Chronik.Ereignis1033 Feldzug Transbosquirien 03
In Zul'Djerim, 15. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Castillo Blutfels[Quelltext bearbeiten]
15. Rondra, mittags[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
Im einen Moment stand er noch im Schlafgemach seines Vaters, im nächsten im sonnenglühenden Burghof der Feste Blutfels. Wachsam blickte Aureolus sich um, drehte sich, den Stab mit beiden Händen vor sich haltend, in alle Richtungen. Doch falls der Dämon, dem er in dem Sphärentunnel jenseits der Dunklen Pforte am Fuße der Trauerklippen begegnet war, noch dort war, konnte er den Tunnel entweder nicht verlassen oder aber, er hatte Aureolus bei dessen kurzer Reise durch den Limbus nicht bemerkt.
Aureolus atmete erleichtert auf. Er würde seine Kräfte noch brauchen bei der Auseinandersetzung, die ihm mit Mordaza Maraneta bevorstand. Diesmal würde sie ihn nicht demütigen! Diesmal trat er ihr gegenüber als seines Vaters Sohn und Erbe. Die bitteren Lehrjahre waren vorbei! Er brauchte sie nicht mehr.
Aureolus blickte zu den rußgeschwärzten und vom Efeu zersetzten Mauern empor. Das Castillo verfiel mehr und mehr, kein Wunder, hatte doch seine einzige Bewohnerin genug damit zu tun, ihren eigenen Verfall aufzuhalten. Aureolus lächelte dünn. Er hatte die Mittagsstunde gewählt, die Mordaza hasste. Sie würde schlafen und nicht auf seine Ankunft vorbereitet sein.
Noch einmal atmete Aureolus die warme Luft ein, spürte der Sonne und dem Wind auf seiner Haut nach, dann atmete er geräuschvoll aus, straffte sich und schritt gemessen durch die leere Türöffnung in den Turm, in dem Mordaza ihr Schlafgemach hatte. Eine steile Wendeltreppe ging es hinauf und durch eine niedrige Tür in ein unordentliches Vorzimmer. Kleider und Schuhe lagen in mehreren Haufen auf dem Boden zwischen Schüsseln und Tellern mit verschimmelten Essensresten, abgenagten Knochen und zerbrochenen Weinkrügen. Leere Kisten stapelten sich auf umgestürzten Hockern, an der Wand lehnte ein Wagenrad, dem mehrere Speichen fehlten, und zwischen zerknülltem Papier und Glasscherben lag ein aufgeschlitztes Daunenkissen in einer Pfütze unidentifizierbarer, zäh-brauner Flüssigkeit.
Angewidert suchte der junge Zauberer sich seinen Weg zu der Eichentür am jenseitigen Ende des Raumes. Bei jedem seiner Schritte wirbelten Gänsefedern und Staub vom Boden auf. Kurz verharrte Aureolus vor der Tür, eine Hand dicht über dem Türknauf, dann öffnete er, seinen Stab vor sich haltend. Verwesungsgestank schlug ihm entgegen.
Wie vermutet, lag Mordaza Maraneta auf ihrem Bett, nackt und schön, wenn er von den Hörnern absah, die aus ihrer Stirn wuchsen. Neben dem Bett lag ein abgemagerter Hund an einer Kette, der aufsprang, als Aureolus den Raum betrat, und sofort zu bellen anfing, tief und heiser. Er riss an der Kette, aber die war zu kurz, als dass der Hund Aureolus hätte gefährlich werden können.
Mordaza schreckte hoch, griff nach dem Zauberstab mit dem blutroten Kristall neben dem Bett, und funkelte Aureolus böse an, als sie ihn erkannte. "Du!"
Aureolus sah ihr ungerührt in die rotschwarz funkelnden Augen, ignorierte ihre Nacktheit, als sie aufstand und festigte seinen Geist gegen Angriffe.
"Was machst du hier?", zischte sie. Mit jeder ihrer Bewegungen wurde der Gestank im Raum unerträglicher.
Dennoch zwang er sich zu einem Lächeln, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ins Schlafgemach eines Dämons in Frauengestalt zu spazieren. "Habt Ihr mich etwa nicht zurückerwartet?", fragte er scheinheilig und schüttelte leicht den Kopf. "Bedauerlich. Ich hatte geglaubt, Ihr könntet meine Rückkehr kaum erwarten." Er ließ ihr keine Gelegenheit, etwas zu antworten oder mit ihren bösartigen Spielchen zu beginnen und hob die Hand. "Ich habe etwas für Euch."
Gier blitzte in ihren Augen. "Die Formel?"
Aureolus zog mehrere umeinander gerollte Pergamentbögen aus dem Ärmel seiner Robe und hielt sie Mordaza hin. Der Hund bellte noch immer. Mordaza versetzte ihm einen Schlag mit ihrem Stab und griff nach der Rolle. Ihre krallenartigen Fingernägel kratzten über das Pergament, als sie die Bögen entrollte. Der Hund kauerte sich wimmernd an der Wand zusammen und leckte sein Bein.
Mordazas Augen flogen über das Schriftstück, dann bohrten sie sich in Aureolus Gesicht wie glühende Dolche. "Was-ist-das?", fauchte sie.
"Die Thesis, die Ihr sucht. Tempus stasis", erklärte Aureolus ruhig.
Wütend wedelte Mordaza mit dem Pergament vor seinem Gesicht herum. "Elfisches Gekritzel! Was soll ich damit anfangen?"
Aureolus zuckte die Schultern. "Natürlich ist es elfisch. Habt Ihr vergessen, dass mein Vater ein Elf war, ein halber zumindest?"
"Das ist nicht Rakolus' Handschrift!" Mordaza kam drohend näher, den scharfkantigen Kristall am Ende ihres Stabes auf Aureolus gerichtet. "Das hast du geschrieben."
Aureolus hob seinen eigenen Zauberstab, um sie auf Distanz zu halten. "Die Aufzeichnungen meines Vaters waren in keinem Zustand, in dem sie einen Transport hierher überstanden hätten. Ich musste sie kopieren, bevor sie zerfallen wären. Aber seid versichert: Ich habe die Zeichen Schnörkel für Schnörkel gewissenhaft so kopiert, wie ich sie vorgefunden habe." Zumindest Letzteres war nicht gelogen. "Ihr braucht also nur einen Übersetzer, falls Ihr selbst kein Isdira oder Asdharia beherrscht."
"Du wirst für mich übersetzen. Und wehe, du versuchst mich zu hintergehen!"
Aureolus musste zunehmend Kraft aufbringen, um ihren Stab mit dem seinen von seiner Kehle fernzuhalten. "Ich spreche kein Asdharia", sagte er. "Und Isidra nicht gut genug." Er sah, dass sie ihm nicht glaubte, auch wenn er diesmal die Wahrheit sprach. Es wurde Zeit für ihn, sie zu verlassen. "Ich habe mein Versprechen gehalten. Mein Blut!", forderte er.
"Ha!" Mordaza fletschte die Zähne. "Das könnte dir so passen, was? Du kannst mir nicht beweisen, dass dies die gesuchte Thesis ist! Dein Auftrag ist nicht beendet. Langsam", fügte sie gedehnt hinzu, "verliere ich die Geduld mit dir."
"Ein Dienst für einen Dienst ...", setzte Aureolus an, doch da schnellte ihre Hand vor, wieder, als säße sie nicht am Ende ihres schlanken Armes, sondern als handele es sich bei diesem um einen gelenklosen Tentakel, und sie griff nach seinem Hals. Aureolus stolperte rückwärts und konnte gerade noch den Stab hochziehen, und ihre Finger schlossen sich um das Holz, statt um seine Kehle.
"Mein Blut!", stieß er hervor und erwiderte ihren zornigen Blick ebenso wütend. "Gebt mir mein Blut zurück!" Er hieb mit dem Stab nach ihr, doch sie hielt diesen noch immer in ihren Krallen – fast hätte sie ihn Aureolus aus der Hand gerissen. Bei allen Niederhöllen, was hatte die Frau für eine Kraft! 'Keine Frau', dachte er, '– ein Dämon!'
"Imperavi!", zischte er. "Gebt mir die Phiole mit meinem Blut!"
Ihr Blick veränderte sich. Ein infernalisches, bösartiges Kreischen entrang sich ihrer Kehle. Sie ließ seinen Stab los, und ihre Linke hob sich an ihre bloße Brust, langsam, als wehre sich ihr Wille gegen ihre Hand, die ihr nicht gehorchte. Entsetzt starrte Aureolus auf ihre Finger, die knapp unter der rechten Brust in ihr Fleisch fuhren, als seien Haut und Muskeln unter dem Rippenbogen weich wie der Leib einer Schnecke oder eines Wurmes. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als sie ihre Hand zurückzog, die Wunde schloss sich, und kaum mehr als ein dünner Blutfaden zeugte davon, dass sie in ihren Körper gegriffen und ihn verletzt hatte.
Mit mordlüsternem Blick streckte Mordaza dem jungen Zauberer eine gläserne Phiole entgegen, die schleimig und verschmiert war und eine rote Flüssigkeit enthielt. Sein Blut! Dort, wo er es niemals vermutet, niemals gesucht, niemals gefunden hätte!
Aureolus riss Mordaza das Fläschchen aus der Hand, bemüht, sie so wenig wie möglich zu berühren. Kaum aber hatte er das Gefäß an sich genommen, als Mordaza fauchend vorwärts sprang, um ihn zu packen. Aureolus machte einen Satz zurück und schlug, Phiole und Stab fest umklammernd, die Arme vor der Brust zusammen. Mordazas Fingernägel fuhren durch sein Gesicht und zerrissen die Robe.
"TRANSVERSALIS!", schrie er panisch –
– und prallte rückwärts gegen den Schrank in der Wohnstube seines Vaters. Er hörte Weinkrüge und Silberbecher umfallen, Kerzen und Schalen durcheinander rollen, und neben ihm fiel der Schlüssel aus der Schranktür zu Boden.
Aureolus stieß sich vom Schrank ab und ließ sich mit wild klopfendem Herzen in einen Sessel fallen, wartete, wartete, wartete angespannt, aber Mordaza folgte ihm nicht, konnte ihm nicht folgen, da sie nie hier gewesen war.
"Götter!", murmelte er verstört, was er schon lange nicht mehr getan hatte, und legte mit zitternder Hand den Stab zu Boden. Mordaza war noch viel schrecklicher, verdorbener und an die Höllen verlorener, als er geglaubt hatte! Er hatte sich soeben eine Feindin gemacht, mit der nicht im Mindesten zu Spaßen war! Niemals mehr durfte er nach Blutfels zurückkehren, und es blieb zu befürchten, dass sie alles daran setzen würde, ihn zu töten oder ihm und denen, die ihm am Herzen lagen, zu schaden.
Vorsichtig stellte Aureolus die Phiole auf dem Tischchen ab und entfachte ein Feuer im Kamin. Er starrte in die Flammen, die an dem Holz empor züngelten. Erst, als die Scheite knackten und schwarz wurden, warf er das Fläschchen ins Feuer. Es zerbarst augenblicklich, und sein Blut verdampfte.
'Frei!', dachte er. Aber seine Hände zitterten noch immer.
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