Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 23
Königlich Kornhammer, 5. und 6. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Nahe Aventis und auf Burg Scheffelstein[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Nachdenklich ließ Rifada da Vanya ihr neues Ragathsqueller Pferd, das ihr ihr Vetter Talfan dankenswerterweise im Austausch gegen ihr vorheriges aus den Besitzungen des niedergebrannten Klosters zur Verfügung gestellt hatte, auf dem teils morastigen, teils hart gefrorenen Karrenweg gen Kornhammer traben. So war wenigstens das Tier frisch und ausgeruht – sie selbst war es nach nur kurzer Nachtruhe auf Burg Ragathsquell absolut nicht.
Natürlich waren sie nicht im Streit auseinander gegangen, dafür kannten Talfan und sie sich zu lange, und jeder wusste, was er am anderen hatte. Nichtsdestotrotz hätte sie sich von ihrem Vetter ersten Grades etwas mehr Engagement und Wagemut erhofft – aber Talfan war auf seine alten Tage noch mehr ein Zauderer und Paragraphenreiter geworden, als er es ohnehin schon immer gewesen war.
Als ob sich Amando als einer der Hochgeweihten der Heiligen Reichskirche zu einer so derischen und - in seinen Augen - kleingeistigen Handlung wie der Aussprache und dem Schwur einer Blutfehde hinreißen ließe. Er glaubte ja selbst noch an das Gute in der Dämonenbuhle Praiosmin - da glaubte er daran sicher sogar noch mehr beim niederträchtigen Harmamund-Geschmeiß, denn der falsche 'Fürst' Gwain und er waren alte Bekannte.
Und über Talfans anderen Vorschlag - mit der Bekanntgabe der Fehde bis nach dem kaiserlichen Hoftag zu warten - konnte Rifada erst recht nur den Kopf schütteln. Was ging sie der kaiserliche Hoftag an? Sie hatte mit dem jungen Ding auf dem Kaiserthron nicht das Allergeringste zu schaffen, und auch deren missratenem Bruder hatte sie damals nur unter Zwang und als reines Lippenbekenntnis den Treueeid geleistet. Diese flachsblonden Auswärtigen sollten gefälligst droben in Haferyaquirien unter sich bleiben und sich besser niemals in Almada blicken lassen, wo die Nobleza kein auswärtiges Hineinreden schätzte.
Rifada erhoffte sich von ihrem Schwagervater Hesindian mehr Unterstützung. Er versuchte zwar ebenfalls immer lange die Dinge mit müßigen Worten zu regeln - aber wenn es sein musste, dann konnte Hesindian auch ein Mann der Tat sein. Und was könnte ihn mehr mobilisieren, als die Nachricht von der grausamen und unwürdigen Ausmordung seiner Enkelin, seines Augensterns?
Die Vanyadâlerin war sich nicht sicher, wie sie ihm diese Kunde überhaupt überbringen sollte, ohne dass den armen alten Mann der Schlag traf. Wie alt war ihr Schwagervater mittlerweile? Sie musste sich eingestehen, es nicht genau zu wissen.
Der Weg wurde durch den Schneefall der letzten Tage stetig schlechter, umso weiter sie nach Königlich Kornhammer hineinkam und an Höhenschritt gewann. Die Hänge des Raschtulswalls, die man im Ragatischen Kessel nur als schroffe Silhouette am rahjawärtigen Horizont gesehen hatte, schienen nun zum Greifen nah und auch die steilen Hügel, die ihre Vorhut bildeten, hatten es teilweise schon gehörig in sich. Endlich - nach stundenlangem Ritt ohne einer Menschenseele begegnet zu sein - kamen ihr nun zwei bewaffnete Reiter entgegen, Frau und Mann, deren ihr unbekanntes Wappen zu einem der hiesigen Caballerogeschlechter gehören könnte.
"Die Zwölfe zum Gruße!" hielt sie Rifada mit ausgestreckter Hand auf. "Ist das hier der Weg zum Castillo Scheffelstein?"
Autor: von Scheffelstein
Die Reiter hatten Rifada den Weg gewiesen, ihr aber zugleich deutlich gemacht, dass es trotz der nahe scheinenden Berge noch ein guter Tagesritt bis zum Ort Kornhammer war, zumal bei den Witterungsverhältnissen und der hereinbrechenden Dunkelheit.
Rifada war zunächst weitergeritten – die Angelegenheit duldete keinen Aufschub! –, doch schließlich war der Karrenweg in der Dunkelheit kaum noch auszumachen gewesen, und in den Schneeverwehungen war sie kaum noch voran gekommen.
Die Nacht hatte sie in einem absonderlichen kleinen Ort verbracht, auf einem Hof, der von einer resoluten Vierzigjährigen und einem Greis bewohnt wurde, die ihr Heim stolz Gasthaus nannten und ihm sogar einen Namen gegeben hatten: "Wandervogel". Immerhin, eines hatte man den beiden lassen müssen: Das Mahl, das sie Rifada aufgetischt hatten, hätte vielleicht sogar ihren verfressenen Vetter zufrieden gestellt.
Früh war Rifada wieder aufgebrochen und hatte mittags die Garnison Tolaks Turm passiert und noch vor dem Dunkelwerden den Ort Kornhammer erreicht, dem man noch immer die Verwüstungen ansah, welche die Bergwilden vor drei Jahren verursacht hatten.
Jetzt stand Rifada im Rittersaal des Palacios der Burg Scheffelstein unter dem Porträt der lang verstorbenen Gemahlin des greisen Vogtes, der anderen Großmutter von Rifadas Nichte Richeza Aldonaza von Scheffelstein, und wartete auf das Erscheinen des alten Hesindian.
Endlich öffnete sich die Tür des Saales, und Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein trat ein, groß und noch immer aufrecht, aber seit Jahren schon auf einen Stock gestützt. Haar und Rohalsbart des Alten waren weiß, die Wangen eingefallen, das hoch geschlossene blaue Wams ein wenig zu weit über dem schwindenden Körper, aber der Blick der blauen Augen war klar und wach und die dünne Haut des Greises schimmerte rosig. Von den schweren Krankheiten, die ihn vor – wann? zehn? – Jahren heimgesucht hatten, war Dom Hesindian nichts anzumerken.
Lächelnd schritt Hesindian auf seine Besucherin zu, klemmte den Stock kurz unter dem Arm ein, um der Frau beide Hände auf deren muskelbepackte Schultern zu legen und ihr links und rechts einen Kuss auf die Wangen zu drücken.
"Meine liebe Rifada, wie lange ist es her, seit ich Euch hier willkommen heißen durfte?"
Autor: SteveT
"Viel zu lange, ich weiß", nickte Rifada, beinahe verlegen. "Es muss bei der Trauerfeier für Euren Sohn, meinen Schwager gewesen sein - nein, auch danach war ich noch einmal bei Richezas zwanzigstem Tsafest hier." Sie blickte sich in dem Saal um, der sich seither nur geringfügig verändert hatte.
"Leider sind es auch heute wieder schlechte Nachrichten, die mich herführen. Sehr schlechte sogar!" Ihr umherschweifender Blick fand einen hochlehnigen, offenbar schon Jahrhunderte alten Stuhl in einer Ecke des Rittersaals, zu dem sie kurzerhand hinüber stapfte, ihn mit einer Hand hochhob, als sei er aus Bambusholz, und ihn direkt neben Hesindian abstellte. "Setzt Euch, bevor ich fortfahre!"
Bei jedem anderen Gast hätte es sich der Cronvogt sicher verbeten, dass man ihm auf seinem eigenen Castillo Befehle erteilte. Aber dieser Befehlston war Rifadas normale Art zu sprechen, wie er wusste, sie konnte nicht aus ihrer Haut. Normalerweise hätte er darüber sogar geschmunzelt, doch ihre leichenbittere Miene bereitete ihm Sorgen.
"Ihr müsst alle Kämpfer einberufen, die Ihr unter Waffen nehmen könnt", begann Rifada, als er saß, "denn Ihr müsst mit uns zusammen Fehde führen gegen die Harmamunds!"
Hesidians weiße Augenbrauen zuckten ungläubig nach oben, er wollte ihr darauf schon etwas erwidern, doch Rifada fuhr schon fort. "Wie ich schon sagte: Es ist schreckliches vorgefallen!" Sie erzählte in knappen Worten von der Feuersbrunst auf La Dimenzia durch den Angriff dieser brennenden Vögel und wandelnder Untoten. Besonders empört aber erzählte sie von der anschließenden Gefangennahme Belisethas durch die Harmamunds und ihre Festsetzung auf deren Burg. "Richeza ritt ohne mein Wissen zur Burg dieser Halunkensippe, um Belisethas sofortige Freilassung zu verlangen - sogar mit einer entsprechenden Aufforderung von der Hand meines Oheims, des Großinquisitors, in der Tasche -, doch anstatt Belisetha freizugeben, ließ die Schlange Morena auch noch Richeza einsperren!"
Rifadas Augen blitzten vor Wut, als sie dies alles erzählte. "Und so bin ich also selber vor die Mauern der Burg geritten und habe der Canaille hinüber gerufen, dass es Krieg und Fehde geben wird, wenn sie die beiden nicht freigibt. Daraufhin ..." Rifada brach ab und wischte sich mit der Hand übers Gesicht; bei jeder anderen Frau hätte Hesidian gedacht, dass sie Tränen fortwischte - aber Rifada?
"Daraufhin", fuhr Rifada stockend fort, "ließ das Aas Morena Eurer Enkelin einen Strick um den Hals legen und sie vor meinen Augen vom Torturm stürzen, als wäre sie eine gemeine Strauchdiebin ... ich konnte nichts tun ... ich war allein, und sie hetzte gleich darauf zwölf Krieger auf mich. Aber jetzt werde ich das tun, was nach so einem infamen Mord nach den alten Gesetzen der Fehde und der Blutrache zu tun ist." Sie ging vor Hesindian in die Knie und fasste fest die rechte Hand des schockierten alten Mannes. "Ich hätte Euch diese Nachricht auf Eure alten Tage gerne erspart, Schwagervater - aber die Sache betrifft Euch genauso wie uns. Das Blut muss sühnen, was das Blut verbrach. Morena muss sterben, Burg Harmamund zerstört werden. Ich weiß, dass Euch die Trauer fast das Herz zerreißen wird. Aber wir sind es Richeza schuldig, ihren Tod zu rächen!"
Autor: von Scheffelstein
Tatsächlich mochten es Rifadas Tränen gewesen sein, mehr als alles andere, die den alten Mann tief erschütterten und ihren Worten eine Glaubwürdigkeit verliehen, die den Schmerz unmittelbar und scharf in sein Innerstes dringen ließen. 'Nicht Richeza!', dachte er, 'Nicht auch noch sie!'
Und doch war er nicht über achtzig Götterläufe alt geworden, weil etwa mit dem Blute seines Vaters auch dessen Hitze in seinen Adern floss. Nein, er hatte mehr von der Besonnenheit seiner Mutter und trug seinen Namen nicht umsonst. In dubio pro reo, hatte diese ihn gelehrt, als er noch ein Knabe gewesen war, und im Zweifel nicht der Hitze des Blutes nachzugeben oder der gelben Galle, das hatte ihn Zeit seines Lebens vor Feindschaft und Krieg bewahrt.
Nicht aber vor Tod, Leid, Unglück.
Und welchen Zweifel mochte es geben, wenn selbst eine so unerschütterliche und harte Frau wie die Schwester seiner Schwiegertochter sich kaum der Tränen und des Schmerzes erwehren konnte?
Aber zu lange hatte er Zeit am kaiserlichen Hof verbracht und in der Armee, um zu wissen, dass der innige Glaube an das Offensichtliche die willigen Opfer bösartiger Intrigen auszeichnete.
Und was Richeza anbetraf ... Wenn irgendetwas das Feuer in seinem Blut zu entfachen und sein Gemüt zu erhitzen vermocht hatte, so hatte es stets mit seiner Großtochter zu tun gehabt. Und das wussten auch jene, die ihm möglicherweise schaden wollten. Und wenn nicht ihm, so doch ganz gewiss Rifada.
Hesindian umschloss Rifadas harte Finger mit beiden Händen. Lange sah er sie an, ohne ein Wort zu sprechen, während sein Atem allmählich wieder ruhiger ging und er die Gedanken in seinem Geist bewegte.
"Es kann kein Zufall sein, dass Morena von Harmamund diese ruchlose Tat just zu diesem Zeitpunkt verübt. Kurz vor dem Hoftag der Kaiserin. Da henkt sie, wie Ihr sagt, eine Edle am Torturm ihres Castillos. An sich schon ein Unding und ein schwerer Verstoß gegen jede Etikette. Ein Fehdegrund, ohne Zweifel. Aber denkt nach: Cui bono? Wem nützte diese Tat zu diesem Zeitpunkt? Den Harmamunds? Mitnichten!"
Hesindians Augen verengten sich. "Dom Gwain ist Fürst. Des Reiches Augen sind auf ihn gerichtet. Eine solche Fehdetat zu dieser Zeit würde ihm schaden, Anlass sein für seine Feinde, ihn zu vernichten, vor sämtlichen Großen des Reiches, vor der Kaiserin selbst. Das kann Morenas Wunsch nicht sein, denn mit dem Fürsten geht auch sie zugrunde. Nein", er nickte grimmig, "hier setzt sie auf ein anderes Kamel. Verzeiht den Ausdruck, wenn ich sage: Auf Euch, Rifada!" Er lächelte bitter. "Ich zweifle nicht an Euren Worten, in keiner Weise daran, dass sich so zutrug, was ihr beschriebt. Doch, die Frau, die da zu Tode kam: Das war Richeza nicht! – Hört mich an", fuhr er fort, als Rifada zu protestieren ansetzte. "Ich selbst wurde einst Opfer einer solchen Täuschung, dass ich mein eigen' Blut, mein liebstes Enkelkind verkannte, das meiner verstorbenen Gemahlin, mit der ich Jahr um Jahr Tisch, Bett und Leben teilte, so ähnlich sieht. Nie hätte ich geglaubt, man könne mich so täuschen. Und doch: So war's. Ich glaubte, sie habe ihr eigenes Erbe, mein Castillo in Brand gesetzt. Und bald darauf, als man sie tot im Thangolforste fand, da glaubte ich, ich hätte sie verloren. Aber sie war's nicht. das eine wie das andere Mal nicht."
Der Alte ließ Rifadas Hand los und sah in die Flammen der Kerzenleuchter, die die Wände des Saales in Licht und Schatten tauchten. Sein Blick blieb an dem Gemälde der einstigen Vogtin hängen, dann sah er wieder zu Rifada.
"Richeza ist tot? Was werden wir tun? Was glaubt die Harmamund? Sie kennt Euch und Euren Hass, sie weiß aber auch um den Mut und die Löwenhaftigkeit, mit der Ihr für die Euren eintretet, mit der Ihr für sie kämpfen würdet, bis zum letzten Tropfen Eures Blutes. Sie geht davon aus, dass Ihr zu den Fahnen ruft, falls Euch nicht selbst nach einem verzweifelten Heldenstück zumute wäre, die Euren zu befreien. Das war wohl ihre List: Euch zu erzürnen, in der Hoffnung, dass Ihr ihr in die Fänge geratet. Und wenn sie Euch nicht selbst zerstören kann, so hofft sie, werdet Ihr es tun und alle Eure Freunde und Verbündeten, die mögliche Feinde der Harmamunds sind, gleich mit. Denkt nach!"
Hesindian sah Rifada eindringlich an. "Was, wenn die Gehenkte durch Zauberei Richeza ähnlich wurde? Wenn Ihr also, ohne dass ein Grund bestünde, wider die Harmamunds zu den Waffen ruft? Man wird es Euch und allen, die Euch folgen, als Aufruhr wider den Fürsten deuten, als Bruch des Reichsfriedens, so kurz vor der Ankunft der Kaiserin. Dies ist für die Harmamunds der leichteste Weg, Euer Geschlecht in Verruf zu bringen oder aufs Schafott. Denn wenn ihr Harmamunder Blut vergießt und man Richeza frei und unbeschadet findet, wird man's wider Euch auslegen. Oder aber, die Harmamund behält Richeza und Eure Tante als Geiseln, um sie später wider Euch einzusetzen."
Hesindian befreite sich sacht aus Rifadas Griff und erhob sich, machte einige Schritte auf und ab im Saal. "Und wenn sie es doch war?" Er sah zu Rifada. "Dann ist's der Untergang des Fürstenhauses, ohne Zweifel. Ja, wir werden zu den Waffen rufen. Aber wir werden es heimlich tun. Was lange währt, bringt endlich unsern Feind zu Fall. Wenn die Harmamund Richezas Blut vergoss, so werden wir es mit dem ihren sühnen. Wenn aber sie eine Intrige wider Euch führt, so werden wir diese aufdecken und sie vor aller Augen bloß stellen, auf dass Eure Ehrbarkeit und ihre Verruchtheit in Almada bekannt werden. Jetzt gilt es, Freund von Feind zu scheiden. Habt Geduld, kühlt Euren Zorn, am Ende wird die Gerechtigkeit siegen, so wie die Götter triumphieren über das Böse, selbst wenn es Zeit kostet und manche Niederlage einzugestehen ist. Eine verlorene Schlacht bedeutet noch nicht, dass der Krieg verloren wäre."
Er legte Rifada die Hand auf die Schulter. "Was wir nun brauchen, ist jemanden, der Eure Tante – und Richeza, falls sie noch lebt – findet und befreit aus Harmamund. Und wir brauchen Auskunft unserer Verbündeten, wie weit sie auf unserer Seite stehen, sollte ein Waffengang unvermeidbar bleiben." Er strich sich über den weißen Bart. "Ein Magier. Einem Magier könnte es gelingen, unerkannt in Harmamund einzudringen und für uns zu erfahren, was wir wissen müssen. Als weitere Täuschung werden wir, wie Ihr vorschlugt, Truppen ausheben. Soll die Harmamund ruhig glauben, sie wären gegen sie gerichtet. Wenn sie ein schlechtes Gewissen hat, wird sie das zu nächsten Schritten bewegen. Wenn sie unser Häuser Blut vergossen hat, wird sie die Klingen früh genug zu spüren bekommen. Falls nicht", er lächelte leicht, "so können wir jederzeit glaubwürdig versichern, unsere Schwerter wider die Bergwilden richten zu wollen, um den Schutz der Kaiserin in diesen Zeiten zu gewährleisten."
Der Alte nickte Rifada zu. "Kein Angriff gegen die Harmamund, solange wir nicht Beweise haben und Belisetha frei ist. Aber locken wir die Maus ruhig aus ihrem Loch. – Wem traut Ihr, wer wird uns, wird Euch in dieser Sache folgen, wer zürnt den Harmamunds?"
Autor: SteveT
Im ersten Moment wollte Rifada Hesindians Auslegung des Ganzen schon entrüstet zurückweisen - sie wusste doch, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte!
Umso mehr sie aber darüber nachdachte, umso mehr schien es ihr doch denkbar, dass an seinen Vermutungen etwas dran sein könnte. Schließlich hatte sie das Ganze nur aus fünfzig oder sechzig Schritt Entfernung gesehen.
Ihr kam wieder ein uraltes Gerücht aus ihrer eigenen Jugend in den Sinn, das damals in ganz Ragatien und Bosquirien über Aldea von Harmamund, Moreans Mutter, im Schwange gewesen war. Man flüsterte damals, diese hätte zwei junge Maiden aus dem Dorfe Ciragad 'geopfert', indem sie sie Kanishkar, dem gefürchteten Nuranshâr des Wildenstammes der Bân Gassârah auslieferte, damit dieser im Gegenzug einen unheiligen Schamanenzauber über ihre geliebten Stiere sprach, um deren Zeugungskraft zu erhöhen und sie zu wahren Ungetümen von kolossaler Größe heranwachsen zu lassen.
Rifada hatte dieses Gerücht schon damals sofort geglaubt - die Stiere dar Harmamunds waren die größten weit und breit, und erst recht hatte sie es geglaubt, nachdem sie Kanishkar während ihrer Gefangenschaft im Lager von Khenubaal Pascha persönlich begegnet war - einer der furchteinflößendsten Menschen, auf die sie je getroffen war.
Wenn schon die Mutter aus privaten Ambitionen heraus mit einem erklärten Feind der zwölfgöttlichen Lande und Kirchen zusammengearbeitet hatte - genauso wie es ja auch Praiosmin mit ihrem Rakolus oder sogar der kleingeistige Ordonyo di Alina mit seiner Ogerpauke getan hatten - so war dies der durchtriebenen Morena erst recht zuzutrauen, die aus demselben faulen Stamm wie ihre Vorfahren und üblen Verbündeten geschnitzt war.
Der kurze Gedanke an Ordonyo di Alina und sein unheilvolles Artefakt brachte sofort auch wieder die Erinnerungen an die Zeit des Ferkinasturms vor einigen Jahren zurück - und damit auch die an den heiligen Talisman ihrer Familia, dem sie es überhaupt verdankte, dass sie jetzt hier kniete und nicht in Borons Hallen. Griphonis Solaris! Der Gedanke durchzuckte sie wie ein heißer Blitzstrahl - vor lauter Sorge um Belisetha und Richeza hatte sie das heilige Amulett ganz vergessen, das sie ja nach dem Ausglimmen des Feuers aus der Ruine La Dimenzias hatte bergen wollen! Sie musste so schnell wie möglich dorthin zurück, denn der Verlust des Talismans und Insigniums wäre noch unverzeihlicher und schwerwiegender als der eines Angehörigen, da es seit Generationen innerhalb ihrer Familia weitergegeben wurde - eigentlich aber seit ihrer Urahnin Praiana der Gleißenden der Suprema der Heiligen Reichskirche gehörte. Amando würde ihr nie verzeihen, wenn sie ihm den Verlust von Griphonis Solaris berichten musste ...
Sie schüttelte diese Gedanken fort - ihr Schwagervater hatte sie schließlich etwas gefragt: "Ich komme gerade von Talfan von Ragathsquell, der mein leiblicher Vetter ist, wie Ihr wisst. Nun ja, er ist ein dicker Zauderer geworden, würde im Falle eines Falles aber hinter uns stehen - ebenso natürlich die Geschlechter Bosquiriens wie Quirod-Bosquiria, von Sebeloh, Briesach, Wetterwacht - eventuell auch die Junker von Valenca und natürlich das Haus Schlehen aus Valpokrug, die Familia meines verstorbenen Mannes. Auch viele der Hal'schen Neuadligen liegen seit der answinistischen Usurpation mit dem Haus Harmamund über Kreuz, während sie Euch und Richeza größtenteils freundschaftlich verbunden sind. Ich glaube, auch sie würden sich im Fehdefall zumindest neutral verhalten oder im Zweifelsfall eher für uns als für die Harmamunds Partei ergreifen - erst recht, wenn die Umstände von Richezas Ermordung bekannt werden, wird die Empörung unter allen groß sein, die sie persönlich gekannt haben.
Aber ich will nicht von ihr wie von einer Toten sprechen, denn Ihr habt absolut recht, mit dem was Ihr sagt. Ich sah das Ganze nur aus recht großer Entfernung, und es wäre tatsächlich denkbar, dass eine andere Frau oder bloß ein Trugbild an Richezas Statt gehängt wurde. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Harmamunds zu finsterer Magie greifen, wenn Ihr Euch an die sinisteren Umstände von Gwains Flucht aus dem Staatskerker von Al'Muktur oder auch die Sache mit den Zwei Maiden von Ciragad erinnert, von denen Ihr damals gewiss auch gehört haben werdet ..."
Autor: von Scheffelstein
Der alte Herr von Scheffelstein nickte. "Ich werde mich an meinen alten Freund, den Creser wenden und ihn über die aktuellen Entwicklungen informieren. Ihm ist zu trauen. Bleibt zunächst jedoch die Frage, welcher Magus oder welche Maga sich für uns unerkannt nach Harmamund begäbe, um dort mehr über den Verbleib unserer Anverwandten und die Pläne Domna Morenas zu erfahren." Nachdenklich sah Hesindian seinen Gast an. "Meinen Sohn muss ich nicht fragen, er ist weit fort und wäre nur widerwillig zu einer solchen Tat bereit. Ein Lohnmagier? Oder kennt Ihr jemanden, der Euch loyal gegenüber steht und schweigen kann, solange es nötig ist?"
Autor: SteveT
Rifada kratzte sich nachdenklich am Kinn, als wüchse ihr dort ein Bart, was natürlich nicht der Fall war. "Hm, kurz vor unserem Aufbruch nach Quazzano, also knapp bevor Belisetha, Richeza und ich Castillo da Vanya verließen, begehrte dort ein mir unbekannter Magus aus dem Yaquirtal Einlass, der explizit zu Richeza wollte. Er überbrachte ihr eine Nachricht, aus der ich nicht recht schlau wurde. Es ging darin um eine geheime Liebschaft - mutmaßlich vom Absender des Schreibens zu Richeza. Der Magus war wohl nur der Überbringer, nicht der Verfasser der Botschaft - aber Richeza schien über sein Erscheinen nicht eben erfreut zu sein. Er begleitete uns noch ein Stück des Weges - verschwand dann aber schon während unserer ersten Nachtruhe, ohne vorher ein einziges Wort der Verabschiedung ausgesprochen zu haben - und das wohlgemerkt, obwohl er vorgegeben hatte, selbst aus adligem Hause zu sein. Keinen Anstand haben diese Yaquirtaler Laffen! Von Lindenholz meine ich, war der Name seiner Sippschaft. Aber diese Yaquirtaler heißen ja eh alle so verdrechselt wie sie sprechen! Apropos - da sie mit mir nicht darüber sprechen wollte - und da Ihr als ihr Großvater und engster Vertrauter wahrscheinlich mehr wisst oder es früher oder später eh erfahren werdet: Wer ist der elende Mistkerl, der das Kind geschwängert und sich dann aus dem Staub gemacht hat? Der Hund soll mich von meiner schlechtesten Seite kennenlernen!"
Autor: von Scheffelstein
"Lindholz?", fragte der Vogt. "Das Haus von Lindholz ist mir wohlbekannt. Mein Neffe, Dom Nicetos, wurde vor einigen Jahren zum Baron von Artésa ernannt. Und ja, eines seiner Kinder, der Erstgeborene wohl, gehört der Magischen Zunft an. Aber was hat er mit Richeza zu schaffen?" Er runzelte leicht die Stirn, als die weiteren Worte Rifadas in sein Bewusstsein drangen. "Von welchem Kind sprecht Ihr?" Dann aber weiteten sich seine Augen. "Ihr meint Richeza? Von was für einer Liebschaft wisst Ihr? Nicht, dass sie je mit mir über so etwas wie Liebe gesprochen hätte, sie schien mir sich weder für Mann noch Weib erwärmen zu können. Und was heißt hier: geschwängert? Was ist Euch bekannt, was mir, zu meiner Schande muss ich es sagen, bislang unbekannt ist?"
Autor: SteveT
Rifada blickte zur Decke und wiegte den Kopf hin und her. Das hatte ihr noch gefehlt, dass Hesindian offenbar nicht den blassesten Schimmer von Richezas Schwangerschaft hatte, obwohl er sonst ihre nächste Bezugsperson war, noch weit näher als sie selbst. Aber vielleicht war der unbekannte Mistkerl, dem sich das Kind an den Hals geworfen hatte, längst an ihrer beider Stelle getreten? Sie überlegte, ob sie dem alten Mann reinen Wein einschenken sollte. Aber jetzt hatte sie eh schon zu viel gesagt, und wenn Richeza tot war, so hatte er wohl das Recht zu erfahren, dass er Urgroßvater geworden wäre und dass der Fortbestand seiner Familia plötzlich auf neugeborenen Schultern geruht hätte - all dies würde seinen Zorn auf Morena nur weiter anstacheln, die ihm vielleicht eben diese Hoffnung zerstört hatte.
"Ich weiß selber nichts Genaues - deshalb frage ich Euch ja, Schwagervater!", antwortete sie schließlich heiß und kalt - "aber es ist Belisetha wie auch mir aufgefallen, dass Richeza sowohl körperlich wie auch von ihrem Verhalten her verändert war, seit ihren letzten Besuchen bei uns. Und als Weiber, die selber Kinder zur Welt gebracht haben, konnten wir eins und eins zusammenzählen. Nur wer der Schuldige an diesem Umstand ist, in dem sie sich befand, das blieb uns leider unbekannt."
Sie tigerte unruhig ein paar Schritte im Raum auf und ab, auch wenn sie dabei ein Bein leicht nachzog. Offenbar bereitete ihr das Stillsitzen - in jeder Hinsicht - größeres Unbehagen. "Wie also gehen wir vor? Ihr beginnt, Eure Kämpfer zu benachrichtigen, und ich selbst werde wohl auf dem Rückweg nach Bosquiria noch ein paar befreundete Häuser visitieren und sie auf die kommenden Wochen einschwören. Jeder soll sofort all seine Säbel parat haben, wenn aus den Funken ein Brand wird!"
Autor: von Scheffelstein
Doch der Vogt von Königlich Kornhammer schien weder an Funken noch Kämpfern wesentlich interessiert. Stattdessen streckte er die Hand aus und beendete Rifadas Umherschreiten, indem er mit festem Knochengriff ihr Handgelenk umfasste.
"Seid Ihr Euch sicher diesmal? Oder habt Ihr sie wieder nur aus größerer Entfernung gesehen? Und wollt Ihr damit sagen, dass die Frau, die man vom Harmamunder Torturm stieß, ebenfalls ein Kind erwartete?" Die klaren Augen hielten Rifadas Blick so fest wie seine Hand die ihre. "Wenn wahr ist, was Ihr sagt, und falls Richeza lebt, dann eilt es um so mehr, sie zu finden und zu befreien, nicht allein wegen der Gerüchte, sondern vor allem, weil mit ihr dann mehr als nur ein Leben in Gefahr ist! Wir brauchen einen Magier, und das rasch, oder meinethalben auch einen fähigen Einbrecher, der ebenso unsichtbar bleibt in Harmamund."
Autor: SteveT
Die Vanyadalerin zog eine Augenbraue in die Höhe und umfasste ihrerseits mit der freien Hand mit ihrem bekannten Schraubstockgriff Hesindians Handgelenk und löste damit dessen Griff von ihrem anderen Arm. "Oh, das ist leider wahr! Ich habe Richeza ja nicht nur auf Burg Harmamund aus großer Entfernung gesehen, sondern habe schon vorher drei Tage mit ihr in nächster Nähe verbracht. Aber da sie Euch offenbar noch nicht darüber in Kenntnis gesetzt hat, wird sie dies erst zu einem bestimmten Zeitpunkt tun wollen. Gebt Euch also weiter unwissend, bis ihr es aus ihrem eigenen Munde erfahrt. Aber ja, es ist wahr - so sie noch lebt, sind - mit ihr, Belisetha und dem ungeborenen Kind, gleich drei Leben in Gefahr. Was aber einen Magier betrifft, so dürft Ihr mich nicht fragen, denn ich bin eine götterfürchtige Frau, die an die Macht des Himmelsfürsten und der donnernden Leuin glaubt, aber nicht an solche Scharlatane! Der Sohn der Elenterin gilt als ein gefürchteter Zauberer - aber als wir den kleinen Mistkerl im Raschtulswall trafen, konnte er von Glück reden, dass ich ihn nicht zu packen gekriegt habe, denn wenn man nicht an solchen Hokuspokus glaubt, dann kann einen auch niemand verzaubern! Hm, höchstens um eine angebliche Hexe daheim in Selaque weiß ich noch - Udina Krähenfreund, Richeza kennt sie ebenfalls. Aber ich muss leider einem Schwur Folge leisten, sie und ihren Bruder für den Rest ihrer Tage unbehelligt zu lassen. Streuner und Einbrecher kenne ich erst recht keine - habt Ihr etwa mit solchen Leuten zu schaffen?"
Sie marschierte wieder leicht hinkend auf und ab, und es war ihren Gesichtszügen anzusehen, dass es in ihrem Oberstübchen arbeitete. "Moment - was wäre, wenn wir jemand nach Burg Harmamund schicken, der dort freien Zugang hat und vielleicht die Freilassung der Gefangenen durch sein bloßes Wort erwirken kann? Etwa weil er von Morena als Verbündeter angesehen wird oder als deren weisungsbefugte Lehnsherrin?" Ihr Blick wurde entschlossen, als sie konkreter wurde: "Ich denke da zum Beispiel an Hernán von Aranjuez oder an Radia von Franfeld."
Autor: von Scheffelstein
Hesindian strich sich durch den weißen Bart, während er über Rifadas Worte nachdachte. "Udinia Krähenfreud", murmelte er. Natürlich erinnerte er sich an die alte Hagezusse, die man aufs Castillo da Vanya gerufen hatte, als selbst seine Leibmedica Travanca bei Richezas Geburt nicht weiter gewusst hatte. Die Alte war es schließlich gewesen, die seine Schwiegertochter von dem Mädchen entbunden hatte. Eine fähige Heilerin war sie, aber gewiss niemand, die man in eine solch' politische Angelegenheit einbezog.
Ob der umtriebige Aranjuezer der rechte Mann für diese Angelegenheit war, wusste er nicht zu sagen. Er war ein Gefolgsmann des Fürsten, ja, und ein halber Harmamund und neuerdings dem Grafenhaus verbunden, aber Hesindian wusste wohl, dass Richeza vor einigen Jahren mit ihm ein Duell aus zweite Blut ausgetragen hatte, auch wenn ihm bis heute nicht im Einzelnen bekannt war, worum es bei dem Ehrenstreit gegangen war.
Und die Franfelderin? Nach ihrer Hochzeit mit dem Viryamun war es still geworden um die einstmals so ambitionierte Vogtin. Zuletzt hatten sich die Ragather Bürger gar beim Kanzler verschuldet, um sich vom Kredit der Vogtin freizukaufen. Sie hätte gewiss Leute, um sie in Harmamund einzuschleusen, seien es nun Magier oder zwielichtiges Gesindel. Eine Kooperation mit der Franfelderin jedoch war stets, wie einen Handel mit Phex selbst einzugehen – am Ende musste man aufpassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden, denn sie wusste ihre Schulden stets mit Zins und Zinseszins einzutreiben.
Nein, Hesindian bevorzugte die direkte Art.
"Ihr habt Recht", sagte er. "Wir werden die Freilassung Richezas und Belisethas zügig erwirken. Durch jemanden, dessen bloßes Wort genügt. Der Fürst ist dieser Tage nach Ragath aufgebrochen, wie ich hörte, um mit dem Grafen die Vorbereitung des kaiserlichen Hoftags zu besprechen. Ich werde höchstselbst nach Ragath reisen und Fürst und Graf von dieser Angelegenheit in Kenntnis setzen. Gewiss werden sie zu dieser Zeit keine Fehde in Ragatien wünschen, die solche Kreise zöge. Seid also unbesorgt: Eure Tante und Richeza werden alsbald auf freiem Fuße sein, wohlauf und unversehrt. Falls nicht, wird dies ein Trauerspiel fürs Hause Harmamund."
Autor: SteveT
"Der Fürst?",fragte Rifada irritiert und runzelte die Stirn. "Aber der sogenannte 'Fürst' - der nicht mein Fürst ist - gehört doch selber zu dieser Hunderasse! Ihr wollt also einen Harmamund bitten, dass seine Sippschaft unsere beiden Gefangenen herausrückt? Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn und ist zudem vollkommen unwürdig und ehrlos! Und den sogenannten 'Grafen' - ich nehme an, Ihr sprecht von dem zugereisten Tobrier, der sich auf unserem Thron breit gemacht hat? - solltet Ihr erst recht nicht um irgendetwas bitten, sonst glaubt er noch, er trüge seinen Kronreif rechtmäßig, was nicht der Fall ist. Wenn Angehörige der eigenen Familia als Faustpfand in die Hände von Feinden geraten, so muss man diese entweder heraushauen, mit List und Tücke befreien, wie Ihr es zuerst vorgeschlagen habt, oder aber..." Rifadas Gesicht hellte sich auf, als hätte sie gerade einen genialen Einfall gehabt, "... oder aber man nimmt selbst jemanden aus der Sippe der Feinde als Geisel, um diese dann gegen unsere Blutsverwandten auszutauschen!"
Die Vanyadâlerin ließ ihre rechte Faust in die offene linke Hand klatschen. "Ha! Das ist es! Und ich weiß auch schon, wen ich mir von dem Pack greifen werde! Als ich vor Burg Harmamund auf der Lauer lag, verließ eine schwarzverhangene Kalesche das Gemäuer in Richtung La Dimenzia - darin der spindeldürre Bruder Morenas, diese Trauerkrähe Amando! Ich ließ ihn da noch passieren, da ich ja die Burg im Auge behalten musste. Aber wenn es mir gelingt, ihn aufzustöbern und gefangenzunehmen, so wird Morena gezwungen sein, Belisetha und - so die Zwölfe wollen - auch Richeza gegen ihn einzutauschen. Zeigt sie sich aber verstockt, halte ich ihren Bruder im tiefsten Verlies von Castillo da Vanya bei Wasser und Brot gefangen, nötigenfalls bis er verfault. Wenn sie das selbst nicht kümmert - was mich keineswegs wundern würde - so wird ihr doch Gwain als Soberan befehlen, nachzugeben und unsere Gefangenen freizugeben. So haben wir wenigstens unser Gesicht gewahrt und dem Harmamund-Geschmeiß gezeigt, dass wir nicht vor ihnen im Staube kriechen! Den sogenannten 'Grafen' aber halten wir aus inner-almadanischen Sachen schön ganz heraus, denn die gehen ihn als Auswärtigen überhaupt nichts an! Ihr selbst könnt ruhig zum Hoftag reisen - gebt Euch dort nur ganz unwissend in Bezug auf diese ganze Angelegenheit und gebt auf Euch Acht, dass man nicht auch Euch nach dem Leben oder Eurer Freiheit trachtet. Es genügt, wenn Ihr mir zwei bis dreiEurer besten Kriegerinnen mitgebt und um alles Weitere kümmere ich mich schon. Zur Not gehen auch fünf oder sechs Männer."
Autor: von Scheffelstein
Der alte Cronvogt seufzte innerlich. Diese verfluchte almadanische Ehrversessenheit hatte ihn und sein Haus schon manches Mal in Schwierigkeiten gebracht. Nicht etwa, weil er genauso heißblütig wie rachsüchtig wäre wie viele seiner Landsleute. Nein, vielmehr, weil seine Angehörigen - und allen voran seine Enkeltochter Richeza – so wenig vom Wort und so viel vom Blute jener auf ihrer Degenspitze hielten, die sie mit Wort oder Tat geschmäht hatten.
War es Feigheit, wie jene Hitzköpfe sagten, wenn man den Frieden höher schätze als ein Ehrenhändel? Nein, Hesindian hatte sich nie einem Duell entzogen, das an ihn herangetragen worden war. Hatte er nicht sogar einst mit Rifadas Mutter die Klingen gekreuzt, bis sie beide vor Erschöpfung kaum noch die Waffen hatten halten können, nur weil sein Sohn Domna Leonidas Tochter geliebt hatte und diese ihn? Hesindian hatte den Kampf nie gefürchtet, ebenso wenig wie den Tod. Er war ein hervorragender Kämpfer gewesen, als er noch jung gewesen war, aber so recht hatte er nie einsehen wollen, was erstrebenswert daran sein sollte, in einem Ehrduell verwundet oder gar getötet zu werden, wenn man sein Leben auch der Liebe widmen konnte und der Schönheit, die man tagtäglich in den kleinen Dingen fand.
Der wahre Grund jedoch, warum er eine friedliche Lösung dem Kampfe immer vorgezogen hatte, war, dass eine Bluttat stets weitere nach sich zog. Und mehr als einen Tod konnte man selbst nicht sterben. Außer, man liebte. Dann aber war der Tod kein schneller, schmerzloser, sondern ein langer, qualvoller. Denn mit jedem geliebtem Menschen wurde ein Teil der eigenen Seele getötet und das Göttervertrauen ein weiteres Mal auf eine Probe gestellt.
Abermals seufzte der alte Mann im Stillen, als er das finster entschlossene Gesicht der Junkerin betrachtete. Nichts würde sie von ihrem Plan abbringen, so viel war gewiss. Dass schon manches almadanische Adelshaus durch eine Reihe anfangs harmloser wider andere Familias gerichteter Taten zugrunde gegangen war, bekümmerte die Kriegerin wenig und sie darauf hinzuweisen, war verschwendete Zeit und Mühe.
"Also gut", seufzte er schließlich, diesmal hörbar. "Ich werde Euch drei meiner Leute als Bedeckung mitgeben. Als Schutz vor Räubern, Bergbarbaren und wilden Tieren. Schließlich weiß jeder, wie gefährlich es im Winter im Osten Almadas sein kann. Zudem sollt Ihr Stiefel, Mantel, Harnisch und Wegzehrung erhalten, sobald Ihr aufbrecht. Gerne dürft Ihr Vesper mit mir halten und die Nacht hier verbringen, wenn Ihr das wünscht. Ihr seht müde aus, wenn mir das zu sagen erlaubt ist."
Er lächelte leicht und dachte nicht zum ersten Mal an diesem Abend an Domna Rifadas Mutter, die nicht einmal ganz so alt geworden war, wie Rifada jetzt war. Ihr Ziel, den Marmorthron zurückzuerobern, hatte sie nie erreicht. Und so voller Hass und Groll und Zorn war sie gewesen, dass er bezweifelte, dass sie in ihrem Leben Glück empfunden hatte, das nicht aus dem Leid ihrer Feinde erwachsen war. Das Leben nahm einem Vieles: Macht, Besitz, Gesundheit, Freunde und Geliebte. Aber allein die Götter wussten, warum manche Menschen beim Anblick der Scherben nur die Risse sahen und Hass empfanden, während jene, die sich der Liebe verschrieben hatten, in jeder Scherbe ein neues Ganzes erblickten.
Später am selben Abend
Autor: von Scheffelstein
Die Nacht hatte sich bereits über die Burg gelegt, und sein Gast sich nach langem Ritt zur Ruhe begeben, da saß der alte Cronvogt von Königlich Kornhammer an seinem Schreibtisch und pfiff auf die Ehre, der Liebe wegen.
Mit seiner kleinen, sauberen Handschrift, die mit den Jahren ein wenig an Kraft verloren hatte, schrieb er:
Scheffelstein, am 6. Tsa im 1036. Jahre nach dem Fall Bosparans
Euer Durchlaucht,
es besteht Grund zu der Annahme, dass Eure Nichte, Morena die Jüngere von Harmamund, die Domnas Belisetha da Vanya sowie meine Großtochter, Richeza von Scheffelstein, gefangen hält. Um einem Wiederaufflammen der Fehde zwischen Eurem Hause und dem der da Vanyas und einer Ausweitung derselben auf die gesamte Grafschaft entgegenzuwirken, bitte ich ergebenst um die sofortige Freilassung der Domnas.
gezeichnet und gesiegelt
Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein
Cronvogt von Königlich Kornhammer
Junker von Scheffelstein
Dann rollte er das Papier zusammen, siegelte es und steckte es in ein Taubenröhrchen. Er legte es auf dem Tisch ab und schrieb weitere Briefe an ausgewählte Magnaten, in denen er freundlich darum bat, Erkundigungen einzuholen, ob an den Gerüchten, Morena habe Belisetha da Vanya und seine eigene Großtochter gefangen gesetzt, etwas Wahres sei. Darüber hinaus berichtete er vom Brand auf La Dimenzia und bat die Magnaten auch hier um Unterstützung bei der Aufklärung der Ursache.
Dass er von der Gefangenschaft Richezas und Belisethas überzeugt sei und den Fürsten bereits informiert und um Freilassung der Domnas gebeten habe, schrieb er nur Dreien: Seinem Bruder Federigo, seinem alten Freund Danilo Caerdonnati von Cres und seinem Nachbarn und Richezas Freund Boraccio D'Altea. Alle anderen sollten möglichst unvoreingenommen an die Angelegenheit herangehen, um so größer wäre der Nutzen, den er im Falle einer Fehde oder gar eines Gerichtsverfahrens aus ihren Ermittlungen würde ziehen können.
Hesindian ahnte nicht, wie gut ihn seine Enkeltochter kannte: Noch in derselben Nacht flogen die besten Tauben aus Flogglonder Zucht in alle Winde.
|