Chronik.Ereignis1036 Pilgerzug Cumrat 01
Kaiserpfalz Cumrat, 27. Praios 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Autor: kanzler
Mit den ersten Strahlen des sich rötlich hinter den Bergen erhebenden Praiosrunds erwachte der Rabe mit einem müden Krächzen aus dem trockenen Geäst einer Pinie. Kaum eine Made hatte er zum Nachtmahl gefunden, und auch die Würmer hatten sich tief unter die ausgetrocknete Erdkruste verzogen. Sein Magen knurrte, dementsprechend übel gelaunt erhob er sich mit einigen behäbigen Flügelschlägen in die noch frische Morgenluft über der Zeltstadt. Noch einmal krächzte er, viermal, denn es war für die Pilger an der Zeit, den neuen Tag zu begrüßen.
Der Rabe fand eine kleine Pfütze, die er skeptisch aus schwarzen Augen betrachtete. Er stiebte hinab, trapste mit leicht wackeligem Schritt auf das braune Nass und kostete vorsichtig. „Wein-Suppe“, empfand er. Diese mussten die Köche hier just ausgeschüttet haben, um im Kessel Platz für den Morgenbrei zu schaffen. Der Vogel wollte sich schon verächtlich von dem salzigen Etwas abwenden, als er eine köstlich in der Morgensonne schimmernde Traube halb aus der Pfütze lugen sah. Diese schnappte sich der Rabe, bevor ihm wohlmöglich irgendein Nager zuvorkam. Sie schmeckte süß und würzig und stimmte ihn versöhnlich.
Derart gestärkt zupfte der Schwarze rasch sein durch die Nacht verlegenes Gefieder zu Recht und schwang sich mit nun kräftigeren Schlägen steil hinauf in luftige Höhen. Der Pilgerzug, den er im himmlischen Auftrag nun seit Ragath begleitet hatte, hatte Station in einem Pinienhain bezogen, und langsam regte sich Leben hinter den Leinen der Zeltstadt. Noch einmal krächzte das Federvieh, als wollte es diesen Vorgang beschleunigen. Ja, es war an der Zeit!
Noch ein paar Flügelschläge mehr, etwas Treibenlassen in der sanften almadanischen Brise und der Hain gab den Blick frei auf etwas Großartiges: den Berg Cumrat, der selbst dem ehrwürdigen Yaquirstrom trotzte, der einen weiten Bogen um den Felsen winden musste. Fahnen zierten die Feststraße zu dieser Erhebung, auf dem sich stolz und wehrhaft die kaiserliche Pfalz erhob. Wie eine kunstvolle Punipan-Kreation sah die Festung von hier oben aus. Der Rabe umkreiste die Anlage mit heftigen Flügelschlägen, umflog die sieben majestätisch in den Himmel aufragenden Türme, das Oktogon, die kaiserlichen Gärten und die Yaquirterrasse. Alles war herausgeputzt, alles war geschmückt und mit Girlanden und Wappenflaggen der Grafschaften, Städte, Baronien und Häuser Almadas verziert. Alles war bereit!
Fürst Gwain von Harmamund gähnte und erhob sich räkelnd aus seiner bescheidenen Bettstatt. Er brauchte dringend Bad und Rasur – und einen Cresso mit wenig Schmalz. Nicht zuviel des Guten, man war ja schließlich noch auf Pilgerei, und er wollte alle die Tage mit bestem Vorbild voran gehen. Doch heute war ein besonderer Tag. Er fühlte es, es juckte ihm förmlich in der Nase, wie einst, als er gen Omlad zog. "Achja, die Reconquista, die gute alte Zeit!" Eine Zeit des Zusammenhalts, der Ehre, der Loyalität. Diese Werte waren es, die Almada seit ehedem zusammen hielten. Diese Werte wollte er heute erneut heraufbeschwören, nach all der Zeit des Leidens, der Zwietracht, der Traurigkeit unter dem Blutkaiser. Er hatte sich besonnen – und endlich, so empfand er nun, nach langem Handern, vielfachem Gebet und ausschweifendem Dialog mit den Magnaten Alamdas, endlich hatte er sich mit seiner neuen Position angefreundet. Er fühlte sich in seiner neuen Rolle angekommen, der Rolle, die er wohl bis zu seinem Tode spielen würde: Er, Gwain Isonzo von Harmamund, der gefallene Fürstenspross und wieder auferstandene Held von Omlad, ist der Fürst Almadas. Seines geliebten Almadas.
Keinen besseren Ort hätte er sich für sein heutiges Vorhaben auswählen können. „Bring mir den Zuber – kalt! Und vergiss die Cressos nicht, bitte“, waren die knappen Anweisungen des Fürsten an seinen Knecht Reskalion, den er einst aus der ungezügelten Wut der Flammen in Omlad befreite hatte, als die Novadis zum Gegenangriff übergegangen waren. Reskalion war einer dieser entschlossenen aber leichtsinnigen Burschen, die sich jubelnd in die Reconquista geschmissen hatten, wie in ein sommerliches Bad, naiv aber mit dem Herzen am rechten Fleck. Seit seinem beinahem Flammentod hatte Reskalion kein Wort mehr gesprochen. Der Knecht nickte und tat, wie ihm befohlen. Derweil begab sich der Fürst noch einmal zu seinen Notizen.
Wenig später herrschte rege Betriebsamkeit im Pilgerlager, dass doch an diesem Morgen, anders als in den vergangenen Tagen, nicht abgebrochen werden sollte. Das Gerücht eines unerwarteten Festes, jetzt auf der Hälfte des Pilgerzuges, ging von Mund zu Mund. „Der Fürst wird endlich seine Verlobung bekannt geben“, wusste eine Landsfrau zu berichten, die es von einem hohen Magnaten vernommen haben wollte. „Er mag jetzt Fürst sein, doch wer wollte diesem Harmamund trauen?“ – „Ansehnlich ist er ja nicht, mit dieser Brandnarbe im Gesicht.“ – „Aber habt ihr seine Muskeln gesehen? Ich sage, er ist immer noch stattlich, unser Fürst – für sein Alter!“ - „Weib, quatsch nicht, sondern hilf Deinem Mann auf die Beine, wir müssen heute einen Berg besteigen, wie es heißt.“
Als sich die Priester der Vier vor Schrein und Altar einfanden, hatte eine jede, ein jeder sein helles, nach über zwei Wochen nicht mehr ganz reines Pilgergewand bereits wieder übergezogen, auch wenn einige sich dieses noch eilig zu Recht zupften oder sich den Schlaf versteckt aus den Augen rieben. Bei weitem nicht jeder hatte bei weitem nicht jede Boronsruh frömmelnd und selig schlafend verbracht. Schon gar nicht die illustre Schar von Magnaten, die erstaunlich zahlreich dem Aufruf des neuen Fürsten zu diesem Pilgerzug gefolgt war, anstatt sich ihrer üblichen Streitereien hinzugeben.
Mit zwölf Schlägen auf den bronzenen Gong begann die Morgenandacht. „Zwei mal zwölfhunderttausend Schritt sind wir gezogen“, begann die Geweihte des Herre Ingerimm. „Den Zwölfen gefällig“, führte der Praiot fort. „Unerschüttert Dank der Kraft der Götter“, beschwor der Rondrageweihte. „Entlang des Onkelchen Yaquir, des ewigen Geistes Almadas“, schloss die Geweihte des Efferd. „Kniet nieder, denn Segen wird Euch erteilt!“ Wie eine Haltung nehmende Armee ließen sich die Gläubigen augenblicklich in den gelb-lehmigen Staub sinken, die Augen ehrfürchtig gen Himmel gerichtet.
Eins und Eins und Eins und Eins sind die herrlichen Vier.
Der himmlische Fürst, die donnernde Gottstreiterin, der zürnende Wogenglätter, der alveranische Schmied.
Sie alle blicken herab auf Euch, auf uns, auf Almada.
Denn sie haben für dieses Land gekämpft, für die göttergefällige Ordnung, hier und immerdar.
Auf Ihren Wegen schreiten wir, zu Ihrer Stätte pilgern wir.
Und so seid erfüllt von der gleißenden und immer geltenden Wahrheit des Götterfürsten in Herz und Seele.
Vom Kampfgeist der göttlichen Leuin in Arm und Verstand.
Von der Vielfalt und Launenhaftigkeit des ewigen Herrn der Brandung in Geist und Gemüt.
Von der feurigen Glut und Schaffenskraft des himmlischen Waffenmeisters bei all Eurem Tun.
Praios und Rondra und Efferd und Ingerimm. Euch preisen wir. Eure Taten ehren wir.
Segnet diesen Pilgerzug, segnet die Herzen Almadas, segnet seinen Fürsten und alle, die zum Wohl und Gedeih dieses Landes bestellt sind.
SO SEI ES!
„So sei es“, wiederholten die Pilgernden und erhoben sich langsam.
„Geht nun, folget Eurem Fürsten. Denn geladen in die kaiserlichen Gärten von Cumrat seid Ihr. Mit Euch und durch Euch die Vier!“
Augenblicklich setzte ein Getuschel ein. Nach Cumrat würde man ziehen – ALLE? Dieser Pilgerzug sollte wirklich in die Annalen Almadas eingehen!
Einige Magnaten schauten sich stirnrunzelnd an. Alle Blicke suchten nach Fürst Gwain, der vielen so unnahbar auf dieser Fahrt erschienen war, oft abwesend. Zur Überraschung des Pilgerzugs saß dieser bereits in vollem Ornat und keinesfalls im schlichten Pilgergewand hoch auf seinem Fuchs Aragas, den er in den vergangenen Tagen eher am Zügel geführt denn geritten hatte. In der Hand hielt der Fürst, der nun vollends als dieser erschien, eine Fahne mit dem Wappen Almadas und schwenkte sie wie zum Aufbruch gemahnend. „Es ist dieselbe Fahne, die er als Marschall bei der Eroberung Omlads hielt“, informierte Kanzler Rafik wissend die Magnaten in seiner Nähe. „Kommt!“
Und es begann eine Prozession, wie sie Almada lange nicht gesehen hatte:
An der Spitze ritt Gwain Isonzo von Harmamund im Wappenwamps der Fürsten Almadas, begleitet von seinem Knecht Reskalion, der die Zügel von Aragas führte. Im zur Seite schritten die Geweihten von Praios, Rondra, Efferd und Ingerimm, heilige Psalme und Gebete auf den Lippen.
Es folgten die Magnaten Almadas, teilweise amüsiert ob des sich bietenden Spektakels, teilweise erschrocken über die sich gerade offenbarende Volksnähe des Fürsten, die ihn zu einem populären Herrscher machen könnte. Irgendwo zwischen den Baronen, Edlen und Junkern schritt auch Kanzler Rafik, nicht beim Fürsten und gleichfalls mit sorgenvoller Mine.
Schließlich zog der übrige Pilgertross aus hunderten von Händlern, Bauern, Winzern, Handwerkern, Frauen und Kindern, Kranken und Armen auf die sich fünf Ebenen hoch windende Burgstraße. Und auch wenn dies ein heiliger Pilgerzug war, so schienen die kaiserlichen Wachen, die überall dem Fürsten zu Ehren Spalier standen, doch ausgesprochen aufmerksam und warfen nur wenig erfreute Blicke auf den bunten Haufen Almadanerinnen und Almadaner, die nun über den kaiserlichen Boden schritten.
Stolze 16 Schritt misst die Front des Almadanischen Tors, durch das nun alle zogen. Reich verziert zeigt es Szenen aus der wechselvollen Geschichte der Grenzprovinz, die wie ein Gleichnis für die aktuell schwierige Situation des Landes waren: Gründung der Stadt Punin, Sieg Kaiser Rauls in der Zweiten Dämonenschlacht, 13.-Ingerimm-Massaker und wie zur Gemahnung an den Zweck der Pfalz eine graumsame Darstellung der schmachvollen Schlacht von Yrosien. Rechts und links der Schildwappen von Reich und Provinz blickten die elf Eslamiden auf die Eintretenden hinab, in dessen Nachfolge nun Fürst Gwain die Pfalz besuchte.
Steil führte die Straße die Pilger den Burgberg hinauf, so dass diese kaum Muße hatten, das Darpatische Tor mit seiner kunstvollen Steinmetzarbeit der Landschaften an Dergel und Darpart zu bewundern. Dem Koscher Tor, das vom Kleinen Volk gestaltet worden war, erging es mit seinen Szenen der Schlacht um die dunkle Feste Koschwacht (tatsächlich aus Koschbasalt gehauen) sowie des Bauernfeldzugs gegen die Answinisten kaum bester.
Nachdem auch das Weidensche und Tobrische Tor durchschritten waren, hielt der Pilgerzug kurz inne, um vor dem Rondratempel Cumrats eine kurze Andacht zu halten. Die einfachen Männer und Frauen, die niemals zuvor solch eine prächtige Anlage erblickt hatten, staunten über die Halle der göttlichen Leuin, die ganz im Sinne rondrianischer Tugenden schlicht doch markant gestaltet worden war: bemalt mit Fresken, die altehrwürdige Streiter der Himmlischen Kriegsherrin in irdenen Farben zeigten.
Das „Gloria, Dir Alveran“ singend ging es durch das Albernische Tor mit seiner üppigen Marmorfassade, die Szenen zur See zeigt, vor den Praiostempel. Der aus reinstem weißen Eternenmarmor errichtete Bau schließt unmittelbar an die Wehrmauern an. Sein Turm gen Rahja wird von einer furchteinflößenden Greifenstatue, der gen Efferd von einem doppelmannshohen Standbild Ucuris, des Himmlischen Herold, gekrönt. Prachtvoll erhebt sich über dem Sakralbau eine Kuppel gen Alveran, deren kunstvoll zur Netzstruktur arrangierte Gold- und Emailleplatten das Licht der Praiosscheibe gleißend wider warf. Auch hier hielten die Geweihten den Zug an, um ein inniges Gebet von Wahrheit und Loyalität zu sprechen. „Gepriesen sei das reinigende Licht des Praiosrund, verdammt Unglaube, Täuschung und Lug!“
Dann, endlich, ging es durch das Nordmärker Tor mit seinen Landschaftsmalereien in die kaiserlichen Gärten. Hier zeigte sich den erstaunten Pilgern, dass Cumrat nicht ausschließlich als Wehrburg errichtet worden war. Leicht abfallende Terrassen gestatten den Pilgern einen Blick weit über das jenseitig Yaquirland, über die abgefallene Reichsmark Amhallass. Doch auch diesseits der Mauern Cumrats gab es für die Pilger Staunenswertes zu betrachten: Aus allen Winkeln des Reiches standen hier Bäume, Sträucher und Blumen zusammen, die hier noch einmal die Eintracht des Reiches, in die Almada zurückgefunden hatte, symbolträchtig unterstrichen – ganz Cumrat schien eine Standarte für diese Einheit zu sein, die in der Regentschaft Kaiser Selinian Hal. II vollkommen vergessen worden ward. Neben einem Weiher mit Zuchtfischen und einem Musikpavillon findet sich hier auch die große Festwiese, auf deren Mitte eine Tribüne errichtet worden war, auf die nun der Fürst unter Fanfarenschall von den sieben Türmen Cumrats trat.
„Almadanis, … Freunde!“, begann der Fürst seine Rede. „Heilige zwölf Tage schritt ich als einer der Euren mit und neben Euch. Ich hörte Eure Sorgen, Eure Nöte, Euer Begehr. Ich hörte von einem Almada, das ich längst vergessen glaubte… nach den Schreckensjahren des“, hier schluckte der Fürst, als hätte er ausspucken wollen, sich dann aber doch eines besseren besonnen, „des Mondenkaisers.“
Betreten schauten viele zu Boden. Zuviel Leid war über sie alle gekommen, viele hatten Angehörige verloren oder vermissten diese noch immer. Der Mondenkaiser hatte das Land gespalten, nicht nur ab vom Reich, sondern auch mitten durch Almada selbst. „Ich weiß“, sagte da der Fürst, denn er hatte das betretene Schweigen nur zu gut verstanden. „Auch ich habe viele Freunde und Kampfgefährten verloren. Und obwohl ich stets ein Mann der Tat war, habe ich lange gezögert, bis ich die Fürstenkrone durch die Hand Ihrer Kaiserlichen Majestät, Rohaja von Gareth, entgegengenommen habe. Ich habe nie nach dieser Würde gestrebt, die ich lange nur als Bürde begriffen habe. Bis ich dieser Tage neben Euch zog, neben Euch Frauen und Männer Almadas, die Ihr soviel Glaube, Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft unserer Heimat habt. Wo ich verzagte, mich zurückzog, keinen Weg wusste, hat der Glaube an die Vier und Zwölf, Euer Geist und der Ratschlag meiner Magnaten mich auf den rechten Weg gebracht. Viel habe ich von Euch gelernt, und dafür möchte ich Euch Dank sagen.“
Nie hatten die Menschen derart offene Worte von einem Herrscher vernommen – war das noch ein Fürst, der vor Ihnen stand, oder einer der Ihren? Gar beides? Den Kanzler durchlief ein Schauder – „Das war richtig gut“, musste er zerknirrscht eingestehen.
„Almadaner! Wir haben über vieles gesprochen auf dieser Reise: Über den Weg Almadas als Königreich ohne König, als Grenzprovinz mit inneren Grenzen, als Kornkammer und Weinhang des Reiches. Als Teil des Reiches. Wir haben uns über die Besetzung des Cronrates und sonstiger Ämter ausgetauscht. Wir debattierten die Notwendigkeit, unsere alten Geschlechter durch neue Hochzeitsbande aneinander näher zu bringen. Und nein, ich mag einige unter Euch enttäuschen, ich selbst beabsichtige in meinem hohen Alter nicht mehr, den Traviabund zu schließen. Mein Herz gehört Almada, einzig und allein, für immerdar!“
Ein Jubel erhob sich da unter dem Volk, der die Magnaten zusammenzucken und notwendigerweise in das Handgeklapper einstimmen ließ. „Zu gut!“, dachte Kanzler Rafik.
Wir sprachen über den künftigen Umgang mit unseren Nachbarn, mit den ehrbaren“, das letzte Wort betonte der Fürst auffällig, „Novadis. Mit den Glaubensbrüdern und –schwestern im Horasreich. Mit den Nachbarprovinzen im Reiche Rauls des Großen, von denen Almada noch immer am strahlendsten und aufrechtesten steht.“ Erneuter Jubel, Falten auf der Stirn des Kanzlers. „Und ich habe viel von Euch gelernt, Bürger Almadas, als ich das ein um das andere mal inkognito unter Euch wandelte, während mich meine Magnaten in meditativer Klausur wähnten. Und auch von Euch habe ich einiges gelernt, werte Magnaten, die Ihr stets die Speerspitze unseres Königreiches ward und immer sein werdet, so Ihr nur zusammen steht!“ Jetzt jubelten sogar einige der Magnaten – Dom Rafik mochte diese Rede nicht.
„Doch ab heute bin ich kein Pilger mehr unter Euch, Freund. Ab heute bin ich wieder Euer Fürst, doch stets einer der Euren. Ich möchte, dass Ihr mich als genau das betrachtet: als Fürst aus Eurer Mitte. Als vorderster Kämpfer für die gemeinsame Sache. Als Fürsprecher Almadas. Denn nicht erheben über einander, über langjährigen Freund und Nachbarn, sollten wir uns, sondern zusammenstehen, jeder nach seiner Art und seinem Talent, um die Vergangenheit zu versöhnen, die soviel Leid über unser Land gebracht hat; um die Gegenwart zu leben, denn lebens- und liebenswert sollen die Tage meiner Regentschaft sein; um die Zukunft glor- und segensreich zu gestalten, auf dass unser Land, unser Almada wieder zu dem erblühe, das es einstmals war: Der Stolz des Reiches Rauls des Großen, seine Seele, sein feuriges Gemüht und ein Bündnis eingeschworener Recken gegen die Fährnisse, die da kommen mögen.“ Ein Raunen ging durch die Menge, die sichtlich ergriffen war vom Charisma dieses Mannes.
„Über die rechten Wege zu unseren Zielen werde ich weiterhin Rat halten mit den Hohen und Weisen Almadas. Daher werde ich Euch bis Brig-Lo nun verlassen, um genau dies auf einer Schiffsreise von hier aus zu tun. Doch in Brig-Lo werden wir uns wieder sehen. Darauf mein Wort! Vivat Euch allen!“, schloss der Fürst seine flammende Rede. „Vivat Almada!“
Jetzt kannte der Jubel und Applaus kein Halten mehr. „Vivat Fürst Gwain!“ erschallte es über der Pfalz Cumrat, und ein mancher wünschte sich wohl, dass dieser Mann einige Jahrzehnte jünger wäre, um die Geschicke Almadas noch lange zu lenken.
Und dann, leise, fast unmerklich begann der Fürst zu singen. Er stimmte ein Lied an, das niemandem gelehrt werden musste, ein Lied tief aus der Seele Almadas, das jeder kannte.
Almada, Du bist das Land des Sonnenscheins, Almada, nur Du.
Einige summten bereits leise mit, als einer um den anderen in den Gesang des Fürsten einfiel, bis der gesamte Pilgerzug immer kräftig werdend den Nationalhymnus auf den Lippen trug und den Göttern und Völkern in aller Welt hinaus zu Gehör brachte. Immer und immer wieder wiederholte der Pilgerzug den Refrain des Almada-Liedes, die zornigen Strophen waren an diesem Tag vergessen. Einigen schien es gar, dass selbst ein über der Menge kreisender Rabe die Melodie mitkrächzte. Und als auch Reskalion, respektvoll hinter dem Fürsten stehend, anhob zu singen, da lächelte Gwain von Harmamund erleichtert, doch nur er wusste warum. Heute, für einmal, umgab dieses Lied eine weihevolle, friedliche und einigende Aura, denn jeder wusste wieder, was seine Verse ursprünglich zu bedeuten hatten, die da lauteten:
Almada, Du bist das Land des Sonnenscheins, Almada, nur Du.
Almada, Du bist das Land des süßen Weins, Almada, nur Du.
Almada, von Deinen Trauben will ich kosten, bin für immer Dein.
Almada, in Deinen Armen, an Deinem Busen will ich immer sein!
Autor: von Scheffelstein
"Das hat er schön gesagt, unser Fürst, nicht wahr?", sagte die junge Handelsherrin Birella Veracis. "Das mit dem Leben der Gegenwart und dass die kommenden Tage unter unserem Fürsten lebens- und liebenswert sein sollen."
Torquato Tournaboni, lächelte wehmütig, während seine schlanken Finger mit den Blättern eines Rosenstrauches spielten, vorsichtig darauf bedacht, die Dornen nicht zu berühren. Für die hellroten Blüten, die an den Rändern schon ein wenig welk wurden, schien er keinen Blick zu haben.
"Wie soll denn die Gegenwart lebenswert sein, meine teure Domna Veracis, wenn die Vergangenheit so grausam war, dass ein Leben nicht ausreicht, sie zu vergessen?"
"Müssen wir denn vergessen?", fragte die junge Puninerin zurück und warf dem Ratsherrn einen Blick von der Seite zu, doch der drehte noch immer gedankenverloren die Blätter zwischen seinen Fingern. "Müssen wir uns nicht viel mehr all dessen erinnern, was zu Streit und Missgunst führte, auf dass eine solche Zeit sich nie wiederhole?"
"Wie könnt Ihr so einfach darüber hinwegkommen?", seufzte der Bankier. "Ihr habt Euren Vater verloren!" Sein Blick ging hinüber zum Musikpavillon, wo die Spielleute soeben zum Ragathsky-Marsch ansetzten. "Ich vermag nicht zu ermessen, wie schmerzlich der Verlust für Euch ist."
'Nein', dachte Birella Veracis, 'und wenn Ihr mich nicht einmal anseht, werdet Ihr es auch nicht an meinen Augen ablesen können. Und anderes auch nicht.'
"Diese Zeit unter dem falschen Kaiser", sagte Torquato Tournaboni und rupfte ein Blatt vom Rosenstrauch, "die war wie ein Unwetter, in dem so viele ihr Leben ließen, das grausam in Almada wütete und es zerstört zurückließ."
Birella Veracis betrachtete den Mann ein wenig von der Seite. Hatte ihr hoher Vater recht gehabt, der ihn für einen Träumer und Herumtreiber und Taugenichts gehalten hatte, gerade so wie Birellas Bruder, der den Kaiser verehrt und nach der Ermordung des Vaters erschreckt außer Landes geflohen war? Laut sagte sie: "Manchmal bedarf es eines Gewitters mit Blitz und Donnerschlag und Regen, der den ausgedörrten Boden tränkt und den Staub aus der Luft wäscht, damit man wieder klar zu sehen vermag und Neues wachsen und gedeihen kann. Um die Zukunft glor- und segensreich zu gestalten, auf dass unser Land, unser Almada wieder zu dem erblühe, das es einstmals war", zitierte sie den Fürsten.
Torquato Tournaboni seufzte erneut und ließ die dünnen Schultern hängen. Er hatte abgenommen, trotz des Weines, dem er zuletzt vermehrt zugesprochen hatte – auch jetzt hielt er einen Kelch in der rechten –, und in den dunklen, fast schwarzen Augen, lag ein trauriger Blick. "Ihr habt gut reden, Teuerste", sagte er, "denn Ihr führt Euer Haus mit ruhiger Hand und mit äußerster Klugheit, und es steht bald besser da als zu Lebzeiten Eures hohen Vaters – und das soll etwas heißen! Ich aber habe auf die falschen Pferde gesetzt und falle immer weiter ab gegen den Albizzi."
'Kein Wunder!', dachte die junge Handelsherrin und betrachtete missgestimmt das nachlässig geschnürte Wams des langjährigen Freundes, das leicht zerzauste Haar, das mal wieder einen Barbierbesuch vertragen konnte, die ungeputzten Stiefel. Torquato Tournaboni war auf dem besten Wege, ein Mann zu werden, der zu lange dem Einfluss weiblicher Fürsorge entzogen war, dachte sie. Dumm nur, ärgerte sie sich, dass die Männer nicht verstehen wollten, dass sie ihre Leidenszeit nur noch verlängerten – bis diese ein Leben währte! –, wenn sie sich derart vernachlässigten, bis keine Frau sie mehr eines Blickes würdigte! Schade, dachte sie, denn er war doch einst ein so gutaussehender und galanter junger Herr gewesen.
Aus Gewohnheit errötete sie ein wenig bei dem Gedanken, aber auch dies entging dem Puniner Bankier, der einen Schluck aus seinem Kelch nahm – einen großen Schluck, der den Kelch leerte – und die Hand nach dem Tonkrug auf der Mauer ausstreckte, um sich nachzuschenken.
Birella Veracis hinderte die Hand daran, indem sie sie ergriff und sacht von dem Krug wegzog, näher zu sich. Überrascht sah er sie an. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Die Puninerin spürte, wie ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen begann, als sie den Blick seiner Augen, der schönen, langbewimperten dunklen Augen, einfing. Doch schon senkten sich diese wieder, und der Ratsherr seufzte.
"Ihr habt so recht!", sagte er bekümmert. "Ich trinke zu viel." Und er stammelte ein wenig vor sich hin von seinem Unglück und den schweren Zeiten, die kaum leichter geworden waren, seit der Kaiser vergangen war.
Birella Veracis war sich nicht sicher, ob sie ihn lieber ohrfeigen sollte, damit er das Jammern ließ, oder ob es hilfreicher wäre, ihm die Lippen mit einem Kuss zu verschließen. Erbaulicher, dachte sie, wäre gewiss Letzteres, aber zu einfach wollte sie es ihm machen. Niemand, dachte sie, wollte einen Mann, der mit der Ergebenheit eines zu oft gescholtenen Hundes zu einem heraufsah, treu vielleicht, lieb gewiss, aber ohne Zähne, ohne eigenen Willen.
Sie betrachtete ihn eine Weile, wie er so dastand, seine Finger noch in ihrer Hand, aber kraftlos, sein Blick wieder auf die Musikanten gerichtet. Ob eine Ohrfeige vielleicht doch etwas nützte? Wann endlich brächte er den Mut auf, sie zu fragen? Jetzt, wo ihr Vater tot war, wen sollte er noch fürchten? Sie selbst etwa? Nein, wohl eher nur die Zurückweisung.
Sie seufzte nun ebenfalls, doch Selbstmitleid hatte noch nie zum Ziel geführt, dachte sie, und sie war eine tüchtige Frau, kein Mädchen mehr, nein Soberana eines der prosperierenden Handelshäuser der Capitale, wenn er blind war, dann würde eben sie ihm selbst die Augen öffnen, wenn er mutlos war, nun, dann brauchte er wohl jemanden, die ihm wieder auf die Beine half.
"Kommt", sagte sie, "wir wollen uns ein wenig im Garten umsehen! Wie oft haben wir auch Gelegenheit, die Schönheit des Augenblicks und den Frieden und die Stille zu genießen wie die hohen Damen und Herren des Königreiches? Aber der bleibt hier!" Sacht nahm sie den Kelch aus seiner Hand und stellte ihn auf die Mauer. Dann hakte sie sich bei ihm ein und führte ihn zwischen den Rosensträuchern und Rabatten hindurch in Richtung des Musikpavillons, wo die Spielleute nun zum Tanze aufspielten.
Ja, es war Zeit, aus diesem armen Tropf wieder einen gesellschaftsfähigen Mann zu machen!
|