie die Tür des Saales öffnete und ihre Tante unvermittelt stehen ließ.



Der Torwächter verbeugte sich gen Domna Rifada, trat ebenfalls durch die Tür des Saales und schloss diese, bevor er Domna Richeza den Gang hinab folgte. Er musste sich eilen, zu der raschen Schrittes der Treppe zustrebenden Scheffelsteinerin aufzuholen. Niemand kam ihnen entgegen oder ließ sich blicken. In so einer weitläufigen Wehranlage verlor sich offenbar das Wenige, was die da Vanyas an Dienerschaft benötigten. Domna Richeza beachtete ihn nicht weiter und so nutzte der junge Mann die Zeit, bis die Landedle ihren Fuß auf die ersten Stufen gesetzt hatte, um der Rückansicht der ebenso schönen wie stolzen Adligen einen genaueren Blick zu gönnen. Sie mochte die Dreißig bereits hinter sich gelassen haben, doch im Gegensatz zu manch anderer edlen Dame, die mit den Jahren in die Breite ging, war die Scheffelsteinerin, dem tagtäglichen Umgang mit der Waffe geschuldet, noch immer schlank, wenn auch nicht zierlich. Sicherlich wäre die für Ihre Schönheit so viel gerühmte Domna in der Lage, so manche frisch erblühte Rose in die Eifersucht zu treiben, wenn sie es darauf anlegen würde.

Während er sich schmunzelnd seinen Gedanken hingab, hatten die beiden schon fast das Erdgeschoss erreicht und so eilte er sich anzumerken: „Ich bitte um Vergebung, Domna, aber es ist nicht nötig, dass Ihr Euren Weg fortsetzt: Ich trage das Schreiben hier bei mir.“ Er blieb einige Stufen über ihr stehen, zog mit flinken Fingern ein gefaltetes und versiegeltes Papier hervor und streckte es Richeza von Scheffelstein entgegen.