Chronik.Ereignis1045 Ross und Reiter 04
Junkergut Tyras, Efferd 1045 BF[Quelltext bearbeiten]
Dom Algerio ließ seinen Blick über die Koppel schweifen. Farfanya hatte Recht gehabt - die Pferde des Gestüts Tyras waren prachtvolle, stolze Rösser, denen man ihr almadanisches Blut deutlich ansah.
Es würde spannend sein zu sehen, wie sich ein Pferd dieser Zucht bei einem der Rennen zu Ehren der schönen Göttin schlagen würde.
“Mein Kompliment, Dom Rasdan”, tat Algerio seine Bewunderung kund, “Eure Pferde sind wahrhaft ein beeindruckender Anblick. Verkauft Ihr auch Jungtiere, oder lediglich nach erfolgter Ausbildung?”
Der Angesprochene war sichtlich stolz und sich dem Umstand der Qualität bewusst, dennoch freute ihn das Lob, immerhin steckten Jahrzehnte der Arbeit dahinter. “Ihr habt ein gutes Auge, Dom Algerio, das hier ist der Stolz Tyras’ und es heißt einige dieser Tiere trügen das Blut Tharvuns in ihren Adern, so wild und stark sind sie. Nur die besten können sie zähmen. Dementsprechend könnt Ihr Euch natürlich auch ein Jungtier aussuchen, aber ist ihre Wildheit noch ungezähmt und es braucht einen geschickten Reiter, viel Zeit und einen wahren Pferdekenner um sie zu bändigen. Wollt Ihr Euch dem stellen oder lieber eines, dass Euch nicht viel harte Arbeit abringt?” Auf die Antwort war Dom Rasdan sichtlich gespannt.
Ein sanftes Lächeln stahl sich auf Algerios Lippen.
Es war wie Musik in seinen Ohren. Der Mungo flüsterte ihm mal wieder eine dieser seltenen Gelegenheiten ins Ohr, und er war nur allzu bereit sich ihr zu stellen. Fast sein ganzes Leben hatte er mit Pferden verbracht - zumindest den Teil seines Lebens, an den er sich erinnern konnte. Hatte sie geritten. Sie ausgebildet. War mit ihnen in ungezählte Gefechte und Schlachten gezogen. ‘Tharvuns Blut’, ging es ihm durch den Kopf. ‘Was für eine Trophäe.’
Freundlich lächelnd wandte er sich an Dom Rasdan. “Es ist sehr großzügig von Euch, mir eines Eurer Jungtiere anzubieten. Ich verstehe wenig von der Pferdezucht, doch ihre Ausbildung liegt mir in der Tat am Herzen. So will ich mich gern dieser Herausforderung stellen.” Als Zeichen seines Dankes deutete er eine Verneigung an.
“Ein Kenner der Pferde also, Dom Algerio. Seid Ihr auch ein Mann des Risikos und des Wettkampfes? Wollt ihr eine ECHTE Herausforderung?”
“Als könntet Ihr meine Gedanken lesen, Dom Rasdan”, grinste Algerio. “Ich bin Euer Mann!”
“Dann habe ich eine Jungstute, die versuchen wird Euer Herz und Eure Geduld zu brechen. Sie wird Euch nicht nur einmal herausfordern und testen, nicht nur Heute, vielleicht Euer ganzes Leben. Könnt Ihr mit so einer Kraft und so einer wilden Bestie umgehen? Denn endgültig zähmen werdet Ihr diesen Schatz niemals können. Aber Ihr Euren Willen aufzwingen, wie sie es mit Euch versuchen wird, Euch in beidseitiger Kraft überbieten und messen.”, Rasdan machte eine Pause, “Wenn Ihr denn solchen Gewalten gewachsen seid und sie liebt.” Er kannte den Mann vor ihm noch nicht genau, aber bisher hatte er sich als äußerst wacker erwiesen und könnte eventuell sogar ein Kandidat sein für seine Glaubensgemeinschaft, die seit einiger Zeit in ihrer Größe stagnierte - nicht erst seit den Vorkommnissen auf der Hochzeit seiner Schwester. Zumindest war dieser Waldwachter ein interessanter Mensch und so oder so vielleicht Zugang zu Gleichgesinnten in der Waldwacht, selbst wenn dieser Culming es nicht sein sollte.
Das Lächeln auf Algerios Lippen verbreiterte sich, wurde ein Strahlen. “Ich kann es kaum erwarten!”, gab er unumwunden zu, und bedeutete Dom Rasdan, den Weg zu weisen.
Ohne Umschweife tat Rasdan selbiges und ging voran, bis zu einer nahen Koppel, deren Zaun und hölzerner Unterstand leicht lädiert wirkten und die weniger saftig grün als staubig braun erschien. Ein Rumpeln aus dem Unterstand war zu hören und immer wieder kräftiges Schnauben, zu sehen war das Tier noch nicht. Rasdan grinste: “Sie scheint wieder bester Laune zu sein. Wenn ich Euch einen Rat geben darf, schaut ihr nicht zuerst in die Augen.”
Algerio lachte. “Ich danke Euch für diesen hilfreichen Ratschlag”, entgegnete er. “Darf ich?”, vergewisserte er sich, ehe er sich, der Zustimmung Dom Rasdans versicherte, in Richtung des Unterstands begab.
Vorsichtig kletterte er über den Zaun, ging dann langsam und mit stetem Schritt weiter in Richtung des Eingangs, dorthin, wo er das Pferd vermutete. Dabei redete er die ganze Zeit, laut vernehmbar, auf das noch nicht sichtbare Tier ein, damit es nicht von seinem plötzlichen Erscheinen überrascht werden würde. Am offenen Tor des Unterstands angekommen, blieb er stehen, etwas an der Seite, sodass ausreichend Platz war, um ihn zu passieren.
Er wusste, dass Rahjas Geschöpfe keine kriegerischen Wesen waren, dass sie - wenn möglich - in Panik die Flucht ergriffen, und dass es sie nur umso aggressiver machte, wenn sie keine Möglichkeit zur Flucht sahen.
Also war seine erste Aufgabe das Pferd aus dem Unterstand zu bekommen.
Ein letztes mal atmete er tief ein, dann sagte er: “Rahja zum Gruße, meine Schönheit. Darf ich eintreten?” Und trat ein.
Da stand sie.
Ihm zugewandt. Den Kopf erwartungsvoll und neugierig schief gelegt sah sie Dom Algerio an.
Ein wirklich prachtvolles Tier, wenn auch ein wildes. Es war weder groß, noch klein und hatte eine seltsame Fellzeichnung, es war schmuddelig weiß - fast beige - und hatte wenige unregelmäßige hellbraune Flecken, kein Tier dass man auf eine Schau mitnahm, aber in seinem Blick war Feuer. Das eigensinnigste an ihr war aber der kleine Fleck auf seiner Stirn, einem Tropfen gleich, sowie der Fleck um das linke Auge, der dieses dadurch größer wirken ließ als das linke.
Algerio wollte gerade dazu ansetzen, ein paar weitere beruhigende Worte zu sprechen, da stieg die Stute vor ihm und wieherte laut. Mit einem kräftigen Satz war sie beim Edlen des Selkethals, mit gesenktem Kopf rammte sie ihn gegen die Wand des Unterstands, rannte dann hinaus, aufs freie Feld.
Algerio prallte rücklings gegen die Holzverkleidung, ein gedämpfter Schmerzenslaut entfuhr seiner Kehle. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Ein ausgebildetes Streitross, das auf Befehl seines Meisters hin Infanteristen anging, gut. Aber eine Jungstute, die trotz freier Bahn ins Feld einen Angriff ausführte? Noch dazu ohne Kommando, ohne Befehl?
Von Ehrgeiz und einem gewissen Rausch erfasst, richtete sich Algerio auf und trat ebenfalls aus dem Unterstand. Das Pferd stand kaum zwei Dutzend Schritte von ihm entfernt auf der Weide, als wäre nie etwas gewesen. Es betrachtete den Edlen, der sich erneut und unter den Anfeuerungen einiger lachender Schaulustiger langsam näherte.
“Ist doch alles gut, meine Schöne”, redete er erneut beruhigend auf die Stute ein. “Ich will dir nichts böses. Ich will dir nur einmal näher kommen und dich kennenlernen”, setzte er fort, während er einen halben, weiten Kreis um das Pferd herum schritt und sich dabei nur langsam näherte. Anders als im Unterstand hatte er sich bewusst etwas kleiner gemacht, ging etwas in sich gesunken, um weniger bedrohlich zu wirken. Unter normalen Umständen, hätte er sich viel Zeit genommen und dem Pferd Zeit gegeben, sich an seine Anwesenheit zu gewöhnen - ein Prozess, der Monate dauern konnte.
Zeit, die er jetzt nicht hatte.
Die Pferde aus der Linie Tharvuns waren selten, nach allem was man hörte, und wenn er sich in den Augen ihres Besitzers nicht als würdig erwies, würde diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen und sich wahrscheinlich keine neue bieten. Nein, Algerio musste auf die schnelleren, jedoch grausameren Methoden setzen, wollte er das Pferd in Besitz nehmen.
Langsam, noch immer beruhigend auf das Tier einredend, näherte er sich, doch nie in direkter Linie. Auf zehn Schritt. Auf acht. Auf sechs. Dann bot sich ihm die Gelegenheit.
Wie beim ersten mal begann das Pferd laut zu wiehern - es stieg und trat mit seinen Vorderläufen in die Luft.
Es war dieser Moment, den Algerio zu nutzen wusste.
So schnell er konnte, machte er zwei Sätze nach vorn, seitlich an der Stute vorbei, bis zu ihrer Flanke. Das Tier erlag sofort seinem Fluchtreflex, doch gelang es Algerio mit der Linken tief in dessen Mähne zu greifen. So schnell es ihm möglich war, rannte er neben dem in den Galopp fallende Pferd, und mit einem beherzten Satz aus vollem Lauf gelang es ihm, die Rechte auf dessen Rücken zu platzieren und sich bäuchlings auf den Rücken der Stute zu ziehen.
Die Zuschauer am Zaun johlten vor Vergnügen.
Sofort begann das Pferd zu bocken, um seinen ungewollten Reiter abwerfen, heftiger als der Edle es von anderen Tieren kannte. Algerio blieb nicht viel Zeit, wollte er nicht in hohem Bogen im Staub landen, worauf es das Tier wahrlich anlegte. Einen, zwei Stöße des Pferdes versuchte er zu nutzen, um eine bessere Balance zu bekommen, dann schwang er sein Bein nach oben und zog sich mit aller Kraft in eine aufrechte Position.
Die Linke unnachgiebig zur Faust gekrallt, die Schenkel mit aller Kraft nach innen gepresst, richtete er sich langsam und unter wildem Bocken des Pferdes auf.
Er saß.
Er ritt das Pferd.
Die Rechte frei in der Luft, um die Stöße ein wenig ausgleichen zu können, ließ Algerio das Pferd zunächst gewähren. Auf und ab sprang es, immer im Kreis, und trat dabei wild in alle Richtungen. Er hatte Mühe sich dem zu stellen, sich dem Rhythmus anzupassen, und immer wenn er gerade der Meinung war einen Rhythmus erkannt zu haben, wechselte dieser. Die Augenblicke verflogen, dann erwischte das Pferd Algerio auf dem falschen Fuß. Ein schneller Richtungswechsel traf ihn unvorbereitet, für einen kurzen Augenblick verlor er den Kontakt zum Rücken des Pferdes. Hiervon angestachelt, intensivierte das Tier seine Anstrengungen nochmal, und auch wenn es noch fünf, sechs weitere Stöße brauchte, um den geübten Reiter aus dem Gleichgewicht zu bringen, letzten Endes war es nur eine Frage der Zeit.
Algerio hatte sich die längste Zeit auf dem Rücken gehalten.
Schließlich aber musste er dem Pferd seinen Willen lassen.
Mit einem letzten Satz warf das Pferd Algerio ab - der Edle des Selkethals fiel ein paar Schritt entfernt zu Boden, schlug hart auf, rollte sich ab, um ein wenig Distanz zwischen sich und das noch immer wild ausschlagende Pferd zu bekommen. Dann, unter Pfeifen und Johlen der Zuschauer, stand er auf, und klopfte sich den Staub ab.
Dom Rasdan blickte zufrieden drein, die Stute hatte dem Waldwachter ordentlich eingeheizt und sie hatten sich beide nichts geschenkt. Einschätzen konnte er den Caballero dennoch nicht gänzlich, aber das hatte auch noch Zeit. Einen Fuß in der Tür hatte er, er müsste nur den Kontakt halten.
“Vorzüglich, Dom Algerio, grämt Euch nicht, das wird noch häufiger passieren. Sie ist ein Prachtstück, das noch lernen muss, wer der Herr ist… andernfalls wird sie die Herrin sein. Aber Ihr werdet genug Zeit haben, sie in ihre Schranken zu weisen. Ihr habt mich überzeugt, Euch dieses Tier zu überlassen, mit Eurem gesamten Auftreten hier, Ihr seid ein Edelmann, der weiß, wo er steht und der Traditionen versteht. Nennt sie Euer eigen wenn Ihr mögt, aber gebt Ihr erst einen Namen, wenn Ihr sie soweit habt.” Der Edle vom Selkethal verneigte sich, dankbar und sichtlich stolz. “Es bleibt nur noch das Formale zu klären. Sie hat einen stolzen Preis, denn sie ist ein stolzes Pferd, die Überführung kann ich gerne für Euch übernehmen, so komme ich einmal wieder in die Waldwacht. Und zu guter letzt: wollt Ihr sie als Reittier nutzen oder auch zur Zucht? Das Privileg dazu ist allerdings nicht günstig, bei einem solchen Vollblut, einem solchen Stammbaum.”
Dom Algerio ließ seinen Gastgeber ausreden, dann stahl sich ein breites Grinsen in sein Gesicht. “Ihr seid ein gewiefter Verhandlungspartner, Dom Rasdan, und das meine ich im besten Sinne! Lasst mich das Pferd reiten, sodass ich gar nicht mehr anders kann als es besitzen zu wollen, und im Moment des größten Erfolgs und der größten Niederlage des Tages offenbart Ihr mir, dass Ihr mich finanziell zu schröpfen gedenkt, indem Ihr mir sogar Zuchtrechte anbietet?” Er lachte.
“Bislang hatte ich nicht von Zuchtrechten zu träumen gewagt, doch nun, da Ihr sie auf den Tisch gebracht habt, werde ich sie nicht mehr herunternehmen.” Er atmete einmal tief durch, fuhr dann fort. “Was haltet Ihr von folgendem Vorschlag: Ich nehme das Pferd und die Zuchtrechte. Ich zahle den Preis, den Ihr vorschlagt, oder ich versüße Euch dieses Geschäft noch ein wenig: Seid mein Gast beim nächsten Pferderennen zu Ehren der Schönen Göttin. Tretet auf Euren Pferden an, ich erlasse Euch die Startgebühr für bis zu fünf Reiter, und Ihr werdet viele neue Käufer finden. Zudem nutze ich das Tier, um es bei meinen Geschäftspartnern im Ausland vorzustellen und ihre Bestellungen entgegenzunehmen und bis ich selbst Pferde aus eigener Zucht anbieten kann, biete ich Eure Pferde an. Wir teilen die Einnahmen gerecht unter uns auf. Und im Gegenzug überlasst Ihr mir dieses hier für den Betrag Eurer absoluten Schmerzgrenze minus einen Kreuzer.”
Er schlug Dom Rasdan mit der Hand auf die Schulter, packte ihn fest. “Lasst uns nicht nur ein Geschäft machen, Dom Rasdan. Lasst uns gemeinsam unseren Reichtum mehren. Was sagt Ihr?”
Der Junker von Tyras war keine Händlernatur, er machte Geschäfte wie ihm die Stimmung stand und momentan stand diese gut. Er merkte zwar, dass er vielleicht etwas vorschnell gewesen war, aber freute sich auch über die Chance, die sich ihm bot, in mehrfacher Hinsicht. Außerdem gefiel ihm die Art Dom Algerios ihn so zu überfallen, das zeugte von Charakterstärke, vielleicht war der Waldwachter doch jemand für seine Mission. Aber eins nach dem anderen.
Er packte seinen Gegenüber ebenfalls fest an der Schulter und machte sich bereit einzuschlagen. “Das klingt hervorragend, Dom Algerio, es gefällt mir, wie ihr denkt. Allerdings, bin ich und meine Zucht nicht leicht zu haben, so lasst es uns so machen wie ihr vorschlagt, allerdings verstehe ich das gerechte Teilen meiner Tiere, die ihr bei Euren Reisen herumführt, aber ich jahrelang heranreifen lasse, nicht als Hälfte Hälfte. Ihr bekommt ein Viertel, ich drei. Außerdem muss ich bei jeder Paarung die mit meiner, dann Eurer Zucht-Stute geplant ist mein Einverständnis geben und nicht zu guter Letzt überlasse ich Euch zwar das Tier zum Preis meiner Schmerzgrenze minus einen Kreuzer, aber die Zuchtrechte kosten den vollen Preis.” Einen Preis den Dom Rasdan daraufhin nannte und der stolz war, eben so stolz wie ein almadanisches Pferd, dessen Stammbaum bis zu Tharvun zurückreichen sollte. Ein kleines Vermögen für einen einfachen Caballero.
Algerio lächelte zufrieden, in mehr als einer Hinsicht.
“Es sei!”, bestätigte er - und schlug ein.
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