Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 27
Mark Ragathsquell, 6. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Burg Harmamund, abends[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
"Richeza! Wach auf!", rief Belisetha da Vanya vom Fenster ihres wenig gastlichen Turmgefägnisses aus ihrer Großnichte zu, die auf ihrem Lager den ganzen Tag zu verschlafen drohte und dafür dann nur wieder bis spät in die Nacht in der Kammer auf und ab schreiten würde, dabei wenig damenhafte Verwünschungen gegen Morena von Harmamund ausstoßend, oder dann und wann mit der Faust laut gegen die stabile Eichentür hämmernd, wenn Belisetha eigentlich zu schlafen gedachte.
"Drunten ist wieder der finstere Kerl angekommen, der dir auf La Dimenzia den Degen an die Kehle gesetzt hat. Domna Morena ist auch im Hof - sie reden!", berichtete die alte Frau, was sich drunten im Burghof zutrug. Dieser war das Einzige, was man von ihrem Zellenfenster aus einsehen konnte.
"Es kam eine Taube aus Punin, Euer Wohlgeboren!", berichtete Giordan Cronbiegler seiner Dienstherrin und überreichte Morena einen kleinen zusammengerollten Zettel. Diese nahm ihn nickend entgegen - gewiss die Antwort ihres Oheims, des Fürsten, dem sie die Verbringung von Belisetha da Vanya auf die Stammburg des Hauses mitgeteilt hatte, ebenso wie den Inhalt des Schreiben des Großinquistors. Dass sie die Überbringerin dieses Schreibens - Domna Richeza - auch gleich in Gewahrsam genommen hatte, war dagegen unausgesprochen geblieben. Gwain hatte ganz andere Sorgen, und die kleine Kebse war eh unwichtig. Niemand würde ihr Verschwinden bemerken - außer Rifada da Vanya, die sie damit totsicher heranlockte und so endlich in ihre Finger bekam.
"Werte Nichte, " entzifferte sie die schwer lesbare Sauklaue des Fürsten: "Es war eine edle Tat von Euch, die verletzte Domna Belisetha nach jenem grässlichen Klosterbrand auf unsere Burg in Sicherheit zu bringen und sie dort bis zu ihrer hoffentlich vollständigen Genesung zu beherbergen. Meine besten Wünsche an Domna Belisetha! Auf dass sie bald gesunden möge! Der Dank der da Vanyas für diese großmütige Tat wird dir sicher sein. Nichtsdestotrotz ist dem Wunsch meines alten Weggefährtens Amando Laconda Folge zu leisten - wenn er die Heimkehr seiner Schwester wünscht, so verbringe sie liegend in einer eskortierten Pferdesänfte nach Castillo Quazzano. Alles Weitere mögen wir auf dem Hoftag zu Ragath besprechen - bereite unser Stadthaus für Gäste vor!"
Domna Morena verdrehte die Augen und zerriss die ohnehin winzig kleine Botschaft in noch viel kleinere Schnipsel. "Schlechte Kunde?", fragte Giordan Cronbiegler neugierig. "Keineswegs!", schüttelte Morena den Kopf, die nicht vor hatte, der Order ihres Oheims nachzukommen, solange ihre eigenen Pläne nicht aufgegangen waren.
"Ich bringe dafür welche aus Grioli", entgegnete der Ragather Patriziersohn, der Morena in den letzten drei Jahren zu einem nützlichen Handlanger geworden war, da er Befehle ohne großes Nachfragen ausführte. "Eure Eigenhörigen dort haben einen großen Trupp bewaffneten Kriegsvolks vorbeiziehen sehen! Zwischen zwanzig und dreißig Mann, alle mit Schwertern und Partisanen bewaffnet. Und der junge Ragathsquell führt sie an! Sie sind nach Quazzano gezogen und halten sich dort verborgen."
"Der junge Ragathsquell? Du meinst den kleinen Sohn vom Säufer Talfan?"
Giordan Cronbiegler nickte: "So sagen es zumindest die Hörigen!"
Morena pfiff durch die Zähne. Mit Gegenwind aus dieser Richtung hatte sie nicht gerechnet - aber natürlich, der alte Talfan und die verfluchte Rifada waren Vetter und Base. Er hatte es schon zu Lebzeiten ihrer Mutter auf die saftigen Stierweiden der Harmamunds für seine jämmerlichen Schafe und Ziegen abgesehen gehabt, während ihm Aldea einmal seine geliebten Weinberge abgefackelt hatte, als einer ihrer Lieblingsstiere über Nacht von der Weide verschwunden war. Man konnte den Ragathsquellern damals zwar nichts nachweisen, aber es war nur zu gut möglich, dass sie sich nun wieder mit den Da Vanyas verbrüderten, um alte Zwistigkeiten zu rächen.
"Reite zurück nach Grioli!", befahl sie Giordan. "Sieben weitere Reiter sollen dich begleiten! Haltet euch dort verborgen, bis sie wieder aus Quazzano herauskommen. Wenn es soweit ist - attackiert blitzartig den Anführer und zieht euch dann sofort wieder zurück. Der alte Talfan liebt seinen Sohn über alles - mir scheint, er braucht eine kleine Erinnerung, mit wem er sich anlegt!"
Autor: von Scheffelstein
Richeza von Scheffelstein y da Vanya war ans Fenster neben ihre Großtante getreten und betrachtete die Harmamund und ihren Schergen düster. Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Hand über den Hals, an dem der Schnitt verheilte, an dem aber ein hässlicher blauer Bluterguss prangte, wo der Strick sie gedrosselt hatte. Sie hatte der alten Belisetha nicht erzählt, was Morena ihr angetan hatte.
Einen Tag lang hatte die verfluchte Harmamund sie im Kerker darben lassen, ehe sie sie zurück in Belisethas Kemenate hatte bringen lassen. Belisetha hatte berichtet, in der Zwischenzeit Besuch von ihrer Gastgeberin gehabt zu haben. Morena habe Braten und Wein auffahren lassen, sich nach Belisethas Wohlergehen erkundigt und ihr freundlich Fragen zur Familiengeschichte gestellt.
"Stell dir vor", hatte sie Richeza erzählt, "sie wollte alles über ihre Urgroßmutter, meine Tante Ahumeda wissen." Richeza wusste nicht, welches Spiel die Harmamund spielte, aber die Mutmaßung Belisethas, Domna Morena könne vielleicht heimlich doch eine Annäherung an das Haus da Vanya wünschen, teilte sie nicht im Mindesten.
Ob man ihr weh getan habe, hatte Belisetha erschrocken gefragt, als sie irgendwann die hässlichen Marken an Richezas Hals entdeckt hatte. "Das kann man wohl sagen", hatte Richeza geknurrt, und dann hatte sie sich für den Rest des Abends auf die Bettstatt gelegt und sich die Decke über den Kopf gezogen. Als sie in der Nacht erwacht war, hatte der Zorn sie übermannt, sie hatte getobt und die Harmamund aufs Übelste verwünscht. Aber was half das? Also hatte sie sich wieder hingelegt, um zu schlafen und zu vergessen.
Jetzt starrte sie hinaus in die zunehmende Dunkelheit und fragte sich, worauf sie hoffen sollte. Verzweiflung und Wut hatten sich abgewechselt, jetzt aber waren beide verschwunden und hatten einer harten Entschlossenheit Platz gemacht, hervorgerufen durch die seltenen zarten Bewegungen, die sie in ihrem Leib mehr ahnte als spürte. Belisetha hatte Recht: Vielleicht war dies das letzte Kind, das sie bekäme. Und auch, wenn es keinen Vater haben würde, so würde es doch eine Mutter haben, dazu hatte Richeza sich entschlossen. Vielleicht würde all ihr Elend erst dann ein Ende haben, wenn sie sich ihrer Schuld stellte. Sie würde kämpfen für dieses Kind. Nur wie?
Unter anderen Umständen hätte Richeza ihr Leben geringer geschätzt und es aufs Spiel gesetzt. Sie hätte sich den Weg aus der Burg mit der Klinge in der Hand frei gekämpft oder hätte aus den Laken ein Seil geknüpft und versucht, an der Burgwand herunter zu klettern. Irgend so etwas. Das kam nicht infrage, und das Warten und Bangen war es, was Richeza am meisten hasste. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten. Sie zweifelte nicht daran, dass Rifada versuchen würde, sie zu befreien. Aber was sollte ihr Tante schon ausrichten gegen die dicken Mauern von Harmamund? Vielleicht würde sie Verbündete suchen? Aber welche Verbündete hatte das Haus da Vanya noch? Vielleicht die Ragathsqueller, vielleicht Richezas eigenen Großvater. Ja, insgeheim hoffte Richeza, ihre Tante werde ihrem Großvater Bescheid geben. Der würde zwar eher nicht mit einem Heer vor der Burg auftauchen, um Rache zu nehmen. Aber er hatte als altgedienter Cronvogt, der es verstanden hatte, zeitlebens die Fehden von seinem Haus fern zu halten, mehr Freunde als Feinde und manchen Magnaten, der ihm noch einen Gefallen schuldig war. Was würde Großvater tun? Richeza nagte an ihrer Unterlippe und sah hinaus auf den verschneiten und von Fackeln erleuchteten Hof. Diplomat, der er war, würde ihr Großvater versuchen, den effizientesten Weg zu wählen, auf dem er sie schnellstmöglich und ohne ihr Leben zu riskieren, frei bekäme. Höchstwahrscheinlich würde er dem Fürsten selbst eine Blitztaube schicken und ihn auffordern, als Soberan der Harmamunds ihre Freilassung zu erwirken. Da dies aber aus Sicht vieler Almadaner ehrlos wäre, würde er sich absichern, um Druck auf den Fürsten auszuüben.
Es war also davon auszugehen, dass zumindest diverse Verbündete, Freunde und Verwandte Hesindians in Kürze von der Angelegenheit erfahren würden. Gewiss der verrückte Creser Elf, höchstwahrscheinlich Dom Boraccio, sicherlich Hesindians eigener Bruder, der Ragather Kämmerer Federigo von Kornhammer-Scheffelstein, möglicherweise auch der Landständesprecher Alrik de Braast y Braast oder der alte Álvaro von Franfeld sowie jede Familie, mit der man irgendwie verwandt, verschwägert oder verheiratet war, also die Familia Falcomar di Rastino, die Familia von Lindholz, der alte Sforigan, vielleicht irgendwelche Rebenthals, falls da noch wer lebte, dann die Familia di Dalias. Weitere Beziehungen bestanden zu Thallian Damotil zu Simancas, zu dem dubianer Zweig des Hauses Lacara, dem Haus Valkendâhl und sogar mit den Franfeldern war man irgendwann mal irgendwie verbandelt gewesen. Und neuerdings war Richezas Vetter Lerondo von Kornhammer gerüchteweise irgendwie mit irgendeiner Aranjuez verlobt oder so was Ähnliches, auch wenn das in dieser Angelegenheit eine heikle Geschichte war.
Sollte Richeza in irgendeiner Weise zu Schaden kommen, hätte der Fürst ein ernstzunehmendes Problem in Almada. Und darüber hinaus. Schließlich hatte Hesindian stets hervorragende Beziehungen ins Horasreich gepflegt, und mehrere seiner Enkel waren mit Liebfeldern vermählt. Die Familie Solivino, das Haus Dorén und nicht zuletzt das ausgesprochen einflussreiche Haus Sirensteen fielen Richeza ein.
Und dann gab es noch Beziehungen nach Torbien, vor allem aber Garetien, ja nach Gareth selbst.
Aber durfte sich Richeza darauf verlassen, dass Morena ihrem Onkel Gehorsam leisten würde? Was, wenn sie es auf ein Zerwürfnis mit ihrem Onkel ankommen ließe, um ihr eigenes Spiel zu spielen? Was, wenn ihr die Rache wichtiger war als der Ruf des Fürsten, als der Fürstenthron selbst? Richeza wollte kein Opferstein in diesem Garadan-Spiel sein. Vielleicht war ja genau dies Morenas Wunsch: dass Almada in Flammen aufginge? Wer konnte das schon wissen? Hieß es nicht, ihre Mutter, Aldea von Harmamund sei eine frevlerische Götzendienerin gewesen? Was, wenn auch Morena den Pfad der Zwölfe längst verlassen hatte?
Richeza schob sich den Daumennagel in den Mund und ließ nachdenklich die Zähne darüber hinweg gleiten. Sie musste hier raus, und das so rasch wie möglich, ehe Morena Wind davon bekäme, dass sie nicht nur zwei da Vanyas, sondern gar ein zukünftiges Mitglied dieses Hauses gefangen hatte.
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