Chronik.Ereignis1043 Die einsame Rose von Culming 01
Baronie Culming, 20. Ingerimm 1043 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Junkergut Blumenau (später Abend)[Quelltext bearbeiten]
Autor: BBB
Es klopfte. „Ja, bitte...“ Wer sie gut kannte, konnte ihrer Stimme bereits nach diesen zwei Worten anmerken, dass Domna Madalena eigentlich lieber nicht gestört worden wäre. Sie hatte den ganzen Tag über Bittsteller empfangen, hatte mit Fellachen gesprochen, sich ihre Probleme angehört. Lösungen gefunden. Oder zumindest vermeintliche Lösungen. Ihr Tag war lang gewesen, entsprechend hatte sie eigentlich keine Lust mehr auf ein weiteres Gespräch. Sie wollte eigentlich lieber allein sein.
Aber es war Teil ihrer Rolle, Teil ihrer Position, dass sie ihre eigenen Wünsche hintenan stellte.
Die Tür wurde geöffnet, ein Hausdiener verneigte sich, trat beiseite um Domnatella Usanza Platz zu machen. Ihre Schwester. Was konnte sie so spät noch wollen?
„Usanza? Welch eine Überraschung, ich hatte angenommen du seist schon im Bett…“ Madalena erhob sich, doch ihre Schwester bedeutete ihr mit einer kurzen Handbewegung, dass es nicht notwendig war sich Umstände zu machen. Also setzte sich Madalena wieder. Usanza setzte sich ebenfalls, ihr gegenüber.
„Guten Abend, liebste Schwester. Verzeih die späte Störung, ich verspreche auch, ich werde nicht viel deiner kostbaren Zeit stehlen.“
„Du störst doch nicht“, erwiderte Madalena, doch sie war sich nicht sicher, ob ihr ihre Schwester die Lüge abnahm. Niemand kannte die Junkerin von Blumenau so gut, wie Usanza. Also lenkte sie lieber schnell von der Lüge ab: „Was kann ich für dich tun?“
Usanza senkte ihren Blick. Das tat sie immer, wenn ihr etwas unangenehm war, und meist war es ihr unangenehm, anderen zur Last zu fallen. Es ging also wirklich um einen Gefallen oder eine Bitte, schlussfolgerte Madalena, und ahnte noch nicht, wie recht sie damit hatte. Allerdings waren es meist schon Kleinigkeiten, die Usanza bedrückten. Kein Grund zur Beunruhigung.
„Ich…“ Usanza strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht hinters Ohr. Sie hielt einen Moment inne, sammelte sich und allen Mut, den sie aufbringen konnte. „Ich bin gekommen, um dich daran zu erinnern, was in einem Mond sein wird“, sagte sie dann.
Typisch Usanza. Bloß nicht zur Sache kommen, sondern sich vorsichtig und möglichst konfliktfrei dem Thema nähern. Madalena verdrehte innerlich die Augen... „Nächsten Monat? Dann ist… Rahja“, überlegte Madalena laut, in der Hoffnung Usanza etwas mehr entlocken zu können. „Das Jahr neigt sich dann endlich dem Ende entgegen… es stehen ein paar Dorffeste an, wenn ich mich recht entsinne…“ Ihre Schwester machte keine Anstalten, ihr zu verraten, worum es ihr ging. Und Madalena war nicht in der Stimmung, weiter zu raten. „Worauf genau willst du hinaus?“, fragte sie rundheraus.
Usanza blickte auf. „Heute in einem Mond habe ich Tsatag, Lena. Ich werde neunundzwanzig Götterläufe vollendet haben...“
Lena… so hatte Usanza ihre Schwester nicht mehr genannt seit… seit… seit damals. Seit Mutter… seit dem Angriff auf Wehrheim, 1027. Eine ungewöhnliche Wortwahl. Eine, die sie nicht getroffen hätte, ginge es ihr nur um ihren Tsatag. Nein, Usanza tastete sich noch immer vor zum eigentlichen Thema, davon war Madalena überzeugt. Es musste um mehr gehen, als nur den Tsatag.
„Ich weiß, Sanza, ich weiß“, versicherte sie. Unwillkürlich verfiel auch Madalena wieder in die Spitznamen, die sie sich als Kinder gegeben hatten. Lena. Gerio. Sanza. Lange war es her... „Ich verspreche dir, wir werden deinen Ehrentag gebührend feiern, mit allem, was du dir wünschst.“ Was war es, das Usanza eigentlich hierher geführt hatte? Was bedrückte sie?
Usanza lächelte verlegen. „Danke dir, Lena, aber darum geht es mir nicht.“
'Ich weiß…', dachte Madalena, fragte aber stattdessen freundlich: „Worum geht es dir dann? Womit kann ich dir helfen, Sanza?“ Sie gab sich große Mühe nicht durchklingen zu lassen, dass ihre Geduld am Ende war. Wie sehr sehnte sie sich nach ein paar Stunden Ruhe, nach Zeit nur für sich, für ihre eigenen Gedanken und Probleme. Doch was Usanza dann sagte, was sie tat, überraschte Madalena so sehr, dass sie ihre eigenen Sorgen schlagartig vergaß. Usanza blickte ihre Schwester an, direkt in die Augen. Die hielt dem Blick stand, ihr Gesicht ausdruckslos. „Lena, ich werde neunundzwanzig sein… und unverheiratet. Nicht einmal verlobt. Ich werde dreißig sein, ehe ich vor den Altar trete… falls ich je vor den Altar trete. Ich werde als alte einsame Jungfer sterben, Lena. Verstehst du, was ich sage?“
Das war es also… mal wieder. Das immer gleiche, leidige Thema. Madalena seufzte, ohne noch ehe sie darüber nachgedacht hatte, entfuhr es ihr: „Aber Sanza, Liebes, du bist doch schon lange keine Jungf...“
„WAGE ES NICHT diesen Satz zu beenden!“ Mit einem Satz war Domnatella Usanza aufgesprungen, sie funkelte ihre Schwester böse an. Beide Hände waren zu Fäusten geballt, sodass die Knöchel bereits weiß hervortraten, und sie zitterte am ganzen Leib vor Anspannung. Aber da war noch etwas, stellte Madalena fest, noch ehe sie etwas erwiderte. Usanzas Unterlippe zitterte. Ihre Nasenflügel bebten – so wie sie es immer taten, kurz bevor sie in Tränen ausbrach. Diesmal schien es ihr ernst zu sein. Wirklich ernst. „Entschuldige...“, brachte Madalena schließlich hervor, erhob sich langsam und ging auf ihre Schwester zu. „Ich habe es nicht so gemeint.“ Sie breitete die Arme aus, nahm ihre kleine Schwester in den Arm, drückte sie an sich und strich ihr mit der Hand über das Haar, wie sie es früher immer gemacht hatte, bis alle Anspannung vom kleinen Blondschopf abgefallen war. „Setz dich wieder, Liebes. Lass uns eine Lösung finden.“
Die beiden Schwestern setzten sich, diesmal Seite an Seite. Usanza wischte eine Träne fort. Abgesehen davon hatte sie sich wieder gefasst. Sie hatte große Fortschritte gemacht, was das anging – auch wenn ihr Blick wieder zu Boden ging, als sie fortfuhr zu erzählen. „Lena, ich weiß, dass es… unüblich ist, zu heiraten, bevor der ältere Bruder verheiratet ist. Er wäre zuerst an der Reihe, das ist mir bewusst. Aber mit seinen Geschäften, seinem neuen Lehen, all seinen sonstigen Interessen…“ Sie schaute wieder auf, Madalena ins Gesicht. „Wann habe ich genug gewartet, Lena? Wann bin ich an der Reihe?“
Madalena stricht ihr ein weiteres mal mit der Hand durch das Haar… mehr um Zeit zu gewinnen denn um sie zu beruhigen. 'Sie hat Recht, weißt du?', hörte sie die Stimme ihrer verstorbenen Mutter im Kopf. „Ich weiß“, sagte sie, halb zu Usanza, halb zu sich selbst. „Ich weiß, Liebes.“
„Gerio hat nichts dagegen, bestimmt nicht. Ihm ist mein Ruf ebenso wichtig wie dir, deswegen hat er mir seinen Segen gegeben, mich sogar ermutigt. Ich möchte mich vermählen, Lena. Ich möchte, dass du mir einen geeigneten Gatten findest.“
Algerio… Soweit entfernt, so beschäftigt mit anderen Dingen, und doch fand er immer noch Zeit, sich in die Belange der Familie… einzubringen? Oder eher einzumischen? Wieso ermutigte er seine Schwester noch, hatte Madalena nicht ganz andere Probleme? 'Weil er sich sorgt…', hörte sie erneut ihrer Mutter Stimme in ihrem Kopf. 'Weil er versucht ein guter großer Bruder zu sein.' Sie würde ihm noch einmal schreiben, mit ihm sprechen müssen. Aber nicht mehr heute. „Was genau möchtest du, das ich für dich tue, Sanza?“
Die Antwort kam ohne zu zögern. „Lass uns einen Ball veranstalten! Einen Ball der Unvermählten, mit all den schneidigen Edlen und Junkern Almadas, mit all den hübschen Domnatellas. Wir laden sie hierher ein, du siehst sie dir an, und dann suchen wir einen aus und handeln die Verlobung aus!“ Ein Lächeln war in ihr Gesicht zurückgekehrt. Wie konnte es auch anders sein… Einen Ball?
„Sanza, weißt du, was das kostet? Die Einladungen, die Dekorationen, die Musiker? Es würde Monde der Vorbereitung brauchen, ganz zu Schweigen davon, dass wir erst einmal herausbekommen müssten, in welchen Familien heiratswillige Junggesellen zu finden sind.“
Die Enttäuschung war Usanza ins Gesicht geschrieben. Sie senkte ihren Blick erneut. „Dann… dann gib doch wenigstens eine Anzeige auf. Im Yaquirblick. Oder per Brief. Hör dich um. Frag nach. Irgendetwas… Versprich mir, dass du dich kümmerst, dass du jemanden für mich findest, der zu mir passt und der deinen Ansprüchen genügt.“ Alles ist besser als dieser Hazaqi, schoss es Madalena durch den Kopf, dieser Tazaqiro oder wie er heißt, in den du dich zuletzt verguckt hattest. Hattest du nicht Vater sogar schon soweit gehabt, ihn von irgendeinem entfernten Verwandten, der uns noch etwas schuldet, adoptieren zu lassen, damit eine Verbindung nicht ganz so schmachvoll gewesen wäre? Damit man wenigstens hätte sagen können, er sei von Stand? Mir wäre fast jeder lieber als dieser Kerl, dachte Madalena.
Aber sie sagte nichts. Stattdessen nickte sie nur. „Das werde ich gern tun, Sanza“, versprach sie.
„Ehrenwort?“, fragte Usanza, hoffnungsvoll aufblickend. „Ehrenwort!“, bestätigte Madalena. Und schon kehrte das Lächeln zurück in Usanzas Gesicht, ja sie strahlte fast wie eines der kleinen Mädchen wenn sie gerade erfahren, dass sie zum Debütantinnenball eingeladen wurden. Usanza drückte freudig und mit beiden Händen die Hand ihrer Schwester. „Ich danke dir, ich danke dir, du bist die Allerallerbeste!“ Sie gab Madalnea einen Kuss auf die Wange, dann lief Domnatella Usanza beschwingt zur Tür. „Gute Nacht, liebste Lena, wir sehen uns dann morgen!“
„Gute Nacht, Usanza“, sagte Madalena leise, als ihre Schwester das Zimmer bereits verlassen hatte. Dann setzte sie sich wieder an ihren Tisch, holte Federkiel und Tinte.
Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Feder eintauchte und auf das Papier setzte, um zu schreiben… Wenn das mal gut geht…
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