Chronik.Ereignis1043 Die einsame Rose von Culming 11

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Edlengut Selkethal, 22. Rahja1043 BF[Quelltext bearbeiten]

Autoren: von Scheffelstein, BBB

Usanza da Selaque von Culming war noch immer von einer tiefen Glückseligkeit erfüllt. Sie strahlte förmlich, von innen heraus, selbst dann noch, als sie sich für einen Moment versuchte zu beherrschen und sich das Lächeln verkniff. Dabei lag ihr Tsatag nun schon zwei Tage zurück. Aber es war ein besonderer Tag gewesen, einer der glücklichsten ihres Lebens. Sie hatten ihn gefeiert, im Kreise ihrer Liebsten, und alle waren da gewesen, um auf sie anzustoßen. Papà, Madalena, ihre drei Nichten und Neffen, selbst Algerio, auf den sie so lange hatte verzichten müssen. Nun gut, es war ja auch sein Lehen, auf dem sie gefeiert hatten. Aber es tat gut, ihn in der Nähe zu haben. Ihn. Und Ta'iro. Madalena hatte es nicht gutgeheißen, natürlich nicht. Aber was hätte sie sagen, was hätte schon tun sollen? Immerhin war es ja ihr Tsatag. Ihr Ehrentag. Und Ta'iro war mittlerweile ein Ehrenmann. Nicht von Stand, das stimmte schon, aber ein Diener der Götter. Und so hatte sie den Tag im Kreise ihrer Liebsten verbracht. Sie hatten getanzt. Sie hatten gelacht. Sie hatten viel zu viel gegessen und getrunken und herumgealbert. Usanza erinnerte sich gern zurück, und so schlenderte sie, in Erinnerungen versunken, durch das kleine Örtchen Selkethal, bis sie die Stimme ihrer Schwester aus den Gedanken riss. „Usanza?“ Die so Angesprochene drehte sich um. Aus Richtung der Hacienda del Valle kam Domna Madalena, die Junkerin von Blumenau, auf sie zu. Neben ihr ein Usanza unbekannter Mann, offensichtlich ebenfalls Almadaner. Er sah … gut aus. Nicht unverschämt gut, aber doch durchaus attraktiv, und irgendetwas an ihm war anders als an den meisten Adligen. „Usanza, ich habe nach dir gesucht. Ich möchte dir jemanden vorstellen. Das hier“, sie deutete auf ihren männlichen Begleiter, „ist Dom Rondrigo von Kornhammer. Er wird an den Rennen teilnehmen.“ „Und dies, Dom Rondrigo“, wandte sich Madalena in Richtung Usanza, „ist meine jüngere Schwester, Usanza.“ Usanza knickste. „Es ist mir eine Freude und Ehre Eure Bekanntschaft zu machen, Dom Rondrigo.“

“Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Domnatella”, erwiderte Rondrigo und betrachtete die jüngere Dame mit einem freundlichen Lächeln, neugierig, wie das Gespräch wohl verlaufen werde. Dom Stordan hatte ihn erst mit der Junkerin bekannt gemacht, nun würde diese ihn mit ihrer Schwester bekannt machen. Hübsch war sie ja, die junge Dame, immerhin. Aber das allein würde ihm nicht reichen. Er wollte sehen, welche Gedanken sich in dem hübschen Köpflein verbargen, welche Ideen, Wünsche, Ziele, und ob sie ein Feuer in ihm zu entfachen vermöchte wie die eine oder andere Dame, ob nun von Stand oder nicht, es in der Vergangenheit getan hatte, mehr aber noch: ob dieses Feuer von Dauer sein könnte. Noch hatte er seine Zweifel. Aber was wusste er schon mehr über sie als das, was aus wenigen unbeholfenen Zeilen gesprochen hatte? “Werdet Ihr ebenfalls an dem Rennen teilnehmen? Oder feuert Ihr Eure Verwandten an?”, fragte er.

Usanza lächelte freundlich, schüttelte dabei leicht den Kopf. “Ich halte mich zwar selbst für eine ganz passable Reiterin und freue mich, wenn sich die Gelegenheit zu einem Ausritt ergibt, aber anders als meine Geschwister war das Reiten nie Teil meiner Ausbildung und zumindest in dieser Hinsicht fehlt mir auch der Ehrgeiz. Ich würde die Rennteilnehmer aller Voraussicht nach ohnehin nur von hinten sehen, daher erscheint es für mich sinnvoller an der Seite zu stehen und zuzusehen. Aber Ihr werdet teilnehmen, nehme ich an?”

Rondrigo von Kornhammer nickte. "An allen Rennen, ja. Diese Herausforderung will ich mir nicht entgehen lassen.”

“Dann drücke ich Euch die Daumen, dass Ihr erfolgreich sein werdet … nicht für den Sieg, natürlich“, fügte sie mit einem Seitenblick auf Ihre Schwester hinzu, „der soll selbstverständlich im Hause von Culming bleiben, aber einen zweiten oder dritten Platz gönne ich Euch von Herzen!“ Sie lächelte freundlich.

Der Edle Herr von Kornhammer lachte belustigt auf. “Und Ihr, Domnatella: Welcher Ehrgeiz oder welche Leidenschaft treibt Euch an, wenn es nicht das Reiten ist?"

„Das ist eine gute Frage ...“, erwiderte Usanza. Sie musste eine Weile überlegen, was sie antworten sollte, ohne zu lügen oder allzu verfänglich zu werden - denn das, was sie am liebsten und mit großer Leidenschaft tat, nämlich zusammen mit ihren Freundinnen junge Männer kennenzulernen und anschließend über das Erlebte zu tratschen, war wahrlich nichts, was man in einem Gespräch, noch dazu beim ersten Kennenlernen, erwähnte. Madalena schien ihr auch nicht zur Seite stehen zu wollen, ihrem Blick nach zu urteilen. Also erwiderte Usanza: „Ich weiß nicht, ob man es als Ehrgeiz bezeichnen sollte …, aber ich gehe leidenschaftlich gern ins Theater. Ich mag es, Geschichten zu erleben, immer wieder neue, kreative Inszenierungen auf der Bühne zu sehen und Zeuge davon zu sein, wie sie zum Leben erwachen. Außerdem genieße ich es, bei solchen Anlässen neue Menschen zu treffen, sie kennenzulernen, in Gesellschaft zu sein. Wie steht es mit Euch? Seid Ihr ein Freund des Theaters?“

“Zuweilen”, sagte er, und sein Blick bekam etwas beinahe Verschlagenes oder Herausforderndes. “Mehr aber noch genieße ich es, diese Geschichten zu erleben, wie Ihr es ausdrücktet, statt sie mir nur anzusehen. Und damit meine ich nicht nur auf der Bühne. Wiewohl”, erklärte er beiläufig, “ich bereits einmal mit meinem Neffen Esidio auf der Bühne stand, nach einer verlorenen Wette. Er selbst ist ein angesehener Troubadour und hatte schon diverse Auftritte an der Vinsalter Oper und im Kusliker Residenztheater. Aber, wie gesagt: Ich erlebe die Geschichten lieber, bevor andere sich bemüßigt fühlen mögen, darüber zu schreiben.” Er zwinkerte ihr zu.

„Ihr meint...“, begann Usanza, zunächst etwas ungläubig dreinblickend, „Ihr meint Ihr versucht all diese Dinge wirklich zu erleben? All die Liebesgeschichten und Dramen und Abenteuer und Intrigen? Im wahren Leben?“ Staunen verdrängte langsam die Ungläubigkeit in ihrem Gesichtsausdruck.

Rondrigo lachte erneut auf. “Nun, die Liebesgeschichten, Dramen und Intrigen vielleicht nicht alle in dieser epischen Anzahl.” Er grinste. “Aber es gibt ja noch andere Arten der Eroberungen. Omlad damals. Die Bezwingung des Djer Kalkarif. Die Weltmeere. Unbekannte Länder. Na, wäre das nichts für Euch: Teil einer wahren Geschichte zu sein, statt nur Zuschauerin einer erfundenen?” Er betrachtete sie ebenso neugierig wie aufmerksam und konnte sehen, wie ihr Staunen mit jedem Abenteuer, das er erwähnte, weiter anwuchs.

„J..ja. Ja, das könnte ich mir schon vorstellen, das wäre sicher aufregend!“ Ein freudestrahlendes Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit. „Ich würde gern eine Rolle spielen in einer solchen Geschichte… wenn...“ Ihre Stimme wurde etwas leiser, ihr Ausdruck etwas schüchterner. „...wenngleich es wahrscheinlich nur eine kleine Rolle wäre.“

Der Edelmann wurde ernst. “Nicht alle Geschichten gehen am Ende gut aus. Und je spannender sie sind, desto größer ist das Risiko, dass es so sein könnte. Wäret Ihr wirklich bereit, das in Kauf zu nehmen?”

Usanza dachte einen Moment nach. Wollte sie das? Wollte sie eine Rolle spielen in Geschichten, die schlecht ausgingen? Dramen? Oder gar … einer Gruselgeschichte? “Ich glaube …”, begann sie, und ihr Blick ging unsicher zwischen dem Edlen von Kornhammer und ihrer Schwester hin und her, “ich glaube, ich kann das nicht beantworten. Ich weiß es nicht … Ich … ich bin noch nie Teil einer großen Geschichte gewesen, und es reizt mich, diese Erfahrung zu machen. Aber vielleicht … vorsichtig. Zunächst. In einer Nebenrolle, vielleicht? Damit ich ausprobieren kann, ob es mir liegt und ob es mir gefällt.” Es fiel ihr schwer, eine Antwort zu finden, und sie war sich auch nicht sicher, ob das, was sie sagte, angemessen war in dieser Situation. Aber es war die einzige Antwort, die sie geben konnte. Im Blick ihrer Schwester sah sie jedenfalls keine Sorge und keine Verärgerung über eine eventuell unanständige Antwort, was sie beruhigte. Viel mehr sah sie Verwunderung. Und vielleicht auch so etwas wie ein wenig Stolz.

Rondrigo von Kornhammer war Usanzas Blick zu deren Schwester gefolgt. Doch dann blickte er wieder zu der jungen Dame. "Eine Nebenrolle? Ich fürchte, Domnatella, das wird nicht möglich sein. Denn in Eurem Leben werdet Ihr immer die Hauptrolle spielen. Und nicht immer könnt Ihr allein entscheiden, welches Stück gespielt wird. Allenfalls mögt Ihr ein größeres oder kleineres Wagnis eingehen, je nachdem, wie vertraut oder unbekannt die Bühne ist, auf die Ihr Euch wagt."

Usanza war von dieser direkten, offenen Art zunächst schockiert, was man ihr auch deutlich ansah. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand in dieser Art mit ihr sprach. Aber: irgendwie gefiel es ihr auch. Es fühlte sich an, als würde sie ernst genommen. Als würde sie endlich nicht als die jüngste der drei Geschwister wahrgenommen werden, sondern als erwachsene Frau. Und aus diesem Gefühl heraus antwortete sie, vielleicht etwas zu schnell und zu laut, sodass man als Selbstbewusstsein missverstehen konnte, was eigentlich nur Übereifer war: “Dann würde ich mit einem kleinen Wagnis auf kleiner Bühne beginnen und schauen, wie es mir bekommt, und würde mich dann steigern, immer weiter, bis ich an meine Grenzen komme.” An Domna Madalenas Blick konnte man sehen, dass sie diese Seite an ihrer Schwester überraschte, dass sie nicht mit so viel Elan gerechnet hatte. Aber sie beherrschte sich. Sagte nichts. Sie war nur als Anstandsdame hier, alles weitere musste sich erst finden.

Rondrigo von Kornhammer betrachtete die Dame mit einem leichten Lächeln, doch seine Augen wirkten ernst. "Nun denn, Domnatella", sagte er. Dann schwieg er einige Augenblicke lang. Schließlich änderte sich sein Gesichtsausdruck ein klein wenig, aber Usanza vermochte nicht recht zu sagen, ob es Belustigung oder Schalk war, was da aus seinem Blick sprach. "Und nach welchem Abenteuer stünde Euch der Sinn?"

“Einer Reise”, kam die Antwort prompt, ohne dass die Edle von Culming hätte nachdenken müssen. “Ich wollte immer schon reisen und ein Stück von der Welt sehen. Andere Kulturen kennenlernen, andere… Theater.”

"Theater. Nun, das ist ein Anfang", sagte der Edle Herr. Er musterte sie. "Das Vinsalter Opernhaus würde Euch gefallen und die Garether Heldenbühne. Festum wäre schon sehr eigen. Und die Arenen von Brabak oder Al'Anfa …" Er unterdrückte ein Grinsen. "Gewagt, gewagt."

“So wie Ihr es beschreibt, … wäre Vinsalt sicherlich ein Anfang! Und dann könnte ich immer noch schauen, wie es mir gefällt, und ob es mir nicht zu viel wird. Madalena, was meinst du?” “Ich denke”, antwortete die Junkerin von Blumenau und dachte einen Moment nach, ehe sie fortfuhr, “ich denke, dass wir tatsächlich nicht gleich übers Ziel hinaus schießen sollten. Aber Vinsalt klingt nach einem guten Beginn. Wart Ihr schon oft in Vinsalt, Dom Rondrigo?”

“Einige Male”, erklärte Dom Rondrigo. “Die Welt hat vielerlei wunderbare Orte zu bieten, sodass oft nicht die Zeit bleibt, jedem einzelnen vielmals Aufmerksamkeit zu schenken. Wart Ihr selbst schon im Horasreich, Domna, Domnatella?”

“Nein, bisher nicht”, antwortete Domnatella Usanza und auch Domna Madalena schüttelte den Kopf. “Bislang hat sich unser Leben vor der Grenze abgespielt. Wie ist es so in Vinsalt, erzählt davon!”

Rondrigo betrachtete die jungen Damen nachdenklich. "Oh, die Theaterfestspiele im Rondra oder die Opernfestspiele im Hesinde könnten Euch gefallen. Die Rosengärten des Palastes, das höfische Leben, gewiss. Ein besonderes Erlebnis ist es, wenn man bei der Gesellschaft der Freunde des Aves zu Gast sein darf, aber das ist wohl ein Privileg, das man sich verdienen muss. Vinsalt ist eine sehr, sehr alte und geschichtsträchtige Stadt. Ihr solltet einen Besuch wagen."

Usanza seufzte sehnsuchtsvoll. “Das klingt fürwahr nach einem ganz fantastischen Ort, Dom Rondrigo. Jetzt werde ich die ganzen kommenden Tage während der Rennen überlegen, welche Ausrede ich geltend machen kann, um dorthin zu reisen.” Sie wandte sich an ihre Schwester. “Haben wir nicht irgendeinen entfernten Verwandten irgendwo im Horasreich, den wir aus familiären oder politischen Gründen einmal besuchen sollten?” Domna Madalena sah aus, als wolle sie die Frage erst abtun, doch dann hielt sie kurz inne. “Dom Hasrolf könnte sich noch immer dort aufhalten … Allerdings habe ich länger nichts mehr von ihm gehört, erst recht nicht, seit er seinen Baronstitel verloren hat.” “Aha!”, rief Usanza daraufhin erfreut aus, “das klingt doch direkt nach einem Einstieg in ein erstes Abenteuer, meint Ihr nicht auch, Dom Rondrigo?” Sie blickte ihn freudestrahlend an, ein jugendliches Funkeln in den Augen.

Rondrigo lächelte. Die Domnas hatten den Eindruck, dass er ein wenig amüsiert war. “Tut dies, Domnatella”, antwortete er. “Besucht Euren Vetter. Vinsalt ist durchaus eine Stadt, die man gesehen haben sollte. Zumal als Almadanerin.”

“Und Ihr?”, fragte Usanza, “Welches Abenteuer strebt Ihr als nächstes an? Wohin verschlägt es Euch, nachdem Ihr Euch hier zu Pferde gemessen habt?”

"Ich fürchte, die Abenteuer werden ein wenig auf mich warten müssen", erwiderte Rondrigo mit einem grimmigen Lächeln. "Einstweilen werde ich nach Ragath zurückkehren, wo familiäre Verpflichtungen auf mich warten, aber sollte sich die Gelegenheit ergeben, so würde ich mir das Svelltland ansehen, und auch nach Riva im Norden zöge es mich, und wenn ich da gewesen wäre, so würde ich eine Münze werfen auf die alte Karte des Kontinents, die in der Schreibstube meines Vaters liegt - es ist nämlich ein Teppich, auf dem ich schon als Knabe spielte, ein Teppich, den ein verschuldeter Kaufherr meinem Vater verpfändete - und ich würde sehen, welches Ziel mir der Herr Phex auserwählte."

“Das klingt in der Tat sehr abenteuerlustig!”, stellte Domnatella Usanza fest. “Und sehr mutig.” Es war viel Bewunderung in ihrer Stimme zu hören. Bewunderung und vielleicht auch ein wenig Sehnsucht. “Wann gedenkt Ihr denn aufzubrechen, Dom Rondrigo? Unmittelbar nach den Rennen?”, hakte Domna Madalena ein. “Gen Ragath würde Euer Weg über Punin führen, was auch unserem Weg entspricht. Vielleicht böte sich eine gemeinsame Reise an, wenn Ihr mögt?”

“Viele Wege führen nach Ragath”, schmunzelte Rondrigo von Kornhammer. “Der über Punin ist ein möglicher. Wenn meine streitbare Nichte mich nicht als Sekundanten für ein nächstes Duell benötigt”, er lachte, “so begleite ich die Damen gerne in die Capitale.”

„Dann ist es abgemacht“, bekräftigte Domna Madalena, auch wenn man ihr ansah, dass sie die Aussage der ‚vielen Wege‘ etwas zu verwirren schien. Sie schien aber nicht weiter nachfragen und das Thema auf sich beruhen lassen zu wollen. „Habt Ihr denn Grund zu der Annahme, dass Eure Nichte in ein Duell verwickelt wird?”, fragte Usanza derweil. “Ich glaube, das würde meinem Bruder gar nicht gefallen …“

Rondrigo schmunzelte. "Keine Sorge, sie ist durchaus ruhiger geworden mit dem Alter, als ihr Ruf vermuten ließe." Er hob die Schultern. "Aber man kann nie wissen. Ein unbedachtes Wort, ein falsch gesetzter Fuß - so manche Almadani haben sich schon wegen Nichtigkeiten den Hader erklärt. Und Ihr, Domnas, habt Ihr noch nie ein Duell bestritten? Oder bestreiten lassen?"

Usanza schüttelte sofort den Kopf. Noch nie hatte sie eine Waffe in Händen gehalten, geschweige denn gegen jemanden gerichtet. Was das anging, war sie aus gänzlich anderem Holz geschnitzt als ihre Geschwister. Madalena hingegen nickte. “Ja, es gab … ein oder zwei Duelle in der Vergangenheit. Nichts Großartiges und kaum der Rede wert. Mutter war stets darum bemüht, uns aus Streit herauszuhalten … aber was soll ich sagen …” Sie zuckte mit den Schultern. “Wir sind von Culmings.” Sie grinste vielsagend.

Rondrigo nickte. “Und Ihr”, wandte er sich dann an Madalena, “werdet Ihr an den Rennen teilnehmen?”

“Selbstverständlich”, pflichtete die Junkerin bei. “Ich rechne mir zwar keine großen Chancen aus, nachdem ich das Teilnehmerfeld gesehen habe. Aber man muss es denen ja nicht allzu leicht machen und wenn ich nicht antrete, überlasse ich es allein meinem Bruder, die Familie zu vertreten. Das ist nicht hinnehmbar.”

Rondrigo nickte lächelnd.

“Ihr müsst wissen, Dom Rondrigo”, erklärte Usanza, “meine Geschwister verbindet eine gesunde Rivalität. In so ziemlich allen Dingen …” Sie lächelte entschuldigend.

Rondrigo zwinkerte ihr zu. "Als Jüngste habt Ihr wahrscheinlich wenig Verständnis für derartige Rivalitäten, da Ihr Euch ohnehin als außer Konkurrenz betrachtet." Er grinste und betrachtete die Sträucher, an denen sie vorbei gingen, Hibiskus und Herbstrose.

“Verständnis?” Sie überlegte kurz, wobei sie den Kopf ein wenig schief legte und die Lippen schürzte. “Nein, wirklich verstanden habe ich es nie, zumal sich beide stets vorbildlich um mich gekümmert haben und ich ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen pflege.” Sie zuckte mit den Schultern. “Wie steht es mit Euch? Habt Ihr Geschwister?”

Rondrigo lächelte leicht. “Hatte ich, muss man wohl sagen. Die beiden ältesten sind auf dem Mythralesfeld geblieben. Eine Schwester starb schon vor dreißig Götterläufen an der Keuche. Aber meine nächstälteste Schwester erfreut sich bester Gesundheit, hat mir bereits zwei bezaubernde Neffen und eine Nichte geschenkt und kürzlich bei einer Tombola während der Hadrokles-Paligan-Spiele zu Punin Land in Uthuria gewonnen, die Glückliche!”

Domnatella Usanza schaute einen Moment bedrückt zu Boden. “Das tut mir leid, unser Beileid. Unsere Mutter, Boron gebe gut auf sie Acht, ist ebenfalls auf dem Mythraelsfeld gefallen.” “Lasst uns nicht in Tristesse verfallen, sondern lieber die Freuden der Gegenwart genießen”, unterbrach Domna Madalena, “immerhin … sind wir hier für eine Veranstaltung zu Ehren Rahjas.” “Das ist wahr”, bestätigte Domnatella Usanza. Sie wandte sich wieder Dom Rondrigo zu. “Uthuria … ist das nicht dieses … Riesland?”

"Nein", erwiderte dieser. "Das sogenannte Riesland ist jener Kontinent im Osten, der durch das Eherne Schwert, das höchste Gebirge der Welt, höher als der Raschtulswall, von Aventurien getrennt ist. Bislang ist es keinem Menschen je gelungen, einen Fuß auf jenen Kontinent zu setzen, nicht einmal Ruban ibn Dhachmani, jenem berühmten Seefahrer, der diesem Vorhaben sein Leben geweiht hat." Rondrigo schwieg einen Moment, lächelnd in seine Gedanken versunken. "Nein", sagte er dann abermals, "Uthuria ist ein weiterer Kontinent, tief im Süden, jenseits des Südmeeres. Seit einigen Jahren streiten Al'Anfa und das Horasreich dort um die koloniale Vormacht."

“Oh.” Usanza schien etwas unangenehm berührt ob ihrer offensichtlichen Unwissenheit, die sie aber schnell zu überspielen versuchte. “So oder so, es ist eine Region, die vom Pferd aus nicht zu erreichen ist, oder?” Sie lachte eine helles, fast schon kindliches Lachen. “Wird sie dieses Land denn je bereisen können?”

"Oh, sie hat es fest vor", antwortete Rondrigo mit einem Schulterzucken. "Und wie ich sie kenne, wird sie dieses Vorhaben früher oder später in die Tat umsetzen." Er seufzte, aber es klang leichthin. "Ich wünschte, ich könnte sie begleiten."

Usanza schaute etwas verunsichert. “Wenn … wenn es denn überhaupt möglich ist, dorthin zu reisen … Was hält Euch davon ab?”

Er sah sie lange an. "Familiäre Verpflichtungen", sagte er.

“Oh, das tut mir leid, ich dachte, Ihr …”, setzte Usanza an, doch ein Blick Domna Madalenas ließ sie verstummen. Es war offensichtlich, dass Dom Rondrigo nicht darüber sprechen wollte … oder sollte. Domnatella Usanza musste ihre Neugier wohl oder übel zügeln. “Verzeiht, ähm … ich wollte nicht unhöflich sein. Aber Ihr erzählt von so vielen spannenden und aufregenden Dingen, da habe ich mich hinreißen lassen.”

Rondrigo schien keineswegs verstimmt. “Und was mögt Ihr erzählen?”, fragte er lächelnd.

“Was würdet Ihr gern wissen?”, fragte Usanza freudig und übersah den erneut maßregelnden Blick ihrer Schwester, der es ganz und gar nicht gefiel, wenn Usanza offenherzig plauderte.

"Wenn ich erneut fragte, würde ich Euch etwas vorgeben und nicht erfahren, was Euch am Herzen liegt", grinste Rondrigo lächelnd.

Usanza war offenkundig etwas überrascht … und lächelte verlegen. “Tja, nun…”, stammelte sie, während ihr Blick zwischen Dom Rondrigo und ihrer Schwester hin und her wanderte. Das Thema, das eine Thema, das sie die letzten Wochen und Monate beschäftigt hatte, … war definitiv nicht adäquat für ein solches, erstes Gespräch. Eigentlich für kein Gespräch mit einem Mann. Einem … ledigen … Mann von Stand. Aber worüber sollte sie sonst sprechen? Außer ihrer Familie gab es in ihrem Leben nichts. Zumindest nichts von Interesse. Zumindest nichts von Interesse für solche Kreise. Wäre es Ta’iro gewesen, wäre es so viel einfacher. Aber so … Aber so ... “Nun …”, setzte Usanza endlich zu einer Antwort an, und die Worte sprudelten plötzlich nur so aus ihr heraus, “ich weiß nicht, ob ‘am Herzen liegen’ die richtige Formulierung ist, aber ich bin eine große Verehrerin völkischen Tanzes. Vor zwei Jahren wäre ich, sehr zum Verdruss meiner liebsten Schwester, beinahe von zuhause ausgebüchst, um durch das Land zu reisen und das Volk besser … kennenzulernen.” Für einen Moment entglitten Domna Madalena die Gesichtszüge … wie konnte Usanza nur davon erzählen, von ihren Schwärmereien für Zahoris? Besorgt blickte sie zu Dom Rondrigo, in angespannter Erwartung seiner Reaktion.

Rondrigo hob die Augenbrauen und lachte. "Ihr tanzt Lamento?", fragte er und musterte Usanza interessiert. "Wer hätte das gedacht? Meine Nichte, Domna Richeza, ist eine herausragende Lamento-Tänzerin. Sie hatte für das 'höfische Gestelze', wie sie es nennt, stets wenig übrig. Und in der Tat passt der Lamento ja auch weit besser zu unserem almadanischen Lebensgefühl als eine horasische Pavane. Zum Einschlafen!" Er warf grinsend einen Seitenblick auf Madalena und zwinkerte Usanza zu. "Wer weiß, Domnatella, vielleicht ergibt sich ja Gelegenheit im Rahmen dieser Festivität, Eurer Leidenschaft nachzukommen?"

Usanza errötete leicht, und Madalena verschlug es ganz offensichtlich die Sprache. “Das, ähm …”, stammelte Usanza ein klein wenig verlegen, “das würde mich sehr freuen.”

“Dann ist es also abgemacht.” Rondrigo zog in einer ausladenden Geste seinen Caldabreser und verneigte sich vor den Damen. “Domna, Domnatella: Ich empfehle mich. Wir sehen uns später!”