Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 32
Wie Pribaldo Tracodi sich zur Rahjastunde große Verdienste um die Familia Vivar erwarb.
Baronie Taubental, 3. Travia 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
In der Villa Azucena (2. Rahjastunde)[Quelltext bearbeiten]
Autor: dalias
Pribaldo Tracodi schlang sich in einen dunklen Umhang und eilte mit einer Ledermappe unter dem Arm aus dem Gasthof „Zur Goldenen Rose“ über den Platz mit der ausgelassen feiernden Menge zur Villa Azucena der Familia Vivar. Er nahm einen der schweren bronzenen Türklopfer und ließ den Ring auf das Tor sausen. Es dröhnte. Señor Tracodi hoffte inständig, dass die Familia Vivar einen treuen Diener hatte, der Heim und Gut hütete, während auf dem Platz Wogen rahjanischer Freuden brandeten und den gesunden Sinn der Menschen in die dunkle Tiefe orgastischer Gelüste sog. Er pochte erneut. Señor Tracodi hoffte des weiteren, dass die Familia Vivar einen Diener hatte, dessen Ohren scharf genug waren, das Pochen an der Pforte zu hören, während auf dem Platz die Feiernden frivole Lieder sangen, Wein lauthals anpriesen und vor Erregung jedem Latz und jedem Rock hinterher johlten. Er ließ erneut den bronzenen Türklopfer herab sausen. Señor Tracodi hoffte zum Dritten, dass, wenn sich eine treue und mit gutem Gehör ausgestattete Dienerseele in diesem ansehnlichen Anwesen befand, selbige auch wach war oder zumindest von getreuer Pflichterfüllung beseelt just jetzt im richtigen Augenblick erwachen und von der Intuition eines guten Dieners getrieben zur Hauptpforte geleitet würde, wo er, Pribaldo Tracodi, stand und nun zum vierten Mal klopfte. Doch, nichts geschah.
Es war hoffnungslos. Pribaldo Tracodi wandte sich vom Portal ab. Letztlich war es die eigene Schuld des Barons im Taubental, sich in die Untiefen dieses levthanischen Treibens und Jagens zu werfen. Wer sich in die Levathansfalle begibt, kommt nicht selten durch den Dolch einer Hure respektive eines Zuhälters oder durch valpotösen Weingenuss um. Sollte er aber nun hier an dieser Pforte scheitern, wäre sein Herr, Lodovico di Dalias, wenn, ja falls er nüchtern würde, ausgesprochen ungehalten. Davon war auszugehen. Von Domna Yppolita di Dalias y las Dardas ganz zu schweigen. Sein Onkel, Alvaro Manticco, hatte große Pläne mit dieser aus recht grobem Garn gestrickten Caballera und ihrem enigmatischen und leicht vertrottelten Bruder. Wenn es ihm gelänge, die Gunst dieser Caballera zu erwerben, könnte er wieder von hier wegkommen. Weg vom Gut Vivar, weg aus der Waldwacht, vielleicht nach Ratzingen, wo richtige Menschen, sprich: Yaquirtaler, lebten und arbeiteten. Er könnte Syndicus der Marktes Ratzingen werden oder Secretarius des Junkers von Dalias oder des Praiosstifts Santa Ucuria und San Lumino. Dafür aber musste er diese Aufgabe erfolgreich erfüllen. Mit einem erschöpften Seufzer wandte er sich von der tobenden und viehischen Menge ab und dem Portal zu. In einem Akt schierer Verzweiflung klopfte er erneut…
Das Portal der Villa knarrte und schob sich auf. Der zeternde Kopf einer Greisin schob sich hervor. „Verfluchte Lausebengel! Is‘ doch nich‘ Phexensnecken! Was pocht und klopft es denn! Häh, wer will was? Euch Bengeln, werd‘ ich einen Satz heißer Ohren… Ach, wer bist du? Was äh suchst du?“ Die greise Dienerin blickte Pribaldo Tracodi mit großen Augen an. Derselbe beschloss alles auf eine Karte zu setzen und schob einen Fuß in die Tür. Sichtlich erregt setzte Pribaldo zu einer Erklärung an: „Gute Frau, die Göt… äh, ja äh… Praios… ähm, vielleicht Rahja oder die Zwölf zum Gruße, gute… Frau, ja, Frau. Ich bin… meine Name ist Pribaldo Tracodi, ja genau… mein Herr ist … ist der ehrenwerte, nun ja“, Señor Tracodi konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, „der höchst ehrenfeste und valpofromme Administrador des Gutes Vivar, Lodovico di Dalias, ja genau, das ist mein Herr.“
Mürrisch blickte ihn die alte Dienerin an: „Du kommst wohl, um die Schulden Deines Herrn zu bezahlen? Nun, Administrador Dom Lodovico schuldet mir seit dreieinhalb Jahren, nein genauer seit drei Götterläufen, sieben Monden und fünf Tagen den Betrag von exakt… lass mich nicht lügen, zwei Dukaten, drei Silbertalern und exakt neun Kreuzern.“
Versonnen lächelnd blickte Pribaldo Tracodi die alte Dienerin an und schenkte ihr ein verständnisvolles Kopfnicken. Diese Frau war eine Gabe Alverans. Die Götter hatten ein Einsehen und ihm dieses treue und präzise rechnende Herz geschickt.
„Nun, nicht jetzt. Aber ich werde… seid dessen gewiss, ich werde deswegen zu Euch kommen, werden, werden. Aber nun“, Pribaldo Tracodi schob sich und die Alte durch das Portal und zog es hinter sich zu, „nun gilt es, Wichtigeres zu tun.“
„Wichtiger als meine zwei Dukaten, drei Silbertaler und neun Kreuzer? Seit mehr als dreieinhalb Götterläufen. Pah, wichtiger…“ Ungläubig blickte die greise Dienerin den Sekretär an.
„Guter Mann, äh, äh nein, gute Frau, ich muss im Namen meines werten und ehrwürdigen Herrn mitteilen, dass, nun, vielleicht setzt Ihr Euch, oder nein, besser nicht, oder… dass, dass auf Seine Hochgeboren León de Vivar, Baron im Trauben…äh im Taubental, Junker von Vivar etc. pp. ein feiger Giftanschlag verübt wurde… Der Baron, Seine Hochgeboren sind… nun ja… de facto wohl tot. Oder fast. Die Medici und Geweihten und Noblen ringen um seinen Tod… äh sein Leben… Aber wir wissen aus unserer Erfahrung ja, wie so etwas auszugehen pflegt… nicht wahr? – Mein Herr, nein, seine Cousine, also eigentlich de facto mein Herr… wenn auch weiblicher, äh ja… jedenfalls wurde mir, Secretarius Pribaldo Tracodi, aufgetragen, Nachrichten zu Papier, ja genau, zu bringen, also Briefe zu schreiben, an Bruder und Mutter des Verschiedenen… äh, Vergifteten… äh, des mit dem Tode ringenden Herrn… Habt Ihr Brieftauben hier? – Mit denen wir, also nicht wir, sondern die Trauben, äh die Tauben, also Ihr wisst schon, diese Nachrichten äh… schnellstens nach Inostal und Punin expedieren könnten… ja, genau.“
Skeptisch blickte die greise Dienerin zu Pribaldo Tracodi auf: „Hochgeboren liegt auf dem Sterbebett… wie? – Bist du dir sicher, Herr Tracodi? – Ich will keine Tragödie in Punin auslösen. Die Mutter Seiner Hochgeboren ist so eine schöne und gute Frau. Man stelle sich den Schreck vor, wenn sie diese Nachricht erhält – der eigene Sohn. Nicht auszumalen. Dies ist kein Komplott? Kein Scherz?“
„Nein“, Pribaldo Tracodi wog gravitätisch sein Haupt, „es ist leider die lautere Wahrheit. Der Administrador von Vivar will Gut und Besitzungen der Familia Vivar gesichert wissen, damit der Erbe… also der voraussichtliche Erbe, Wohlgeboren Dom Amando zu Inostal, ungeschmälert in den Genieß des Erbes kommen kann. Als Administrador von Vivar kann mein Herr nicht anders handeln. Ähnliche Fälle aus dem achten und neunten Jahrhundert in der Vivarschen Familienhistorie geben diesem… äh, Vorgehen meines Herrn des Administradors durch Präzedenz Gewicht und Recht, ja genau. Mein Herr wünscht, dass die äh… persönlichen Gemächer und Truhen mit Wertbesitz versiegelt werden, damit äh… damit äh… damit nichts durch untreue Dienerhand abhandenkommt, nicht wahr?“
Bestätigend nickte die greise Dienerin zu den Worten des Sekretärs. „Jetzt verstehen wir uns, Herr Tracodi, jetzt sprichst du meine Sprache. Komm, folge mir!“
Auf langen und verschlungenen Pfaden führte die alte Dienerin Pribaldo Tracodi durch das Anwesen. Wie jeder erfahrene Hofmeister wusste auch Pribaldos Führerin durch einen geschickt gewählten Weg die zurückgelegten Distanzen zu verlängern, die Wege weiter erscheinen zu lassen und dadurch Haus und Familia umso mehr den Anschein von Größe zu geben. Unterwegs machten sie an den Gemächern der Diener halt. Nach langem Suchen fanden sie einen, der sich auf die Brieftauben verstand. Diesem händigte Pribaldo Tracodi die vorbereiteten Schreiben an Punin und Inostal aus, die sich in seiner Ledermappe befanden. Mit den ungeöffneten Briefen in der Hand eilte der Diener los zu den Taubenschlägen.
Pribaldo Tracodi aber und seine greise Führerin setzten ihren Weg zu den Gemächern Dom Leóns fort. Gemeinsam mit einem Kammerdiener Dom Leóns versiegelten sie mit einem barönlichen Petschaft Truhen und Türen, ehe sie die barönlichen Petschafte und Siegelringe wegschlossen. Pribaldo Tracodi beschloss nach getaner Arbeit in der Villa Azucena zu verbleiben und dem weiteren Gang der Geschehnisse zu harren. Darüber schlummerte er zur mitternächtlichen Praiosstunde selig ein.
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