Chronik.Ereignis1033 Der Zenit des Mondes 13
Baronie Bangour, Anfang Praios 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf abgelegenen Pfaden[Quelltext bearbeiten]
Autor: Lindholz
Unter dem breitkrempigen Hut erwiderte Nicetos freundlich den Gruß des Bauerns, der mit seinem schwerfälligen Ochsenwagen an ihm vorbeirumpelte. Während der Edelmann seinen braunen Warunker wieder auf den sandigen Weg Richtung Süden lenkte, blickte er kurz über die Schulter gen Efferd. Jenseits des Wäldchens lag irgendwo der Ort Bangour mit seiner breiten, bequemen Straße, doch er wagte es nicht, diesen Weg einzuschlagen. Auch wenn er lange Zeit im Ausland gewesen war, konnte und wollte er das Risiko nicht eingehen, erkannt zu werden. So mied er die Hauptstraßen und kam als einfacher Reisender in kleinen Dörfern und Gehöften unter.
Neben der kratzenden Kleidung nahm er dabei auch Verhaltensweisen schweigend in Kauf, die er normalerweise niemals geduldet hätte. Doch jedes Wort, das zu viel gesprochen war, konnte seinen wahren Stand verraten, so befürchtete er, denn wie die meisten Adligen war auch er davon überzeugt, dass sich edle Herkunft niemals wirklich verbergen ließ, da sie ein grundsätzlicher Teil des Inneren Selbst sei, ein Hauch von Praios Segen, der die Welt mit Ordnung erfüllte. Und so war es nicht nur der grob gewebte Stoff seines Hemdes, der ihn mit Unbehagen erfüllte, während er im Schatten der Zypressen weiter ritt, sondern auch das mulmige Gefühl, dass sich trotz aller Vorsicht ein fataler Fehler einschleichen konnte. Erst in Artésa würde er sich wieder wohler fühlen.
Während der unebene Sandstreifen, der mit viel gutem Willen als Sträßlein, mit etwas Häme als Trampelpfad und in jedem Fall als ausbesserungswürdig bezeichnet werden konnte, unter den Hufen des im gemütlichen Tempo vorantsschreitenden Pferdes dahinglitt, dachte Nicetos von Lindholz an das Treffen mit Yanis di Rastino zurück. Ihre Reize hatten sich im Laufe der Zeit verändert, aber man konnte nicht behaupten, dass sie geringer geworden waren. Er konnte es schwer fest machen, woran es gelegen hatte, dass selbst jetzt, obwohl sie müde und angespannt gewirkt hatte, etwas von ihr ausging, was faszinieren konnte. Es war nicht mehr die gleiche Faszination, die er in seiner Jugend empfunden hatte, als sie sich häufiger bei festlichen Anlässen begegnet waren. Damals war es geradezu schon einfallslos, als junger Adliger für Yanis di Rastino zu schwärmen, was dennoch kaum jemanden abgehalten hatte.
Es war nicht so, dass er sie liebte - weder damals noch heute - aber er musste gestehen, dass etwas in ihrer Art, vielleicht der Blick ihrer Augen, ihre Bewegungen oder ihre Stimme, verriet, dass in ihr ein starker Wille und das Potential zu etwas Besonderem ruhte. Und dies hatte sie schließlich erst vor Kurzem erneut bewiesen. Leider zeigte das Schicksal keine besondere Liebe zu jenen, die aus der Menge hervorragten, gaben sie doch auch ein hervorragendes Ziel ab. So hatte er auch erst einmal nur sich und seinen Vater als Kontaktpersonen genannt und sich über die restlichen rohajatreuen Adligen in und um Artésa ausgeschwiegen. Schließlich wäre davon abzuraten, dass jeder jeden kannte, falls es zu Verrat oder Spionage kommen sollte, so hatte er ihr gesagt und hinzugefügt, dass die Kaiserin und der Reichsgroßgeheimrat jedoch über alles informiert seien und sie sicherlich bei Bedarf in Kenntnis setzen würden.
Bedauerlicherweise hatte sie ihm fast die gleichen Worte vor die Füße gelegt, als er sich nach weiteren Disentes erkundigt hatte, was er dann ebenfalls mit einem Lächeln und einer Verbeugung hinnehmen hatte hinnehmen müssen. Er hatte mit kleinen Schmeichelleien versucht, ihr etwas mehr zu entlocken, war aber an einer Folge von freundlichen Floskeln abgeprallt, die jahrelange Übung zu dem geistigen Äquivalent der Mauern von Al'Muktur geformt hatten.
Mit einem Seufzen wandte er den Blick wieder dem gelben Band zu, auf dem sich ihm eine weiße Woge über dem Kamm eines Hügels entgegenschob, deren beständiges Mähen ihn schon bald zu erneutem Stillstand verdammen würde. 'Es ist nicht mehr weit', rief er sich ins Gedächtnis, 'schon bald ist es geschafft.'
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