Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 19
Irgendwo im Raschtulswall, 30. Praios bis 1. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
30. Praios, abends[Quelltext bearbeiten]
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Halt! Alles halt!“, keuchte Gualterio Colonna erschöpft. Niemand wusste wie lange sie gerannt waren. Nun ja, streng genommen waren sie nur am Anfang gerannt, dann hatten Gelände und Rüstzeug alsbald ihren Tribut gefordert, und man war eher in einen Dauerlauf verfallen, bis es schließlich nur noch zum schnellen Gehen gereicht hatte, immer wieder der bange Blick über die Schulter, ob die Ferkinas sie nicht doch verfolgten. Nun, da die unmittelbare Gefahr gebannt schien, ließ sich der junge Bastard schwer atmend zu Boden sinken, und streckte alle Viere von sich. Einer der Mietlinge, kreidebleich im eigentlich wettergegerbten Antlitz, spie seinen Mageninhalt den Abhang hinab, derweil sich ein Mann und eine Frau eine Wasserschlauch teilten. Für den Moment waren alle froh, den Ferkinas scheinbar entkommen zu sein, auch wenn der zweite Gedanke freilich darum kreiste, wo sie sich nun eigentlich befanden. Die Flucht war wild und überstürzt gewesen, und so richtig hatte niemand darauf geachtet, wann es in welche Richtung ging. Einzig, dass sie sich wohl eher noch weiter von Grezzano entfernt hatten, war wohl allen klar.
„Wie geht es nun weiter, Herr?“, war dann auch die Frage der Söldnerin.
„Zunächst einmal müssen wir uns einen Unterschlupf für die Nacht suchen. Wenn wir in der Dunkelheit weiter gehen, brechen wir uns höchstens das Genick“, antwortete Gualterio, und blickte dann fragend zu Rondago von Aranjuez. Die Nacht zu überstehen war eine Sache, aber morgen wieder den Weg zurück zu finden oder sich irgendwem – und am besten nicht den Ferkinas – bemerkbar zu machen, ein ganz anderes Problem.
„Eine Fackel hätten wir“, erklärte der Magier, und klopfte mit dem Ende seines Stabes auf den Boden. Natürlich blickten die Mercenarios ihn fragend an, sodass Rondago von Aranjuez abermals mit dem Stabende klopfte, ehe er ausführte: „An einem Ende des Stabes brennt eine Flamme, ebenso wie bei jeder normalen Fackel.“
Mit nachdenklichem Gesicht hatte sich der Bastard wieder aufgerichtet. „Wie lange würde die denn brennen?“, fragte Gualterio Colonna.
„Bis ich sie verlöschen lasse“, antwortete der Magus mit jener Selbstsicherheit, die einem Stande inne wohnte, der mehr vermochte, der mehr wusste als der Normalsterbliche. Und der nicht immer unbedingt die Geduld aufbrachte, jenen alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Entsprechend wischte er weitere Nachfragen einfach weg, und fuhr fort: „Es ist weder ein komplizierter noch kräftezehrender Zauber. Wenn Ihr die Nacht durch marschieren wollt, werden wir Licht haben – was natürlich die Ferkinas anlocken könnte.“
Das war der Haken bei der Sache. „Nach Grezzano zurück zu finden wäre reiner Zufall. Wenn wir nicht über irgendeinen markanten Wegpunkt stolpern, an den wir uns erinnern, werden wir nie dorthin finden“, grübelte der junge Offizier. „Das Geschickteste wäre also, wenn wir uns nordwestlich halten, dann kommen wir früher oder später aus dem Gebirge heraus.“ Früher oder später.
„Die grobe Himmelsrichtung kann ich anhand der Sterne bestimmen. Meine Kenntnisse des Nachthimmels halten sich in Grenzen…“, räumte der Magier ein „…aber Nordwesten sollte machbar sein.“
„Bien, ein halbes Wassermaß Pause, dann brechen wir auf“, nickte Gualterio Colonna. „Und derweil will ich wissen, was wir zu Essen und Wasser haben, also wird jetzt jeder seine Taschen leeren.“ Er selbst machte den Anfang, und drehte seinen Brotbeutel um. Glücklicherweise waren sie als Vorhut vergleichsweise gut ausgestattet gewesen, sodass sie nicht darben mussten. Vorerst…
- Die Geschichte um die versprengten Söldner wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Raschtulswall, Teil 22.
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Seine Augen waren voller Staub und Dreck, sodass er nach kurzem Blinzeln rasch wieder aufgab. Sein Versuch, sich mit der Linken das Gesicht sauber zu wischen endete allerdings in einem Schmerzensschrei, der von seinem linken Unterarm durch den ganzen Leib fuhr, und ihm beinahe die wieder schwinden ließ. Nun erinnerte er sich, sie waren im Raschtulswall unterwegs gewesen, und plötzlich waren da polternde Steine gewesen. Offensichtlich waren sie unter eine Lawine geraten. Umso vorsichtiger versuchte er seinen rechten Arm zu bewegen, und nachdem dies nur leichten Schmerz verursachte, bekam er ihn tatsächlich aus dem Geröll frei, sodass er sich übers Antlitz wischen konnte und so zumindest mit einem halb geöffneten Auge – im anderen juckte und kratzte es immer noch zu stark – seine Lage betrachten konnte. Dem Stand der Praiosscheibe nach zu urteilen, waren mehrere Wassermaß vergangen. Er lag, von Geröll und kleinen Steinen bedeckt, am Fuße eines Abhanges, der zum Glück steil aber nicht gähnend gewesen war, sodass er wohl eher gerollt denn gefallen war, und was ihm wohl das Leben gerettet hatte. Zusammen mit dem geradezu unverschämten Glück, das man dem Linkshänder nicht nur im Spiel nachsagte. Seine linke Hand freilich ragte nun aus jener steinernen Decke in recht ungesundem Winkel heraus, sodass der Unterarm ganz offensichtlich gebrochen war. Ansonsten fühlte sich Anzures Ballan so, als habe man ihn von Kopf bis Fuß mit einer Ochsenherde verdroschen, sodass er kein Glied seines Körpers nennen konnte, welches nicht schmerzte, selbst wenn die gute Rüstung wohl ansonsten Schlimmeres verhindert hatte.
Langsam begann er so, sich vorsichtig von dem Geröll zu befreien, die größeren Brocken mühsam zuerst, wobei er immer wieder inne halten musste, wenn wieder Lichter vor seinem Auge tanzten. Schließlich hatte er seinen Oberkörper bis auf den linken Arm halbwegs frei geräumt, sodass er nach seiner Feldflasche greifen konnte, um zunächst gierig einige Schlucke zu nehmen, und dann ein wenig Wasser über seine Augenpartie laufen ließ, um endlich ungehindert sehen zu können. Ungleich schwieriger gestaltete sich das Freiräumen seines gebrochenen Armes, wo er ob der Schmerzen immer wieder stöhnend inne halten musste. Es musste ihm gelingen, die Steine an Ort und Stelle zu belassen, die den Arm in dieser Position hielten, gleichzeitig aber genug beiseite zu räumen, dass er den Arm mit einer einzigen Bewegung und unter Zuhilfenahme seiner Rechten würde befreien und auf die Brust ziehen können. Schließlich war er so weit, und griff vorsichtig nach dem linken Unterarm.
„Drei ...“, zählte er mühsam an. „Zwei … eins.“ Und nichts geschah. Er wagte es nicht, sondern griff abermals zur Feldflasche, um sich mit einem weiteren Schluck zu stärken. Dann ein neuerlicher Anlauf: „Drei … zwei … eins!“ Ein Schmerzensschrei gellte durch das Tal, ehe er wieder in gnädige Ohnmacht versank …
1. Rondra, abends[Quelltext bearbeiten]
Autor: Der Sinnreiche Junker
Dieser vermaledeite Rabe! Mittlerweile war Anzures Ballan sich sicher, dass es der gleiche Vogel war, den er bereits zwei Mal verjagt hatte. Das erste Mal hatte er ihn gesehen, als er im Morgengrauen aus seiner Ohnmacht erwacht war, und unter unsäglichen Schmerzen seinen gebrochenen Arm befreit und auf den Bauch gezogen hatte. Als er die Tränen weggeblinzelt hatte, saß der Vogel plötzlich auf einem Felsbrocken wenige Schritte von ihm entfernt, schien ihn zu mustern. Kein gutes Omen.
Seine Lippen waren trocken, seine Zunge rau gewesen, doch hatte er sich zunächst um seinen Arm zu kümmern gehabt. Es schien Stunden gedauert zu haben, bis er seinen Umhang unter seinem Körper hervorgezogen hatte, und mehr als einmal war ihm vor Schmerzen die Luft weggeblieben. „Heute nicht, du Mistkrähe, heute noch nicht“, hatte er stets gemurmelt, und sich zu einem neuen Anlauf gezwungen, bis er schließlich das untere Ende seines Umhangs am Körper vorbei auf die Brust und über seine rechte Schulter hatte ziehen können. Er hatte den Stoff stramm gezogen, und dann ein Stück zwischen seine Zähne geschoben. Der Stoff hatte seinen Schrei gedämpft, als er sich mit einem Ruck aufgerichtet hatte. Abermals waren ihm die Tränen in die Augen geschossen, doch er hatte sich gezwungen, mit der Rechten hinter seinem Rücken herumzufingern, bis er einen Zipfel seines Umhangs erwischt hatte und ihn links unter seinen Gürtel hatte schieben können. Von dort hatte er, die Hand wieder vor dem Körper, den Stoff abermals festziehen können, und einige Male um seinen Gürtel schlingen, sodass er dann so etwas wie eine improvisierte Schlinge für seinen gebrochenen Arm gehabt hatte. Erst dann hatte er sich abermals einige Schlucke Wasser gegönnt, erst dann hatte er sich umgesehen.
Mehrere Körper mit gebrochenen, zertrümmerten Gliedmaßen waren in dem Geröllfeld gelegen, ähnlich wie auch er in der Nacht zuvor erwacht war. Nur hatten seine Kameraden offensichtlich weniger Glück gehabt. Und auch bei Weitem keine so gute Rüstung. Ihre Kettenhemden, Nietenwesten, Lederwämser oder dergleichen hatten ihnen kaum Schutz geboten, sodass er offensichtlich der einzige Überlebende war. Immerhin hatten die Ferkinas es anscheinend auch nicht gewagt, ihnen hinterherzuklettern, denn nicht nur hätten sie zweifellos die Leichen und somit auch ihn ausgeplündert, sondern vielmehr hätten sie das beendet, was der Sturz nicht vollbracht hatte. Zumindest noch nicht. Abermals war sein Blick auf den Raben gefallen, der ihn noch immer zu beobachten schien. Rasch hatte sich ein Stein in seiner Rechten gefunden, doch hatte er mit der ‚falschen‘ Hand kaum anständig zu zielen vermocht. Es war wohl auch besser gewesen, denn ein boronheiliges Tier mit einem Stein zu erschlagen, hätte das Omen wohl kaum besser gemacht. Immerhin hatte sich der Rabe mit lautem Krächzen in die Lüfte erhoben.
Mühsam, und zumeist auf allen Dreien hatte er dann die zerschlagenen Leiber nach Brauchbarem durchsucht. Offensichtlich war er der Einzige gewesen, der eine Feldflasche gehabt hatte, denn die Wasserschläuche seiner Kameraden waren allesamt zerrissen und geplatzt. Immerhin hatte er einen weiteren Brotbeutel gefunden, sodass zumindest für Proviant gesorgt war. Blieb die Wasserfrage, und natürlich, wie zum Namenlosen er zurückfinden sollte. Schließlich hatte er sich entschieden, grob die Richtung Nordwest einzuschlagen, da er so früher oder später aus dem Gebirge herauskommen musste. Immer vorausgesetzt, dass er genügend Wasser fand, schließlich folgte der Verlauf der Täler bedauerlicherweise wohl kaum ständig seiner Marschroute.
Das zweite Mal hatte er den Raben nach einigen Stunden Marsch gesehen, als er sich vorsichtig an einen Felsbrocken gelehnt hatte. Augenblicke später war der Vogel unweit von ihm gelandet. Wiederum war ein Stein in seine Richtung geflogen, wiederum war der Wurf fehl gegangen, und wiederum war der Rabe von dannen geflogen.
Nun aber, als der Söldner am Rande einer Pfütze glitzernden Nasses kniete – die Kuhle am Fuße einer Klippe war wohl im Laufe der Äonen durch von oben herabstürzendes Regenwasser in den Fels gewaschen geworden – blickte ihn ein drittes Mal ein Rabe an. Das schien gewiss kein Zufall mehr, sodass sich Anzures den obligatorischen Steinwurf sparte. Stattdessen füllte er, nachdem er sich selbst ausreichend gestärkt hatte, ruhig seine Feldflasche wieder auf. Dabei schien ihm eine Idee zu kommen, griff er doch sodann in den Proviantbeutel, und förderte einige Brotkrumen zu Tage, die er in Richtung des Raben warf. „Abergläubischer Narr“, murmelte er zu sich selbst, doch würde er wohl ohnehin eher verdursten denn verhungern, sodass es auf die paar Krümel kaum ankam. Dann setzte seinen Weg fort.
Ein viertes Mal kreuzten sich ihre Wege, als Anzures Ballan kurz vor Sonnenuntergang an einer Weggabelung stand. Beide Täler schienen in etwa gen Nordwesten zu verlaufen, doch waren sie jeweils nur wenige hundert Schritt einsehbar. Die falsche Entscheidung konnte viele Tage Umweg bedeuten, sprich in seiner augenblicklichen Situation: den Tod. Der Mercenario wollte sich schon ein Plätzchen für die Nacht suchen, um dann am nächsten Tag eine Entscheidung zu treffen, als er ein Krächzen vernahm. Einmal mehr war der Rabe wenige Schritt von ihm entfernt gelandet, schien ihn zu mustern, und hüpfte dann in den Eingang des einen Tales hinein. Einen kurzen Moment zögerte der Mann, dem man unverschämtes Glück nachsagte, dann zuckte er mit den Schultern. „Abergläubischer Narr“, wiederholte er leise, doch folgte er dem Raben in jenes Tal …
- Die Geschichte um Anzures Ballan wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Selaque, Teil 30.
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