Chronik.Ereignis1044 Ein vergnüglicher Abend 07: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
K (Typo)
K (Link ergänzt)
Zeile 14: Zeile 14:
Er schien viel Spaß zu haben und keines der Worte, die aus seinem Mund kamen, wirklich ernst zu meinen.
Er schien viel Spaß zu haben und keines der Worte, die aus seinem Mund kamen, wirklich ernst zu meinen.
„Dafür nicht, geschieht ihm Recht, wenn er es nicht bemerkt hat. Zudem… habe ich das Gefühl, es könnte zu Handgreiflichkeiten kommen, sobald ihr beiden draußen vor der Tür steht. Aber das nächste Mal, solltest du allein gehen wollen. Lass es mich wissen. Sonst würde ich mich freuen, dich als meinen Gast mitzunehmen.“  
„Dafür nicht, geschieht ihm Recht, wenn er es nicht bemerkt hat. Zudem… habe ich das Gefühl, es könnte zu Handgreiflichkeiten kommen, sobald ihr beiden draußen vor der Tür steht. Aber das nächste Mal, solltest du allein gehen wollen. Lass es mich wissen. Sonst würde ich mich freuen, dich als meinen Gast mitzunehmen.“  
“Oh, so viel Spaß wie heute hatte ich noch nie im Fuchsbau. Ich glaube ab jetzt gehe ich nur noch mit dir hierher”, grinste Obsidian, und ein kleiner Teil von ihm fragte sich, ob er es nicht auch so meinte.
“Oh, so viel Spaß wie heute hatte ich noch nie im [[Fuchsbau]]. Ich glaube ab jetzt gehe ich nur noch mit dir hierher”, grinste Obsidian, und ein kleiner Teil von ihm fragte sich, ob er es nicht auch so meinte.





Version vom 19. Oktober 2024, 07:05 Uhr

Punin, Peraine 1044 BF

Irgendwo in Yaquirhafen, in den frühen Morgenstunden

Autoren: Eliane, BBB


Am Horizont kündigte das erste Grau die nahende Dämmerung an. Fabiola wartete einige Schritte, bevor sie sich aus Obsidians Arm löste. Forschend sah sie ihn an. “Alles in Ordnung bei dir? Tut mir leid, dass du deine Münze verloren hast.” Sie schwieg einen Moment. “Was war das gerade? Du hast gegen deine eigenen Regeln verstoßen - alles oder nichts, das war dein Vorschlag… aber du hast dich nicht dran gehalten.” Ein Gedanke schwirrte durch ihren Kopf, den sie nicht recht greifen konnte. Hatte sie etwas übersehen?

Obsidian grinste breit, fast schon freudestrahlend. Die Beobachtungsgabe dieser Frau war wahrhaft bemerkenswert. Er war so sehr darauf fixiert gewesen, sein Ziel zu erreichen, dass er tatsächlich - technisch gesehen - sein eigenes Angebot nicht eingehalten hatte. Naja. Der Rotzer würde es überleben.

“Es ist alles bestens”, versicherte er. “Bestens, wirklich.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich fürchte du hast Recht… ich hab ihn um ein paar Kreuzer geprellt. Aber irgendwie musste ich ihn ja an den Tisch kriegen.” Wieder musste er kurz lachen bei dem Gedanken. “Vielleicht sollte ich nochmal reingehen und mich entschuldigen”, schlug er scherzhaft vor. “Leihst du mir kurz deine Silbermünze?” Er schien viel Spaß zu haben und keines der Worte, die aus seinem Mund kamen, wirklich ernst zu meinen. „Dafür nicht, geschieht ihm Recht, wenn er es nicht bemerkt hat. Zudem… habe ich das Gefühl, es könnte zu Handgreiflichkeiten kommen, sobald ihr beiden draußen vor der Tür steht. Aber das nächste Mal, solltest du allein gehen wollen. Lass es mich wissen. Sonst würde ich mich freuen, dich als meinen Gast mitzunehmen.“ “Oh, so viel Spaß wie heute hatte ich noch nie im Fuchsbau. Ich glaube ab jetzt gehe ich nur noch mit dir hierher”, grinste Obsidian, und ein kleiner Teil von ihm fragte sich, ob er es nicht auch so meinte.


„Welche Ehre. Ich auch nicht.“, schmunzelte sie. „Bist du sicher? Ich weiß noch nicht, wie häufig ich in Punin sein werde. Nicht, dass Linde dich hier vermisst. Was hast du von ihr bekommen? Vor der Herausforderung?” “Gut beobachtet”, lobte Obsidian. “Eine kleine Kette mit Anhänger, die jemand mal als Einsatz hinterlegt und dann verloren hatte. Habe sie ihr abgekauft. Es wird nicht lange dauern, bis dem Rotzer auffällt, dass es nicht die Kette ist, die er gesetzt hatte, kein Vergleich mit der hier.” Wie ein schlechter Taschenspieler oder Straßenzauberer zog er ein kleines Lederband aus dem Ärmel, an dessen Ende drei Medaillons hingen. Abrupt blieb Fabiola stehen, starrte Obsidian überrascht an. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Sie schlug sich vor die Stirn. Wie hatte sie das nur übersehen können! Obsis Worte drangen zu ihr durch: “Insofern sollten wir vielleicht weiter gehen, sonst fordert er die noch zurück. Die, und die zwölf Kreuzer, um die ich ihn geprellt hab.”

„Du hast das gleiche gemacht wie er und die Hagere. Übertriebenes Verhalten, um die Aufmerksamkeit abzulenken.“, lachte sie. Obsidian nickte. „Geschickt, sehr geschickt, feqzgefällig. Linde hat recht, der Mungo gewinnt immer. Ich sehe schon, in deiner Gesellschaft muss ich sehr aufpassen.“ Sie hakte sich unter, während sie weitergingen. „Wie lang hattest du den Plan schon? Und wie gut war dein Blatt? Wie er beim Grünling hast du es nicht gezeigt.“ “Ich wusste, wenn ich ihn dazu bekomme, die Medaillons als Einsatz zu akzeptieren, kriege ich sie. Auf die eine oder andere Art. Ursprünglich hatte ich vor sie fair zu gewinnen - aber im Laufe des Spiels wuchs die Lust, ihm seine eigene Medizin zu verabreichen.” Im Gehen warf er einen Blick auf die drei Medaillons. Er war sich noch immer nicht sicher, was er da gewonnen… äh, nein, gestohlen hatte. “Zu gern hätte ich gesehen, ob sich seine Neugier irgendwann gegen seine Habgier durchsetzt. Die ersten Augenblicke wird er nach seinem Gewinn suchen und dann fluchen, wenn er merkt, dass er gleich zweimal hintergangen wurde. Aber ich habe bewusst mein Blatt liegen lassen. Vielleicht sieht er nach. Vielleicht auch nicht. Verloren hatte er so oder so.” Weiterhin im Gehen zeigte er seinem Täubchen die drei Medaillons am Lederband. “Sag mir, was hat es damit auf sich?”


„Ich hoffe, er sieht nach.“ Auch wenn er es nicht gesagt hatte, jetzt war sie sicher, dass er seine Münze nie gesetzt hatte. Ein Vorteil, wenn man Silber zu seiner Barschaft zählen konnte. Fabiola deutete auf die beiden Medaillons, die der Rotzer gegen den Grünling gesetzt hatte: „Die da - keine Ahnung. Das da…“ sie deutete auf das dritte, sorgsam bedacht, es nicht zu berühren. Es war dunkel angelaufen, beinahe schwarz. Symbole darauf wirkten gleichzeitig vertraut und falsch, eine wilde Mischung. „… hätte ich hier nicht erwartet. Das Symbol kenne ich aus Schwarzmaraskan.“ Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken. Hastig unterdrückte sie das Grauen und die aufsteigenden Erinnerungen. Ihre Unterarme begannen zu prickeln. „Die Gruppe, zu der es gehört, waren Rebellen, die sich nach dem Fall den Frevlern der Zwölf angeschlossen haben. Das hier, von den roten Linien durchzogen, ist der zerbrochene Diskus, mit den verstümmelten Händen der Zwillingsgötter. Und darüber eine pervertierte Variante des Zeichens Satuarias.“ Obsidian hob überrascht eine Augenbraue. Was hatte diese Frau alles erlebt, dass sie solche Symbole zuordnen konnte? “Ich weiß nicht, ob ich schockiert sein soll, dass du so viel über Rebellengruppen auf Schwarzmaraskan weißt, oder beeindruckt. Vielleicht ein bisschen von beidem…” Er besah sich die Symbole noch einmal. Keines davon hatte er je zuvor gesehen. „Ich kann das Zeichen einer Gruppe zuordnen, das heißt nicht unbedingt, dass ich viel über andere Rebellengruppen weiß. Dafür würde ich vermutlich kaum eine Einheit almadanischer oder horasischer Mercenarios zuordnen können. Anders als du.“, zuckte Fabiola mit den Schultern.

Mehr zu sich als zu seinem Täubchen murmelte er: “Wie der Rotzer wohl in den Besitz eines solchen Medaillons gekommen sein mag?” „Das frage ich mich auch.“, seufzte Fabiola. „Vermutlich werde ich irgendwann mit Federigo reden müssen. Aber nicht heute. Es wird Zeit für den Heimweg.“ “Federigo?”, fragte Obsidian verwirrt. „So heißt Linde zu Folge der Rotzer. Er und seine Freunde sind wohl Stammgäste. Also werde ich ihn finden, wenn es sein muss.“ “Sag Bescheid, wenn ich helfen kann. Oder helfen darf”, bot Obsidian an. “Mag sein, dass ich mich irre, aber diese Geschichte kitzelt meine Neugier.” „Danke, da komme ich bei Bedarf gerne drauf zurück. Wo ihr euch so gut verstanden habt.“, grinste sie. Er steckte die Medaillons in seine Geldkatze.


“Oh, dabei fällt mir ein… ich schulde dir glaube ich noch einen Gegenstand.” „Unter anderem. Vorhin war ich kurz versucht, nach der Münze zu fragen, ein gutes Andenken an diesen Abend. Ist es immer noch.“, zwinkerte sie. Ihn übertrieben ausführlich musternd ließ ihren Blick über ihn gleiten. „Hm, was soll ich nur nehmen? Deine Börse? Deine Hemd? Deine Augenklappe? Deinen Dolch?“ Sie tippte sich nachdenklich auf die Lippe. „So sehr mich das Medaillon reizt, es wäre kein Andenken an unsere gemeinsame Zeit. Und die leere Flasche Wein habe ich schon. Würfel oder Karten wären passend, aber die hast du nicht dabei. Dann bleibt wohl nur noch der missverständliche Klassiker, meinst du nicht? Eine Locke. Oder hast du einen besseren Vorschlag?“ Obsidian zog seinen Dolch, kniete sich kurz zu Boden und schnitt ein Stück des Riemens ab, der seine Schuhe geschlossen hielt. Dann stand er wieder auf. Geschickt nahm er eine knapp zwei Finger breite Strähne seiner Haare, flocht sie, band das Stück Lederriemen darum und schnitt dann alles mit dem Dolch ab. Einen Moment hielt er die sauber geflochtene Strähne zwischen den Fingern - dann reichte er sie seinem Täubchen. “Eine schöne Idee. Ich hoffe, sie wird dich lange an unsere gemeinsame Zeit im Fuchsbau erinnern.” Fabiola nahm sie mit einem Lächeln entgegen. „Dankeschön. Freut mich, dass dir die Idee gefällt. Auch wenn ich kein Andenken brauche, um mich dieser sehr schönen, aufregenden Nacht lange zu erinnern.“ Noch immer lächelnd zog sie ihre Börse hervor, verstaute die Strähne sorgsam neben dem einsamen Silbertaler, und schob alles zurück unter ihr Mieder.


Kurz bevor sie die Pferde beim Basar im Stadtzehnt Yaquirhafen erreichten, gähnte Fabiola herzhaft. “Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber ich werde nicht den Luxus haben, den verpassten Schlaf nachzuholen, bevor mich die Pflicht ruft. Daher hätte ich nichts gegen Frühstück und etwas, das mich durch den Tag bringt, bevor ich nach Hause gehe. Magst du mitkommen? Wir können die Pferde mitnehmen. Aber nicht deinen Bediensteten.” Obsidian lächelte, ähnlich müde, aber vor allem mit sich selbst und der Welt zufrieden. “Ich würde nichts lieber tun als das”, gestand er. “Darf ich dich ins Hotel Yaquirien einladen, oder schwebt dir etwas anderes vor?”

Fabiola lachte auf. „Du würdest mich so mit ins Yaquirien nehmen? Verwegen! Und der Skandal erst. Das kann ich mir nicht leisten. Und außerdem glaube ich nicht, dass sie bieten, was ich brauche. Komm, ich habe einen Ort im Sinn.“

Sie erreichten die Pferde. Fabiola nahm ihren Zügel entgegen und sah zu Obsidian. “Flieg voran, mein kleines Täubchen”, scherzte er, nachdem er es ihr gleichgetan und seinen Diener nach Hause geschickt hatte.


Fabiola führte ihn vom Hafen und Fluss weg gen Zentrum der Capitale, zu den dichter werdenden Häusern des Stadtzehnts. Schließlich bog sie in eine schmale Gasse ein. Verschlafen waren erste Händler dabei, ihre Geschäfte für die Öffnung vorzubereiten, Straßenkinder aufzuscheuchen, dass diese später die Kundschaft nicht belästigten. Fabiola musterte die Gebäude eingehend und folgte schließlich einem Durchgang in die Hinterhöfe. Der letzte, den sie erreichten, war überraschend groß, gesäumt von mehrstöckigen Gebäuden. Regelmäßiges dumpfes Schlagen drang aus einem Haus. „Ah, gut, wir sind nicht zu früh.“ Sie ging auf das Haus zu und band die Zügel ihres Pferdes um die Stütze einer aus einer Plane bestehenden Überdachung. Das darunter stehende Pferd schnaubte warnend, trat gegen einen Eimer. Es war nicht festgebunden, tiefschwarz und von der ähnlicher Statur wie Nuianna. Obsidian fühlte sich, als würde er Punin zum ersten mal betreten. Mit neugierigem Blick sah er sich um, nahm alles auf. Wo waren sie? Was war das für ein Ort, versteckt und doch für alle offen sichtbar?

„Komm ihm nicht zu nah.“, warnte Fabiola mit einer Geste zu dem Rappen. Sie wartete, bis Obsidian sein Pferd zur Seite geführt, aber nicht angebunden hatte, dann wandte sie sich zum Haus. In dem Moment trat eine Gestalt durch die Tür.

Die Frau, etwas jünger als Obsidian und Fabiola, trug einfache, helle Kleidung, eine weite Hose und ein ärmelloses Hemd, das ihre durchtrainierten Arme betonte, aber keine Schuhe. Einige der zurückgebundenen, honigblonden Locken klebten im Gesicht mit den forschend blickenden, dunklen Rehaugen.


Als die Frau Fabiola erkannte, entspannte sie sich, nahm die Linke aus dem Rücken, in der sie ein Messer hielt. „Was machst du denn hier? Hast du die Nacht durchgefeiert oder warum siehst du so fertig aus? Wer ist er?“ Sie deutete mit dem Messer auf Obsidian. „Ein Freund.“, erwiderte Fabiola. ‚Ich bürge für ihn.‘, bedeutete ihre ihm abgewandte Hand.

Die Frau nickte. „Wie du willst. Seid meine Gäste, in Travias Tradition.“ „Wir nehmen deine Gastfreundschaft im Sinne Travias an.“ Fabiola sah zu Obsidian, der sich artig bedankte und die so geläufige Floskel wiederholte.

„Einen Tee für euch beide?“, erkundigte sich ihre Gastgeberin. Fabiola schüttelte den Kopf. „Lieber was, das länger wach hält. Und was zu Essen, falls du was da hast.“ Ihr Gegenüber lachte. „Habe ich immer, in der Küche, hol was du magst, und bring uns was mit.“ Sie musterte Fabiola einen Moment kritisch von oben bis unten. „Das bequeme Leben hier bekommt dir nicht. Du setzt an. Sollen wir gleich eine Runde spielen?“ „Tue ich gar nicht, und in meinem Zustand wäre ich keine Herausforderung.“, wehrte Fabiola ab. „Als ob du das sonst wärst.“ Obsidian musste grinsen, sagte aber nichts.


Während Fabiola im Haus verschwand, widmete die blonde Frau Obsidian beinahe verstörend intensive Aufmerksamkeit. Dann lächelte sie ihn plötzlich an. „Komm, hilf mir, die Kissen holen, dann setzt dich, während ich euch was zum Wachwerden mache.” “Sehr gern”, erklärte sich Obsidian bereit, bot der Fremden dann die Hand zum Gruß. “Man nennt mich übrigens Obsidian. Oder Obsi, wenn du magst.” „Schön, dich kennen zu lernen. Miri.“, schlug sie ein. “Die Freude ist ganz meinerseits.” “Wie hart bist du im nehmen?“ Sie wandte sich zur Tür, Obsidian folgte ihr. Lachend und unsicher, worauf die Frage abzielte, antwortete er: “Ich hoffe, hinreichend?” „Wir werden sehen.“, grinste sie. Obsidian war leicht verwundert, sagte aber nichts. Er würde noch früh genug erfahren, warum er beim Frühstück Nehmerqualitäten brauchte… und vielleicht auch, warum er mit vorgehaltenem Messer begrüßt worden war.

Über die Schulter erkundigte sie sich: „Woher kennt ihr euch?“ Obsidian überlegte einen kurzen Augenblick, wie er antworten sollte, entschied sich dann für eine Version der Wahrheit. “Sie ist mir bei der Beisetzungszeremonie des Inquisitors aufgefallen. Und ich konnte nicht widerstehen, sie zu fragen, ob sie mit mir ausgeht”, fügte er grinsend hinzu. “Woher kennt ihr euch?”

„Wir gehörten der gleichen Reisegruppe an.“, erklärte Miri. „Was hat sie gemacht, dass sie dir in der Menschenmenge aufgefallen ist? Und wie hast du sie überzeugt, ja zu sagen?” “Ich habe charmant gefragt?”, erwiderte Obsidian augenzwinkernd, in der Tonlage deutlich zum Ausdruck bringend, dass es das nicht gewesen sein konnte. “Und wahrscheinlich hat es auch geholfen, dass ich Glück hatte bei meiner Wahl des Gasthauses.” Er überlegte einen Moment, wie er den ersten Teil er Frage beantworten sollte. Wie viel wusste Miri von seinem Täubchen? Und wie offen konnte er sein? Immerhin schienen sie sehr vertraut miteinander - aber das musste nichts heißen. “Aufgefallen ist sie mir, weil sie irgendwie… anders wirkt, als die meisten dort. Die meisten hier. Ich kann es noch immer nicht ganz fassen, aber sie übt eine gewisse Faszination auf mich aus. Von Anfang an.” Miri sah ihn überrascht an und nickte. „Ja, ich weiß, was du meinst. Sowas kommt vor. Hast du den Toten gesehen?“ “Nur von weitem. Ich wollte eigentlich heute früh nochmal hingegangen sein - aber das kann warten. Du?” „Nein, den nicht. Vielleicht hole ich es noch nach.“ Miri machte nicht den Eindruck, als ob sie besonders interessiert daran war.

Drinnen deutete sie auf einen Berg Sitzkissen im dämmrigen Raum hinter der Tür. Es schien eine Werkstatt zu sein. „Nimm sie alle mit raus, ja? Den Tisch auch. Ich hol die Sachen für eure Wachmacher.“ Sie verschwand im Halbdunkel und Obsidian tat, wie gebeten.


Wenig später saßen sie zu dritt im Hof auf den Kissen um einen niedrigen Tisch, der vor Schüsselchen überquoll. Neben ihnen zupften die Pferde an etwas Heu, das Miri mit zwei Eimern Wasser besorgt hatte. Ihre Gastgeberin reichte den beiden anderen zwei abgedeckte Schalen, nahm sich eine dritte und deutete auf ein Schüsselchen Zucker und ein zweites, kleineres. „Wenn ihr es süß wollt. Oder scharf.“

Süß oder scharf? Etwas in Obsidians Hinterkopf mahnte ihn zur Vorsicht. Es gab einige Kulturen, die ihre Speisen gern mit einer gewissen Schärfe oder Süße versahen - und nicht alle davon waren gaumenfreundlich… wenn man es nicht gewohnt war. Ohne Zögern schaufelte sich Fabiola vier hoch gehäufte Löffel in ihr Getränk. „Es schmeckt noch widerlicher, als es aussieht. Trotzdem würde ich nicht empfehlen, es runterzustürzen.“ Dann deutete sie auf das Essen. „Alles lecker, je bekannter es aussieht, desto größer die Chance, dass es nicht allzu scharf ist. Wobei nach dem Fusel heute Nacht macht es vermutlich keinen Unterschied. Ich hab dir Besteck mitgebracht.“ “Danke dir. Es sieht in jedem Fall sehr interessant aus. Ich bin gespannt.” Sie selber griff nach zwei schlanken Stäbchen aus dunklem Holz, während Miri ein ähnliches Paar hervor zog.

„Fusel? Erzählt mir mehr. Wo habt ihr euch rumgetrieben?“, erkundigte sich Miri und tat sich von verschiedenen Gerichten auf, bevor sie gekonnt anfing, mit den Stäbchen zu essen. Obsidian griff nach dem Besteck und folgte dem Beispiel seiner Gastgeberin, nahm von allem ein bisschen. “Wir haben… die ganze Bandbreite des Angebots der Stadt probiert. Von almadanischem Wein bis zu billigstem selbst gebranntem Fusel in einer Spelunke nähe des Hafens, und wieder zurück. Wobei die letzte Flasche Weins wirklich herausstach!” „Da seid ihr ja ganz schön rumgekommen. Kein Wunder, dass ihr so ausseht. Was war das für ein Wein? Ich brauche noch ein paar Almadaner Mitbringsel. Dann tut euch keinen Zwang an, euch auch durch die ganze Bandbreite der Gerichte zu probieren.“ Obsidian grinste, das Angebot gefiel ihm. Er merkte, dass sie lange nichts gegessen hatten, aber zuerst wollte er dieses ominöse Getränk probieren. Vorsichtig roch er daran, während er antwortete: “Ein ziemlich seltener, wenn ich richtig verstanden habe. Rosa de Fúridão?” Fragend schaute er zu seinem Täubchen - Fabiola - Domna Selea - wie auch immer er sie nun nennen sollte, und dann zurück zu seinem Getränk. „Ja, genau.“, bestätigte Fabiola einsilbig. „Kannst du mir sagen, woher der kommt?“, erkundigte sich Miri bei Obsidian. „Nicht deine Preisklasse.“, wehrte Fabiola ab.

Das Gebräu in der Schale wirkte auf den ersten Blick wie unappetitlich dunkler Tee, dessen Oberfläche ölig schimmerte. Der Geruch war undefinierbar, aber wenig angenehm. Miri hatte kleine, schwärzliche Stückchen von irgendwas in ihrer Kanne mit aufgekocht, aber glücklicherweise nicht mit ausgegossen. Als Algerio probierte, war außer Bitterkeit und der Süße, die er Fabiolas Beispiel folgend hinzugefügt hatte, wenig herauszuschmecken. Er merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, ihm warm wurde. Der Dunst des Alkohols und jegliche Müdigkeit waren wie weggeblasen. Die beiden Frauen hatten ihn neugierig beobachtet, selbst an ihren Schalen nippend. „Nicht schlecht gehalten, oder war es nicht dein erstes Mal?” “Soweit ich mich erinnere, ist es das. Ein interessantes Getränk… wo hast du das her?”, fragte Obsidian, nicht ohne Stolz ob der Anerkennung. „Ein Hausmittel meiner Großmutter.“, erklärte Miri. „Wenn man mal länger wach bleiben muss. Rächt sich am Ende aber trotzdem, besonders, wenn man es übertreibt, auf Dauer braucht jeder Schlaf. Und nie mehr als eine Portion auf einmal. Fremde, die meinten, sie wären ganz hart, übertreiben es angeblich schon mal. Dumme Idee, sich dem Dunklen Vater so leichtfertig aufzudrängen.“ Obsidian lachte herzhaft. “Keine Sorge! Es gibt Nächte, die es wert sind, eine Ausnahme zu machen, aber für gewöhnlich ist mir mein Schlaf sehr wichtig.” Er nahm vorsichtig einen weiteren Schluck Miri deutete derweil auf den Tisch: „Esst schon, ihr wolltet doch Frühstück.“ Die zwei, besonders Fabiola, fielen über die Schälchen mit den verschiedenen Gerichten her. Ein Teil war almadanisch, darunter das Brot und das frische Obst, einiges wirkte tulamidisch, das meiste war exotischer.

Rasch kamen sie ins Gespräch. Miri war entwaffnend unverblümt neugierig, interessierte sich für ihre Gäste genauso wie für Erzählungen von der Prozession, den Kladj um die Anwesenden Würdenträger, die fehlenden Würdenträger, die prächtigsten Pferde, Pferde an sich, was Punin zu bieten hatte, wo man am besten feiern konnte, ob es stimmte, dass der explodierte Turm der Akademie von Geistern heimgesucht werde, wo er doch so nah am Herz der Boronkirche lag, ob sie in der Residencia wirklich von goldenen Tellern aßen, ob eigentlich die wilden Geschichten über dunkle Kulte und zügellose Orgien unter dem Thronräuberkaiser stimmten, für welche Spezialitäten Almada berühmt sei, wo Obsidian herkomme, was sein Geheimtipp sei, was man sehen und probieren müsse, solange man im Lande sei, was ihn am meisten mit seiner Heimat verbinde, wie ein Leben als Mietling hier so sei, was jeder Almadaner vermisse, wenn er ins Ausland reise, ob die hiesigen Pferde gut oder überschätzt seien, und warum hier jeder diese riesigen Hüte trage… Und trotz ihres Redeflusses gelang es ihr, ein angenehmes, kurzweiliges Gespräch entstehen zu lassen, an dem alle drei teilnahmen.

„Was macht deine Familie?“, erkundigte sich Fabiola später bei Miri, vorsichtig in ein Pastetchen beißend. Süß und fruchtig, ohne Überraschungen. „Wie lang bleibst du noch?“ „Wir reisen Ende der Woche ab. Wenn du deine Geschäfte bis dahin erledigt hast, kannst du dich gerne anschließen.“ “Wo geht es denn hin, wenn ich fragen darf? Oder vielleicht besser: Wo geht es als nächstes hin?”, fragte Obsidian neugierig. „Erstmal nach Omlad oder über den Blutpass, ist noch nicht sicher.“ “Eine echte Abenteurerin”, entfuhr es Obsidian anerkennend. “Beides keine ungefährlichen Ziele. Zumal wenn du mit Familie reist…”

Die beiden Frauen sahen sich einen Moment an - und brachen in schallendes Gelächter aus. Als sie sich endlich weit genug beruhigt hatte, um zu Atem zu kommen, wandte sich Fabiola an Obsidian. Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Entschuldige, Obsi, das war nicht böse gemeint, du kannst es ja nicht wissen. Miri verdient ihr Geld häufig als Söldnerin im Begleitschutz. Wie ihre Eltern früher auch. Wer dumm genug wäre, diese Familie zu überfallen, würde vermutlich nicht mehr dazu kommen sich zu wundern, wo sein Fehler lag. Ich wollte nur wissen, ob sie von ihnen gehört hat.“ Nun war es an Obsidian zu lachen. “Aaaah!”, fiel bei ihm der Heller der Erkenntnis. “Das ergibt wesentlich mehr Sinn! Seit Omlad wieder Teil Almadas ist, hat man dort zwar wenigstens nicht mehr Überfällen zu rechnen, aber ich hatte mich schon gefragt, aus welchem Grund man einen Familienausflug dorthin unternimmt.” Er pflückte sich eine Weintraube von der Rispe und schob sie sich in den Mund. “Dann habt ihr euch auf diesem Wege kennengelernt? Du hast die Reisegruppe beschützt, in der ihr unterwegs wart?” Miri nickte kauend. Als sie heruntergeschluckt hatte, grinste sie: „Ja, irgendwer musste ja auf die Kleine aufpassen.“ „Ich bin älter als du!“, beschwerte sich Fabiola. „Und ich bin trotzdem besser als du.“, konterte Miri.

Obsidian lehnte sich ein Stück zurück, glücklich lachend. Die Dynamik dieser beiden war einfach unterhaltsam. Es war, als würde man einer Gruppe wirklich vertrauter, langjähriger Freunde beitreten, und mit offenen Armen willkommen geheißen. “Dann habe ich zunächst auch dir zu danken, dass du deine Aufgabe gut erfüllt hast… ohne dich wäre mein letzter Abend wohl deutlich langweiliger gewesen.” Er grinste seinem Täubchen augenzwinkernd zu. “Und ich wusste gar nicht, dass in dir eine Kämpferin steckt”, neckte er. „Ist mir auch noch nicht aufgefallen.”, grinste Miri spöttisch. Fabiola entschied sich für überlegenes Schweigen.


“Hast du einen militärischen Hintergrund, Miri, oder bist du aufgrund der familiären Historie direkt ins Söldnertum?”, fragte er weiter, wieder an Miri gewandt. “Reiterei?” Immerhin hatte sie ein nicht gerade handzahmes Pferd hinter ihnen stehen. Seine Gastgeberin wiegte den Kopf hin und her. „Wie man’s sehen will. Reiterei passt schon, nicht formal, aber es liegt in der Familie.“ Sie pfiff leise und ihr Pferd kam herüber. Zärtlich strich sie über den nachtschwarzen Hals. „Und das Söldnertum… meine Eltern haben alles versucht, dass keines der Kinder in ihre Fußstapfen tritt. Keine Akademie, keine Schwertschule, kein Söldnertum. Schließlich seien die meisten Karrieren kurz, endeten beim Dunklen Vater oder als Krüppel. Und nicht wenige Mietlinge hätten… fragwürdige Moralvorstellungen. Dazu hielt meine Mutter nicht viel von den meisten Kor Anhängern.“ Sie zuckte mit den Schultern und angelte nach mehr Essen. Obsidian nickte zustimmend. „Sie haben beide übersehen, dass es nicht unbedingt förderlich ist, den eigenen Kindern von früh an ein ‘paar Grundlagen’ beizubringen. Als ich zu Besuch bei meiner Tante war, nachdem sie sich mal wieder mit meiner Mutter gestritten hatte, naja, da nutzte ich zum ersten Mal die Chance. Ich habe es offensichtlich überlebt, und meine Eltern haben es akzeptiert. Wie bist du zum Geschäft gekommen, Obsi? Welchen Werdegang zum… Mercenario heißt das hier, nicht wahr, hast du?” Mit einer sanften Geste schickte sie ihr Pferd zurück zu den anderen.

“Ja, genau, Mercenario. Eine gute Frage… Die kurze Antwort ist, durch reinen Zufall und Notwendigkeit. Oder göttlichen Willen, je nachdem, woran du glaubst.” Er grinste. “Es war ein Handwerk, das ich recht gut konnte und ich musste mir irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen. Die lange Antwort ist, dass, soweit ich weiß, meine Familie eine Karriere beim Militär für mich vorgesehen hatte. Kavallerie.” Er deutete auf Prinz Valeroso, der erstaunlich still zwischen den beiden anderen Pferden stand. “Zumindest hat man mir das erzählt.” Er bemerkte Miris skeptisch fragenden Blick. “Ergänzen sollte ich vielleicht, dass ich keine Erinnerung an meine Kindheit und Jugend habe. Das früheste, woran ich mich erinnere, ist ein sonniger Nachmittag, an dem ich auf der Reichsstraße irgendwo zwischen Ragath und Punin aufwachte, ohne Erinnerung daran, wer ich bin und wie ich dahin kam. Naja. Ich versuchte, das Beste draus zu machen, mich irgendwie durchzuschlagen. Ein paar Tage später, ich glaube es war sogar hier, in Punin, treffe ich auf einen Halunken, dem mein Äußeres nicht gefällt.” Obsidian deutete auf seine Augenklappe. “Daher die hier. Wie dem auch sei, es kommt zu einem Wortgefecht, ich fühle das unbedingte Verlangen, ihn zu vermöbeln, Raufdegen werden gekreuzt… wie so etwas hier eben so läuft. Damals bemerkte ich, dass ich ganz ordentlich mit der Waffe umgehen konnte. Also suchte ich nach jemandem, der mich dafür bezahlt. Zu verlieren hatte ich ja nichts.”

„Sehr vernünftige Herangehensweise. Die Augenklappe wirkt auf jeden Fall verwegen, auch wenn das nur ein schwacher Trost für ein verlorenes Auge ist.“, nickte Miri. „Und reiten konntest du offenbar, wenn du ohne Erinnerung davon ausgehst, dass deine Familie dich in der Kavallerie wollte. Die Richtige, in Ragath? Oder habt ihr hier noch mehr? Hast du deine Erinnerungen wiedergefunden? Erfolgreich in dem, was du tust, bist du ja offenbar. Ein Elenviner mit so einer Ausbildung ist nicht gerade günstig. Weder im Kauf, noch im Unterhalt.“ “Nein, leider nicht. Alles vor diesem Tag auf der Reichsstraße verbleibt ein Mysterium für mich. Das heißt, ich habe einige Dinge in Erfahrung bringen können. Das heißt, ich weiß mittlerweile einiges über mich. Aber ich erinnere mich nicht daran.” Er zuckte mit den Schultern. “Wir könnten uns also vor vielen Götterläufen schon einmal begegnet sein, könnten sogar die Klingen gekreuzt haben, und ich würde es nicht wissen. Meine Familie habe ich mittlerweile wiedergefunden - von ihnen weiß ich auch das mit der Kavallerie. Beziehungsweise nein”, korrigierte er sich selbst, “eigentlich anders herum. Ich habe einen alten Kameraden von der Ragather Kavallerie auf einem Schlachtfeld getroffen, der mich wiedererkannt hat, und darüber bin ich meiner Familie auf die Spur gekommen. Also ja, allem Anschein nach ausgebildet in Ragath. Und was den Erfolg angeht… ich glaube einfach, ich hatte unverschämt viel Glück”, grinste Obsidian.


„Unsinn, mit Glück bekommt man so ein Pferd wie deines vielleicht, aber man hält es nicht. Wo stammt er her? Eine bekannte Zucht? Hast du ihn selber ausgebildet?“

Aufmerksam Miris Worten lauschend griff Obsidian in eines der Schälchen und biss herzhaft zu, ohne nachzusehen, was er gegriffen hatte. Überrascht kniff er die Augen zu, kämpfte kurz mit den Tränen. Was immer es war, es war höllisch scharf. Er hustete kurz. “Puh… Bei den Göttern… das würde Ta’iro gefallen…” Er legte den angebissenen Rest beiseite, sah den fragenden Blick der beiden. “Ah, entschuldigt. Ta’iro ist einer meiner besten Freunde. Ein Zahori, der eine… Neigung für abartig extrem scharfes Essen hat, ohne dabei je eine Miene zu verziehen. Er hat sich sogar aus Maraskan irgendeine Gewürzmischung schicken lassen, damit das einheimische Essen wenigstens etwas Geschmack bekommt, wie er zu sagen pflegt. Dabei fällt mir ein… ihr wart nicht zufällig zusammen auf Tsas heiliger Insel?”, fragte er wieder an sein Täubchen gewandt, in der Hoffnung, weitere Details zu erfahren, ohne sie zu exponieren.

Merklich überrascht warf Miri Fabiola einen fragenden Blick zu. Die zuckte mit den Schultern und schnappte sich die letzte Obstpastete. „Wie ist ihr Name, Obsi?”, fragte Miri mit einer gewissen Anspannung in ihrer Haltung, während sie auf Fabiola deutete. Mit großen Augen schaute Obsidian erst zu Miri, dann fragend zu seinem Täubchen und wieder zurück. Da er keine Hilfe erwartete, antwortete er ausweichend: “Das kommt ein bisschen darauf an?” Er grinste. “Sagen wir so, ich kenne sie unter… drei Namen.” Auch Miri sah zu Fabiola, allerdings lag eindeutig auch Verstimmung in ihrem fragenden Blick. „Drei Namen, ja?“ Fabiola hob betont langsam ihre Schale. Bevor sie sie an ihre Lippen setzte, erklärte sie sehr beiläufig: „Warum nicht? Zwei davon kennst du ja auch. Er weiß, wer ich bin.“ Ohne Vorwarnung schnellte Miri aus den Kissen. Mit dem Unterarm an Fabiolas Kehle drückte sie diese zurück. „Nicht witzig.“ „Oh doch. Sehr amüsant, wie geschickt ihr beide darauf geachtet habt, mich nicht mit Namen anzusprechen. Was ich sehr zu schätzen weiß, vielen Dank.“ Miri blitzte Fabiola noch einen Moment an. Dann ließ sie von ihr ab. „Für dich vielleicht.“, grummelte sie und kehrte zurück zu ihrem Platz, Fabiolas Schale im der Hand, die sie ihr ohne einen Tropfen zu verschütten entwunden hatte. „Hey, ich bin noch nicht fertig.“, protestierte Fabiola. „Hättest du dir vorher überlegen sollen. Und überhaupt ist das in deinem Zustand zuviel für dich.“ „Obsi nimmst du auch nicht die Hälfte weg!“ „Erstens hat er mich nicht auf den Arm genommen, und zweitens kenne ich ihn nicht gut genug, um das zu beurteilen.“


Viele Dinge gingen Obsidian parallel durch den Kopf… und wie so oft folgte er seinem ersten Impuls. Er lachte. Herzhaft und aus vollem Herzen. “Wirklich gute Reflexe, Miri!”, lobte er ernsthaft beeindruckt, noch immer nicht wieder ganz bei Atem. “Und ein imponierendes Possenspiel, in das wir verwickelt wurden.” Mit einem letzten Lachen schüttelte er den Kopf. “Ich hätte mir denken können, dass ihr sehr vertraut miteinander seid. Aber ich war mir nicht sicher, ob Miri auch deine andere Seite kennt”, gab er an sein Täubchen gewandt zu. “Vielleicht bin eher ich es, der sich in deiner Gegenwart in acht nehmen muss.” „Wie meinst du das, Obsi?“, erkundigte sich Fabiola alarmiert. Dachte er etwa, sie würde ihn hintergehen oder absichtlich in Gefahr bringen? “In jedem Fall nicht ernst”, lachte er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. “Die Zeit mit dir ist schlichtweg einzigartig unterhaltsam bisher. Aber da die Katze nun aus dem Sack ist…” Er deutete eine Verbeugung in Richtung Miri an. “Obsidian ist der Name, den ich mir selbst gegeben habe, auf schon erwähnter Reichsstraße an schon erwähntem Tag. Wie ich aber heute weiß, gab mir meine Mutter den Namen Algerio. Algerio da Selaque von Culming. Obsi reicht aber vollkommen”, fügte er schelmisch hinzu. Miri sah ihn einen Moment zögernd an. Dann nickte sie und erwiderte formvollendet die Verbeugung. „Mirijid Garasab saba Mahmud von Khunchom. Es ist mir ein Vergnügen. Miri reicht. Gut, dass ich zuerst Obsi kennengelernt habe. Für einen Adeligen bist du ganz verträglich.” Obsidian grinste zufrieden. “Fabi auch. Muss an der Gegend liegen. Entschuldigt mich einen Moment, ich hole Tee. Ihr bleibt noch auf drei Tassen?“ “Selbstverständlich und sehr gern.”


Obsidian wartete, bis Miri sich entfernt hatte, dann fragte er grinsend an sein Täubchen gewandt: “Wie lange hättest du uns noch so umeinander tanzen lassen? Das muss ein niederhöllischer Spaß für dich gewesen sein.” „War es, ja. Ihr habt euch alle Mühe gegeben, und beide gut geschlagen. Aber darum ging es gar nicht. Ich wollte euch die gleiche Rücksicht entgegen bringen, wie ihr mir. Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihr euch so gut versteht. Das muss am Alkohol gelegen haben. Jedenfalls hätte ich die Sache nicht von mir aus aufgelöst.“ “Gut zu wissen”, grinste Obsidian. “Aber sie scheint wirklich eine nette Person zu sein.” Er überlegte einen kurzen Augenblick, aber wie oft gewann seine Neugier. “Was meinte sie eben damit, dass es in deinem Zustand zu viel des Getränks wäre?” „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber wenn es um Zh‘arr geht, halte ich mich an ihre Anweisungen. Das Zeug ist praktisch, aber die Geschichten, die ich über falsche Anwendung gehört habe… vermutlich wollte sie mir heimzahlen, dass ich ihr nicht von Anfang an gesagte habe, dass du weißt, wer ich bin. Oder es ging um meine Bemerkung zum Rosa de Fúridão. Bei ihr weiß man nie, sie ist manchmal fürchterlich impulsiv.“ Fabiola zuckte mit den Schultern. “Zh’arr heißt dieser… Tee? Nie gehört.” Obsidian blickte auf sein Schälchen. “Aber wahrscheinlich eine gute Entscheidung, ihrem Rat zu vertrauen. Es ist in jedem Fall ein mächtiges Gebräu.” Er nahm einen weiteren, vorsichtigen Schluck - und erfreute sich an seinem Effekt.


“Kennt ihr zwei euch schon lange? Und wie habt ihr euch kennengelernt?” „Ja, schon viele Götterläufe, sicherlich acht oder zehn. Wir sind viel zusammen rumgekommen. Sie gehörte zum Umfeld meiner ersten richtigen Arbeit, nachdem ich Almada verlassen hatte.“ “Deiner ersten richtigen Arbeit”, wiederholte Obsidian, wobei er jedes Wort einzeln betonte und sich auf der Zunge zergehen ließ. Mit gespielt skeptischem Blick, aber breitem Grinsen sagte er: “Jetzt kenne ich dich schon so lange… beinahe einen ganzen halben Tag, wenn man es genau nimmt, und gefühlt noch viel länger, aber ich stelle ich fest ich weiß fast gar nichts von dir. Was war deine erste richtige Arbeit?”

„Stimmt, danach hattest du noch gar nicht gefragt. Nun, es war das einzige, wofür unsereins wohl geeignet ist, wenn er oder sie aus dem bequemen Schoß der Familia und dem Schutz des zugehörigen Namens fällt: Mietklinge.“, schmunzelte Fabiola. „Der erbärmliche Versuch einer Mietklinge.“, warf Miri aus der Tür tretend ein, ein Tablett mit frischem Tee und kunstvoll verzierten Baklava vor sich. „Gut genug, um zu überleben. Unverkrüppelt.“, ergänzte Fabiola nachdrücklich. „Und was hätte ich sonst tun sollen?“ Obsidian musste schmunzeln. “Drei Mercenarios treffen sich auf einem Hinterhof in der Capitale… wenn das nicht der Stoff ist, aus dem Legenden entstehen, dann weiß ich auch nicht!” Dankbar nahm er seine Tasse Tee entgegen. “Ich nehme an, der hier ist verträglicher als der Wachmacher von eben?”, fragte er scherzend. “Oder muss ich auch hier aufpassen?”

„Nein, den kannst du einfach nur genießen.“, lächelte Miri. „Wenn dein Freund nochmal anständige Gewürze braucht, sag Bescheid.“ “Oh, darauf werde ich mit Sicherheit zurückkommen. Ta’iro würde sich sicher wahnsinnig darüber freuen. Und wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich, dass er es auch lieben würde, euch beide kennenzulernen.“ „Wir uns auch.“, bestätigte Fabiola, Neugier im Blick. Denn vermutlich handelte es sich um den Besitzer des Wagens, den Obsidian früher erwähnt hatte. Er fuhr fort: „Was mich außerdem zurückbringt zu meiner Frage von vorhin: Maraskan? Wart ihr zusammen dort?”

„Du bist hartnäckig.“, grinste Miri, während sie eingoß, und machte eine auffordernde Geste zu Fabiola. Die nickte. „Ja, wir waren zusammen dort. Miris Familie mütterlicherseits kommt daher. Wenn du magst, Obsi, zeig ihr deinen Gewinn.“ “Man sagt mir bisweilen Hartnäckigkeit nach, ja”, erwiderte Obsidian, während er in seiner Geldkatze nach den Medaillons kramte.


In der Ferne schlug leise die Glocke des Dicken Ghirlando. „Schon so spät. Oder besser früh. Sehr lang kann ich nicht mehr bleiben, wenn ich nicht viel zu viele neugierige Augen Zeuge meines Ausflugs lassen werden will.“, seufzte Fabiola und beendete ihren ersten Tee. “Hier”, reichte Obsidian Miri das Medaillon mit den maraskanischen Zeichen. “Das ist uns heute untergekommen. Mir sagt das gar nichts, aber ich habe den Eindruck, für dich könnte das eine gewisse Bedeutung haben.” Miri drehte das Amulett hin und her, sichtlich überrascht von dem, was sie sah. „Das ist dir hier untergekommen? In Punin?” Besorgt sah sie auf. Fabiola schüttelte den Kopf, während sie die drei Tassen erneut füllte. „Nur das Medaillon, sonst nichts.” Miri nickte erleichtert. „Das ist das Zeichen einer schwarzmarustanischen Freischärlergruppe. Die Anführerin war während der mittelreichischen Besatzung im Widerstand aktiv. Ihr Bruder wurde wegen Verschwörertum hingerichtet, sie glaubt bis heute, dass er von seinen Leuten verraten wurde. Und rächt sich an allen, die ihrer verblendeten Meinung nach damit zu tun haben könnten. Marustanim, Fremdijis, alte Feinde, alte Weggefährten, enge Freunde oder flüchtige Bekannte ihres Bruders, sie macht keinen Unterschied. Sie hat sich nicht nur Haffax angeschlossen, sondern auch vom rechten Glauben abgewandt. Daher diese Symbole. Sie setzt ihren Rachefeldzug bis heute fort, wo sie kann. Hat aber auch Gefallen an… Grausamkeiten aller Art gefunden. Wir hatten damals einige Zusammenstöße mit ihren Leuten. Eigentlich dachten wir, sie sei tot, oder zumindest bis zur Bedeutungslosigkeit geschwächt. Ich wusste nicht, dass sie außerhalb der Insel und ein, zwei Orten entlang der Küste aktiv ist. Ich hör mich mal um, sobald ich zu Hause bin. Wie das wohl hierher gekommen ist?” „Ein Mysterium, dem auf den Grund zu gehen sich sicher lohnt.”, sinnierte Fabiola. „Sei vorsichtig.”, warnte Miri.


“Kann ich… vielleicht behilflich sein?”, bot Obsidian an. “Mit Maraskan kenne ich mich zwar nicht aus, und mit Freischärlern auch nicht. Aber wenn es darum geht, der Spur zu folgen, wie dieses Medaillon hierher kam, wüsste ich ein, zwei Ecken, an denen ich mich diskret umhören könnte.” Miri warf einen Blick zu Fabiola, bevor sie nachdenklich nickte. „Damit läufst du Gefahr, dass Risha auf dich aufmerksam wird. Dessen musst du dir bewusst sein. Aber sonst: Gerne. Würdest du ab und an auch ein Auge auf Fabi haben?“ „Ich brauch kein Kindermädchen!“, protestierte Fabiola. „Ich treibe mich ja nicht allein in irgendwelchen dunklen Ecken rum.“ „Es wird dauern, bis du dich hier wieder auskennst. Und du weißt wie wichtig Freunde sind, die einem den Rücken freihalten.“ Obsidian nickte. “Gefahr hat mich noch nie von etwas abgehalten. Ich werde mal schauen, was ich tun kann.” Und mit Blick auf sein Täubchen fügte er hinzu: “Ich wäre ohnehin ein sehr schlechtes Kindermädchen, fürchte ich. Da fehlt mir die Erfahrung. Worin ich aber Erfahrung habe, ist, ein guter Freund und starker Verbündeter zu sein… wenn du mich lässt.” Er ließ die Worte einen Augenblick wirken, fügte dann hinzu: “Ich weiß, wir kennen uns noch nicht sehr lang - auch wenn es sich bisweilen danach anfühlt. Zumindest für mich. Aber die letzten Stunden mit dir haben mir gezeigt, dass ich das gern ändern würde.”

Fabiola hatte seinen Blick Stand gehalten. Sie musterte Obsidian eindringlich über ihren Tee hinweg. Schließlich erwiderte sie mit einem warmen Lächeln: „Ich weiß genau, was du meinst, mir geht es auch so. Sonst hätte ich dich nicht mit hierher genommen. Ich habe mich mehrfach daran erinnern müssen, wie kurz wir uns erst kennen.“ Sie nippte an ihrem Tee, prüfte einen kurzen Moment die Antwort, die sie spontan hatte geben wollen. Dann lehnte sie sich leicht zu Obsidian und erklärte ernst, weiterhin lächelnd: „Ich will dich gerne als Freund und Verbündeten. Dich besser kennenlernen. Du machst es mir leicht, bleiben zu wollen. Für ein Kindermädchen habe ich sowieso keine Verwendung. Allerdings habe ich eine Bedingung: Gegenseitigkeit.“ “Das freut mich. Aufrichtig”, gab Obsidian offen zu und hob den Tee, als wäre es ein Becher Wein, mit dem er anstoßen konnte. “Vertrauen für Vertrauen. Freundschaft für Freundschaft. Sehr, sehr gern.”


Miri hatte die beiden schweigend beobachtet. Nun stand sie auf, verschwand im Haus und kam kurz darauf mit einer unscheinbaren Flasche aus Steingut zurück. „Darauf eine Offenbarung der Zwillinge.“ Sie griff nach den leeren Teebechern. Fabiola nahm ihr die Flasche ab. „Zu gütig von dir, aber wir haben wirklich genug getrunken. Um dich nicht vor den Kopf zu stoßen, behalten wir die Flasche und denken an dich, wenn wir beim nächsten Mal zusammen den Inhalt vernichten. Du kannst ja länger bleiben, wenn du was abhaben willst.“ Miri akzeptierte mit mehrdeutigem Grinsen und griff stattdessen zur Teekanne. „Nun, dann begießen wir eure Verbindung eben nach alter Vaters-Mütter Sitte.“ “Eine gute Idee… ich glaube, noch mehr harten Alkohol hätte ich nicht vertragen”, lachte Obsidian, hob das Schälchen zum Gruß. “Dann trinke ich auf gute Freunde!” Er prostete erst seinem Täubchen zu, dann Miri, und führte schließlich das Schälchen zum Mund, um es langsam, aber in einem Zug zu leeren. Dann setzte es wieder vor sich, griff nach der Teekanne, füllte zunächst sein Schälchen und dann, heimlich, damit sie es nicht bemerkte, die Teeschale seines Täubchens nach. Verschwörerisch legte er kurz den Finger auf die Lippen, um Miri zu bedeuten, nichts zu sagen. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, hielt die ihm das Tablett mit dem Baklava entgegen, dessen Auswahl Fabiola eben noch abgelenkt hatte, was Obsidian dankend aufnahm und sich bediente. “Wenn du Ende der Woche wieder aufbrichst… gibt es schon Pläne, wann du wieder in der Stadt sein wirst? Oder zieht es dich, wohin auch immer die Geldgeber dich schicken?”, fragte er Miri mit ehrlicher Neugier.

„Normalerweise zieht es mich dahin, wohin mich die Sahiba haben möchte. Aber es sollte kein Problem sein, wenn ich sie darum bitte, mir die Route nach Punin zuzuteilen. Nach einem Besuch in der Heimat. Also wird es auf jeden Fall ein paar Wochen dauern.“ Sie trank einen Schluck Tee. „Ja, ich weiß, ich habe ausgesprochen komfortable Arbeitsbedingungen. Dafür sind die Aufgaben gelegentlich… etwas anders. Und ziemlich herausfordernd.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sag, Obsi, hast du noch Verbindungen von früher? Es ist immer besser, vertrauenswürdigen Empfehlungen zu folgen, wenn man gute Leute sucht.“ “Habe ich tatsächlich. Sogar relativ regelmäßig. Ich vermiete zwar meine Klinge nicht mehr, aber ich habe die Kontakte aus der Zeit genutzt, um mir ein kleines Handelsnetzwerk aufzubauen. Meine ehemaligen Auftraggeber gehören heute zu meinen besten Kunden.”


Ihr Blick fiel auf Obsidians Elenviner. „Dein Hengst ist übrigens ein Schmuckstück. Und verrät jedem, der sich auskennt, dass etwas nicht stimmt, solltest du ihn in dem Aufzug reiten. Magst du mir mehr zu ihm erzählen?“ Sie streckte dem Pferd die Hand entgegen und schnalzte leicht mit der Zunge, woraufhin Prinz kurz aufschaute und langsam zu ihr kam. “Danke, ja, das ist er. Leider weiß er das auch… nicht wahr Prinz? Ich habe ihn in den Nordmarken in einer sehr edlen und alteingesessenen Zucht erworben. Daher auch sein Name. Prinz Valeroso der Vierte. Sein Stammbaum ist glaube ich länger als meiner, deswegen konnte ich ihn mir damals eigentlich auch nicht wirklich leisten - aber irgendwie scheine ich den Züchter damals so verwirrt oder solange bequatscht zu haben, dass er ihn mir letztlich doch überließ. Ihn und ein verfressenes zweites Tier aus ihrer Zucht. Und was den Aufzug angeht: Echte Pferdekenner aus der Gegend hier rümpfen sowieso die Nase, wenn ich mit einem Elenviner Vollblut und keinem Yaquirtaler ankomme. Aber da stehe ich drüber. Prinz hat mir schon viele gute Dienste geleistet, ich würde ihn für kein Pferd der Welt hergeben.” “In den Nordmarken? Da war ich noch nie. Lohnt es sich, der Gegend einen Besuch abzustatten?”, erkundigte sich Fabiola.

Obsidian tätschelte Prinz Hals, nahm dann noch ein Stück Baklava. “Die Gegend ist schön, das definitiv. Die Menschen sind… Geschmackssache.” Er grinste. “Aber auch daran gewöhnt man sich. Ich bin jedenfalls immer sehr gerne dort. Solltest du in der Gegend sein, gib Bescheid. Es würde mich freuen dich dort als meinen Gast willkommen zu heißen.” „Auf die Einladung komme ich gerne zurück.“, lächelte Fabiola. Sein Blick fiel wieder auf Prinz, der sich nun bereitwillig von Miri kraulen ließ. “Langsam habe ich allerdings den Eindruck ihn ein wenig verzogen zu haben mit den Jahren. Hat sehr seinen eigenen Kopf, der Gute. Wobei, eigentlich hatte er den schon immer.” Sein Blick fiel auf das Shadif, das noch immer im Hintergrund stand, und er erinnerte sich an eine Bemerkung seines Täubchens vom früheren Morgen.


“Du sagtest ihr habt auch eine Pferdezucht, wenn ich mich richtig erinnere, oder?” „Ja.”, antworteten beide Frauen im Chor. Sie sahen sich an und brachen in Gelächter aus. „Miris Familie züchtet Pferde, ursprünglich in Aranien. Ihr Vater hat sich bei Khunchom selbstständig gemacht. Er hat ein unglaubliches Händchen mit den Tieren, dafür liebt er sie auch abgöttisch. Möglicherweise mehr als Frau und Kinder.” Miri knuffte sie in die Seite, dass Fabiola für einen Moment die Luft weg blieb. „Nuianna stammt von dort, und Belemann da drüben auch. Meine Familie züchtet ebenfalls. Wir haben ein feines kleines Gestüt auf Tôrzîlba, dessen Zucht dringend frisches Blut braucht. Und ein gutes, aber weniger exklusives im Norden von Mestera. Wie es sich für anständige almadanische Magnaten gehört.”, warf sich Fabiola übertrieben in Pose, eine überhebliche Mine aufsetzend. „Was hast du mit dem zweiten Pferd gemacht?”, erkundigte sie sich, während sie zurück in die Kissen sank. Irritiert stellte sie fest, dass der Alkohol seine Wirkung wohl längst noch nicht verloren hatte. Sie hätte schwören können, dass ihr Tee eben schon viel leerer gewesen war. Und kühler. “Habe es einer guten Freundin geschenkt, mit der ich damals umhergezogen bin und die mir mehr als einmal das Leben gerettet hat”, antwortete Obsidian. “Gleich zwei Zuchten also?”, fragte er, nicht unbeeindruckt. “Ich fürchte, dann muss ich noch an meinem Ruf arbeiten. Als anständiger almadanischer Magnat gehe ich nach diesem Maßstab jedenfalls nicht durch. Aber beizeiten sollte ich dich mit Farfanya bekannt machen… die liebt Pferde ebenfalls über alles und überlegt die Weiden des Selkethals zu nutzen, um selbst zu züchten.”

„Ein großzügiges Geschenk, alle Achtung. Die nördliche Zucht gehörte einem Seitenzweig meiner Familie und ist nach dem Tod des letzten anerkannten Erben an meinen Vater zurück gefallen.”, wiegelte Fabiola verschämt ab. „Und wenn du nicht gerade versuchst, deine in einer Weinstube aufgegabelte Gesellschaft zu beeindrucken, gibst du schon einen ganz überzeugenden Magnaten ab. Unkonventionell, aber überzeugend. Mit der Herkunft und Ausbildung…kein Wunder.” Fabiola grinste und Obsidian musste lachen.


„Farfanya? Du hast von ihr noch nicht erzählt, glaube ich, aber der Name kommt mir bekannt vor.” “Farfanya von Taladur. Eine Verwandte und enge Vertraute des Kanzlers. Mit ihr zusammen habe ich Ende letzten Jahres die Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin organisiert, daher könntest du den Namen auch kennen - zumindest wenn du dich vorab erkundigt hast, wer der Fremde ist, der dich gestern zum Wein eingeladen hat.” Er grinste frech.

„Und mir die Überraschung nehmen, am Ende an einen zwielichtigen Hallodri zu geraten, der gar nicht ist, wer er auf den ersten Blick scheint zu sein?“, tat Fabiola schockiert. Daher seine Unterkunft. Seine Verbindungen waren beeindruckend. Der Kanzler, die Gräfin, … „Du hast Recht, das wird es gewesen sein, immerhin hattet ihr annonciert. Von dem Rennen musst du mir bei Gelegenheit mal erzählen, hört sich vergnüglich an. Waren alle Teilnehmer von Stand?“, nahm sie Miris garantiert folgende Frage vorweg. “Die meisten, aber nicht alle. Das Rennen ist offen für jedermann - was für einigen Unmut gesorgt hat.” Obsidian musste kurz lachen. “Es gab jedenfalls eine ganze Reihe hoher Herrschaften und Damen, denen man besser nicht unter die Nase reibt, dass mein Stallknecht ein besserer Reiter ist als sie.” „Das hört sich nach sehr viel Spaß an.“, grinste Miri. „Sag Bescheid, wenn ihr das nochmal macht. Dann versuche ich, zu kommen. Und Fabi auch. Ist viel zu lang her, dass unser Prinzesschen meinen Staub geschluckt hast.“ „In deinen Träumen, Miri. Sag, Obsi, hat Farfanya denn Erfahrung mit der Pferdezucht? Pferde verdienen nicht, dass es jemand aus Unerfahrenheit in dem Sand setzt. Und eine teure Sache ist es dazu.“ “Einer ihrer Verwandten war bis zu seinem Tod Königlicher Erzzuchtmeister, wenn ich mich recht entsinne. Soweit ich weiß, hat sie sich einiges von ihm abgeschaut.”

“Es ist nett von dir, sie im Selketal züchten zu lassen. Seid ihr eng befreundet?” “Sie gehört definitiv zu meinem engen Freundeskreis, ja. Und es wäre ja nicht selbstlos. Zum einen habe ich nunmal dieses weite Land, das irgendwie bewirtschaftet werden muss, und für Weinanbau haben wir im Tal bedauerlicherweise viel zu wenig Sonne. Und zum anderen wäre ich an der Zucht beteiligt. Insofern ein gerechter Handel, von dem wir beide profitieren.” Einen kurzen Moment dachte Fabiola an ihr Gespräch im Schwan zurück. Es schien Ewigkeiten her. Es dauerte, bis sie merkte, was sie irritiert hatte. Sie schmunzelte. Dann kam sie mit ihren Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. „Ich fühle mich übrigens ziemlich geehrt, dass du mich deinen Freunden vorstellen würdest. Und ich verspreche, mich angemessen zu kleiden und zu benehmen. Sag mir vorher, was passend wäre, ja?”. Wieder musste Obsidian lachen. “Das werde ich, versprochen! Und wenn du dich damit besser fühlst: Ich gehe lediglich in Vorleistung. Du weißt schon, Gegenseitigkeit und so.” Er grinste.

„Soso, ich zähle also nicht? Dann bist du ja fertig und wolltest sowieso gerade gehen.“, griff Miri nach Obsidians Schale. Fabiola lachte. „Hörst du das dünne Eis unter deinen Füßen knacken, Obsi? Mit so einflussreichen und hochgeborenen Freunden kann ich nicht mithalten. Du wirst dich mit sehr guten Freunden begnügen müssen.“ “Habe ich Vorleistung gesagt? Ich begleiche lediglich eine Schuld, meinte ich”, korrigierte er sich lachend, gab aber bereitwillig das Schälchen her. “Der Stand ist mir vollkommen gleich”, fuhr er dann ernster fort. “Ich habe zwar mittlerweile viele Bekannte in adligen Kreisen, aber mit Ausnahme von Farfanya würde ich die meisten davon auch nicht gerade als Freunde bezeichnen. Naja, mit Ausnahme von Farfanya und dir.”

„Grade noch gerettet, Obsi.“, grinste Miri. „Willst du noch Tee? Womit und mit welchen Gegenden handelst du?“ Sie bot ihm seine Teeschale an und deutete auf die Kanne. “Gern, einen letzten nehme ich noch.” Es war einfach zu nett in dieser Gesellschaft, um ohne Not den unvermeidbaren Abschied zu beschleunigen.


“Was den Handel angeht… angefangen hat das ganze damit, dass ich mehr oder weniger zufällig festgestellt habe, dass Waren, die ein gewöhnliches Gebrauchsgut in der einen Region sind, fast schon ein Luxusgut in einer anderen sind. Ich bin sehr preiswert an aranische getrocknete Früchte gekommen, habe sie in relativ großen Mengen erworben und auf meinen Reisen verzehrt. In Albernia konnte ich sie für ein Vielfaches dessen, was ich bezahlt hatte, verkaufen. Das war der Grundstock. Darauf habe ich dann aufgebaut. Heute handle ich mit allerlei Luxusgütern. Stoffe, Weine, Pferde, Gewürze, Duftwässerchen… aranische Straußen”, fügte er Augenzwinkernd hinzu. “Alles in relativ kleinen Mengen, aber direkt vom Produzenten zum Kunden. Deswegen fahren meine Wagen auch relativ weit. Von Aranien über das gesamte Mittelreich und das Horasreich. Früher waren wir auch kurz in Thorwal, aber das lohnte sich nicht wirklich. Wenn du also mal entspannt einen Handelszug bewachen willst, statt aufregende Abenteuer in Maraskan zu erleben, sag Bescheid. Ich kann immer fähige Mercenarios brauchen.”

„Da musst du dich mit der Sahiba arrangieren. Sie hat die älteren Rechte, allerdings andere örtliche Schwerpunkte.“, überlegte Miri laut. „Vielleicht wäre sie an einer Zusammenarbeit interessiert.“ “Nur ein Angebot”, zuckte Obsidian mit den Schultern. „Danke dafür, ich komme vielleicht darauf zurück, wenn ich das nächste Mal in der Gegend bin. Dann können wir auch über die Konditionen sprechen.“, zwinkerte Miri. „Wie kann ich dich erreichen?“ “Puh… am besten einen Boten ins Selkethal. Wenn ich da nicht bin, dann kann mich mein Haushalter informieren. Und ich werde ihm auch Bescheid geben, solltest du spontan vorbeikommen wollen, dass er dir dann ein Zimmer herrichtet.” „Gut, danke.“, nickte Miri.


In der Ferne schlug der Dicke Ghirlando. Fabiola schreckte auf. „Verdammt, wo ist die Zeit hin? Ich komme zu spät, muss mich noch zurechtmachen.“ Hastig leere sie ihren Tee. „Miri, danke für die Gastfreundschaft, ich schicke Nachricht, sollten sich die Angelegenheiten vor deiner Abreise geklärt haben. Gute Idee mit der Sahiba, sollten wir ein anderes Mal aufgreifen.“

Zu Obsidian gewandt erkundigte sie sich: „Kommst du mit?“ Statt zu antworten, leerte auch Obsidian seinen Tee, stellte das Schälchen beiseite und stand auf.

Miri erhob sich, umarmte Fabiola. Einen Moment berührten ihre Fingerspitzen die andere über dem Herzen. „Pass auf dich auf. Und warte, ich hol dir was Unauffälligeres zum Überziehen.“ Sie verschwand nach drinnen.


Fabiola trat zu ihrem Pferd, nestelte kurz am Sattel. Dann wandte sie sich zu Obsidian, reichte ihm etwas, in Stoff eingeschlagen. „Hat wohl jemand irgendwo liegen lassen.“ Sie grinste verschwörerisch. Obsidian nahm es entgegen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich erinnerte. Dann lächelte er wissend. “Ich werde es zu nutzen wissen”, versprach er.

Miri kam aus dem Haus, ein einfaches Kopftuch und ebensolches Hemd in der Hand. „Hier, dann gehst du als Stallmagd durch, wenn du dein Schultertuch weglässt.“ Fabiola streifte das Hemd über und steckte es locker in den Bund ihrer Hose, band geschickt das Kopftuch. „Wie seh ich aus?“, erkundigte sie sich. “Umwerfend”, entfuhr es Obsidian leise, doch lauter als gewollt. Fabiola musterte sich kritisch. Im Haus wurden Stimmen laut, auch die anderen Gebäude erwachten zum Leben. „Charmant bis zum letzten Moment. Vielen Dank, kein Wunder, dass deine Gesellschaft so angenehm ist.“, lächelte sie ihn an. „Komm, wir sollten uns eilen, nicht auszudenken, was sonst für Gerüchte entstehen, sollte uns jemand erkennen.“ Sie griff nach dem Halfter ihres Pferdes. “Würde mich nicht stören”, erwiderte Obsidian schulterzuckend. „Stimmt auch wieder.“, nickte Fabiola. „Wäre vermutlich ein geeigneter Aufhänger für so mache Konversation.“ Obsidian wandte sich nochmal Miri zu. “Vielen Dank für das Frühstück und die nette Gesellschaft. Es war mir eine Freude dich kennen zu lernen. Würde mich freuen, wenn wir das wiederholen können. Meld dich gern, wenn du mal in der Nähe Taladurs bist.” Instinktiv streckte er die Arme aus und drückte sie zum Abschied. Miri erwiderte die Geste ehrlich. „Achte auf sie, bitte.“, flüsterte sie ihm zu. “Werde ich”, versprach Obsidian. Dann wandte er sich um, und mit einem Zunge Schnalzen folgte er seinem Täubchen. Auf das Zeichen hin schaute Prinz auf… und mit einem Schnauben folgte der Hengst seinem Besitzer.

Nachdenklich sah Miri den beiden nach und ließ die Szene, die sich ihr geboten hatte, Revue passieren. Das versprach sehr unterhaltsam zu werden.