Chronik.Ereignis1046 In die Wüste 01
In die Wüste - Die Sache mit den Fellachen[Quelltext bearbeiten]
Alcazar de Heldor, Baronie Dubios im Boron 1046 BF[Quelltext bearbeiten]
Autor: Der Sinnreiche Junker von Aranjuez
„Ihr seid zu nachsichtig“, schalt ihn Rahjada von Ehrenstein-Streitzig, kaum dass die Novadische Leibwache klirrend den großen Saal des Alcazar von Heldor verlassen hatte. Hernán von Aranjuez zuckte mit den Schultern. „Mag sein, hermosa. Aber hatte ich eine Wahl?“ Darauf wusste die schöne Grafentochter freilich auch keine Antwort. Ihr Ehegatte hatte soeben die Hälfte der Streiter feierlich aus ihrem Eid entlassen und ihnen Urkunden und Empfehlungsschreiben ausgehändigt. Vor zwei Wochen war Said ben Dscherid Abencerraga verlegen auf ihn zugetreten und hatte um eine Unterredung unter vier Augen gebeten. Diese verfluchten Geschehnisse in der Khôm! Immerhin sah er nach dem jüngsten Reichskongress zu Omlad nun etwas klarer. So fuhr der Baron und Junker dann auch fort: „Eine Leibgarde muss unbedingt loyal sein. Ich vertraue ihnen Euer Leben und das Leben unserer Kinder an. Mir wäre nicht wohl bei dem Wissen, dass mancher Krieger lieber woanders wären. Von daher…“
„Schon gut“, winkte die Comtessa ab. Während der Baron von Dubios die merkwürdige Angewohnheit pflegte, Bittsteller aus der Baronie im Alcazar nicht in Siam Lacara von Dubios‘ Thron zu empfangen, sondern immer auf den Stufen davorsaß, das blanke Schwert auf den Knien – ein Zeichen für das nicht nur in der Vergangenheit schwierige Verhältnis zwischen dem Haus Aranjuez und insbesondere Teilen von Heldors – hatte Domna Rahjada selbstverständlich ohne mit der Wimper zu zucken auf der barönlichen Sitzgelegenheit Platz genommen. Entsprechend konnte sie ihm somit neckisch die Stiefelspitze leicht in den Rücken stoßen. „Ich bin gespannt, wie Ihr seinen Vater zufriedenstellen wollt.“ Der alte Abencerraga stand ebenfalls auf der Liste derjenigen, die heute um eine Audienz ersucht hatten. Und wo sein Sohn Said ben Dscherrid für die Angehörigen seiner Leibwache gesprochen hatte, so tat der Vater dies üblicherweise für die Aramyas in Heldor und Dubios. „Sonst seid Ihr am Ende des Tages nur noch Baron über halb so viele Köpfe.“
Das freilich stand glücklicherweise nicht zu befürchten. Obgleich Dubios ob der Regentschaft der Novadibaronin unter seinen Einwohnern mit deutlichem Abstand die meisten Aramyas in Ragatien zählte, ging es eher höchstens um ein Siebtel seiner Untertanen – vorausgesetzt jeder Einzelne von ihnen würde überhaupt in die Wüste ziehen wollen. „Habt Ihr eigentlich keine Stickereien, denen Ihr Euch widmen könntet, Teuerste?“, grinste er schief über die Schulter zu ihr hinauf. Woraufhin Domna Rahjada auf dem Thron nach vorne rutschte und sich weit vorbeugte, vielleicht um ihm einen Einblick in ihr Rahjafenster zu gewähren, vor allem aber um ihm ins Ohr zu raunen: „Oh, mein lieber Gemahl, wenn Ihr nur wüsstet, womit ich mich in Wahrheit beschäftige, wenn Ihr mich bei Garn und Faden, bei Spindel und Nadel wähnt…“ Beide lachten, ehe der Majordomus die Delegation der Aramyas ankündigte.
Zur Überraschung der Comtessa aber war Hernán von Aranjuez durchaus gut vorbereitet. Offensichtlich hatte er die Vorwarnung durch den Hauptmann seiner Leibgarde genutzt, um sich auf dieses unvermeidliche Treffen vorzubereiten. Den Freien unter seinen rastullahgläubigen Untertanen konnte er ohnehin nicht verbieten sich in die Khôm aufzumachen. Bei den an die Scholle gebundenen, eigenhörigen Fellachen war die Sache diffiziler. Immerhin war die von der neunköpfigen Delegation vorgebrachte Zahl dann doch niedriger als befürchtet. Offenbar zahlte es sich aus, dass Hernán von Aranjuez – selbst nicht eben für übertriebene Frömmelei bekannt – seine Untertanen danach beurteilte, ob sie pünktlich Steuern bezahlten und ihre Verpflichtungen erfüllten und nicht danach, welchem Glaubensbekenntnis sie anhingen. Und scheinbare Gunstbeweise wie die tatsächlich aus reichlich selbstischen Gründen erfolgte Neuaufstellung der Novadischen Leibwache hatten gewisslich auch nicht geschadet. Nicht, dass es nicht immer mal wieder einen unliebsamen Prediger dieser oder jener Couleur gegeben hätte, welcher mit feurigen Reden danach trachtete, die Bevölkerung gegeneinander aufzustacheln. Doch hatte sich recht schnell herumgesprochen, dass für sie in Dubios nicht gut Quartier war, sobald des Barons Mercenarios einmal auf ihre Ansprachen aufmerksam geworden waren...
Zunächst aber tauschten die Aramyas und der Baron und Junker in einer Mischung aus Tulamidya und Garethi scheinbar endlos formelle Höflichkeiten aus und versicherten sich ausführlichst ihrer gegenseitigen Wertschätzung. Als Rahjada von Ehrenstein-Streitzig sich schon fragte, ob das Ganze wohl gleich in einer bigamistischen Massenhochzeit enden würde, ging man dann aber doch zum Geschäftlichen über. Hernán von Aranjuez räusperte sich: „Ich möchte Euch folgenden Ausweg aus dem Dilemma anbieten: ein jeder Fellache, der dies wünscht, darf sich freikaufen. Für eine angemessene Summe versteht sich. Schließlich ist ein Kunsthandwerker für seinen Grundherrn wertvoller als ein Stallknecht.“ Das aufgeregte, teils empörte Palaver auf Tulamidya unterbrach er mit erhobener Hand: „Ich werde persönlich alle dergestalten Gelder verwahren. Ein jeder, der innerhalb von neun Monden zurückkehrt und seine alte Tätigkeit wiederaufnimmt, erhält die volle Summe zurück, die er eingezahlt. Ein jeder, der innerhalb von neunmal neun Wochen zurückkehrt und seine alte Tätigkeit wiederaufnimmt, erhält die halbe Summe zurück, die er eingezahlt. Ein jeder, der innerhalb von neunmal neun Monden zurückkehrt und seine alte Tätigkeit wiederaufnimmt, erhält ein Neuntel der Summe zurück, die er eingezahlt.“
Rahjada von Ehrenstein-Streitzig tat so, als müsse sie husten und hielt sich die Hand vor die Lippen um das Lächeln zu verbergen. Mit dem kleinen Zusatz, dass der Hörige seine alte Tätigkeit wiederaufnehmen können musste, hatte sich ihr Gemahl dagegen abgesichert, dass ein Fellache versehrt zurückkehrte und sein Leibherr ihm eine dann seiner nunmehr verbliebenen Arbeitskraft unangemessene Summe auszahlen musste. Zweifellos hatte er dies mit Rafik von Aranjuez, dem alten Winkeladvocaten, ausgeheckt – und gewisslich auch entsprechend durchgerechnet, dass recht gute Chancen bestanden, dass der scheinbare Großmut gegenüber allen, die innerhalb von neun Götternamen wieder zurückkehrten und die volle Summe erstattet erhielten, in Wahrheit von jenen finanziert wurde, die später zurückkehrten und nur noch Teilerstattungen erhielten.
„Oh, Sayyid“, jammerten die Aramyas durcheinander. „Viele werden es sich nicht leisten können sich freizukaufen.“
„Das habe ich bedacht, gewiss“, lächelte Hernán von Aranjuez mit einem Nicken. „Es ist ja offensichtlich, dass auch viele Aramyas zu bleiben wünschen, frei oder leibeigen. Auch ihnen sei somit die Gelegenheit zu rastullahgefälligem Opfer eröffnet, indem sie dabei helfen ihre Glaubensbrüder und -schwestern freizukaufen, die dies alleine nicht vermögen. Zum größeren Ruhme des Alleinen. Und wer weiß…“, zuckte er erneut mit den Schultern „…so mancher wird sich gewiss nicht mit seinem gesamten Hab und Gut auf den Weg machen können oder wollen. Mit leichtem Gepäck reist es sich rascher. An pekuniären Mitteln sollte es also nicht mangeln. Seid gewiss, dass wir getreulich Buch führen werden, wer welche Einzahlung geleistet hat.“
Wiederum brach Unruhe bei der samt und sonders aus gutbetuchten Freien bestehenden Delegation aus. Wenn es ums Silber ging, war es offensichtlich mit der Frömmigkeit nicht bei jedem der Neun weit her. Doch auch hierauf schien ihr Lehnsherr eine Antwort zu haben: „Wenn Ihr es wünscht, mag ein jeder entscheiden, ob er eine bestimmte Person freikaufen möchte – und seine Erstattung somit auch an die Rückkehr dieser Person bindet – oder ob er allgemein eine Einlage leisten möchte. Nehmen wir einmal an, dass einhundert Leibeigene zum gleichen Preis freigekauft würden und innerhalb der ersten Frist die Hälfte von ihnen ihre alte Tätigkeit wieder aufnimmt, so würde ein jeder mit einer allgemeinen Einlage die Hälfte seines Silbers zurückerhalten. Die Risiken sind somit auf viele…Spender…aufgeteilt.“ Wiederum musste die Grafentochter die Hand vor den Mund heben, um das Zucken der Mundwinkel zu verbergen, als er die Aramyas noch einmal daran erinnerte, dass sie diesen Vorschlag eben gefälligst als gottgefälligen Beitrag ihrerseits zu werten hatten.
Der alte Abencerraga trat vor und neigte leicht das Haupt: „Erlaubt uns, dass wir darüber beraten, Herr der Lanzen. Nur eine Frage noch: gilt dies für alle Unfreien in Dubios? Oder nur für die Euren?“
„Für alle.“ Der Baron und Junker legte seine Rechte zur Bekräftigung in Höhe des Herzens auf die Brust. Das freilich ließ die Comtessa aufhorchen. Denn dies alles hatte er gewiss nicht mit seinen Vasallen besprochen. Sonst hätte sie es heute nicht zum ersten Mal gehört. Am Ende zählte er hier wohl auf die Vernunft der anderen Adligen, dass ein freigekaufter Fellache allemal besser war als ein entlaufener.
„Weiser Abencerraga?“, ließ Hernán von Aranjuez den Alten nach der üblichen Abschiedssalbaderei noch einmal innehalten, als die Delegation bereits auf dem Weg nach draußen war.
„Ja, Sayyid?“
Der Condottiere sprach – beinahe: gefährlich – leise: „Jeder Leibeigene, der ohne Losbrief aufgegriffen wird, findet sich nicht in der Khôm wieder, sondern in den Marmorbrüchen von Selaque. Jeder, der zum widerrechtlichen Verlassen der Scholle aufruft, wird wegen Aufwiegelei öffentlich aufgeknüpft.“
„Ja, Sayyid“, verneigte sich der Aramya noch einmal.
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